Ich frage Sie: Wenn Sie sagen, Sie haben die Macht und die Aufgabe – ja, die haben Sie, die hat ein Ministerpräsident dieses Landes –, warum sagen Sie denn nicht Ihrem Minister, der ressortzuständig ist, dass er mit Ihnen zusammen diese Macht und Aufgabe hat? Der sagt nur: Ich bin kein Gesundheitsminister, der Blinddarmoperationen
durchführt. – Sagen Sie ihm bitte: Er hat die Macht und die Aufgabe, mit 50.000 Mitarbeitern dafür zu sorgen, dass man sich in diesem Land sicher bewegen kann. Das muss Herr Jäger endlich zugestehen.
Wie macht man das? – Man hat 47 Kreispolizeibehörden, drei Landesoberbehörden, 50.000 Beschäftigte. Das ist die Mitarbeiterschaft, die ein Innenminister hat.
45.000. Gut. Sie wissen es genau, wie immer. Bei 45.000 ist die Mühe ja nicht ganz so groß, sich auch um diese zu kümmern. Das ist weniger als bei 50.000.
Dann entscheiden Sie, wer wo Polizeipräsident wird. Das ist eine Entscheidung der Landesregierung, wer wo Polizeipräsident wird. Das ist ein Teil dessen, wie man innere Sicherheit herstellt. Sie haben vor vier Jahren Herrn Albers für die größte Stadt des Landes, für eine Millionenstadt, berufen. Sie haben geglaubt, das ist der Beste, den ich da hinschicken kann. Insofern tragen Sie Verantwortung.
Dann gab es die HoGeSa-Demonstration: Rechtsradikale, die an einem Sonntag in Köln Orgien der Gewalt veranstaltet haben. Auch da hat man gesagt: Das haben wir noch nie gesehen. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Wir wussten nicht, dass Hooligans gewalttätig sind. So damals die Erklärung. – Und es waren Bilder zu sehen, wie Polizeiwagen umgekippt wurden.
Es folgte ein Handeln nach ähnlichem Muster. Jäger im „Morgenmagazin“: Polizeikonzept ist voll aufgegangen. Wir hatten alles im Griff. – Spätestens da hätten Sie Ihrer Verantwortung gerecht werden müssen, diesen Polizeipräsidenten auszuwechseln.
Deshalb ist es zu billig, heute zu sagen: Den entlasse ich. Ich bin der Oberaufklärer. Ich habe mit Köln nichts zu tun. – Sie haben durch Ihre Politik am allermeisten mit Köln zu tun.
Verantwortung gibt es nicht nur bei PR-Aktionen. Wenn irgendwo ein Blitzmarathon ist, dann steht der Minister mit riesigem Pressegefolge am Gerät und übt operative Verantwortung aus.
Wir erinnern uns an die letzte Landtagswahl, die im Jahre 2012; ich erinnere mich sehr genau. Komischerweise wurden in der Woche vor der Landtagswahl überall im Land Rockerbanden verboten. Das ist über Jahre nicht passiert. Zehn Tage vor der Landtagswahl wurde plötzlich operative Verantwortung wahrgenommen.
Deshalb, Herr Minister: Sie tragen die politische Verantwortung. Was anderes ist denn politische Verantwortung, wenn man nicht bei einem solchen Punkt so etwas in sich selbst empfindet?
Was politische Verantwortung bedeutet, hat Rudolf Seiters 1993 nach einem GSG-9-Einsatz zur Ergreifung von RAF-Terroristen gezeigt. Er saß in Bonn, während in Bad Kleinen in Mecklenburg ein Polizeieinsatz schiefging. Ein Terrorist kam ums Leben. Damals wurden übrigens zu einem späteren Zeitpunkt alle Vorwürfe gegen die Beamten, die erhoben worden waren, widerlegt. Obwohl er persönlich nicht in der Kritik stand, zog er die Konsequenzen und trat damals als Bundesinnenminister zurück. Er hat das begründet mit der Aussage, es gäbe in Deutschland zu Recht den Begriff der politischen Verantwortung. Wer soll denn die Verantwortung übernehmen, wenn nicht der Minister? Das fragte Seiters damals.
Die Zeitung schrieb damals: Sein Abgang war so wie seine Amtsführung: honorig. Rudolf Seiters entsprach mit seinem Rücktritt besten demokratischen Tugenden.
Minister Jäger hat am Montag und bis zum heutigen Tag das Gegenbeispiel gezeigt: Drücken vor politischer Verantwortung, Abschieben auf Beschäftigte und nachgeordnete Behörden. – Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an honorigen Ministern in Deutschland, lieber Herr Minister Jäger! So geht es nicht.
Was heißt das für die Zukunft? – Wir haben ja heute markige Ankündigungen der Ministerpräsidentin gehört. Wenn das demnächst wieder passiert, wenn irgendwo im Land wieder etwas schiefläuft, wird – egal, was passiert – nie der Minister verantwortlich sein. Dann wird man massenweise Polizeipräsidenten entlassen, vielleicht Beschäftigte im Ministerium
entlassen. Aber der Minister selbst wird nach seiner Definition – egal, was passiert – nie persönlich verantwortlich sein.
Neben der Übernahme der politischen Verantwortung sind Sie bis heute auch eine Entschuldigung schuldig geblieben. Sie haben sich im Innenausschuss – im Gegensatz zur Frau Ministerpräsidentin bei anderer Gelegenheit – nicht bei den Opfern entschuldigt, bei denen, die in Köln am Silvesterabend nicht sicher über die Domplatte gehen konnten. Mindestens das hätten Sie machen können, wenn Sie honorig wären und einen Hauch von Anstand in sich hätten, Herr Minister.
Es gibt eine Menge offene Fragen. Warum gab es keine vollumfängliche Bereitstellung der im Vorfeld durch das Kölner Polizeipräsidium angeforderten Verstärkung? Ich meine nicht, in der Silvesternacht. Der Vorgang wird noch aufzuklären sein. Da erzählen uns Polizisten auch manches andere. Aber ich will nur das behaupten, was wir wissen. Das wird im Innenausschuss noch aufzuklären sein.
Ja, davor haben Sie Angst, dass das alles noch rauskommt, dass wir mal Zeugen der Kölner Polizei einladen. Ich weiß, dass das bei Ihnen Unruhe auslöst.
Aber eines steht fest: Die Kölner Polizei hat mehr Kräfte beantragt, als dann am Ende bewilligt wurden. Dann kam eine abstrakte Terrorwarnung für Deutschland und aufgrund dieser Warnung hat die Bundespolizei die Kräfte am Kölner Hauptbahnhof dann ganz entschieden aufgestockt.
Sie aber haben nicht mehr reagiert. Sie haben dem Wunsch der Kölner Polizei nicht entsprochen, mehr Kräfte bereitzustellen. Dies wird aufzuklären sein.
Dann sagen Sie, Herr Minister, das Innenministerium habe das Kölner Polizeipräsidium immer wieder aufgefordert, für die Richtigstellung der Geschehnisse zu sorgen. – Wir wissen seit der gestrigen Innenausschusssitzung des Bundestages, dass eine Meldung, bereits in der Nacht bei Ihnen eingetroffen – das wissen wir von hier und den Rest vom Bundestag –, dann vom Lagezentrum nach Berlin gesandt wurde, dass zwischenzeitlich eine Massenpanik gedroht habe.
Hat Ihr Lagezentrum Sie, Herr Minister, darüber informiert? Wenn es Sie informiert hat, haben Sie denn dann die Frau Ministerpräsidentin mit der Meldung aus der Silvesternacht darüber informiert, was am Kölner Hauptbahnhof stattgefunden hat? Wenn
das Ministerium Sie informiert hat – wovon ich mal ausgehe, denn dafür ist ja ein Lagezentrum da –, warum haben Sie nicht, als am 1. Januar, am Neujahrstag, die Kölner erklärt haben, es sei alles wunderbar und eine friedliche Stimmung gewesen, am 2. Januar oder am 3. Januar die Öffentlichkeit über die wirkliche Lage informiert?
Mit diesen drei Tagen des Nichtstuns haben Sie ganz persönlich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei und die Politik erschüttert.
Sprechen wir jetzt über die Täterinformationen. Auch hier wälzen Sie die Schuld komplett auf die Kölner Polizei ab. Wir hören jedoch das Gegenteil. Polizisten schildern uns – die Polizeigewerkschaft hat das auch gesagt; viele beschreiben das so –, dass es noch im August letzten Jahres die klare Ansage und die Erlasslage für ein internes Lagebild mit dem Begriff „Flüchtling“ gab. Im Dezember 2015 heißt es dann, dass ab 1. Januar 2016 das Merkmal „Zuwanderer“ benutzt werden soll und nicht mehr das Merkmal „Flüchtling“.
Sie werden jetzt sagen – und so ist es auch –: Das ist eine gemeinsame Verabredung aller Länder mit dem Bund, dass man jetzt an der Begrifflichkeit und an dem Maßstab etwas ändert. Aber Herr Minister Jäger, können Sie denn den einzelnen Beamten verstehen, der vor der Schwierigkeit stand, diese Meldung zu schreiben, und der gesagt hat: „Das ist politisch heikel“? Können Sie nicht verstehen, dass dieser Polizist unsicher ist, wenn es im Erlass vom Augst „Flüchtling“ heißt und im Dezember „Zuwanderer“, und er sagt: „Ich schreibe das anders“?
Sie haben im Ausschuss so getan, als würden wir alle anweisen: Ihr müsst „Flüchtling“ sagen. Das sagen wir immer schon so. – Nein, wir verheimlichen nichts. Im Gegenteil. Wir ermutigen die Beamten, klar zu benennen, ob jemand Flüchtling ist. Mit den Erlassen und dem, was sie ausstrahlen, hat das nichts zu tun.
Dieser Beamte hat sich schlicht und einfach an Ihre Weisungen gehalten. Wenn diese so unklar sind und Sie dauernd die Erlasse ändern, wenn Sie während der Sitzung des Innenausschusses diesen Erlass vom Dezember vielleicht gar nicht kannten, dann müssen Sie sich doch nicht wundern, wenn die Menschen, die das Ganze draußen zu kommunizieren haben, nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Die Beamten brauchen eine klare Führung, sie brauchen klare Ansagen und nicht das, was Sie im Innenausschuss in dieser Woche präsentiert haben.
Der lippische SPD-Landrat hat übrigens gesagt: Für uns spielt der Status keine Rolle. Wir werden auch mit der neuen Regelung nicht offensiver mit der Sache umgehen als bisher.
Sie machen dauernd neue Erlasse. Die Menschen, die das vor Ort umsetzen müssen, wissen nicht, was sie sagen sollen. Darum: Sie haben nicht die Wahrheit gesagt, als Sie im Ausschuss meinten: Es gibt keinen Erlass, der besagt, „Flüchtlinge“ nicht zu benennen – im Gegenteil. Es heißt jetzt „Zuwanderer“. Das ist die Erlasslage seit Dezember 2015.