Protocol of the Session on August 23, 2007

Gerade wenn man wichtige Errungenschaften der Sozialstaatsidee bewahren will, muss man angesichts der nationalen und internationalen Entwicklung bereit sein, die Strukturen zu verändern.

Außerdem ist es zwingend erforderlich, die Gesamtsituation in den Blick zu nehmen. Es geht eben nicht nur um materielle Armut. Wir müssen uns auch mit den Phänomenen Bildungsarmut und soziale Armut, die natürlich eng miteinander verwoben sind, eingehender beschäftigen. Die Abhängigkeit der Betroffenen von staatlicher Hilfe wird weiter steigen, wenn wir nicht genügend Energie aufwenden, um die Ursachen des Problems anzugehen.

Alle Anstrengungen, Menschen in Arbeit zu bringen bzw. Arbeitslosigkeit schon im Vorfeld zu verhindern, sind ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung von Kinderarmut. Das hat auch Jugendforscher Klaus Hurrelmann unterstrichen. Seiner Ansicht nach entsteht Kinderarmut ursächlich vor allem durch die mangelnde Gelegenheit, Geld durch eigene Erwerbsarbeit in die Haushaltskassen kommen zu lassen.

(Zuruf von der SPD: Schlauberger!)

Ja: durch die mangelnde Gelegenheit, Geld durch eigene Erwerbsarbeit in die Haushaltskassen kommen zu lassen. – Staat und Politik sollten sich einmal fragen, woran das liegt.

(Günter Garbrecht [SPD]: Das hat er zwar auch gesagt! Er hat aber noch mehr gesagt!)

Minister Laumann hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der Ausbau von Krippenplätzen eine wichtige Maßnahme darstellt. Genau dort ist anzusetzen. Vor allem alleinerziehende Mütter und Väter sind auf solche Angebote angewiesen. Nur dann können sie auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Außerdem gebührt der frühkindlichen Bildung und Sprachförderung besondere Aufmerksamkeit. Zu erinnern ist an die Sprachstandserhebungen der Vierjährigen, die jetzt von der Landesregierung eingeführt werden.

Die von Minister Laumann angekündigte Expertenkommission hat daher auch das Ziel, alle diese Aspekte mit einzubeziehen. Nur wenn man sich der Komplexität des Problems wirklich annimmt, kann man Kinderarmut wirksam bekämpfen. – Danke sehr.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Dr. Romberg. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Laumann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wahr, dass wir in dieser Stunde im Landtag ein wichtiges Gesetz diskutieren. Dieses Gesetz bildet immerhin für 1.700.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen die Existenzgrundlage.

In einer solchen Debatte sprechen wir über die Menschen, die in Nordrhein-Westfalen derzeit und schon länger keine Teilhabe an Arbeit haben. Unter diesen Bürgerinnen und Bürger befinden sich sicherlich viele Menschen, die zu den schwächeren Gliedern unserer Gesellschaft gehören. Deswegen darf eine solche Debatte nicht populistisch geführt werden, sondern muss mit Sachverstand geführt werden.

Wenn man über die Höhe der Regelsätze in einem bedürftigkeitsabhängigen System –das SGB II ist, genau wie die frühere Sozialhilfe, nun einmal ein bedürftigkeitsabhängiges System – spricht, bewegt man sich nach meiner Auffassung in Bezug auf den Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen immer auf dünnem Eis. Daher ist man gut beraten, einige Grundsätze zu bedenken.

Ein Grundsatz muss sein – ich komme gleich noch einmal darauf zurück –, dass der, der arbeitet, mehr haben muss als der, der nicht arbeitet.

(Beifall von CDU und FDP)

Stellt man diesen Grundsatz auf den Kopf, verliert ein Land die Antriebskräfte, dank derer es in der Masse Wohlstand und Fortschritt erarbeitet.

Wahr ist auch, dass ein Mensch, der durch Beiträge eine Sozialleistung begründet hat – wie etwa bei der Rente oder dem Arbeitslosengeld –, in der Regel mehr haben muss als derjenige, der eine Leistung bekommt, für die er keine Beiträge bezahlt hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Jetzt muss ich ganz ruhig und sachlich Folgendes feststellen: In Nordrhein-Westfalen bekommen die Männer, die mehr als 44 Jahre ununterbrochen in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, im Durchschnitt eine Rente von gut 1.200 €. Bei einem Ehepaar in Hartz IV liegen Sie mit den Unterhaltskosten und den durchschnittlichen Kosten für Wohnung und Heizung mittlerweile bei einer Leistung von ca. 1.000 €. Dieser Be

trag ergibt sich schon bei einem Zweipersonenhaushalt.

Von daher hat ein Mensch, der 40 oder 45 Jahre gearbeitet hat und seine Miete und seine gesamten Kosten aus eigenem Einkommen zahlen muss, nur noch einen kleinen Vorsprung gegenüber der Bemessungsgrenze, die wir im SGB II zugrunde gelegt haben.

Der Bundesgesetzgeber hat diese Grenze damals nicht willkürlich festgelegt. Ich war ja dabei. Grundlage war die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe – eine Statistik, die nun einmal abbildet, was die Menschen in bestimmten Einkommensschichten kaufen. Damals hat man den unteren Teil der Einkommen genommen.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Und hat Abstri- che gemacht!)

So sind die 345 € entstanden. Diese 345 € sind damals im Bundestag sowohl von der CDU als auch von der SPD, als auch von Bündnis 90/Die Grünen in das Gesetz geschrieben worden.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Im Gegensatz zu Ihnen werden wir klüger!)

Frau Steffens, es ist ja schön, dass Sie sich hier so darstellen, wie Sie das in Ihrem vorliegenden Antrag tun. Ich habe allerdings keine Erkenntnisse darüber, dass Ihre Fraktion im Bundestag ähnliche Anträge stellt.

Ich glaube auch, dass die Entscheidung des Gesetzgebers zum Anstieg richtig war. Die Hartz-IVSätze müssen sich ja entwickeln. Ich bleibe zunächst einmal dabei, dass die Koppelung an die gesetzliche Rentenversicherung zumindest gesellschaftspolitisch richtig ist. Schließlich müssen die Menschen, die durch Beiträge eine Leistung erworben haben, ebenfalls Preissteigerungen – die Mehrwertsteuererhöhung und viele andere Anhebungen – hinnehmen. Für sie darf es keine andere Entwicklung geben als für diejenigen, die eine Sozialleistung bekommen, für die nun einmal keine Beiträge bezahlt worden sind. Wenn wir beides entkoppeln, müssen wir mit den Rentnern, die teilweise 45 Jahre schwer für eine beitragsbezogene Leistung im Alter gearbeitet haben, eine Diskussion in der Gerechtigkeitsfrage führen. Diese Debatte wünsche ich uns nicht!

(Beifall von CDU und FDP)

Deswegen war der Gesetzgeber in Berlin auch nicht etwa besoffen, als er entschieden hat, den Anstieg der Hartz-IV-Leistungen an die Entwicklung der Renten zu koppeln. Ich meine, dass das eine richtige Entscheidung war. Ich habe zumin

dest bis jetzt noch keine Erkenntnisse, warum das nicht richtig sein soll.

Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Steffens zulassen?

Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. Das können wir zum Schluss machen.

Nun kommt eine andere Frage, die den Sozialminister von Nordrhein-Westfalen sehr nachdenklich stimmt. Wir haben damals im Deutschen Bundestag auch gesagt, dass für ein Kind von unter 14 Jahren der Satz 60 % des Erwachsenensatzes und für ein Kind über 14 Jahre der Satz 80 % des Erwachsenensatzes ist. Ich finde, wir sollten darüber nachdenken, ob diese Abgrenzung die Lebenswirklichkeit eines Kindes, wenn wir über die Teilhabe an Schule, Bildung, an frühkindlicher Bildung denken, richtig getroffen hat. Hier habe ich – das sage ich ganz offen – mittlerweile Bedenken. Deswegen werde ich noch in diesen Tagen eine Expertenrunde in meinem Ministerium zusammenstellen, die Folgendes machen soll:

Erstens. Sie soll uns Aussagen darüber geben, ob die bestehende Regelungen im SGB II und im SGB XII eine sachgerechte, wissenschaftliche Ableitung der Leistungen für Kinder und Jugendliche zugrunde legen. Man muss ja wissen, ob die Bemessung der Leistung nach dem SGB II und dem SGB XII für Kinder und Jugendliche ausreichend und bedarfsdeckend ist.

Zweitens. Welche Vor- und Nachteile sind mit pauschalierten und einmaligen Leistungen verbunden? Ich finde, auch diese Debatte muss geführt werden. Ich kann mich erinnern, dass damals ganz Deutschland, auch die Wohlfahrtsverbände, schrie, dass Einzelanträge entwürdigend seien, weswegen alles pauschaliert werden müsse. Jetzt sagen die gleichen Wohlfahrtsverbände, wir müssten wieder Einzelleistungen einführen. Von daher müssen wir doch einmal der Sache auf den Grund gehen. Ich bin im Übrigen nicht gegen Einzelleistungen und gegen die teilweise Aufhebung von Pauschalierungen.

Drittens. Welcher Handlungsbedarf besteht hinsichtlich der Aufwendungen für Mittagsverpflegung in Ganztagseinrichtungen und für Schulmaterial? Ich finde, das gehört auch dazu.

Ich möchte, dass diese Kommission aus sachkundigen Menschen des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen, des Bundessozialgerichtes,

des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zusammengesetzt wird. Diese sollen uns innerhalb von wenigen Wochen – dafür brauchen die nicht sehr viel Zeit – diese Fragen beantworten. Anschließend werde ich gerne Ausschuss und Parlament darüber berichten.

Der zweite Schritt ist – das hat der Ministerpräsident in der gestrigen Haushaltsdebatte richtigerweise angekündigt –, über die Frage zu reden, mit welchen Initiativen das Land Nordrhein-Westfalen im Bundesrat aktiv wird.

Zu Beginn meiner Rede habe ich gesagt, es kommt auch darauf an, dass folgender Regelsatz gilt: Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Hier sind wir bei der spannenden Frage der Lohnfindung. Herr Killewald hat ja – das verstehe ich – die Debatte darüber angesprochen, wie wir zu einer gerechten Lohnfindung kommen können, und zwar an der Stelle, wo wir den Eindruck haben, dass dies nicht der Fall ist. Es ist ja nicht unanständig, ein solches Thema anzusprechen. Die Frage der gerechten Lohnfindung hat die Menschen immer bewegt, zumindest die Arbeitnehmer in unserem Land, auch schon vor 100 Jahren. Schon vor weit über 100 Jahren hat ein sehr schlauer Mensch, nämlich Papst Leo XIII, gesagt: Immer dann, wenn die Löhne einseitig von den Arbeitgebern festgelegt werden, ist die Welt nicht mehr gerecht. – Ich sage Ihnen: Der Mann hat recht. Außerdem irren sich Päpste nicht.

(Beifall von der CDU)

Diese Frage zu stellen, ist also völlig richtig. Die Frage ist aber, wer Lohnfindung betreiben soll. Kann das Parlament es besser?

(Günter Garbrecht [SPD]: Nein!)

Ich sage Ihnen, was passiert – wir bekommen ja gleich einen Vorgeschmack –: Die Union will eine Höhe nennen. Die SPD sagt: Weil wir eine Arbeiterpartei sind, müssen wir mehr nennen als die Union. Die Linkspartei, die neuen Rechts- und Linkspopulisten in einer Person, werden noch mehr sagen als die SPD.

(Beifall von CDU und Rüdiger Sagel [frakti- onslos])

Deswegen bin ich der Meinung, dass die Lohnfindung in den Branchen bleiben muss. Das ist genau meine Politik. Deswegen habe ich in Nordrhein-Westfalen als einer der einzigen Arbeitsminister in ganz Deutschland in den letzten Wochen Tarifverträge im Bereich Gaststätten und Wachgewerbe für allgemeinverbindlich erklärt und den Lohn, den Tarifvertragsparteien für 200.000 Leute

festgesetzt haben, in Nordrhein-Westfalen zu einem Mindestlohn gemacht.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Ich begrüße es ja auch, dass der Bundesgesetzgeber entschieden hat, Mindestlöhne bei der Post einzuführen. Ich finde es richtig, dass in Berlin eine Diskussion dazu führt, dass die Kindergeldzuschläge wahrscheinlich so geregelt werden, dass die Leute etwas davon haben. Das ist im Übrigen eine uralte Forderung der CDU NordrheinWestfalen im Zusammenhang mit den HartzGesetzen.

Eine Gerechtigkeitslücke bei Hartz will ich auch noch ansprechen. Da bewegen sich weder hier die Grünen noch die SPD in Berlin. Es kann nicht sein, dass ein Mensch, der 30 Jahre gearbeitet und Geld verdient hat und anschließend Hartz IVEmpfänger wird, alles für die Alterssicherung abgeben muss und behandelt wird wie jemand, der nie gearbeitet hat. Das ist und bleibt eine Schweinerei! Bewegen Sie sich in dieser Frage in Berlin! – Schönen Dank.