Protocol of the Session on March 17, 2016

Lassen Sie mich einiges zu der differenzierten Betrachtung sagen. Ja – da bin ich ganz nah bei den Worten des Innenministers –, Bodycams sind kein Allheilmittel gegen das Phänomen, das wir alle beklagen und gegen das wir uns gemeinsam wenden: Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten. Sie können aber, wenn sie vernünftig eingesetzt werden, dazu beitragen, sich qualifiziert mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen und an der Stelle für eine Verringerung zu sorgen.

Man darf sie nicht hochjubeln, sie sind aber auch nicht völlig zu verteufeln. Wir müssen uns differenziert mit der Technik, mit den unterschiedlichen Trageversuchen, mit dem Nutzen und mit den Risiken auseinandersetzen. Dabei haben wir das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten.

Das heißt, eine Überwachung und Beobachtung durch Bodycams ist ausgeschlossen.

Lieber Kollege Lürbke, wir müssen hier unterscheiden. In Hessen werden die Bodycams auf der Schulter getragen, von mehreren Personen begleitet. In Rheinland-Pfalz werden die Bodycams, wie sich der

Arbeitskreis der SPD angeschaut hat, im Brustbereich der Einsatzbekleidung befestigt. Dazu gibt es in Gelb einen deutlichen Hinweis auf der Uniform, auf dem „Video“ oder „Videobeobachtung“ steht. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn sich jemand der Polizistin oder dem Polizisten nähert und Ansätze eines gewaltsamen oder aggressiven Vorgehens zeigt. Denen wird ankündigt: Ich schalte jetzt das Gerät ein.

Das, was wir in Rheinland-Pfalz gesehen haben, unterscheidet sich sehr wohltuend von den hessischen Dingen. Da sieht man nämlich auf einem kleinen Monitor genau das, was die Bodycam in dem Augenblick aufnimmt, in dem sie ausgelöst worden ist. Es gibt auch einen deutlichen Hinweis darauf. Sie hätten sich die Dinge einmal anschauen sollen, anstatt hier einfach munter loszuschwadronieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU.

Das, was Sie immer wieder mit der Diskussion vermengen – die Silvesternacht, große Ereignisse –, ist technisch völlig außerhalb der Reichweite von Bodycams. Insoweit ist die Bemühung der Ereignisse in der Silvesternacht – ich sage es ganz deutlich – grober Unfug.

(Beifall von der SPD und Dietmar Schulz [PIRATEN])

Lassen Sie mich auf das Beispiel von RheinlandPfalz zurückkommen. Die Verhältnisse in RheinlandPfalz sind nicht eins zu eins mit denen in NordrheinWestfalen zu vergleichen.

Deshalb: Wenn wir uns intensiver mit der Sache beschäftigen wollen, müssen wir zunächst überlegen, welche Erkenntnisse wir benötigen, um den Nutzen der Bodycams von den möglichen bürgerrechtlichen Gefährdungen abgrenzen zu können. Da brauchen wir eigene Trageversuche, und zwar zugeschnitten auf die Zustände im Wach- und Wechseldienst bei uns im Land Nordrhein-Westfalen und gerade nicht in geschlossenen Einsatzeinheiten. Da unterscheiden wir uns ganz deutlich von dem, was eben gesagt worden ist.

Noch ein letztes Wort: Man kann das nicht mal eben so unbürokratisch rucki, zucki machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. § 15a unseres Polizeigesetzes reicht an der Stelle in keiner Weise aus. Wenn wir über eine gesetzliche Ermächtigung reden, dann müssen darin auch die Grenzen dieses Einsatzmittels beschrieben werden.

Deshalb rate ich zu Augenmaß und zu Vernunft, zur wissenschaftlichen Begleitung, zur seriösen Auswertung eines Trageversuchs, den wir auf nordrheinwestfälische Verhältnisse beziehen. Dann können wir uns auf einer vernünftigen Grundlage Gedanken darüber machen, ob wir das Einsatzmittel Bodycam

den vielen anderen Einsatzmitteln unserer Polizistinnen und Polizisten hinzufügen.

Insoweit ist hier weder der Platz für große Euphorie noch für markige Worte noch für schneidige Auftritte. Wir wollen einen effektiven Schutz für unsere Polizistinnen und Polizisten und keine populistischen Aktionen. In diesem Sinne freuen wir uns darauf, dass wir demnächst auf einer besseren sachlichen Grundlage in NRW über das Einsatzmittel Bodycam miteinander reden können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofiza- deh [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte voller Begeisterung auf meinen Kollegen Lürbke gewartet. Er wollte jetzt offensichtlich nicht sprechen. Das macht aber nichts.

Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil insbesondere Sie mich ein Stück weit dazu motiviert haben, Herr Kollege Hegemann, und zwar mit dem zweiten Teil Ihres Wortbeitrags, der von einer sachlichen Auseinandersetzung für Ihre Verhältnisse gar nicht so weit entfernt war. Sie haben richtigerweise gesagt: Wir brauchen nicht über Symbolpolitik zu sprechen; wir brauchen hier nicht über Scheinlösungen zu sprechen.

Herzlich willkommen in der Realität in NordrheinWestfalen unter einer rot-grünen Landesregierung! Unter diesem Motto, dass wir eben nicht symbolpolitische Lösungen brauchen, dass wir nicht Scheinlösungen brauchen, haben wir nämlich seit 2010 konsequent daran gearbeitet, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrem Einsatz vor Gewalt und vor Übergriffen geschützt werden, und zwar mit wirksamen Konzepten und nicht allein mit Symbollösungen.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Michael Hübner [SPD])

Wir haben eine landesweite Befragung zum Thema „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ in Auftrag gegeben und zahlreiche Handlungsempfehlungen daraus umgesetzt. Wir haben die bessere Vor- und Nachbereitung von Einsätzen realisiert. Wir sind bei der stärkeren Verankerung von Deeskalation und Vorbereitung auf Konfliktsituationen in der Aus- und Fortbildung aktiv geworden.

Alle diese Konzepte helfen uns doch viel mehr – das sieht man, wenn man sich die Situation einmal sachlich und nüchtern anschaut – als die Betrachtung der Frage: Hat der Polizist eine Kamera auf der Schulter, oder hat er keine Kamera auf der Schulter?

Gleichwohl ist es wichtig, dass wir darüber viel mehr reden. In der rechtlichen Bewertung, die wir ja auch vor uns haben, wenn wir die Modellversuche auswerten, muss der Gewinn für die Eigensicherung von eingesetzten Beamtinnen und Beamten nämlich die einzige Richtschnur sein. Als Landesgesetzgeber haben wir nun einmal eine klar zugeordnete Zuständigkeit, und zwar für das Thema „Gefahrenabwehr“ und, was Polizeiausstattung angeht, für das Thema „Eigensicherung“.

Wie ich klar gesagt habe, werden wir uns die Modellversuche anschauen bzw. schauen wir uns die Modellversuche schon an. Auf dieser Basis müssen wir dann alle miteinander eine Abwägung vornehmen. Ich fand es beim Kollegen Lürbke durchaus gelungen, immer zu fragen: Wie groß ist auf der einen Seite der Grundrechtseingriff, und wie groß ist auf der anderen Seite der Gewinn für die Eigensicherung? Dann muss man gemeinsam in eine Diskussion kommen: Ist das jetzt verhältnismäßig, oder ist das nicht verhältnismäßig?

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Lürbke ist ein gu- ter Mann!)

Da hilft es uns durchaus, wenn wir uns einmal mit den vorhandenen Erfahrungsberichten auseinandersetzen. Herr Kollege Hegemann hat das eben angezweifelt. Ich habe schon in meinem ersten Wortbeitrag sehr deutlich gesagt, dass wir uns natürlich mit dem auseinandersetzen, was an inhaltlichen Aussagen mit den Erfahrungsberichten zurückkommt.

Der erste Block in den Erfahrungsberichten ist: Wir fühlen uns sicherer. – Der zweite Block ist, dass es zu weniger Solidarisierungseffekten kommt; das heißt, dass sich Einsatzsituationen durchaus deeskalieren, wenn Polizisten entsprechend ausgestattet sind.

Das muss man ins Verhältnis bringen. Dann würde es auch sehr genau darauf ankommen, unter welchen Bedingungen man da möglicherweise in einen Versuch käme. Wir können das aber durchaus auch auf Grundlage der Versuche in Rheinland-Pfalz, Hessen und anderen Ländern miteinander auswerten und schauen: Wo sind diese Fragestellungen gelöst worden, und wie sind diese Fragestellungen da auch miteinander abgewogen worden? Aus meiner Sicht ist das nicht so kompliziert.

Aus meiner Sicht ist es aber auch nicht kompliziert – das richte ich insbesondere an die Adresse des Kollegen Hegemann –, wenn man auf der einen Seite diese Erfahrungsberichte zur Kenntnis nimmt und auf der anderen Seite immer wieder betont, dass es durchaus berechtigte Gründe gibt, skeptisch zu sein, ob diese Kameras nun wirklich das Allheilmittel sind oder nicht. Es gehört zu einer demokratischen Auseinandersetzung nun einmal dazu, die Argumente abzuwägen.

Nichts anderes habe ich eben ausgeführt und mir abschließend gewünscht, dass wir endlich auf einer fundierten Grundlage mit Daten und Fakten, also mit Versuchsergebnissen, Ergebnisberichten und Erfahrungsberichten, hier in den Austausch kommen, …

Herr Kollege.

… weil es für den Schutz von Polizistinnen und Polizisten in ihrem Einsatz immer noch besser ist, wenn hier eine fundierte Debatte geführt wird, als wenn wir hier Verdikte austauschen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Herrmann.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte ein paar Punkte kurz zusammenfassen.

Sie haben sich gefragt, warum wir denn hier über Bahnhöfe und die Bundespolizei reden, obwohl dort doch Bundesrecht gilt. – Das ist ganz einfach: Es sind Menschen aus Nordrhein-Westfalen, die da entlanggehen und von den Einsätzen der Bodycams betroffen sind. Da können wir noch so schön darstellen, wie toll wir hier Gesetze machen und wie toll wir hier evaluieren, wenn dort die Bundespolizei mit ganz anderen Maßstäben und ganz anderen Rechten die Menschen in NRW überwacht und in ihren Rechten einschränkt.

Herr Stotko, Sie haben mich letztlich nur bestätigt. Die Geschichte, dass Sie mir erklären wollten, wie die Kameras funktionieren, lasse ich jetzt einmal weg. Ich bin sicher, dass ich viel mehr darüber weiß als Sie.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN – Zu- rufe von Hans-Willi Körfges [SPD], Jochen Ott [SPD] und Minister Ralf Jäger)

Das ist jetzt aber nicht das Thema.

Sie haben mich insofern bestätigt, als dass die Menschen sich anders verhalten, wenn ihnen die Kameralinse vor die Nase gehalten wird. Das haben Sie begrüßt. Ich halte das für ein ganz fatales Signal; denn das bewusste Einsetzen von Videoüberwachung für eine Verhaltensänderung ist die definitiv falsche Richtung. Das ist ein Paradigmenwechsel. Ich glaube auch, dass es verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, so vorzugehen.

Der ominöse Versuch in Hessen, der Starter dieser ganzen Diskussion, war hier gerade auch schon

Thema. Wir haben ihn in der Anhörung ebenfalls auseinandergenommen.

Ich wollte auch immer noch eine Zahl relativieren, zumal der Kollege Golland eben wieder ausgeführt hat, die Angriffe auf Polizeibeamte gingen um ein Drittel zurück. –

Es ist ja ganz toll, wenn man eine neue Technik einsetzt und die Angriffe um ein Drittel zurückgehen. Das ist ja sensationell. Bei Prozentzahlen hilft es manchmal jedoch, die realen Zahlenwerte dagegenzuhalten: Die Zahl der Fälle ist von 27 auf 20 zurückgegangen. Darüber brauchen wir nicht weiter zu reden.

Die Signifikanz des Tests ist völlig unbedeutend. Das kann nicht der Maßstab für die flächendeckende Einführung von Bodycams weder im Bund noch in Nordrhein-Westfalen sein.

Grundsätzlich steigt mit jeder weiteren Kamera der Überwachungsdruck in Nordrhein-Westfalen auf die Bevölkerung. Dabei ist es völlig egal, ob durch die Bundespolizei, die Landespolizei oder irgendeine andere staatliche Stelle diese Kameras eingesetzt werden.

(Thomas Stotko [SPD]: Verkehrsverbünde!)

Verkehrsbetriebe, Sie sagen es. Da kommt demnächst noch etwas, Herr Stotko. Lassen Sie sich überraschen.

Wir als Piraten haben in den letzten Jahren den stetigen Ausbau von Videoüberwachung in NordrheinWestfalen thematisiert und immer wieder kritisiert. Sie fordern hier oft mehr Kameras. Alleine im aktuellen Nachtragshaushalt werden mehr als 23 Millionen € für mehr Videoüberwachung gefordert.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: 23?)

Inklusive der nächsten Jahre: Verpflichtungsermächtigung 23 Millionen €, ja!