Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass meine Stimme während meiner Rede noch durchhält. Ich finde diese Debatte nämlich unglaublich wichtig.
Vorab möchte ich sagen, dass die Übergriffe von Köln – das haben alle Vorrednerinnen und Vorredner gesagt – natürlich verabscheuungswürdig sind und dass wir dem Problem der neuen Qualität der Übergriffe und der neuen Qualität der sexualisierten Gewalt, nämlich dass es in so großer Anzahl und durch solch große Mengen von Angreifern vor ei
nem sehr großen Publikum und trotz Polizeipräsenz dazu gekommen ist, nachgehen müssen. Das ist heute mehrfach gesagt worden und auch, dass das zutiefst bedauert wird.
Ich möchte aber eines sagen, was mir ganz wichtig ist. Ich möchte all denjenigen Frauen ganz herzlich danken, die Opfer geworden sind und die sich entschieden haben, Anzeige zu erstatten unabhängig davon, ob die Täter gefunden werden, und unabhängig davon, ob die Anzeige Erfolg hat. Durch diesen Mut, durch diesen Schritt, den Weg zur Anzeige zu gehen – auch erst Tage danach –, ist ein Teil in dieser Gesellschaft sichtbar geworden und ist eine Diskussion so geworden, wie sie heute ist, was sie ohne den Mut zur Anzeige nicht geworden wäre.
Wir wissen, dass gerade bei sexualisierter Gewalt das Dunkelfeld so hoch ist und gerade diejenigen, die sich seit Jahren damit auseinandersetzen und frauenpolitisch für andere Strukturen, Veränderungen und gesetzliche Regelungen kämpfen, dieses Dunkelfeld immer wieder begründen müssen und immer wieder die Diskussion aufkommt: Es sind doch gar nicht so viele. Es ist doch gar nicht so schlimm. Es sind doch nur Einzelfälle. Zum ersten Mal wird ein so dramatisches Ereignis wie in Köln durch den Mut der Frauen sichtbar gemacht. Dafür bin ich unglaublich dankbar.
Ich finde es gut und richtig, wenn wir zwei Ebenen aus Köln als Konsequenzen ziehen. Das eine ist – und das ist das Wichtige, was bei den ganzen Analysen der Vorgänge notwendig ist –, zu fragen: Welche Folgen und welche Konsequenzen hat das für die Zukunft zur Vermeidung? Welche Präventionsmaßnahmen sind notwendig? Das Zweite ist, dass wir neben der Verfolgung der Täter und neben den Hilfsstrukturen für die Frauen eine grundsätzliche Frage stellen müssen: Welche Veränderungen brauchen wir in dieser Gesellschaft, damit wir einen Umgang mit sexualisierter Gewalt haben, der der Würde der Frauen gerecht wird und wo das Nein auch wirklich ein Nein bedeutet und Konsequenzen für die Täter hat?
Sexualisierte Gewalt ist seit Langem in dieser Landesregierung und in Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Thema. Wir haben seit 1997 Förderprogramme für Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt. Mittlerweile haben wir in Nordrhein-Westfalen eine fast flächendeckende Fraueninfrastruktur und Frauenhilfestruktur. Auch da finde ich es wichtig, dass wir uns darüber im Klaren sind …
Emanzipation, Pflege und Alter: Ja, okay. Ich hatte das Gefühl, dass die Redezeit sehr viel später begonnen hat als die Minuten, die mir eigentlich laut Vereinbarung zustehen. Aber okay.
Wir haben bei dem Thema schon seit Langem innerhalb der Landesregierung umfassende Konzepte. In Nordrhein-Westfalen gibt es mittlerweile nur noch sechs Kommunen, in denen wir keinen Frauennotruf haben. Deswegen haben wir eine sehr umfangreiche und sehr intensive Struktur, die wir auch in den letzten Jahren massiv aufgestockt haben.
Wir haben die Diskussion um die anonyme Spurensicherung und wollen bedarfsgerechte Programme und bedarfsgerechte Angebote ausweiten. Wie auch im Antrag steht, sind wir mit einer Bestandsaufnahme und mit der Auswertung schon sehr weit. Wir sind in der Arbeit zum Landesaktionsplan, was gerade angesprochen worden ist, und werden diesen intensiv im Ausschuss diskutieren. Trotzdem glaube ich, dass aus den Ereignissen und den Diskussionen weitere Notwendigkeiten sichtbar werden.
Wir bräuchten eine Struktur, in der gerade die Notrufe noch mehr auch innerhalb der Kommunen an Aktivitäten entfalten können: das Sichtbarmachen von Angsträumen, das Beschreiben von Veränderungsbedarfen, die Aufklärung im Vorhinein. Es gibt viele Bereiche, in denen wir sehr viele Bedarfe haben, die durch das Sichtbarwerden des Dunkelfeldes wirklich zum Tragen kommen werden.
Ich bin froh über den Hashtag „#ausnahmslos“, weil es gezeigt hat, dass es Frauen auch jenseits der üblichen Strukturen im Internet, in den neuen Medien in einer so schnellen Zeit mit einer so breiten Kampagne geschafft haben, Flagge zu zeigen und Pflöcke einzuschlagen. Deswegen finde ich es wichtig, dass solche Aktivitäten zu diesen Themen weiterhin nach vorne gebracht werden und dass die Frauen sie in der Breite in die Gesellschaft tragen.
Wir werden genauso intensiv – das sind die beiden letzten Punkte, die notwendig sind, anzusprechen – über das Verständnis des Rollenbildes innerhalb der Gesellschaft diskutieren müssen. Wir werden denjenigen, die zu uns kommen, das Rollenbild, das in dieser Gesellschaft eigentlich herrschen sollte, deutlich vermitteln müssen. Wir werden Frauen, die als Flüchtlinge hier herkommen, klar machen müssen, welche Rechte sie in dieser Gesellschaft und welche Chancen sie haben. Wir sind auch da an vielen Punkten dran, dieses zu bearbeiten, und werden da genauso – wie der auch eben angeworfene Aspekt des Gewaltschutzes für Frauen in den Flüchtlingsunterbringungen – gemeinsam mit dem Innenministerium in Nordrhein-Westfalen wesentliche Schritte nach vorne gehen.
In dem Sinne freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. Ich hoffe, dass in dieser Diskussion die
Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede im Vordergrund stehen werden. Denn die Frauen in diesem Land brauchen die Gemeinsamkeiten und den Schutz durch uns alle sowie die Veränderung der Strukturen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Debatten.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung erstens über den Antrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd, Drucksache 16/10800. Der Kollege Schwerd hat zwischenzeitlich eine Überweisung des Antrags an folgende Ausschüsse beantragt, und zwar an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation – federführend –, an den Rechtsausschuss sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Ist jemand dagegen oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenom
Ich lasse zweitens abstimmen über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/10787. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags einschließlich der Entschließungsanträge Drucksache
16/10881 und Drucksache 16/10885 an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation, wiederum federführend, an den Rechtsausschuss sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. – Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand der Stimme? – Auch das ist nicht der Fall. Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort. Bitte.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Auch heute prägen die Ereignisse von Silvester wieder die Debatte hier im Hohen Haus. Man muss feststellen, dass das Jahr wirklich nicht gut angefangen hat.
Aber anstatt eine tiefergehende Analyse der eigenen Versäumnisse zu starten, wurde für das Sonderplenum vor zwei Wochen schnell ein 15-PunktePlan aus dem Hut gezaubert. Unter anderem wurde ein Ausbau der Videoüberwachung angekündigt. Etwas mehr Demut und die Übernahme der politischen Verantwortung wäre unserer Meinung nach das bessere Zeichen gewesen.
Wann hört es endlich auf, dass immer dann, wenn Überfälle, Übergriffe, Anschläge irgendwo auf der Welt vorkommen, eine verstärkte Videoüberwachung im öffentlichen Raum gefordert wird? 80 Kameras am Kölner Hauptbahnhof: Haben die zu Silvester irgendetwas gebracht? – Nein. Die Menschen haben ihnen aber, haben der „gefühlten Sicherheit“ vertraut.
Frau Kollegin Scharrenbach, zu den Angstträumen, die Sie eben angesprochen haben: Wir sind überzeugt, Videokameras helfen da nicht. Mit Kameras wird suggeriert, man würde etwas für die Sicherheit tun, aber das stimmt nicht. Im besten Fall tut man etwas für die Aufklärung der Taten. Aber das hilft den Opfern nicht.
Die Landesregierung plant jetzt, unter anderem auf den Kölner Ringen mehr Videoüberwachung einzusetzen. An keiner Stelle wurde bisher hinterfragt, wozu diese Maßnahme genau dienen soll und ob sie überhaupt geeignet ist, ein Ziel zu erreichen. Sie schreiben nur, dass Straftäter abgeschreckt werden sollen. Aber ich bitte Sie: Nennen Sie mir eine einzige Studie, die belegt, dass Videokameras eine abschreckende Wirkung auf Straftäter haben! Die gibt es nicht. Kameras verhindern eben keine Straftaten.
Wenn nachts Betrunkene Taten im Affekt begehen, dann macht die Kamera nichts. Die Kamera greift nicht ein, kommt nicht zur Hilfe, sie ist Zaungast und liefert die Bilder für die Schlagzeilen. Aber das darf nicht das einzige Ergebnis ihres Einsatzes sein. Kameras sind eben kein Sicherheitskonzept, sie sind weiße Salbe, sie sind ein Placebo.
Meine Damen und Herren, die öffentliche Sicherheit von Straßen und Plätzen ist eine ureigene Aufgabe der Kommunen in Kooperation mit der Polizei. Die vielen kommunalen Präventionsprojekte können viel besser auf lokale Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort eingehen, als das ein Kameraprogramm, zentral aus der Staatskanzlei gesteuert, jemals leis
ten könnte. Die sichere Gestaltung öffentlicher Plätze durch offene Räume und durch gute Beleuchtung verhindert Straftaten.
Wir wollen hier einmal mehr davor warnen, in der Videoüberwachung die Lösung von gesellschaftlichen Problemen und auch von Problemen bei der Strafverfolgung zu sehen. Mit jeder Kamera geben wir ein Stück Freiheit auf und gewinnen keine Sicherheit. Jetzt, wo die technischen Möglichkeiten da sind, viele Kameras zusammenzuschalten und zentral zu steuern, braucht es eine politische Richtungsentscheidung, damit wir uns auch zukünftig frei und ungehindert bewegen können.
Wenn jeder Schritt gefilmt wird, jeder Weg zum Arzt, zur Kirche, zur Moschee, zu Freunden und Bekannten, zu einer Demonstration oder zur Arbeit, wenn jeder Schritt überwacht wird, dann hat das einen Einschüchterungseffekt auf die Menschen zur Folge. Die aktuelle Situation der staatlichen Überwachung muss in ihrer Wirkung ganzheitlich und vollständig betrachtet werden.
Die kumulierten Grundrechtseingriffe durch die Vorratsdatenspeicherung, die Bestandsdatenauskunft und das Ausmaß der Videoüberwachung im öffentlichen Raum haben ein erschreckendes Maß erreicht. Hier muss gegengesteuert werden, und das machen wir bereits mit unserem Antrag zur Vorlage einer Überwachungsgesamtrechnung, der gerade im Innenausschuss behandelt wird.
Wir müssen dazu übergehen, Maßnahmen genau zu evaluieren und Kameras nur dann einzusetzen, wenn sie tatsächlich geeignet sind, zu helfen, und keine flächendeckende Überwachung gewährleisten. Die bisherige Evaluation der Landesregierung – das wissen Sie genau wie ich – ist mangelhaft. Sie ist mangelhaft durchgeführt worden und blieb ohne eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung.
Mit unserem Antrag heute und hier wollen wir nicht mehr und weniger, als dass sie uns vor einem weiteren Ausbau der Videoüberwachung in NordrheinWestfalen belegen, dass die bisherigen Maßnahmen wirksam waren. Denn wir brauchen keine weiße Salbe, kein Globuli in Form von Videoüberwachung an jeder Ecke. Wir brauchen Polizistinnen und Polizisten, die erreichbar sind, auch auf der Straße, die helfen und eingreifen können, da, wo es sinnvoll und notwendig ist.
Vor allem brauchen wir weniger Angstmacherei und keinen sinnlosen Aktionismus. Und wenn Sie das auch nicht wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu und legen die Berichte vor, die wir fordern! – Danke.