Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 102. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt. Ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie gerne darauf hinweisen, dass die Einberufung des Landtags zur heutigen Sitzung gemäß Art. 38 Abs. 4 der Landesverfassung in Verbindung mit § 21 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung auf Antrag von 81 Abgeordneten der Fraktionen von CDU und FDP zu dem Thema „Serienweise Übergriffe auf Frauen rund um den Kölner Hauptbahnhof während der Silvesternacht“ erfolgt.
Nach den genannten Vorschriften muss der Landtag unverzüglich einberufen werden, wenn mindestens ein Viertel seiner Mitglieder, das heißt in dieser Wahlperiode mindestens 60 Abgeordnete, dies beantragen. Das ist geschehen.
Die Landesregierung hatte mit Schreiben des Chefs der Staatskanzlei vom 12. Januar dieses Jahres zunächst mitgeteilt, dass sie beabsichtigt, den Landtag in seiner nächsten planmäßigen Plenarsitzung, am 27. Januar dieses Jahres, zu dem Thema „Ereignisse in der Silvesternacht in Köln“ zu unterrichten. Mit weiterem Schreiben vom 12. Januar dieses Jahres hat der Chef der Staatskanzlei dann vor dem Hintergrund der beantragten Sondersitzung des Landtages darum gebeten, die angemeldete Unterrichtung für die heutige Sitzung vorzusehen, was wir ebenfalls tun.
Nach dieser Vorbemerkung treten wir nun in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Der einzige Tagesordnungspunkt lautet:
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/10732
Wie bereits gerade ausgeführt, hat der Chef der Staatskanzlei mir mit Schreiben vom 12. Januar mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung zu dem Thema „Ereignisse in der Silvesternacht in Köln“ zu unterrichten. Die Unterrichtung wird durch die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erfolgen.
Die Debatte dazu erfolgt dann in der von den 81 Abgeordneten der Fraktionen von CDU und FDP zu dem Thema „Serienweise Übergriffe auf Frauen rund um den Kölner Hauptbahnhof während der Silvesternacht“ beantragten heutigen Sondersitzung.
Ich weise darauf hin, dass sich die Fraktionen einvernehmlich auf die in der Einladung und Tagesordnung ausgewiesenen Redezeiten und Redereihenfolge verständigt haben. – Nach diesen Vorbemerkungen hat Frau Ministerpräsidentin jetzt das Wort.
Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Silvesternacht ist in Köln für uns alle vorher Unvorstellbares geschehen. Es war kein Einzelfall – leider –, es gab auch Übergriffe an anderen Orten. Aber Köln ist ohne Zweifel der gravierendste Vorfall. Es gab massive Übergriffe, schwere Straftaten. Hier waren Frauen Gewalt ausgeliefert, haben Schockierendes durchlebt. Ich hätte mir so etwas nicht vorstellen können.
Am Schrecklichsten war vielleicht das Gefühl der Schutzlosigkeit, des Ausgeliefertseins, bedrängt zu werden, keine Hilfe zu erhalten. Als Frau kann ich mich, glaube ich, gut in diese Situation hineinfühlen. Es tut mir weh. Ich sage deutlich: Es lag in unserer Verantwortung, und es tut mir persönlich und uns allen unendlich leid, dass dies geschehen konnte.
Die Polizistinnen und Polizisten, die vor Ort im Einsatz waren, haben getan, was sie konnten, haben zum Teil selbst Gewalt erfahren. Aber es war eine nicht vorhergesehene, unerwartete Entwicklung. Die Einsatzplanung war – das wissen wir heute – dafür falsch angelegt. Es gab operative Fehleinschätzungen. Und so wurde, obwohl Verstärkung möglich gewesen wäre, im Laufe der Nacht keine Verstärkung angefordert.
Auch in der Kommunikation gab es gravierende Fehler. Daraus hat der Innenminister notwendige Konsequenzen gezogen und den Kölner Polizeiprä
sidenten von seinen Aufgaben entbunden. Es ist ein schlimmer Eindruck entstanden, nämlich: Der Staat hat das Heft des Handelns für ein paar Stunden verloren.
Wir müssen alles dafür tun, damit sich das nicht wiederholt. Dazu muss am Anfang eine lückenlose Aufklärung stehen. Das sind wir den Betroffenen, den Opfern schuldig.
Wir müssen sie auch deshalb leisten, damit rechte Kreise nicht weiter Falschmeldungen verbreiten und gezielt Gerüchte in Umlauf bringen. Ich denke an das Video, das verbreitet wurde und angeblich Vorgänge um Köln zeigen sollte. Es hat sich herausgestellt, dass es vom Tahrir-Platz in Kairo stammte. Diese geistigen Brandstifter sind eine Gefahr für das friedliche Miteinander von Menschen verschiedener Herkunft, das wir gerade hier in Nordrhein-Westfalen über Jahrzehnte so erfolgreich aufgebaut haben.
Heute will ich auch deutlich sagen: Die riesige Mehrheit derjenigen, die als Zugewanderte schon seit Jahren hier leben oder neu zu uns gekommen sind, lebt hier friedlich und rechtstreu. Auch das gilt es festzuhalten.
Damit so etwas nicht mehr vorkommt, müssen alle staatlichen Gewalten eng und gut zusammenwirken: Legislative, Exekutive und auch die Justiz. Jeder muss seiner Verantwortung gerecht werden. Wir wollen und wir haben einen starken Rechtsstaat, der Stärke zeigen muss, wo das notwendig ist. Das Gewaltmonopol des Staates muss durchgesetzt werden, und zwar – ich sage das ausdrücklich – durch die staatlichen Sicherheitskräfte, durch die Profis, die dafür ausgebildet und legitimiert sind und der demokratischen Kontrolle unterliegen, und nicht etwa durch Bürgerwehren. Das ist nicht der richtige Weg.
Am Anfang muss stehen, die Vorfälle in Köln so weit aufzuklären, dass alles auf dem Tisch liegt. Das muss unvoreingenommen und transparent geschehen. Ich habe schon mehrfach gesagt: Da wird nichts vertuscht oder unter den Teppich gekehrt. Und wir müssen daraus Schlussfolgerungen ziehen, um zukünftige Fehler zu vermeiden.
Die ersten Schlüsse hat die Landesregierung bereits gezogen. Unser erster Blick richtet sich dabei auf die Opfer der Silvesternacht. Ihnen wollen wir gezielt helfen und für eine konsequente Strafverfolgung sorgen. Wir werden daher für sie eine zentrale Anlaufstelle im Bereich der Justiz einrichten. Es wird eine hohe Belohnung für Hinweise ausgesetzt, die zur Ermittlung und Ergreifung der Täter aus der Sil
vesternacht führen. Wir alle wissen, dass es mit Zeugenaussagen der Opfer schwer wird, die einzelnen Täter zu identifizieren.
Um die innere Sicherheit insgesamt zu stärken, werden wir das sogenannte beschleunigte Strafverfahren intensiver nutzen, insbesondere in den Großstädten, an den kriminellen Schwerpunkten unseres Landes. Dabei muss stärker als bisher nach dem Prinzip gehandelt werden: Die Strafe muss direkt auf dem Fuße folgen.
Wir werden gezielt Ermittlungsteams einsetzen, um bandenmäßige Eigentums- und Sexualdelikte wirkungsvoller zu bekämpfen. Diese gemischten Einheiten aus Vertretern von Polizei und Staatsanwaltschaften sollen eine enge und vor allem schnelle Zusammenarbeit sicherstellen.
Die Landesregierung ist entschlossen, die Zahl der Polizistinnen und Polizisten, die fahnden und auf den Straßen für Sicherheit und Ordnung sorgen, noch einmal schnell um 500 zu erhöhen. Wir wollen das, obwohl diese Landesregierung bereits jetzt für den höchsten Stand seit sieben Jahren bei der Ausbildung neuer Polizeianwärterinnen und -anwärter gesorgt hat.
Da die Ausbildung der Beamten drei Jahre dauern würde, wir aber schneller für eine Lösung sorgen wollen, werden wir mehrere Wege gehen.
Zum einen werden wir den bald ausscheidenden Polizistinnen und Polizisten anbieten, auf freiwilliger Basis ihre Dienstzeit zu verlängern. Zum anderen werden wir angesichts der veränderten Lage auch Ihren Vorschlag aufgreifen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Polizeibeamte zugunsten direkter Polizeiarbeit von Verwaltungsaufgaben zu entlasten.
Darüber hinaus werden wir künftig auch weniger oft unsere Polizeihundertschaften in andere Länder entsenden. Andere Bundesländer haben ihre Bereitschaftspolizei zum Teil abgebaut und fordern jetzt stetig von uns über das eigentlich vereinbarte Maß hinaus Hundertschaften an. Es gilt, zunächst die Sicherheit in diesem Lande sicherzustellen, und deshalb werden wir das einschränken.
Nur damit das nicht unter den Tisch fällt und weil auch immer wieder anderes behauptet wird, möchte ich noch Folgendes sagen:
(Zurufe von der CDU – Ralf Witzel [FDP]: Lassen Sie doch die Kräfte anfordern, die notwendig waren!)
Ja, ich höre, da kommt die Einlassung: zur Regierungszeit von Herrn Steinbrück. – Wir führen eine Debatte, um Sachlagen zu klären. Es gibt einige Kollegen aus Ihrer Fraktion, die damals nicht dabei waren. Ich war in der Regierungszeit Steinbrück allerdings dabei. Auch wir haben Stellen abgebaut. Allerdings ist damit die Kapazität vor Ort nicht verringert worden, weil gleichzeitig die Arbeitszeit ausgeweitet worden ist.