Protocol of the Session on August 23, 2007

Ministerpräsident Rüttgers hat in seiner Regierungserklärung – ich glaube, zum ersten Mal überhaupt in einer Regierungserklärung eines Ministerpräsidenten – das Wort Archiv gebraucht. Archive sind normalerweise Tätigkeitsfelder, die man so nolens volens machen muss. Wir wissen, dass es wichtig ist, die bedrohte Substanz unserer

Kultur in Theatern, Museen und Archiven zu schützen und dafür zu arbeiten.

Das gilt übrigens nicht nur, wenn ich auf die Archive blicke, für Materialien, die man so kennt, wie Bücher und Papiererzeugnisse. Das gilt vor allem auch für moderne Medien, für Filme. Wenn man einmal geglaubt hat, dass digitale Medien zu einer Verbesserung der Archivsituation führen würden, dann sieht man sich heute besonders erschreckend vom Gegenteil überzeugt; denn beim Erhalten und Bewahren von digitalisierten Medien gibt es besonders große Probleme.

Meine Damen und Herren, es ist nicht Aufgabe der Politik, Kriterien zu entwickeln, wie ein solches Bewahren und Sammeln aussehen soll und was aufbewahrt werden soll. Das ist Sache der Fachleute, Sache der Wissenschaft. Aber wir müssen die Rahmenbedingungen herstellen, damit nach wissenschaftlichen Kriterien gesammelt und erhalten werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufgabe der Politik ist es, Erinnerungskultur nicht nur an den Sammlungsorten, den Museen und Archiven, zu betreiben, sondern heißt vor allen Dingen auch, zu aktivieren. Das ist ein bildungspolitisches Thema. Diese Bildung ist eine Frage der Museumspädagogik, der Archivpädagogik, der historischen Bildung in der Schule, des Geschichtsunterrichtes und der historischen Wissenschaften. Wir haben da auf sehr viel Gutes in unserem Land zurückzugreifen. Wir haben eine gute Museumspädagogik, wir haben eine sehr gute historische Wissenschaft in diesem Land, aber sie müssen gefördert und von ganz verschiedenen Seiten vernetzt werden. Wir werden uns um dieses Politikfeld besonders kümmern. Ein Kernbereich der kulturellen Bildung ist die historische Bildung.

Es gibt ein Landesprogramm „Archiv und Schule“, mit dem Schulen an die Archivarbeit herangeführt werden. Auch das unterstützen wir lebhaft. Wir sind dabei, hier anzuknüpfen. Wir können anknüpfen an ein historisches Bewusstsein, das ja ganz lebendig ist. Die Leute wollen Erinnerung; man erinnert die privaten Dinge, man erinnert Vereinsgeschichte, man erinnert Verbandsgeschichte. Das hat alles durchaus Konjunktur. Aber es wird darauf ankommen, das durch eine wirkliche Erinnerungsarbeit zu verbreitern und zu vertiefen.

Meine Damen und Herren, Geschichte wird erfahrbar und greifbar, wenn sie sich wirklich an Quellen abarbeiten kann. Es ist eben wichtig, dass wir es schaffen, durch eine Vernetzung von Schule und Einrichtungen dazu zu kommen, dass Kinder in diesem Lande in ihrer historischen Bil

dung lernen, was die Basis für die Wahrnehmbarkeit von Vergangenheit ist, also vor allen Dingen in Museen und Archiven.

Die Jugendlichen in diesem Land müssen auch etwas über unsere jüngste Geschichte erfahren. Es kann nicht angehen, dass junge Menschen die Schule beenden, ohne etwas über den Totalitarismus der DDR im letzten Jahrhundert erfahren zu haben.

(Beifall bei der CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Nach meiner Einschätzung ist die Qualität des Geschichtsunterrichtes auch an die Bewahrung historischer Kulturgüter gebunden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir regen in unserem Antrag eine ganze Reihe von Maßnahmen an, das historische Erbe in Nordrhein-Westfalen zu erhalten, bevor es zu spät wird. Ich freue mich auf die Debatten im Kulturausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Sternberg. – Für die zweite antragstellende Fraktion, die FDP-Fraktion, hat Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen langfristig das kulturelle Erbe sichern und die Sensibilität für historische Zusammenhänge stärken. Der Ministerpräsident hat gestern in seinem Redebeitrag in der Haushaltsdebatte dargelegt, aus welchen Gründen es unter anderem so wichtig ist, die Sensibilität für historische Sachverhalte und Zusammenhänge zu stärken, auch um Konsequenzen aus der Geschichte ziehen zu können.

Wir haben in der Tat über einzelne Aspekte unseres Antrags bereits diskutiert, z. B. im Zusammenhang mit dem Antrag der Kollegen der SPDFraktion zur Neuausrichtung kultureller Angebote insbesondere für ältere Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen aber ein Gesamtkonzept vorlegen und wir möchten, dass die Landesregierung uns auch Vorschläge zur Umsetzung unterbreitet, die die gesamte Breite und die unterschiedlichen Lebensbereiche berücksichtigen. Ich will hier nur kurz auf einige davon eingehen.

Erstens: die Schulen. Es ist richtig und wichtig, dass der Geschichtsunterricht, aber auch andere Fächer wie Deutsch und Sozialwissenschaften

gestärkt werden; denn auch dort wird Historie vermittelt. Wir dürfen es nicht dabei belassen, nur auf das Unterrichtsfach Geschichte zu zielen.

Wir wollen – darauf haben wir bereits in anderem Kontext hingewiesen – auch außerschulische Lernorte wie die Museen für junge Menschen nach vorne bringen und ihre Attraktivität für Kinder und Jugendliche steigern.

Mit der finanziellen Stärkung der offenen Ganztagsgrundschule wird es den engagierten Kräften, die dort am Nachmittag arbeiten, erleichtert, kulturelle Angebote in die Schulen zu holen. Diese Kooperation wollen wir noch verstärken. Über einen Punkt sind wir uns völlig klar – da sind wir hoffentlich mit Ihnen allen einer Meinung –: Es geht nicht nur darum, die Kinder, die in ihrem Elternhaus bereits an Geschichte und Kultur im engeren Sinne herangeführt werden, zu erreichen, sondern wir wollen Kultur und Historie für alle Kinder und Jugendlichen öffnen.

Und da bin ich bereits beim zweiten wichtigen Punkt: Es geht uns insbesondere um die jungen Menschen, die etwa in problembehafteten Stadtvierteln aufwachsen und nicht auf der „Sonnenseite“ stehen. Diese jungen Menschen können sich oft nicht mit Kultur im engeren Sinne auseinandersetzen, weil für sie und ihre Familien oftmals ganz andere Probleme viel dringender sind. Obwohl sie vor ganz anderen Herausforderungen stehen und ihre Familien von ganz anderen Problemen belastet werden, sollen auch diese Kinder einen Sinn für Kultur im engeren bis mittleren Sinne, um es einmal so auszudrücken, entwickeln können.

Ich freue mich darüber, dass wir mit dem Sonderprogramm „Jugend und Soziale Brennpunkte“ bereits zahlreiche Maßnahmen der Jugendkulturarbeit fördern können. Es wundert nicht, dass sich insbesondere die Landesvereinigung Kulturelle Jugendarbeit Nordrhein-Westfalen auf ihrer Website ausgesprochen positiv über dieses Landesprogramm äußert und dass sie mit über 40 Anträgen die zusätzlichen Mittel zur kulturellen Bildung junger Menschen nutzen will.

Drittens. Die Hochschulen, die grundsätzlich einen hohen wissenschaftlichen Standard der Geschichtswissenschaften aufweisen, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Unser Ziel muss es sein, diese guten Kompetenzen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Ich glaube, dass wir den Universitäten durch das Hochschulfreiheitsgesetz hinreichende Anreize zu qualitativen Verbesserungen geben.

(Karl Schultheis [SPD]: Das glaube ich nicht!)

Solche Aspekte können beim Abschluss zukünftiger Ziel- und Leistungsvereinbarungen auch stärker zum Ausdruck kommen.

Viertens. Der Bereich der Kirchen: Rückläufige Mitgliederzahlen und veränderte finanzielle Möglichkeiten der Kirchen sind nicht alleine Ausdruck eines innerkirchlichen Problems. Vielmehr handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Das hat die alte Landesregierung leider nicht ernst genug genommen. Ich erinnere nur an die Hilferufe der kirchlichen Träger von Kindertageseinrichtungen, die Schließungen angekündigt haben, wenn ihr Eigenanteil nicht reduziert werde. Reaktion der damaligen Regierung: Eine Veränderung der Eigenbeteiligung wurde abgelehnt. Stattdessen wurde an die gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen appelliert.

Meine Damen und Herren, das allein reicht nicht aus. Übrigens ist dies nicht der einzige Bereich, in dem wir auf die Finanzprobleme der Kirchen reagieren. Das Land hält seine Versprechen – wieder.

Ich komme zum Ende meiner Redezeit: Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Kirchen konstruktiv unterstützen und begleiten, wenn es um die Nutzungsmöglichkeiten für Gotteshäuser geht, die nicht mehr als Gotteshaus gebraucht werden. Insgesamt 35 Maßnahmen neuer Nutzungen z. B. als Galerie und entsprechende Finanzierungskonzepte sind landesseitig gefördert worden.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Mit diesem Antrag bitten wir die Landesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass auch die in den Kirchengebäuden befindlichen Kunst- und Kulturgegenstände bewahrt werden. Herr Kollege Sternberg hat bereits weitere wichtige Bereiche u. a. das Archivwesen genannt. Ich freue mich auf die weitere intensive Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Frau Kollegin Nell-Paul das Wort. Bitte schön.

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Freimuth, gestatten Sie mir bitte eine Vorbemerkung, weil Sie gerade die gestrige Rede des Ministerpräsidenten angesprochen haben.

Es ist dringend erforderlich, dass man mit ihm einmal über die Erinnerungskultur und die Kultur des Erinnerns sowie über Geschichte und geschichtliche Sachverhalte spricht. Denn das, was er hier zur Rolle der SPD in der Weimarer Republik vorgetragen hat, war Geschichtsklitterung und keine Erinnerung.

(Beifall von der SPD)

Ich komme nun auf den Antrag „Ohne Vergangenheit keine Zukunft: Erinnerungskultur gestalten – kulturelles Gedächtnis bewahren und beschützen“ zu sprechen. Dieser Titel ist sehr sperrig. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich das nicht schon irgendwo einmal gehört habe. Dies ist in der Tat so: Es ist der Einladungstext zu einem Werkstattgespräch, zu dem die CDU-Landtagsfraktion nach Münster eingeladen hat. Der Antragstext wiederum ist der Einladungstext, der von Herrn Kuhmichel unterschrieben wurde. Dies ist als solches nicht verwerflich, aber es ist natürlich eine Frage, ob wir jetzt CDU-Seminare im Düsseldorfer Landtag sozusagen nachholen. Das halte ich für ein Problem.

Was will man uns mit dem Antrag eigentlich sagen? – Wenn man den Antrag unter historischphilosophischen Aspekten betrachtet, dann ist er zu banal. Betrachtet man ihn aber als politischen Antrag im Sinne von Handlungsanleitung, dann ist er zu wenig konkret. Was ist es also? Ist es ein Besinnungsaufsatz, eine Standortbeschreibung der CDU-Fraktion? Was wollen Sie eigentlich mit diesem Antrag?

Ich kann Ihnen sagen: Die SPD-Landtagsfraktion könnte einen eigenen Text beitragen. Wir haben nämlich einen wunderbaren Leitantrag auf unserem nächsten Bundesparteitag mit dem Titel: „Kultur ist unsere Zukunft“. In diesem Antrag gibt es einen mehrseitigen Abschnitt zum Thema „Erinnerungskultur“ sowie zum Thema „Schutz und Erhalt kulturellen Erbes“. Ich verzichte darauf, diesen Antrag hier einzubringen, denn unser Parteitag ist erst im Oktober. Wir wollen das Thema von heute Morgen ja nicht wieder aufgreifen, dass wir im nordrhein-westfälischen Landtag bereits Anträge beschließen, bevor unser Parteitag überhaupt stattgefunden hat. Deswegen haben Sie von uns keinen Entschließungsantrag vorliegen.

Nun zu den einigen wenigen konkreten Aspekten, die Sie im Antrag ansprechen. Diesbezüglich möchte ich die hervorragende Arbeit – hierin sind wir uns sicherlich einig – der beiden Landschaftsverbände in diesem Bereich betonen.

(Beifall von der SPD)

Ich erinnere an die vielen archäologischen, bibliothekarischen, archivarischen Arbeiten, die dort geleistet werden, die Magazine, Werkstätten, Restaurierungsarbeiten. Das, was die Kommunen in den letzten Jahrzehnten auf diesem Felde getan haben, ist eine enorme Leistung gewesen, die wir nicht schmälern sollten. Sie selbst haben ja im Jahr 2005 die Bestandserhaltungsinitiative NRW angeregt. In Zusammenarbeit der beiden Landschaftsverbände werden historische Dokumente entsäuert, wie Sie eben beschrieben haben, und damit der Nachwelt erhalten. Es passiert also einiges auf diesem Feld.

Sie führen in Ihrem Antrag den Wettbewerb „Archiv und Jugend“ an und loben diesen als ein großes Erfolgsmodell. Hier muss ich ein bisschen Wasser in den Wein gießen, denn da sind Sie ein bisschen vorschnell. Die Bewerbungsfrist für diesen Wettbewerb läuft erst Ende dieses Monats aus. Man weiß also noch gar nicht, ob dieser Wettbewerb überhaupt das erreicht hat, was man will. Mein Büro hat einmal bei den Landschaftsverbänden nachfragen lassen mit dem Ergebnis, dass es leider noch nicht einmal ein Dutzend Anmeldungen gibt. Dafür stehen 100.000 € zur Verfügung, und es gibt keine Anmeldungen. Lassen Sie uns erst einmal solide das abarbeiten, was im Moment schon vorhanden ist. Wir sollten dabei helfen, dass das, was bereits vorgedacht und auf den Weg gebracht ist, sinnvoll umgesetzt wird.

Am Schluss Ihres Antrags findet ein Rundgang im Bereich der Bildungspolitik statt. Lassen Sie mich aufgrund der Kürze der Zeit nur auf das Thema Hochschulpolitik eingehen. Wir konnten in den letzten Tagen lesen, dass der Bereich der Geisteswissenschaften in unserer Republik nicht gerade ein Bereich ist, der besonders gefördert wird. Im Gegenteil: Was die Professorenstellen in diesem Bereich angeht, haben wir Abgänge zu verzeichnen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Darüber hinaus gibt es die Klage der nordrheinwestfälischen Hochschulen, dass im Bereich der Geisteswissenschaften im Moment sehr stark gespart wird. Durch Ihre Hochschulpolitik, sich durch Ihr sogenanntes Hochschulfreiheitsgesetz aus der Mitgestaltung von Hochschulpolitik zurückzuziehen, haben Sie jegliches Instrument aus den Händen gegeben, in Zukunft die Geisteswissenschaften auch in der Konkurrenz zu den Naturwissenschaften zu stärken.

Es ist also ein ganz breites Feld, das Sie hier ansprechen. Lassen Sie uns im Kulturausschuss darüber diskutieren, wie wir mit den Landschafts

verbänden und den Kommunen gemeinsam diese Aufgaben angehen, die angepackt sind, aber die natürlich eine endlose und unendliche Aufgabe darstellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Nell-Paul. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Keymis das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für den Antrag zum Thema „sich erinnern“. Ich weiß übrigens gar nicht, ob das noch jemand reflexiv gebraucht. Ich habe das so gelernt.

Also: Erinnern wir uns. Wir haben einen Antrag vorliegen, der viele Themen aufreißt. Ich habe diesen Antrag mit Interesse gelesen. Manches klingt ein wenig parteiprogrammatisch, zum Beispiel der Satz: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ Diese Frage haben wir in unserem Grundsatzprogramm auch beantwortet. In Ihrem Antrag ist eine ganze Reihe von solchen Fragen gestellt worden.

„Die Reise, von der wir nicht wissen, wohin sie mit uns geht“, „Wie kann die Welt in Zukunft gestaltet werden?“, das ist alles sehr pathetisch formuliert und macht sich möglicherweise in einer Einladung ganz nett – die Kollegin hat darauf hingewiesen –, im Antrag klingt das jedoch ein bisschen stark hervorgegriffen.