Verehrte Kollegen, es geht um diese Nachlässigkeit gegenüber Kindern, die gesellschaftlich und in diesem Hause diskutiert werden muss.
Wir müssen darüber sprechen, wie Eltern wieder Verantwortung erlangen können und wie der Wert von Kindern allgemein in dieser Gesellschaft wieder zunehmen kann.
Fest steht: Wir werden das Problem an der Wurzel packen. Wir werden die Betroffenen nicht von staatlichen Wohltaten abhängig machen. Wir wollen die Sozialprobleme und die Armut ursächlich bekämpfen. Das ist letztlich unser Verständnis von Sozialpolitik.
Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, aktiv ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Das ist aus unserer Sicht eine Sozialpolitik, die nicht nur auf Versorgung ausgerichtet ist, sondern auch einen Teil der lebendigen Bürgergesellschaft darstellt.
Wir setzen frühzeitig an den Wurzeln an. Das kam bisher deutlich zu kurz. Die Elternverantwortung spielt bei der Sozialdemokratie überhaupt keine Rolle. Dazu hätte ich auch von Ihnen aus den Reihen der SPD gern etwas gehört. – Danke sehr.
Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. – Als nächste Rednerin hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Steffens das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Romberg, natürlich kann man das Thema Wohlstandsverwahrlosung und fehlende Fähigkeit zur Erziehung von
Kindern ansprechen. Schreiben Sie dazu einen Antrag und bringen Sie das in einen Kontext mit den Forderungen, die Sie hier über die Jahre hinweg immer wieder vorgebracht haben nach dem Motto „Privat vor Staat“, „Freiheit für alle“, nach denen Familien sonntags in die Waschstraßen und Videotheken sollten und Ladenöffnungszeiten bis zum „geht nicht mehr“ liberalisiert werden sollten. Sie haben Familien immer nur Flexibilität, Flexibilität, Flexibilität abverlangt und überhaupt keinen Raum für Familie gelassen. Hören Sie auf, die Eltern anzuprangern, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle durch berufliche Belastung nicht für alles das aufkommen können, wofür Eltern eigentlich aufkommen sollten. Stellen Sie also einen Antrag, und dann reden wir darüber, wie Ihre Politik und Ihr Politikverständnis mit Familie kompatibel sind, nämlich gar nicht.
Über den Antrag der SPD bin ich ein bisschen erstaunt. Wir als Grüne haben seit Mitte letzten Jahres eine Reihe von Anträgen im Zusammenhang mit Hartz IV eingebracht. Insbesondere zum Thema Regelsatzerhöhung haben wir seit Januar mehr als einen Antrag gestellt. Immer wieder wurde auch vonseiten der SPD argumentiert, so gehe das nicht, man brauche ein Gesamtkonzept, ein großes Ganzes.
Das, was Sie vorgelegt haben, ist für mich kein Gesamtkonzept. Ich habe ein bisschen den Eindruck, Sie haben die ganze Zeit unsere Anträge abgelehnt, weil es nicht Ihre waren. Jetzt haben Sie das Gefühl, Sie müssten in der Debatte auch noch vorkommen, sodass dieser Antrag gestellt wurde.
Ich finde es zu kurz gegriffen und in einigen Punkten falsch, aber ich werde im Detail darauf eingehen.
Zum Bereich Anpassungsmechanismen: Ich finde es richtig – diesen Punkt unterstützen wir voll und ganz; wir haben dazu ja im August einen Antrag gestellt –, nicht nur alle fünf Jahre auf Realitäts- und gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Wir brauchen einen Anpassungsmechanismus, der auf stark und schnell veränderte Lebensbedingungen reagieren kann. Es kann nicht sein, dass, wenn heute Preise für Grundbedarfe steigen, erst in einigen Jahren der Regelsatz dafür angehoben wird. Das muss unmittelbar geschehen. Insofern finden wir diese Regelung richtig.
Wir haben auch in unseren Anträgen an der einen oder anderen Stelle formuliert, dass wir in einigen Bereichen überprüfen müssen, ob wir nicht wieder zu Individualisierungen von Leistungen und zu einmaligen Hilfen kommen müssen. Daran würde ich jedoch mehr als ein Fragezeichen setzen. Man muss nämlich im Auge behalten, was der Grund dafür war, dass dieses abgeschafft wurde.
Die entwürdigende Praxis des Bittstellens und des Bettelns will ich nicht zurückhaben. Ich will eine andere Praxis. Deswegen muss man genau überlegen, was die Sachen sind, die man in einmalige Leistungen hineinpacken kann. Hier halte ich das im Antrag aufgeführte Beispiel der Kinderschuhe für nicht passend, weil man natürlich ermitteln kann, was ein Kind im Laufe seiner Lebensentwicklung braucht. Wenn wir uns ansehen, was im Regelsatz für Kleidung für Kinder in der Wachstumsphase enthalten ist, dann stellt man fest, dass dies nichts mit der Lebensrealität zu tun hat. Hier muss man darüber reden, ob dies ein Punkt ist, der in die einmaligen Leistungen hinein kann, oder ob es nicht ein Punkt ist, der durchweg bei allen Kindern in diesen Entwicklungsphasen den Bedarf auflöst, sodass wir den Betrag im Regelsatz erhöhen müssen.
Auch bezüglich der Schulbedarfe muss man darüber nachdenken, ob das wirklich der richtige Weg ist, ob man gerade in Zeiten, in denen die Schule schnell Anforderungen an Materialien und Dingen stellt, jenseits der ganzen Schulbücher, die natürlich im Sinne der Lernmittelfreiheit den Kindern zur Verfügung gestellt werden, nicht zu anderen Systemen kommen muss, z. B. dass Schulmaterialien von der Schule an die Kinder verliehen werden. Ich halte es nämlich für problematisch, wenn die Mutter erst wieder zur Arge muss, um die Wachsmalstifte für die Kinder zu beantragen. Das kann nicht funktionieren. Aber genau an diesen kleinen Punkten hängt es, dass Partizipation im Unterricht und die Beteiligung daran nicht stattfinden kann.
Wir sind sehr froh darüber, dass Herr Laumann auf unsere Initiative über mehrere Anträge, in denen wir immer wieder gesagt haben, wir wollen, dass unabhängig ermittelt wird, welchen Bedarf es gibt, hin reagiert hat. Herr Wilp, diesbezüglich war nicht die Fraktion der CDU die treibende Kraft, die Initiativen entwickelt hat, sondern hier hatte der Minister die Nase vor der Fraktion, indem er die Kommission auf unser Drängen und aufgrund der Diskussionen, die im Parlament durch uns angeregt worden sind, eingerichtet hat. Das finde ich richtig. Wir werden ja gleich unter einem nächsten Tagesordnungspunkt die Diskus
sion um das Schulessen haben. Allerdings wird es nicht reichen, lediglich ein Schulessen kostenfrei zu machen, um den Bedarf für Ernährung für Kinder sicherzustellen. Deswegen muss auch das im Regelsatz überprüft werden. Auch dies haben wir hier bereits mehrfach gesagt. Denn ein Jugendlicher hat in der Entwicklung nicht nur einen Ernährungsbedarf von 80 % eines Erwachsenen.
Der letzte Punkt, der dazu führt, dass wir dem Antrag der SPD nicht zustimmen werden, ist die Kopplung des Mindestlohns an das Existenzminimum für Kinder. Ich stimmt voll und ganz zu – das habe ich gestern in der Debatte mehrfach gesagt –, dass wir einen Mindestlohn brauchen. Keine Frage! Aber einer Mutter, die am Kühlregal steht und nicht genug Geld hat, um für ihr Kind Milch zu kaufen, kann man nicht ins Gesicht sagen: Du bekommst das Geld nicht, das du für die Existenzsicherung deines Kindes brauchst, weil Müntefering die Festlegung eines Mindestlohns nicht durchbekommt. – Das kann es nicht sein.
Hier sind zwei verschiedene Diskussionen nebeneinander zu führen, die beide wichtig sind, aber nicht gekoppelt werden dürfen. Wir müssen darüber reden, was das Existenzminimum für ein Kind ist. Dieses Existenzminimum muss gesichert sein. Hierbei müssen wir dann auch über die Finanzierung sprechen. Da kann Mindestlohn ein Finanzierungselement sein, es kann aber auch andere Finanzierungselemente geben. Diejenigen, die die Einführung eines Mindestlohns blockieren, nämlich die CDU im Bund, können ganz klar sagen, was ihr Finanzierungsvorschlag ist. Aber zu sagen, ein Kind bekommt erst dann das notwendige Geld zum Leben vom Staat, wenn wir einen Mindestlohn haben, halte ich für politisch falsch und eine unzulässige zynische Verknüpfung.
Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen. Wir haben reichlich und ausreichend Anträge zu dem Themenkomplex gestellt, die alle hier mehrheitlich abgelehnt oder an den zuständigen Ausschuss überwiesen worden sind, wo sie immer noch nicht beschlossen wurden. Unsere Positionen zu diesem Thema sind klar und deutlich.
Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD, der nicht einmal in den Ausschüssen beraten werden soll, sondern über den sofort abgestimmt werden soll, ist, wenn ich das vom Verfahren her sagen darf, für mich völlig unverständlich.
Sie stellen Forderungen auf, die man begrüßen kann oder auch nicht. Wenn Sie jedoch glauben, dass Sie mit so plumpen Forderungen, ohne zu belegen, warum es in diese Richtung gehen muss, etwas in der bundesstaatlichen Debatte zu diesem Thema erreichen, dann sind Sie falsch gewickelt. Dieser Antrag ist zu diesem Zeitpunkt rein populistisch.
Er ist es auch deswegen, weil wir in der letzten Sitzungswoche doch gesagt haben, dass wir diese Kommission einsetzen. Mein Staatssekretär hat die Obleute der Fraktionen über dieses Vorhaben im Detail informiert. Auf Wunsch der Oppositionsfraktionen werden sich Fachleute, die unser Ministerium beraten, auch mit weiteren von Ihnen benannten Expertinnen und Experten, Gruppen und Verbänden in der Kommission unterhalten, bevor sie uns einen Vorschlag machen. Dann, eine Sitzungswoche später, kommt dieser Antrag, wo Sie alles wissen, wie es laufen muss. Eine solche politische Arbeit verstehe ich, wenn man das handwerklich bezeichnen würde – ich sage es ganz vorsichtig –, als eine Beleidigung fürs Handwerk. Das ist die Wahrheit, wie Sie von der SPDFraktion mit dieser wichtigen Frage umgehen.
Wissen Sie, wenn man so arbeitet, dann geschieht bei dieser Frage nämlich nicht das, was wir brauchen. Wenn wir es wirklich schaffen wollen, die Situation dieser Kinder in unserem Land nachhaltig zu verbessern, dann brauchen wir am Ende des Tages, in einigen Wochen, in Deutschland eine große Allianz. Denn wenn man die Lebensbedingungen der Kinder – in den Zeitungen steht zum Weltkindertag immer mehr darüber –, die in eine Art Isolierung geraten, die immer weniger Teilnahmechancen haben, verbessern will, brauchen wir ganz viel guten Willen,
quer durch die Landschaft der Politik und quer durch die Landschaft der Verbände. Denn niemand soll hier sagen, dass er nicht gewusst hat, wie schwierig die Lage der Kinder in diesen Grup
pen ist. Schon die Sozialberichte, die Ende der 90er-Jahre in Deutschland veröffentlicht worden sind, haben genau das beschrieben, was zurzeit, Gott sei Dank, in der öffentlichen Wahrnehmung unseres Landes eine Rolle spielt.
Fast alle Politiker – außer den Sozialpolitikern – haben dieses Problem ignoriert. Das ist die Wahrheit.
Im Übrigen will ich Ihnen noch eines sagen: Gehen Sie doch erst einmal mit Ihrem Antrag, den Sie heute gestellt haben, in den SPDBundesvorstand,
und dann kommen Sie zurück und erzählen mir bitte, was Herr Müntefering zu diesem Antrag gesagt hat, was er bereit ist, davon durch Initiativen seitens seines Ministeriums umzusetzen.
Sie stellen in diesem Land den Bundesarbeitsminister und Sie stellen das federführende Ressort, das für die Hartz-IV-Gesetze zuständig ist. Dass wir bei Themen wie Vermögensfreigrenzen und Arbeitslosengeld nicht weiterkommen, liegt doch daran, dass Ihr Bundesarbeitsminister diese Frage nicht aufgreift und die Vorschläge, die wir machen, völlig ignoriert. Das ist doch die Wahrheit.
Damit müssen Sie leben, dass das die Wahrheit ist. Ich bin gespannt, welche Vorschläge dort zu Hartz IV kommen.
Jetzt möchte ich einen weiteren Punkt ansprechen: Da Sie von der Opposition erzählen, es sei ein Riesenproblem, dass wir die Lehrmittelfreiheit für Kinder aus Familien mit wenig Geld in NordrheinWestfalen nicht mehr haben. Wie war es denn? – In der alten Sozialhilfe war die Lehrmittelfreiheit im Schulgesetz geregelt. Dann wurde das SGB II einführt. Sie haben damals regiert und Sie haben die Lehrmittelfreiheit für die SGB II-Hilfebezieher seinerzeit nicht hergestellt, weil Sie die Probleme der Kinder aus Hartz IV-Empfängerfamilien, wie damals üblich, ignoriert haben. Das war Ihre politische Leistung in dieser Frage.
Dann ist das Konnexitätsprinzip eingeführt worden. Jetzt hat die neue Landesregierung das Problem, dass wir diese Frage nicht mehr durch die Kommunen regeln lassen können, ohne ein Riesenproblem mit den kommunalen Spitzenver