Protocol of the Session on October 25, 2007

Es folgt der vierte Akt – jetzt wird es spannend –: Es gibt einen Kulissen- bzw. Ortswechsel hin zum

Bundesverfassungsgericht. Die Landesregierung erklärt dort durch ihren Prozessbevollmächtigten Heckmann dem staunenden Publikum, das heißt dem Gericht und der Öffentlichkeit: Alle haben alles falsch verstanden.

(Lachen von Frank Sichau [SPD])

Eigentlich haben die Regierung und der Gesetzgeber es ganz anders gemeint, als es im Gesetz und in der Begründung des Gesetzentwurfs steht und in der Anhörung diskutiert und bewertet worden ist. Es geht gar nicht um private Daten auf Festplatten. Nein, es geht nur um Daten der Internetkommunikation. – Das muss auch der Innenminister, der Initiator dieses ganzen Schauspiels, falsch verstanden haben,

(Beifall von den GRÜNEN)

denn bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 31. August 2006 sagte er hier im Plenum:

„Zu diesen offensiven Internetbeobachtungsmaßnahmen gehören neben der Beobachtung von Homepages auch das Auslesen von EMails auf Festplatten.“

Da haben Sie etwas falsch verstanden, Herr Minister, denn Ihr Staatssekretär Brendel widerspricht Ihnen in einem Interview auf „sueddeutsche.de“ am 10. Oktober 2007. Er spricht zunächst von einer bundesgesetzlichen Regelung – und jetzt kommt das Zitat –,

„während Nordrhein-Westfalen lediglich ein Instrument geschaffen hat, um die Internetkommunikation, insbesondere die Internet-Telefonie im Ausnahmefall zu überwachen.“

Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Papier, fragt zu Recht, ob man über das gleiche Gesetz rede. Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Wie kann man sich das erklären? Die erste Erklärung: Hier handelt es sich um einen Fall von bewusster Täuschung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die zweite Erklärung: komplette Unwissenheit, Dilettantismus und Inkompetenz.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Doch wo ist einer der Hauptdarsteller, der Gesetzgeber? Er müsste zumindest einer der Hauptdarsteller sein. Er ist im vierten Akt gar nicht mehr vorhanden, denn er taucht ab. Herr Biesenbach, Herr Giebels und Herr Möbius waren da. Auf die Frage, ob der Gesetzgeber im Raum sei, rief kei

ner: „Hier!“ Wahrscheinlich schämen sie sich inzwischen für dieses Gesetz.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Legislative taucht also ab.

Wie geht es weiter, meine Damen und Herren? Der fünfte Akt, der folgen müsste – das Ende des Schauspiels – liegt noch in der Zukunft. Aber es ist absehbar, dass diese Tragödie mit komödienhaften Einlagen ihren Lauf nehmen wird. Was von der Presse als legislativer Murks des Jahres bezeichnet wurde, wird wohl bald – wir rechnen damit im Februar oder im März – dahin zurückverwiesen werden, wo er hingehört, nämlich in den Papierkorb. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Herr Minister: Das ist für das ganze Land eine Blamage erster Klasse.

(Beifall von der SPD)

Sie haben dem Land großen Schaden zugefügt. Bis heute gibt es keine Erklärung, was nun gilt. Nach meiner Auffassung ist dieses Gesetz eindeutig, auch wenn es immer wieder von Ihrem Prozessbevollmächtigten, vom Staatssekretär oder von anderen führenden Beamten Ihres Hauses anders interpretiert wird.

Was nun zum Schauspiel nur noch fehlt, ist der Titel. Da fällt mir nur einer ein: Denn sie wissen nicht, was sie tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. – Für die Fraktion der CDU hat jetzt Kollege Biesenbach das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Rudolph, schmunzelnd möchte ich Ihnen auch gern die Frage stellen: Reden wir von derselben Verhandlung? – Sie waren da. Wir haben uns gesehen.

Liebe Frau Düker, damit hier kein falsches Zeugnis abgelegt wird: Natürlich haben wir uns beim Bundesverfassungsgericht ordnungsgemäß angemeldet. Wir hatten auch eine Einladung des Bundesverfassungsgerichts. Also, wir waren da, und wir waren auch angemeldet. Von daher kann ich nur sagen: Dieser starke Wortschwall, mit dem Sie heute hier vorgetragen haben, ist der Sache nicht angemessen und entspricht nicht den Tatsachen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Frau Beer, Sie habe ich dort nicht gesehen.

Sie haben Recht, Herr Dr. Rudolph – und das lässt sich gar nicht wegdiskutieren –, dass es ein verheerendes Presseecho gab.

Nun muss man aber zweimal darüber nachdenken, wieso das so war: aus der Sache heraus oder möglicherweise aufgrund des Verlaufs der Verhandlung?

(Ralf Jäger [SPD]: Daran waren bestimmt die Journalisten schuld!)

An der Sache, lieber Herr Jäger, hat es nicht gelegen. Jeder, der den ganzen Tag dort geblieben ist – ich möchte diese Spitzen jetzt herausnehmen –, wird gemerkt haben, dass sich das Klima von der ersten Stunde bis zum Ende gegen etwa 18:30 Uhr völlig änderte. Zu Beginn – das lässt sich gar nicht wegdiskutieren – gab es ein Zusammentreffen von Personen mit dem Präsidenten – auch der Prozessvertreter war dabei –, welches dazu führte, dass der Präsident seinem Unmut Ausdruck ausgab. Dieser Satz: „Reden wir vom selben Gesetz?“, war Ausdruck seines Unmuts.

Jetzt mag man sich auch die Frage stellen, woran das lag. Da komme ich Ihnen auch noch entgegen und sage: Beim Lesen kann man den Eindruck gewinnen, dass die Variante der Eröffnung eine ganz andere war, allerdings war es längst nicht so, dass es zu dieser Reaktion hätte kommen müssen. Also: Bedingt durch das Verhalten von Prozessbeteiligten hat es zu Beginn Spitzen gegeben, die im Verlaufe des Verfahrens deutlich abnahmen, und dann kam es zu einem dem Sachthema angemessenen Verlauf.

Die zur Verhandlung stehende Problematik, Frau Düker, war nicht unser Landesgesetz. Unser Landesgesetz war vielmehr der Anlass, um ein Problemfeld zu besprechen, das weit über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus, nämlich bundesweit und auch für die Bundesregierung selbst von hoher Bedeutung ist.

Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich zitieren, was der Präsident des Bundesverfassungsgerichts selbst sagte:

In der heutigen mündlichen Verhandlung werden einige grundlegende Fragen im Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit und der Wahrung bürgerlicher Freiheitsrechte unter den Möglichkeiten und Herausforderungen neuartiger informationstechnischer Gegebenheiten zu beleuchten sein: Fragen, die einerseits durch neue Formen der Kriminalität und insbesondere durch neue terroristische Bedrohungen und andererseits durch den technologischen Wandel in der Informationstechnik auf

geworfen werden. Um derartige Zugriffe, sei es im Rahmen der Strafverfolgung, sei es zur polizeilichen Gefahrenabwehr oder wie bei der nordrhein-westfälischen Regelung zur nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung, wird, wie Sie wissen, in jüngster Zeit und nicht zuletzt auch auf Bundesebene eine rege juristische und rechtspolitische Debatte geführt.

(Ralf Jäger [SPD]: Biesenbach hält eine Le- sestunde!)

Diese Fragen werden möglicherweise weit über die hier konkret streitgegenständlichen Vorschriften hinaus Bedeutung erlangen.

Diese Diskussion war es: Wir haben mit unserem Gesetz erstmalig im Bundesgebiet ausdrücklich geregelt, was als Onlinedurchsuchung inzwischen heftig diskutiert wurde. Von daher war es gar keine Überraschung, dass unser Gesetz auch vor dem Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand steht.

Ich darf noch einmal den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zitieren:

Die zu klärenden Fragen werden weit über das Verfassungsschutzgesetz aus NordrheinWestfalen hinaus Bedeutung haben.

Das war bereits daran abzulesen, wer alles im Gerichtssaal saß: Viele Vertreter der Bundesregierung waren anwesend. Der Bundestag war vertreten. Und auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Präsident des Bundeskriminalamtes waren persönlich anwesend.

Alle waren sich im Ziel einig, dass wir neue Instrumente brauchen, um Waffengleichheit herzustellen. Wir müssen Zugang zu Daten haben, und zwar vor der Verschlüsselung auf dem Rechner des Gefährdeten. Sonst ist eine zeitnahe Gefahrenabwehr nicht mehr möglich. Und bei der Nennung dieses Ziels hat das Bundesverfassungsgericht in keiner Weise widersprochen.

Jetzt geht es darum, ob das, was in unserem Gesetz steht, tatsächlich das ist, was Frau Düker „Murks des Jahres“ nennt.

Folgende Fragen wurden verhandelt: Erstens ging es um die Bestimmtheit. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage aufgeworfen, ob unser Gesetzestext hinreichend bestimmt ist. Die Antwort werden wir bekommen. Aber all diejenigen, die meinen, es sei zu unbestimmt, mögen sich bitte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ansehen. Ähnlich abstrakt gehaltene Formulierungen haben 2004 und 2005 einer Prü

fung vor dem Bundesverfassungsgericht standgehalten: 2004 befasste sich der Zweite Senat mit dem Gesetz zur GPS-Überwachung, und 2005 befasste sich der Erste Senat, vor dem auch jetzt verhandelt wird, mit dem niedersächsischen Polizeigesetz.

Also, die Frage ist noch offen, und insofern bin ich gespannt, wie das Bundesverfassungsgericht dieses Mal eine solch abstrakte Formulierung bewertet.

Ebenfalls gab es Bedenken dahin gehend, ob es ausreiche, hinsichtlich der Schwelle lediglich auf das G-10-Gesetz zu verweisen, oder ob nicht die Schwelle selbst im Gesetz stehe müsse. Ist das eine Frage, über die man sich so erregen kann? – Nein. Das ist schlicht und einfach eine Frage, die der Antwort des Bundesverfassungsgerichts bedarf, und wir werden diese Antwort bekommen.

Zweitens ging es um die vertretene Ansicht, nur die Internetkommunikation, aber nicht das heimliche Kopieren der Festplatte einbeziehen. Entschuldigung, das ist schon immer unsere Intention gewesen.

(Lachen von Dr. Karsten Rudolph [SPD])