Protocol of the Session on September 15, 2005

Danke, Frau Ministerin Sommer. - Als Nächste hat Frau Hendricks von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Drohende Lehrerlücke verhindern - junge Menschen zum Lehramt motivieren: Das ist zweifellos ein wichtiges Thema, aus meiner Sicht ein viel zu wichtiges Thema, um es in eine Aktuelle Stunde zu packen.

(Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin Schäfer hat schon darauf hingewiesen, dass sich die vorige Landesregierung schlecht als Zielscheibe eignet. Tatsächlich handelt es sich um ein ernsthaftes Problem, das bereits langfristig und sorgfältig angegangen wurde und weiter verfolgt werden muss.

Das Wort Lehrerlücke spricht zunächst einmal die Quantität an. Ohne eine ausreichende Anzahl von Lehrern und Lehrerinnen können wir eine qualitativ hochwertige Schule nicht machen. Wenn es aber um den genauen Bedarf geht, ist die Sprachlosigkeit Ihrer Regierung schon auffallend, insbesondere wenn man die letzte Sitzung des Schulausschusses betrachtet. Denn den tatsächlichen Lehrerbedarf für NRW können Sie erst abschätzen, wenn Sie wissen, welche Maßnahmen Sie in welchem Zeitraum auch tatsächlich umsetzen wollen. Hier bleiben Sie aber herzlich unkonkret. Und erstaunlich ist der Mut zur Lücke von Frau Ministerin Sommer.

Die Lehrerlücke beruht auf einem elementaren Nachfrage- und Angeboteffekt, der empirischwissenschaftlich vielfach bekannt ist und den man salopp als Schweine-Zyklus bezeichnet. Nachdem in den 60er-Jahren fast alle ausgebildeten Lehrer und Lehrerinnen eine Stelle fanden, bestanden über viele Jahre schlicht und einfach keine Einstellungsmöglichkeiten mehr. Eine völlig unausgeglichene Altersstruktur in den Lehrerkollegien war die Folge. Das müssten Sie doch wissen. Sie stellen an diesem Punkt fest, dass die Marktmechanismen offensichtlich nicht ausreichen, wenn es um die Frage der Besetzung von Lehrerstellen in den Schulen geht.

(Zuruf von Bernhard Recker [CDU])

Derzeit findet der Generationenwechsel in großem Umfang statt. Dieser Generationenwechsel braucht aber intelligente, flexible Konzepte für die Lehrereinstellung, damit wir dauerhaft einen Ein

stellungskorridor an den Schulen behalten. Zugleich hat NRW nun die Chance, auf eine qualitative Veränderung der Lehrerschaft hinzuwirken.

Frau Sommer, lassen Sie mich eine Anmerkung machen. Die „dramatische Situation“ an der Hauptschule kann nicht so dramatisch sein, wenn Sie jetzt in den Neueinstellungen nur fünf Stellen haben besetzen müssen.

(Beifall von der SPD)

Die jungen Lehrkräfte, die vor 30 Jahren in die Schulen gekommen sind, haben erhebliche Veränderungen in Gang gesetzt. Von der Reformfreude haben die Schulen lange profitiert. Nun mahnt die OECD weiter gehende Reformen an. Der derzeitige breite Zugang von jungen Lehrkräften mit frischen Ideen und Elan bietet den Schulen und dem Schulsystem NRW eine gute Möglichkeit der Runderneuerung.

Damit, meine Damen und Herren, sind wir bereits bei der Qualität, die mir sehr am Herzen liegt. Ich möchte dazu einige Aspekte anführen: Mit der Werbung für den Lehrerberuf muss zugleich die Vermittlung eines neuen und realistischen Lehrerbildes einhergehen. Es scheint derzeit eine Diskrepanz zwischen den allgemeinen Berufserwartungen an Lehrkräfte und der Realität ihrer Arbeit zu geben.

Die Aufgaben der Schule und die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer sind gestiegen. Allein die Debatte über die Ganztagsschule macht die tief greifenden Veränderungen deutlich, vor denen wir stehen. Angesichts dieser Veränderungen ist es sicherlich notwendig, die Maßnahmen zu ergreifen, die den Nachwuchs an qualifizierten und hoch motivierten Lehrern und Lehrerinnen langfristig in ausreichender Zahl sichern. Das Land braucht kreative, belastbare, engagierte und verantwortlich handelnde junge Menschen, die Kinder mögen - was nicht immer der Fall gewesen ist; denn Lehrerbildung dient im Wesentlichen der Schulentwicklung.

Es ist bedauerlich, dass wir es in Deutschland aus unterschiedlichen Gründen nicht geschafft haben, den Lehrerberuf so attraktiv zu machen, dass sich die Besten eines Jahrgangs für ihn entscheiden. Es ist auch bedauerlich, dass sich zu wenige junge Männer für diesen Beruf entscheiden. Dabei steht ein direkter Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Anerkennung dieses Berufes und der Bewerbung von Männern.

Die Bürger erwarten heutzutage Schulen, die effektiv mit unterschiedlichen familiären, sozialen und Begabungshintergründen von Schülern und

Schülerinnen umgehen können. Sie erwarten Lehrer, die in selbstständigen Schulen arbeiten und sich für benachteiligte Schüler ebenso wie für hoch begabte einsetzen, die neue Ansätze von Schülerbeurteilung, Motivation und Förderung praktizieren können. Dazu, meine Damen und Herren, sind neue Leitbilder erforderlich.

Meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, bei der Entwicklung dieser Leitbilder arbeiten wir gerne mit Ihnen zusammen. Dazu ist freilich mehr erforderlich, als eine Bedarfsanalyse zu erstellen und Lücken zu schließen oder eine Aktuelle Stunde zu beantragen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Hendricks. - Als Nächster hat Herr Recker von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schäfer, es ist nicht entscheidend, irgendeine Imagekampagne nach vorne zu bringen. Entscheidend ist vielmehr, was Sie getan und was Sie nicht getan haben. Und wenn alles hier in Ordnung wäre, müsste ich nicht fragen, wieso wir 5 Millionen Stunden Unterrichtsausfall gehabt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Beer, der Unterrichtsausfall wäre noch dramatischer ausgefallen, wenn wir hier nicht in einem einmaligen Kraftakt in kurzer Zeit 1.000 neue Lehrerstellen geschaffen hätten. Das sind doch die Fakten hier in Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren, zur Aktualität. Wir alle wurden in den letzten Tagen durch Meldungen in verschiedenen Tageszeitungen aufgeschreckt, in denen von einer drohenden Lehrerlücke die Rede war, und Nordrhein-Westfalen ist dabei in der Tat keine Insel.

Ich will hier einige Hinweise und Fakten deutlich machen. Der Deutsche Philologenverband schätzt, dass bundesweit schon 10.000 Lehrer fehlen. Der Mangel breite sich an allen Schulformen aus. Bis 2010 bestehe unter anderem durch Pensionierung ein Einstellungsbedarf von 50.000 neuen Lehrkräften. Die Dramatik der Lage sei bisher durch Arbeitszeitverlängerung und eine Anhebung des Pensionierungsalters verschleiert.

Es heißt weiter, es fehle an Nachwuchs. Über Jahre sei von Lehrerschwemme die Rede gewesen. Des Weiteren wird das schlechte Image des

Lehrerberufs bei deutlich gestiegenen Erwartungen der Gesellschaft an die Schule generell beklagt. Außer Acht sei auch geblieben, dass gut ausgebildete Lehrer gute Jobs in der Wirtschaft gefunden hätten und abgewandert seien. Studierende seien durch unstete Einstellungen und aufgrund der schlechten Bezahlung von Referendaren vom Lehramtsstudium abgehalten worden.

Die GEW warnt vor einer weiteren Verschärfung des Problems: Von den derzeit 750.000 Lehrkräften gingen in den kommenden sieben Jahren 50 % in Ruhestand - also knapp die Hälfte aller zurzeit Unterrichtenden -, an den Universitäten würden aber nur halb so viele Lehrer ausgebildet, wie die Schulen bräuchten.

Meine Damen und Herren, das sind ganz alarmierende Hinweise aus den letzten Tagen, und diese alarmierenden Hinweise haben uns veranlasst,

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

ganz zügig und aktuell diese Problematik hier im Parlament aufzubereiten, um gemeinsam nach Ursachen, aber auch nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

(Beifall von CDU und FDP)

Denn all unsere Überlegungen im Hinblick auf eine Verbesserung des Bildungssystem sind mehr als gefährdet und ad absurdum geführt, wenn wir nicht die Personen in genügender Zahl vorhalten, die den jungen Menschen das Wissen überhaupt vermitteln können, meine Damen und Herren.

Bevor wir über Lösungen nachdenken, erlauben Sie mir eine kurze Analyse der Hintergründe der aktuellen Situation. Denn Fakt ist auch: Viele der Gründe für die drohende Lehrerlücke sind hausgemacht - auch hier in Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren, wundern wir uns über diese drohende Entwicklung, wenn das Image der Lehrer auch durch führende Politiker - Herr Kaiser hat dies eben schon angeprangert - in unverantwortlicher Weise diffamiert wird? Auch Sie, Frau Hendricks, äußerten sich dahin gehend, dass viele Lehrer Kinder nicht mögen würden. Das geht genau in diese Richtung. Ich halte das für unverantwortlich; das muss ich Ihnen deutlich sagen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wundern wir uns über diese Entwicklung, meine Damen und Herren, wenn im Zeitraum von 1995 bis 2000 laut GEW-Untersuchung bei gleich bleibenden Parametern gut 17.000 Stellen in Nordrhein-Westfalen gestrichen wurden? Wundern wir uns über diese Entwicklung, wenn jahre-, ja jahr

zehntelang die Nachwuchskräfte für den Lehrerberuf hier in Nordrhein-Westfalen absolut keine Perspektive hatten, weil sie immer nur mit Zeitverträgen vertröstet wurden und ihnen keinerlei berufliche Perspektive in der entscheidenden Lebensphase, in der die berufliche Sicherheit eine ganz wichtige Grundvoraussetzung auch für die weitere Lebensplanung darstellt, aufgezeigt wurde?

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wundern wir uns über diese drohende Entwicklung in Nordrhein-Westfalen, wenn Lehramtsanwärter beziehungsweise sogenannte Junglehrer in anderen Bundesländern im Hinblick auf die Besoldung, das Alter der Verbeamtung usw. bessere Möglichkeiten hatten?

Ein letzter Punkt: Wundern wir uns darüber, wenn Lehrer bei uns in verschiedenen Schulformen ohne jede Aufstiegschance blieben? - Ich denke hier an die Hauptschulen. Frau Hendricks, Sie sagten eben, nach Aussage der Ministerin würden nur wenige Lehrer für die Hauptschule benötigt. Ja, dann müssen wir doch erst einmal fragen, warum so wenige Schüler an den Hauptschulen sind. Wir müssen nach den Ursachen fragen. Die Hauptschulen haben Sie kaputtgemacht, meine Damen und Herren. Das ist doch letztlich der Grund.

(Beifall von der CDU)

Übrigens, diese Fakten sollten wir nicht außer Acht lassen, wenn wir über Lösungsmöglichkeiten nachdenken.

Einige Schritte sind bereits erwähnt worden. Das ist erstens die wirklich wichtige Zusage der Landesregierung, insgesamt zusätzlich 4.000 neue Stellen zu schaffen. Wichtig ist auch die Einrichtung eines Weiterbildungsprogramms zum Erwerb eines dritten Unterrichtsfaches; darüber sollten wir reden.

Wichtig ist des Weiteren, zum Beispiel Grundschullehrkräfte für den Einsatz in Hauptschulen zu gewinnen, indem wir versuchen, sie weiterzubilden. Auch unsere Werbung für diesen Beruf muss intensiver, zielgenauer und attraktiver werden. Und wir sollten bei all unseren Überlegungen berücksichtigen, meine Damen und Herren, dass wir in vielen neuen Bundesländern aufgrund der demographischen Entwicklung sehr häufig die Situation antreffen, dass sich zwei oder sogar drei Lehrpersonen eine Stelle teilen.

Wir alle hier müssen gemeinsam viel Hirnschmalz aufwenden, um zu befriedigenden Lösungen zu kommen, meine Damen und Herren. Es ist fünf

vor zwölf, Zeit zum Handeln. Die Aktualität ist mehr denn je gegeben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Recker. - Für Bündnis 90/Die Grünen hat erneut Kollegin Beer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Recker, wo waren Sie eigentlich die letzten Jahre? Klaus Klemm hat diese Zahlen immer wieder vorgelegt. Wenn Sie sie offensichtlich aufgrund der Wahlen erst heute wahrnehmen, um noch einmal Ihre Sicht der Dinge wie mit tibetanischer Gebetsmühle vorzutragen, weist das nicht gerade Kompetenz aus.

Welch eingeschränkte Wahrnehmung haben Sie eigentlich? Das Land Nordrhein-Westfalen hat im letzten Zyklus allein 1.000 zusätzlichen Lehramtsanwärterinnen aus anderen Bundesländern Ausbildungsmöglichkeiten geboten.