Protocol of the Session on September 28, 2005

Es gab sogar ein Rundschreiben des Landesjugendamtes, das aus arbeitsrechtlichen Gründen empfohlen hat, sicherheitshalber schon einmal die Kündigung auszusprechen. Das ist die Planungssicherheit, die Sie gegeben haben.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD] - Andrea Asch [GRÜNE]: Machen Sie es doch bes- ser!)

Durch Ihre politischen Entscheidungen in Form einer Salamitaktik wurden einzelne Förderbereiche systematisch gegeneinander ausgespielt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Was machen Sie?)

Erst wollten Sie die Jugendsozialarbeit, danach die offene Kinder- und Jugendarbeit gegen andere ausspielen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ihr Koalitionsver- trag!)

Das ist die Realität. Eben wurde von Britta Altenkamp gesagt, man müsse mehr für die offene Jugendarbeit tun. Da kommen mir die Tränen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Lächerlich!)

Im letzten Haushalt, im Änderungsantrag der damaligen Koalitionsfraktionen hatten Sie in Aussicht gestellt, die Förderung der offenen Jugendarbeit bis zum Jahr 2007 auf 10 Millionen € und danach noch weiter zugunsten der schulbezogenen Arbeit zu reduzieren. Sie wollten aus der Förderung der offenen Jugendarbeit heraus und hinein in die Jugendhilfe als Zulieferbetrieb für Schule. Das war die Politik dieser Vorgängerregierung.

(Beifall von FDP und CDU - Britta Altenkamp [SPD]: Lächerlich! Sie haben es bis heute nicht verstanden, Herr Lindner!)

Es hat erst der erfolgreichen Volksinitiative bedurft, um zumindest partiell zu einer Haltungsänderung zu kommen. Der damalige Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Franz Müntefering, hatte 1995 für das dann folgende Jahr angekündigt, ein Jugendfördergesetz vorzulegen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Sagen Sie doch mal was nach vorne! Nicht immer über die Vergangenheit reden!)

Nichts ist passiert. Erst die vielen tausend gesammelten Unterschriften - insbesondere dank der offenen Kinder- und Jugendarbeit - haben bewirkt, dem Druck der Straße nachzugeben. Das ist die Realität gewesen.

Die Verabschiedung des Kinder- und Jugendfördergesetzes, die von der Volksinitiative erstritten worden ist, haben Union und FDP begrüßt, insbesondere die erstrittene Verlässlichkeit der Finanzierung. Da besteht Konsens. Wir hätten uns mehr gewünscht, vor allen Dingen, dass im Jahr 2005 die Förder-Achterbahn vermieden worden wäre. Das war mit Ihnen nicht erreichbar.

(Britta Altenkamp [SPD]: Achterbahn ist ein schönes Bild!)

Wir haben Änderungsvorschläge, Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht, als wir mit den Obleuten zusammen gesessen haben. Das wurde verworfen - gut. Somit haben wir die Förder-Achterbahn und im nächsten Jahr die 96 Millionen € per Gesetz. Da besteht Konsens.

Unser Bestreben wird trotz der schwierigen finanziellen Lage sein, diese 96 Millionen €, die wir zugesagt haben, die wir im Landtag selbst noch einmal eingefordert haben, den Trägern zu gewähren. Wir führen heute keine Haushaltsberatungen; aber gehen Sie davon aus, dass es nicht der Sozialdemokratie vor dem Hintergrund dieser Geschichte, die Sie zu verantworten haben, bedarf, um uns an unsere Verantwortung zu erinnern.

Jetzt bedarf es über Geld hinaus dringend erstens fachlicher Impulse zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Landesjugendplans, zweitens der Vereinfachung der Förderrichtlinien,

(Britta Altenkamp [SPD]: Ja!)

drittens einer tragfähigen Grundlage für die Kooperation von Schule und Jugendhilfe - denn Jugendhilfe ist nicht, so wie Sie es gemacht haben, ein Zulieferbetrieb für Schule - und viertens und vor allem der Etablierung eines neuen und offeneren Dialogs zwischen Landtag und Landesregierung einerseits sowie den Akteuren der Kinder- und Jugendarbeit andererseits. Das soll, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, offener, partizipativer sein, als es in der Vergangenheit von Ihnen - ich habe das beschrieben: einzeln gegeneinander ausspielen - betrieben worden ist.

(Britta Altenkamp [SPD]: Partizipieren heißt, sie dürfen jetzt bei Ihnen betteln!)

Ich will konkret zum Abschluss, damit wir nicht nur über Geld sprechen - Frau Asch hat eingefordert, über inhaltliche Perspektiven zu debattieren -, für meine Fraktion acht Punkte vortragen, von denen wir glauben, dass sie für die Weiterentwicklung sinnvoll sein können:

Erstens. Kinder- und Jugendarbeit muss als eigenständiges Sozialisationsfeld erhalten und fachlich neu profiliert werden.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das steht im För- dergesetz!)

Zweitens. Der Kinder- und Jugendförderplan sollte nach Möglichkeit mit den zugesagten 96 Millionen € dotiert werden. Das wird angesichts der vom Einzelplan geforderten Konsolidierungsbeiträge eine Kraftanstrengung bedeuten, aber das ist den Schweiß der Edlen wert.

Drittens. Die Förderverfahren sind zu vereinfachen. Die Vergabe von Haushaltsmitteln soll sich künftig an Zielvereinbarungen orientieren, die dann aber mit den Trägern, Einrichtungen und anderen Zuwendungsempfängern vorher partnerschaftlich ausgehandelt worden sind.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ganz neu, Herr Lindner!)

- Natürlich ist das neu.

Viertens. Diese Zielvereinbarungen sind regelmäßig zu evaluieren.

(Britta Altenkamp [SPD]: Für Sie vielleicht, weil Sie keine kommunale Anbindung ha- ben!)

- Keine Anbindung? - Entschuldigen Sie, wir haben 1.000 kommunale Mandatsträger. Da kann man nicht sagen, wir hätten keine kommunale Anbindung. Wir stellen in Nordrhein-Westfalen sogar fünf Bürgermeister. Insofern: Da lachen ja die Hühner. Wie war denn Ihr Ergebnis bei der Kommunalwahl?

Fünftens. Die Förderung von Projekten sollte sich zukünftig vor allem auf innovative Projekte konzentrieren. Die Förderrichtlinien sollten dabei - als Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung - größere Spielräume für die Mittelverwendung eröffnen.

Ich erinnere daran: Bisher unterliegt die Projektförderung beispielsweise der Landeshaushaltsordnung, was dazu führt, dass unter bestimmten Umständen für Landesmittel von wenigen hundert Euro mit der Zinsstaffel der Landesbank entgangene Zinsen errechnet werden müssen; zum Teil ergeben sich Beträge von 25 €, die dem Landesjugendamt zurückerstattet werden müssen. Das ist eine Bürokratie, die die Landesjugendämter und die Zuwendungsempfänger, wie ich finde, in unverhältnismäßiger Weise belastet.

Sechstens. Offene Kinder- und Jugendarbeit wie auch die Jugendverbandsarbeit gilt es, wieder verstärkt zu fördern. Das könnte auch über ein In

dikatorenmodell gesteuert werden. Zum Beispiel: Integrationsarbeit, Kooperationen mit Schule und anderes beeinflussen die jeweilige Fördersumme. Die Landesregierung hat da genug Expertise, um einen tragfähigen Vorschlag zu machen.

Siebtens muss aus meiner Sicht die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte ein besonderer Schwerpunkt des neuen Kinder- und Jugendförderplans werden.

Achtens. Vor Erlass von Förderrichtlinien und Abgabe von Finanzierungszusagen ist es erforderlich, einen offenen und auch öffentlichen Dialog miteinander zu führen. Dabei wird sich nämlich auch erweisen, wie das, was wir uns gemeinsam politisch vornehmen wollen - Sie sind herzlich eingeladen, Mitverantwortung zu übernehmen -, von denen, die die Arbeit tun sollen, gespiegelt und reflektiert wird und zu welcher gemeinsamen Perspektive man sich verstehen kann. Es geht eben nicht mehr wie in der Vergangenheit darum, Schule und Jugendhilfe, öffentliche Hand und freie Träger gegeneinander auszuspielen, in Konflikt zu bringen, sondern es geht darum, gemeinschaftlich etwas neu auf den Weg zu bringen.

Ich verkenne nicht, dass es vielfach bei den Fachpolitikern bei Ihnen in der SPD Bemühungen gab. Nur bei Ihnen hatten in der Jugendpolitik nicht die Jugendpolitiker die Hosen an, sondern die Finanzpolitiker. Das ist bei uns anders.

(Beifall von FDP und CDU - Britta Altenkamp [SPD]: Das ist aber spannend!)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lindner. - Für die Landesregierung erhält jetzt Herr Minister Laschet das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinder- und Jugendpolitik ist einer der Schwerpunkte dieser Landesregierung. Schon durch den Zuschnitt des Ministeriums, durch die gewählte Schwerpunktsetzung haben wir deutlich gemacht, dass dies ein eigenständiges Politikfeld, ja auch ein eigenständiger Bereich des Politikfeldes Bildung ist, der eben nicht nur im Schatten der Schulpolitik steht, sondern ein eigener Pfeiler in der Jugend- und Kinderarbeit ist.

Bildung ist nicht nur das, was in der Schule vermittelt wird; Bildung ist ein umfassender Prozess, der sich in komplexen Lern- und Lebenswelten vollzieht.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Der Direktor des Deutschen Jugendinstituts hat das einmal sehr prägnant mit den Worten formuliert: Bildungsverläufe sind das Produkt einer aufeinander folgenden und eines zeitgleichen Zusammenspiels von unterschiedlichen Bildungsorten.

Wenn man das unterstützt, dann muss man diesem Politikfeld auch Gewicht beimessen. Deshalb beabsichtigen wir, den Trägern Planungssicherheit zu geben. Das wäre etwas Neues im Lande Nordrhein-Westfalen, denn in der Vergangenheit - deshalb wundert es mich, dass Sie hier solche Anträge stellen - haben Sie das glatte Gegenteil praktiziert.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Altenkamp, Sie sind mit dem Rasenmäher über die Projekte hinweggegangen. Sie haben eben immer sehr nervös - ich sitze ja ganz in Ihrer Nähe - gerufen: Reden Sie nicht so viel über die Vergangenheit!

(Britta Altenkamp [SPD]: Einmal!)

Wir reden nicht über die 50er- oder 60er-Jahre, sondern wir reden über eine Politik, die hier noch vor hundert Tagen üblich war und bis zum 22. Mai angedauert hatte.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir befreien uns gerade mit Mühe und Not aus Ihrer Politik des ständigen Kürzens. Wie kann man vor dem Hintergrund, dass es kein anderes Politikfeld gegeben hat, in dem Sie einen solchen Kahlschlag wie in der Kinder- und Jugendpolitik verursacht haben, hier so auftreten, wie Sie auftreten?