„Eine detaillierte Aussage hinsichtlich der Zahl Demenzerkrankter ist nicht möglich, da es weder eine allgemeingültige Definition des Krankheitsbildes noch eine diesbezügliche bundesweit einheitliche Erfassung Betroffener gibt.“
„Eigentlich“, habe ich vorhin gesagt. Schon komisch, Herr Minister, dass die WHO in der ICD-10 eine klare Definition abgibt, die die Bundesregierung durch das Bundesministerium für Gesundheit übersetzt und in Deutschland etabliert hat. Komisch, dass Kriterien für Demenz von der WHO in der DSM-IV beschrieben und dort deutlich untermauert werden.
können und sollen, dass auf den Seiten 167 bis 169 des Vierten Altenberichts der Bundesregierung – erstellt zwischen 2003 und 2005 – deutlich Demenz beschrieben wird und deutlich zu Fallzahlen in Sachen Demenz Stellung genommen wird. Ich kann Ihnen die Zahlen gerne geben. Ich kann Ihnen auch die Internetseite benennen, Herr Minister.
Ich will dies in der Konsequenz anhand der Frage 82 deutlich machen, Herr Minister; denn da wird der politische Zusammenhang noch klarer. Die Frage 82, die wir gestellt haben, lautet: „Wie wird in einem Landesheimgesetz der Begriff der Fachkraft definiert?“ Durch Ihre Antwort wird deutlich:
„Mit der Verabschiedung der ‚Eckpunkte’ für ein Landesheimgesetz NRW am 27. März 2007 hat das Kabinett beschlossen, in einem Landesheimgesetz den Hilfebedarf der Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen der stationären Altenpflege und von Einrichtungen der Behindertenhilfe zum Ausgangspunkt für die Zahl und Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu machen …“
Sie verweisen in Ihrer Antwort auf „Eckpunkt Nr. 8“. Den möchte ich hier darstellen, denn daran wird deutlich, wie frappierend ihre „Nichtantwort“ auf Frage 35 ist. Zahl und Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen am Hilfebedarf der Bewohner ausgerichtet werden. Im letzten Satz heißt es:
„… in einem Landesheimgesetz den Hilfebedarf der Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen der stationären Altenpflege und von Einrichtungen der Behindertenhilfe zum Ausgangspunkt für die Zahl und Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu machen …“
Herr Minister, wer weiß, dass 50 bis 70 % der Bewohnerinnen und Bewohner der Altenheime und der Einrichtungen der stationären Altenpflege in Nordrhein-Westfalen eine demenzielle Veränderung aufweisen, dann dieses Gebiet einfach brachliegen lässt und einen solchen „Eckpunkt Nr. 8“ aufstellt, der wird bei der Beantwortung einer solchen Anfrage und auch bei der Gesetzgebung nicht ernst genommen.
Herr Minister, wenn eine Landesregierung wirklich nicht weiß, wie sich Demenz definiert und in Zahlen darstellt, so sollte eine Landesregierung, die ein Heimgesetz passgenau auf den Bedarf ausrichten will, doch zumindest in der Lage sein, diese Zahlen zu erheben. Dann wäre eine befriedigende Antwort gewesen: Wir können das derzeit nicht sagen, aber wir werden es in den nächsten Monaten nachliefern.
An vielen Stellen verwenden Sie die Erklärung: Hierzu liegen keine detaillierten Daten der Landesregierung vor. – Auch hier gilt das gerade Gesagte.
Wie fahrlässig Sie bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage vorgehen, wie unwissend Sie Verordnungen in die Welt setzen, wird bei den Fragen 18 und 19 deutlich. Ich darf Ihnen die Fragen 18 und 19 vorlesen. Frage 18:
„In welchem Umfang konnte nach Einschätzung der Landesregierung der ‚Modernisierungsstau’ durch Neubauten bzw. durch Modernisierungsmaßnahmen seit der Reform des Landespflegegesetzes abgebaut werden?“
„Wie stützt die Landesregierung insbesondere den Modernisierungsbedarf der bestehenden Einrichtungen?“
Auch hier ist die Antwort: Hierzu haben wir leider keine Daten. – Parallel hierzu haben Sie uns aber im Ausschuss die Verordnung zur Absenkung der Abschreibungsquote vorgelegt. Ich nehme doch an, dass diese Landesregierung das gut bedacht hat. Und ich nehme an, Herr Minister, dass Sie es, wenn Sie mit einem solch erheblichen Einschnitt in den Markt, der eigentlich gar kein Markt ist, regulierend eingreifen, auf der Grundlage von harten Fakten machen und nicht mit irgendwelcher Bauernschläue oder aus taktischen Gefühlen.
Die Daten, die wir uns hier gewünscht hätten, sollten die Grundlage sein für die Diskussion über eine mögliche neue Pflegebedarfsplanung – ich sage „mögliche“; nicht dass dies unbedingt unsere Antwort wäre –, über eine mögliche Absenkung der Abschreibungsquote, über eine mögliche Aufhebung der Bindungsfristen – das wäre nämlich auch noch eine Möglichkeit gewesen – oder über ein ergänzendes Zinsprogramm mit marktüblichen Zinsen. Das wären mögliche Antworten gewesen.
Sie sagen auf der einen Seite: „Wir müssen erst einmal die Evaluierung des Landespflegegesetzes Ende 2008 abwarten“, aber auf der anderen Seite machen Sie schon einen solch entscheidenden Schritt und geben uns nicht die Antworten auf unsere Fragen und die Datengrundlage für Ihre Entscheidung. Sie wagen es auch noch, dem Parlament im Grunde genommen keine Antworten auf seine Große Anfrage vorzulegen. Das, Herr Minister, wird sich irgendwann rächen. Eigentlich hatten wir erwartet, dass Sie in Sachen Heimgesetz vermeiden wollten, den sogenannten „Laschet“ zu machen. Angesichts der Qualität der Antworten auf unsere Fragen muss man jedoch Schlimmes erwarten. Das ist nicht gut für die Pflege und für die Menschen in NRW, Herr Minister. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die absehbaren Folgen der demografischen und sozialen Veränderungen machen es unabdingbar, eine Pflegeinfrastruktur vorzuhalten, die der wachsenden Zahl betroffener Menschen eine menschenwürdige Pflege sichert.
Pflegebedürftigkeit – das wird oft vergessen – ist nicht nur eine Frage des Alters. Pflegebedürftig kann jeder werden. Ein solcher Schicksalsschlag kann jeden von uns auch in jungen Jahren unerwartet treffen.
Darum ist das Thema Pflege mit seinen vielen Facetten ein Schwerpunkt der Sozialpolitik. Das haben die Ergebnisse unserer Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“ sehr deutlich gemacht. Wenn der Anspruch, den wir in der Enquetekommission einvernehmlich in allen Fraktionen und über alle Fraktionen hinweg verabredet und festgeschrieben haben, weiterhin Gültigkeit haben soll, erfordert die Gewährleistung dieses Ziels unser aller Anstrengung.
Im Mittelpunkt der Pflegepolitik – so unsere Definition – müssen der Mensch, seine Würde und die Gewährleistung dieser Würde auch dann stehen, wenn er bei fortgeschrittener körperlicher oder geistiger Schwäche auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist.
Dieses Verständnis ist nicht nur Grundlage der Pflegepolitik, sondern auch für die gesellschaftliche Gestaltung von Pflege bindend. So ist es richtig, dass sich dieses Parlament immer wieder mit dem Thema „Situation der Pflege in NordrheinWestfalen“ befasst, die Entwicklung sehr genau verfolgt, Weichen neu stellt oder nachjustiert. Das ist nur möglich auf der Basis verlässlicher Daten und Fakten. Diese zu erfragen ist das Ziel der Großen Anfrage der SPD-Fraktion, über die wir heute debattieren, um – so ist in der Vorbemerkung der fragestellenden Fraktion zu lesen – aktuelle Zahlen und Tatbestände in die laufende Diskussion um ein neues Landesheimgesetz und die Novellierung des SGB XI einzubeziehen.
Lieber Herr Killewald, es wird Sie nicht wundern, dass ich Ihren Vorwurf, die Landesregierung würde einen Blindflug starten, entschieden zurückweise, denn nach meiner Einschätzung ist Ihre Große Anfrage von der Intention her zwar durchaus berechtigt, aber sie kommt zur Unzeit und verfehlt dadurch weitgehend ihr Ziel.
Bei der Novellierung des Landespflegegesetzes im Jahre 2003, die damals ohne Zustimmung der CDU gelaufen ist, haben die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Grünen in § 2 ausdrücklich festgelegt, dass die Landesregierung mit Ablauf des Jahres 2008 eine Evaluierung vorzunehmen hat, um die Auswirkungen und Ergebnisse der einzelnen Zielsetzungen des Landespflegegesetzes zu überprüfen. Um einen solchen Bericht zu erstellen – das wissen Sie doch ganz genau –, ist die Landesregierung auf die Angaben vieler Akteure angewiesen, vor allem – um einige zu nennen – der Kommunen, der Pflegekassen und der Medizinischen Dienste. Diese Daten – darüber hat die Landesregierung informiert – sind angefordert, liegen zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Anfrage aber noch nicht vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, waren Ihnen diese Zusammenhänge und die von Ihnen selbst gewollten Zeitabläufe nicht bewusst? Warum jetzt diese Große Anfrage?
Auch der „Vierte Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung“ des Bundesministeriums für Gesundheit, der uns vor wenigen Tagen zugegangen ist, konnte für die Beantwortung der durchaus wichtigen Fragen noch nicht ausgewertet werden. So beziehen sich die statistischen Daten auf den Stichtag 15. Dezember 2005 und gehen vor allem im Bereich von Prognosen bezüglich Pflegehäufigkeit und regionaler Verteilung kaum über die Ergebnisse der Enquetekommissi
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da, wo die fragestellende Fraktion Initiativen der Landesregierung oder Auswirkungen gesetzlicher Neuregelungen hinterfragt, gibt es durchaus interessante und erfreuliche Entwicklungen. Dazu will ich einige wenige kurze Hinweise geben.
Die Antwort auf Frage 6 verweist auf den seit dem 1. April 2007 eigenständigen Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Diese Leistung steht Menschen mit einer begrenzten Lebenserwartung zu und ermöglicht den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit auch am Lebensende.
Das Land unterstützt – so wird ausgeführt – diese Möglichkeit durch zwei Modellprojekte – dazu Frage 12 –, um ein integratives Versorgungskonzept zu entwickeln, in der ambulante palliativmedizinische und palliativpflegerische Kräfte zusammenwirken. Auch die ambulante Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen wurde ausgehend von den Kompetenzzentren Datteln und Bonn initiiert. Dies ist ein Beispiel dafür, wie neue Gesetzgebung durch flankierende Initiativen der Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen zu einer weiteren Verbesserung und Absicherung der Sterbebegleitung führt.
Ein weiteres Thema, das ausführlich dargestellt wird, ist das Bemühen, die vollstationäre Pflege zu verbessern und dabei die Empfehlungen der Enquetekommission aufzunehmen und weiterzuführen. Dies geschieht – das wissen Sie – mit dem Modellprojekt „Referenzmodelle zur Förderung der qualitätsgesicherten Weiterentwicklung der vollstationären Pflege“, einem Projekt, das inzwischen bundesweite Ausstrahlung hat.
In der Frage 53 wird nach der konzeptionellen und qualifikatorischen Weiterentwicklung der Pflege gefragt. Dazu verweist die Landesregierung auf drei Initiativen: auf ihre Landesinitiative Demenz- Service Nordrhein-Westfalen, wo zahlreiche Akteure und niedrigschwellige Hilfsangebote zusammengebunden werden, auf die modellhafte Erprobung des persönlichen Budgets in der Pflege, um eine passgenaue Entwicklung individueller Pflegearrangements zu ermöglichen, und schließlich auf die Erarbeitung eines zukünftigen Beratungskonzeptes in häuslichen Pflegesituationen, weil genau dort die meisten Pflegebedürftigen versorgt werden.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen und Auskünfte zur Entwicklung alternativer Wohnformen und Strukturen zwischen etablierten Einrichtungen. Es gibt auch den Hinweis, wie sehr das neue
Landesheimgesetz diese innovativen Entwicklungen aufgreifen und ihre Realisierung ermöglichen wird. Umfangreich sind auch die Initiativen zur Sicherung der Qualität in der Ausbildung der Pflegeberufe und zur Aufnahme neuer Entwicklungen in diesem Bereich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller Einschränkungen bezüglich der Aktualität der Daten und Fakten: Das Thema „Pflege“ – das zeigt auch diese Große Anfrage, das zeigen auch die Antworten – ist ein kontinuierlicher Prozess. Die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage gibt einige Einblicke in die Situation. Eine verlässliche Einschätzung wird aber erst nach Vorlage aller Daten möglich sein. Insofern wird der Bericht über die Evaluation des Pflegegesetzes Ende 2008 sicherlich mit Spannung erwartet. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Killewald, Sie sind angesichts der Antworten der Landesregierung davon ausgegangen, dass die Situation und auch die Pflegebedürftigkeit der Demenzerkrankten nicht ernst genug genommen wird. Sie haben das eben noch drastischer formuliert. Mit dieser Antwort, die Sie eben vorgetragen haben, bin ich selbst nicht ganz glücklich, weil sie missverständlich ist. Das gebe ich zu.
Sie haben Recht: Es gibt eindeutige Kriterien zur Diagnostik von Demenzerkrankungen laut ICD-10. Aus meinem praktischen Alltag kann ich aber berichten, dass Demenzerkrankungen häufig nicht diagnostiziert werden. Die Erkrankten suchen aus Angst, häufig aus Schamgefühl, wenn sie anfänglich beeinträchtigt sind, den Hausarzt nicht auf, schieben die eigenen Defizite eher an die Seite. Diese Menschen fallen im Gesundheitssystem häufig erst dann auf, wenn sie die Umwelt stören, wenn sie im Krankenhaus sind und sich plötzlich nicht mehr zurechtfinden, wenn sie Wahnvorstellungen haben und aggressiv reagieren. Erst dann wird fachärztliche Hilfe auf den allgemeinen internistischen oder chirurgischen Stationen gesucht. Häufig wird auch erst dann eine Demenz diagnostiziert – viel zu spät, um den Betroffenen zu helfen. Deshalb ist es schwierig, wirklich valide Zahlen zu bekommen. Wenn es in Krankenhäusern schon schwierig ist, Demenzerkrankungen zu diagnostizieren und effizient zu behandeln, dann ist es im Pflegebereich noch schwieriger. Das heißt
nicht, dass wir nicht besser werden müssen – es ist ausbaufähig –, aber es gibt eben keine validen Zahlen. Und wenn es die nicht gibt, dann sollte man die hier auch nicht hineinschreiben.
Wie der Vorbemerkung der SPD-Fraktion zu ihrer Großen Anfrage „Situation der Pflege in Nordrhein-Westfalen“ zu entnehmen ist, geht es den Sozialdemokraten in erster Linie um eine Momentaufnahme bzw. um eine Bilanz dessen, was das im Jahr 2003 verabschiedete Landespflegegesetz bewirkt hat. Damit sind für die SPD unter anderem zwei zentrale Fragen verbunden: Wurde das Ziel einer Förderung der ambulanten Pflege erreicht? Ist es gelungen, mit der neuen bewohnerbezogenen Förderung von Investitionskosten den Modernisierungsstau in der stationären Pflege abzubauen?