Protocol of the Session on May 15, 2008

(Beifall von der FDP)

Die FDP in Nordrhein-Westfalen hat deshalb ein Konzept für ein gerechtes Steuersystem vorgelegt. Bei der Einkommensteuer soll der Grundfreibetrag auf 10.000 € pro Person angehoben werden und künftig auch für Kinder gelten. Auch das Bürgergeldmodell, das ein Mindesteinkommen über die negative Einkommensteuer ermöglicht, ist ein Teil dieses Konzepts. Davon profitieren gerade Menschen, die ihren Lebensunterhalt im Niedriglohnbereich verdienen.

Ein zentraler Kritikpunkt der Grünen im vorliegenden Antrag ist der verhältnismäßig hohe Anteil von Frauen im Niedriglohnbereich. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Sehr häufig hängt das mit der

Berufswahl der Frauen zusammen. Berufe, die Frauen klassischerweise wählen, werden häufiger geringer entlohnt, als Berufe, die von Männern dominiert werden. Hinzu kommt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich will gerne daran erinnern, dass die Landesregierung das Problem der mangelnden Betreuungsplätze für unter Dreijährige angepackt hat, was Rot-Grün schlichtweg versäumt hatte.

Über das Thema Mindestlohn haben wir genügend debattiert. Sie kennen die Meinung der Freien Demokraten.

Die Zeitarbeit, die aus Sicht der Betriebe notwendig ist, um die Planbarkeit der Kapazität und die Auftragserledigung sicherzustellen, muss aber weiterentwickelt werden und sich verstärkt der Aus- und Weiterbildung widmen. Ihre positiven Effekte abzuwürgen, wie es die Grünen vorschlagen, ist allerdings der direkte Weg in die arbeitsmarktpolitische Sackgasse.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das haben wir nicht, Herr Kollege!)

Außerdem schreiben die Grünen selbst in ihrem Antrag, dass rund 60 % der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter vorher arbeitslos waren. Damit sage ich nicht, dass die Zeitarbeit der Idealvorstellung von einem Arbeitsplatz entspricht. Selbstverständlich ist es auch Freien Demokraten am liebsten, wenn möglichst viele unbefristete Vollzeitstellen entstehen.

Nach wie vor ist aber nicht erwiesen, dass es in den Betrieben einen Trend gibt, reguläre Arbeitsplätze zugunsten von Leiharbeitsplätzen abzubauen. Deshalb hat das Ministerium hierzu eine Studie in Auftrag gegeben. Wenn die Ergebnisse vorliegen, können wir auf dieser Grundlage fundiert diskutieren und müssen nicht wild spekulieren, was nur zur Verunsicherung beiträgt.

Zum Schluss möchte ich noch auf den Journalisten Günter Wallraff eingehen, der als Schutzheiliger für die Anliegen der Grünen herhalten muss.

(Minister Karl-Josef Laumann: Heilig möchte ich den nicht nennen!)

Was er als Niedriglöhner in einer Brötchenfabrik erlebt hat, muss jeden verantwortungsvollen Menschen nachdenklich stimmen. Interessant ist, was Günter Wallraff vorschlägt, um dem Problem abzuhelfen:

„Was ist meine Hoffnung? Dass der Konsument, dass wir alle unsere Macht erkennen.“

Es geht also nicht darum, neue Gesetze zu schaffen. Stattdessen gilt es, sich die Vorteile der sozialen Marktwirtschaft vor Augen zu führen und sie effektiver zu nutzen. Sie bestehen zum Beispiel darin, dass Kunden bei uns in der Regel über vielfältige Wahlmöglichkeiten verfügen. Sie können sich entscheiden, bei welchen Unternehmen sie einkaufen. Eine Abstimmung mit den Füßen als Ausdruck einer freien Bürgergesellschaft kann sehr viel wirksamer sein als gesetzliche Regeln allein, die von der Gesellschaft nicht mitgetragen werden. – Danke sehr.

(Beifall von der FDP und einzelnen Abge- ordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es immer, wenn wir im Landtag von NordrheinWestfalen über den Arbeitsmarkt diskutieren. In den heutigen Reden von Frau Steffens und Herrn Schmeltzer sowie im Antrag der Grünen wird vieles angesprochen, worum man sich sicherlich kümmern muss. Bei dieser Debatte fehlt aber eines, und zwar die Freude darüber, dass es seit zwei, zweieinhalb Jahren unverkennbar einen Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt gibt.

(Beifall von CDU und FDP)

Gegenüber den Menschen, die in den letzten Jahren vieles mitgetragen haben – viele Jahre Lohnzurückhaltung, viele Jahre erhebliche Veränderungen in den Unternehmen und die Tatsache, dass die Arbeitsplätze erheblich flexibler geworden sind –, darf man die jetzt erzielten Erfolge am Arbeitsmarkt nicht kleinreden.

In der hier geführten Debatte kommt das gar nicht vor. Hier ist nicht die Rede davon,

(Günter Garbrecht [SPD]: Das stimmt nicht!)

dass wir in Nordrhein-Westfalen 208.000 Beschäftigte mehr haben,

(Beifall von CDU und FDP)

dass wir 280.000 Arbeitslose weniger haben, dass mittlerweile auch 76.000 Langzeitarbeitslose wieder einen Job gefunden haben

(Beifall von der CDU)

und dass 32.000 Jugendliche weniger arbeitslos sind.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen sollte man zunächst einmal deutlich machen, dass wir jetzt seit zwei, zweieinhalb Jahren auf einem Weg sind, auf dem viele Menschen eine neue Perspektive gefunden haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Zu Beginn einer solchen Arbeitsmarktdebatte sollten wir immer auch erklären, was es denn heißt, wenn Frau Steffens sagt, ein Drittel aller in Nordrhein-Westfalen arbeitenden Menschen befänden sich in sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnissen. Liebe Leute, wer das behauptet, sieht alles das als prekär an, was weder eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle noch die normale Selbstständigkeit ist.

Aber wollen wir allen Ernstes jede Teilzeitbeschäftigung als etwas Schlechtes hinstellen? Ich kenne sehr viele Menschen, die Ehe und Familie auch darüber miteinander verbinden, dass ein Ehepartner einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nachgeht. Sie empfinden diese Beschäftigung überhaupt nicht als prekär.

(Beifall von CDU und FDP)

Und das in einem Land, in dem wir vor Jahren im Deutschen Bundestag ein Gesetz verabschiedet haben, nach dem ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit besteht! Liebe Leute, wir müssen uns schon einmal entscheiden, was wir wollen.

Prekär ist Teilzeitarbeit dann, wenn jemand Vollzeit arbeiten will und nur eine Teilzeitstelle findet. Aus seiner Sicht ist das sicherlich eine nicht zufriedenstellende Situation.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Genau!)

Ich kenne aber auch viele Leute, die eine Vollzeitstelle haben und froh wären, wenn sie eine Teilzeitstelle bekämen, um wegen der Kinder etwas kürzer treten zu können.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Um ein Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse zu den prekären zählen zu können, muss man jeden 400-€-Vertrag, den es in Nordrhein-Westfalen gibt, als prekär, also als etwas Schlechtes, darstellen. Schauen Sie sich doch bitte einmal die Erhebungen der Knappschaft über die 400-€Verträge an. Daraus geht hervor, dass die größte Gruppe der Menschen, die in NordrheinWestfalen im Rahmen eines 400-€-Vertrags arbeiten, Schüler und Studenten sind. Was ist daran prekär, wenn ein Student sich nebenbei etwas verdient und das über einen legalen 400-€-Job

macht? Das ist doch eine ganz normale Sache, die es immer gegeben hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir haben auch zunehmend rüstige Rentnerinnen und Rentner. Dabei handelt es sich teilweise um Menschen im Vorruhestand. Vielleicht sind sie aus ihren Arbeitsverhältnissen herausgedrängt worden und gar nicht alle freiwillig in den Vorruhestand gegangen. Sie sind aber sehr wohl sozial abgesichert. Bei der zweitgrößten Gruppe der Menschen, die einen 400-€-Vertrag haben, handelt es sich auf jeden Fall um Rentnerinnen und Rentner, die sich zu ihrer Rente etwas dazuverdienen möchten, wie man im Volksmund sagt. Wollen wir denn jeden Menschen, der sich mit 62 oder 63 Jahren noch rüstig fühlt und irgendwo ein paar Stunden wöchentlich etwas macht – und zwar nicht schwarz, sondern offiziell über einen 400-€-Vertrag –, zu den prekären Beschäftigungsverhältnissen zählen? Nur so kommt man doch auf das eine Drittel, von dem Sie gesprochen haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Es gibt natürlich auch die Menschen – ich glaube ebenfalls, dass es sich dabei vorwiegend um Frauen handelt –, die es nach der Kinderphase sehr schwer haben, eine Vollzeitstelle beziehungsweise eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu finden, und auf 400-€-Verträge verwiesen werden, weil es diese gibt. Diese Menschen empfinden das aus ihrer Sicht sicherlich als prekär, weil sie gerne mehr arbeiten würden und gerne auch eine Absicherung durch die Sozialversicherung hätten.

An dieser Stelle muss man aber etwas stärker differenzieren. Wenn wir darüber reden, wie das im vorliegenden Antrag auch geschieht, dass der Niedriglohnsektor erheblich zugenommen habe, müssen wir auch einmal darüber sprechen – das werden wir im Ausschuss alles tun –, was der Niedriglohnsektor eigentlich ist. Er ist ja wissenschaftlich definiert. Der sogenannte EntgeltMedian liegt in Nordrhein-Westfalen bei 9,83 €. Alles unter 9,83 € gehört nach den wissenschaftlichen Statistiken zum Niedriglohnsektor. Meine Damen und Herren, in richtigem Geld ist das, wenn wir noch einmal in der alten Währung rechnen, ein Stundenlohn von fast 20 DM.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU)

Man muss diese Frage sehr viel differenzierter sehen. Natürlich haben wir in diesem Land Hunderttausende von Aufstockern. Meine Damen und Herren, bei der Verabschiedung der Hartz-IV

Gesetze, die damals von den Grünen, von der SPD und von der Union getragen worden sind, haben wir aber alle gewollt, dass Menschen in dieser Lebenslage etwas hinzuverdienen können. Wir haben beschlossen, dass sie die ersten 100 € sogar unangerechnet hinzuverdienen können und die Anrechnung dann langsam steigt.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Wir können doch jetzt nicht jedem, der leider von Hartz IV leben muss, aber sich etwas dazuverdient, auf der anderen Seite sagen, es sei aber ein ganz schlechtes Zeichen für den Arbeitsmarkt, dass es Aufstocker gebe; denn unter ihnen befinden sich ganz viele, die nur wenige Stunden in der Woche arbeiten können.

(Zurufe von Günter Garbrecht [SPD] und Barbara Steffens [GRÜNE])

Wir müssen uns auch einmal anschauen – das können wir alles im Ausschuss machen –, wie viele Menschen es in Deutschland und in NordrheinWestfalen denn gibt, die eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle haben und Aufstocker sind, ohne Kinder zu haben. Nach den mir vorliegenden Statistiken kommt man in ganz Deutschland auf nur 12.000 solcher Menschen.