Protocol of the Session on February 20, 2008

Mündliche Anfrage 174

der Abgeordneten Hendricks von der SPDFraktion auf:

Vereinbarkeit von Familie und Beruf endet an den Landesgrenzen – Rückfall in die Kleinstaaterei?

Mit dem Kinderbildungsgesetz (KiBiz) wurde eine neue Finanzierungssystematik für die Tageseinrichtungen in NRW auf den Weg gebracht. Während die Bundesministerin Frau von der Leyen ein Bündnis für die Familien auf den Weg bringt mit dem Ziel, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen und Sensibilitäten bei Bürgern, Firmen und Arbeitgebern für dieses Thema zu erzeugen, endet die Familienfreundlichkeit in NRW an den Landesgrenzen.

Bei einem großen und dicht besiedelten Land wie NRW ist es natürlich, dass nahe den Landesgrenzen eine große Zahl von Beschäftigten arbeitet, die ihren Wohnsitz in einem angrenzenden Bundesland haben. Bislang konnten diese ihre Kinder an einer Einrichtung am Ort ihrer Arbeitsstelle betreuen lassen, und für diese Kinder hat das Land auch die Finanzierung übernommen.

Wer von den Betroffenen gehofft hat, seine Kinder auch zukünftig unter diesen Bedingungen gefördert zu sehen, wird in diesen Tagen eines Besseren belehrt. Wer in RheinlandPfalz, Niedersachsen, Hessen oder gar in den Niederlanden wohnt und sein Kind bisher in NRW in einer Tageseinrichtung untergebracht hat, muss schmerzlich erfahren: Ab dem 01.08.2008 geht es nicht mehr! Denn die Träger erhalten keine Kindpauschale für nicht in NRW wohnende Kinder mehr. Damit bleiben die vollen Kosten bei ihnen hängen. Die Kommunen sehen sich in den meisten Fällen nicht in der Lage, die fehlende Refinanzierung aus eigenen Mitteln vorzunehmen.

Da gibt es kein Pardon. Eltern, die eine familienfreundliche Betreuungszeit unmittelbar am Arbeitsplatz gefunden haben, wissen, dass die Betreuung im August nicht mehr fortgesetzt werden kann. Also Schluss mit Betreuung, Schluss mit Vereinbarkeit von Familie

und Beruf. Familienfreundlichkeit endet an den Grenzen von NRW.

Will die Landesregierung damit tatsächlich nach der Devise verfahren: „Was außerhalb unserer Grenzen passiert, geht uns nichts an“?

Ich bitte Herrn Minister Laschet um Beantwortung.

Frau Präsidentin! Frau Abgeordnete! Es ist richtig, dass wir mit dem Kinderbildungsgesetz die Entscheidung für eine kindbezogene Förderung getroffen haben. Uns ist wichtig, dass das Geld da ankommt, wohin es gehört, nämlich bei jedem einzelnen Kind vor Ort.

Mit dieser Entscheidung einhergehend ist auch klar, dass die Kinder gefördert werden, die nach § 1 Abs. 2 in Nordrhein-Westfalen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Falsch ist allerdings Ihre Behauptung, Frau Abgeordnete Hendricks, dass Kinder aus Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz ab dem 1. August 2008 keine Kindertageseinrichtung in Nordrhein-Westfalen mehr besuchen können. Selbstverständlich steht es den Kommunen frei, weiterhin Kinder aus anderen Bundesländern aufzunehmen.

Nach § 86 Sozialgesetzbuch VIII gilt, dass das Jugendamt Ansprüche zu gewährleisten hat, in dessen Zuständigkeitsbereich die Eltern des Kindes wohnen oder ihren ständigen Aufenthalt haben. Dieses Prinzip der örtlichen Zuständigkeit gilt sowohl im GTK als auch im KiBiz, da beide Gesetze Ausführungsgesetze zum Sozialgesetzbuch VIII sind.

Allerdings basierte das GTK auf einem grundsätzlich anderen Finanzierungssystem. Da gab es eine unflexible starre Spitzabrechnung der Betriebskosten. Diese war ausgerichtet auf die Institution und nicht auf das Kind. Nach dem Prinzip der örtlichen Zuständigkeit kann das Jugendamt aber auch Einrichtungen in anderen Jugendamtsbezirken fördern, auch über die Landesgrenzen hinaus.

Wenn nun in Einzelfällen Jugendämter die Entscheidung getroffen haben, Kinder aus anderen Bundesländern aufzunehmen, weil noch freie Plätze zur Verfügung standen, so stand und steht es den Kommunen frei, sich mit den Jugendämtern der Nachbargemeinden wegen der Kostenerstattung in Verbindung zu setzen. Denn eines ist klar: Diese Kommunen werden durch die Versorgung ihrer Kinder in anderen Kommunen von Kosten befreit. Es kann also eine Ausgleichsregelung

zwischen den beteiligten Jugendämtern gefunden werden.

Insofern steht der Aufnahme von Kindern aus anderen Bundesländern in nordrhein-westfälische Einrichtungen auch nach KiBiz nichts entgegen. Wenn die Kommune ein berechtigtes Interesse daran hat, dass Eltern zum Beispiel in ihrem Einzugsgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dann dürfte auch weiterhin ein Interesse bestehen, dass vor Ort eine Lösung gefunden wird. Denn es ist auch eines der Ziele des KiBiz: Die örtliche Jugendhilfe soll in ihrer Entscheidungsbefugnis gestärkt werden.

Darüber hinaus weise ich noch darauf hin: Wenn es das zur Verfügung stehende Einrichtungsbudget erlaubt, das Kind zusätzlich aufzunehmen, steht auch dem nichts entgegen.

Eines möchte ich noch hinzufügen. Uns ist vorgetragen worden, dass ohne Kinder aus Nachbarländern Kindertageseinrichtungen wegen des demografischen Wandels nicht mehr gehalten werden können. Wenn eine Kommune unter diesen Umständen auf eine Fortführung einer Einrichtung Wert legt, dann muss sie auch mit dem entsprechenden Jugendamt des Nachbarbundeslandes für die Finanzierung Sorge tragen. Da kann nun nicht diese vom demografischen Wandel getroffene, an einer Landesgrenze gelegene Gemeinde gegenüber anderen Gemeinden – auch in ländlichen Regionen – bevorzugt werden, die vor ähnlichen Situationen stehen könnten.

Eine Bemerkung zu der Grenze zu den Niederlanden und zu Belgien. Hier gilt das Gleiche, wobei man hier eine andere Rechtsauffassung haben muss. Zwischen deutschen Bundesländern gibt es die Jugendhilfe, die geregelt ist. Für den Fall, dass ein Kind zwar auf der anderen Seite der Grenze lebt, seine Eltern aber zum Beispiel in Aachen eine Kindertagesstätte für ihr Kind suchen, arbeiten wir zurzeit noch an einer Rechtsklarstellung, die dieses möglich macht. Aber es ist – auch nach SGB VIII – rechtlich anders zu bewerten, wenn ein Kind im Ausland lebt, als wenn es in einem anderen Bundesland lebt.

Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Hendricks mit einer Nachfrage.

Herr Minister, wie erklären Sie sich nach Ihren Ausführungen, dass die Eltern im Bereich der Grenze NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz zurzeit von den Kommunen reihenweise Absagen erhalten mit

dem Argument, dass die Finanzierung auf dem Staatsgebiet von Nordrhein-Westfalen nicht möglich ist? Liegt es an der Finanzierungssystematik, oder erleiden die Kommunen an diesem Punkt Nachteile?

Ich habe ja beschrieben, wie das lösbar ist. Wenn die Kommunen nachlesen, was Sie mich gefragt haben, können sie eine Lösung finden.

Wie ich mir das erkläre? – Das müssen Sie die Kommunen fragen. Ich habe Ihnen die Rechtslage aus Sicht des Landes geschildert.

Frau Kollegin Hendricks mit einer zweiten Nachfrage.

Herr Minister Laschet, ich möchte gerne wissen, ob es von Ihnen eine Hilfestellung, eine Anweisung, einen Erlass oder ein erklärendes Schreiben an die Kommunen gibt, um an diesem Punkt Rechtssicherheit zu schaffen.

Ich glaube, dass die Sorge der Kommunen nicht so groß ist, wie Sie sie schildern. Sonst – da bin ich sicher – hätten sie sich an das zuständige Ministerium gewandt. Wenn die Kommunen das tun, werden Sie dort – wie immer – die erforderliche Rechtsauskunft erhalten.

Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Nachfragen liegen mir zur Mündlichen Anfrage 174 nicht vor.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf die

Mündliche Anfrage 175

des Kollegen Dr. Rudolph von der Fraktion der SPD:

Behinderung der Staatsanwaltschaft Bielefeld durch das Innenministerium Nordrhein-Westfalen?

In der Affäre um einen Verbindungsmann (V- Mann) des NRW-Verfassungsschutzes hat der Bielefelder Staatsanwalt Christoph Mackel das Düsseldorfer Innenministerium kritisiert. Es sei nicht kooperativ, sagte Mackel. Seit Monaten kämen die Ermittler nicht voran. „Wir haben weder Namen noch Identität des VMannführers“, klagte Mackel.

Trifft die Darstellung von Staatsanwalt Mackel zu, dass das Innenministerium nicht kooperativ ist?

Ich bitte Frau Ministerin Müller-Piepenkötter um Beantwortung.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich beantworte die Anfrage wie folgt:

Die Anfrage geht von falschen Voraussetzungen aus. Es trifft nicht zu, dass sich Staatsanwalt Mackel in der in der Anfrage angegebenen Weise gegenüber der Presse geäußert hat.

(Günter Garbrecht [SPD]: Also ist alles falsch?)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Dr. Rudolph für eine Nachfrage.

Frau Ministerin, wenn Sie so genaue Kenntnisse darüber haben, wie sich besagter Staatsanwalt Mackel geäußert haben soll, vielleicht können Sie dem Parlament mitteilen, wie er sich geäußert hat.

Herr Abgeordneter, selbstverständlich warten wir nicht erst bis zu einer Anfrage, sondern wir fragen, wenn wir solch eine Presse lesen, natürlich bei demjenigen, der sich geäußert hat, nach. Er hat uns Folgendes erklärt:

Auf eine entsprechende Presseanfrage der „Frankfurter Rundschau“ habe er Auskunft zum Stand der Ermittlungen gegeben. Eine Ermächtigung zur Strafverfolgung hinsichtlich einer Verletzung des Dienstgeheimnisses habe das Innenministerium nicht erteilt. Die Personalien eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes seien der Staatsanwaltschaft bislang nicht bekannt.

Darin ist also keine Wertung hinsichtlich des Verhaltens des Innenministeriums vorgenommen worden.

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Kutschaty, bitte.

Frau Ministerin, wenn Staatsanwalt Mackel persönlich keine Kritik geäußert haben soll, trifft es denn zu, dass sich insgesamt die Staatsanwaltschaft Bielefeld in ihren Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Verfassungs

schutzes seitens des Innenministeriums nicht ausreichend unterstützt sieht?

Herr Abgeordneter, das Innenministerium ist mit gutem Grund ganz allein und auf gesetzlicher Grundlage zuständig für die Entscheidung, ob Auskünfte erteilt werden, ob eine Sperrerklärung abgegeben wird, ob eine Aussagegenehmigung erteilt wird. Das Innenministerium hat bei dieser Entscheidung zu berücksichtigen, ob diese dem Wohl des Landes Nordrhein-Westfalen Nachteile bereiten und die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben ernstlich gefährden bzw. erschweren würde. Das ist ureigene Entscheidung des Innenministeriums, die ich nicht bewerten kann, darf, will, was ich auch hier nicht tun werde.

Herr Kollege Rudolph, bitte.

Frau Ministerin, ich möchte Ihnen einen Bericht vorlegen, den Sie am 7. Dezember erstellt und zu verantworten haben, und Sie fragen, ob dieser Bericht noch immer Gültigkeit hat. In dem Bericht, den Sie dem Parlament zugeleitet haben, heißt es, es habe in dieser Rechtsfrage aus Ihrem Haus eine Prüfbitte an den Generalstaatsanwalt gegeben. Der Generalstaatsanwalt sei dieser Rechtsfrage eingehend nachgegangen und zu dem Ergebnis gelangt, dass es insoweit einer Ermächtigung des Innenministeriums nicht bedürfe. Er habe daraufhin den Leitenden Oberstaatsanwalt gebeten, dem Verfahren unter dem Aspekt der versuchten Strafvereitelung Fortgang zu geben.