Protocol of the Session on June 13, 2007

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/4533

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 11. Juni 2007 fristgerecht den Eilantrag eingebracht.

Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Löhrmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön, Frau Löhrmann.

(Minister Karl-Josef Laumann nimmt auf der Regierungsbank Platz.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Laumann, ich begrüße es, dass Sie sich dort hinsetzen und mir zuhören. Ich glaube, das Thema ist für alle wichtig genug. Es geht darum, ob Kinder und Jugendliche in unserem Land – einem reichen Land – mittags etwas Warmes zu essen bekommen. Es ist klar geworden, dass das in Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Thema ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir Grünen haben im März einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir haben ihn bewusst sehr offen und weit gehend angelegt. Entgegen der sonstigen Debatten zum Thema Schule war es eine sehr wohlwollende und sachliche Debatte. Es gab keinen heftigen Schlagabtausch. Das war von uns so gewollt und ist auch richtig so. Das war unser Anliegen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sachlage ist eindeutig. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Kinder aus ärmeren Verhältnissen wegen ihrer Armut vom warmen Mittagessen und damit auch von Ganztagsangeboten ausgeschlossen sind. Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir es in unserer Gesellschaft – und wir leben in einem reichen Land – nicht hinnehmen können, dass das so ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Seit der Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung vorliegt, gibt es keinen Zweifel daran, dass eine viel zu große Zahl von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen davon be

troffen ist, dass es eben keine Einzelfälle sind und Einzelfalllösungen nicht reichen. Wir müssen dieses Problem grundsätzlich lösen.

Ich bedauere sehr, dass der Ministerpräsident heute nicht selbst anwesend ist. Er hat offensichtlich erkannt, dass wir etwas tun müssen. Er versucht, diesem Missstand mit einem SchulessenFonds entgegenzuwirken. Aus unserer Sicht ist dieser Versuch finanziell unzureichend. Darüber werden wir an anderer Stelle reden. Der Ministerpräsident hat sich aber bewegt. Ich hoffe und setze darauf, dass sich die Regierungsfraktionen zusammen mit dem Ministerpräsidenten bewegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Umso erfreuter war ich in der letzten Woche, als ich in der „Westdeutschen Zeitung“ nachlesen konnte, dass sich der Ministerpräsident auf Bundesebene für eine Anhebung des Hartz-IVRegelsatzes für Kinder einsetzen wird. Er greift damit nämlich eine Forderung aus einem anderen Antrag auf, den wir erst vor vier Wochen an dieser Stelle besprochen haben. Der jetzige Regelsatz von Hartz IV für Kinder und Jugendliche reicht für ein warmes Mittagessen nicht aus.

Da, meine Damen und Herren, wo die Sachlage so eindeutig ist – keinem Kind darf aus finanziellen Gründen das Mittagessen und der Ganztag verwehrt werden –, erwarten die Menschen, dass die Politik schnell reagiert. Die Menschen können und wollen nicht verstehen, dass es in einem reichen Land wie Nordrhein-Westfalen nicht möglich sein soll, Kindern aus ärmeren Verhältnissen eine vernünftige Mahlzeit zu sichern. Sie sagen auch – das ist mir immer wieder begegnet –: Wenn das doch so ist und wenn ihr euch doch darin einig seid, dann macht es doch bitte auch gemeinsam und stellt die parteipolitische Positionierung zurück! Darauf bin ich immer wieder angesprochen worden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aufgrund dieser Zeitungsmeldung haben wir diesen Eilantrag eingebracht und wollen, dass der Landtag ein positives Signal gibt. Deshalb appelliere ich besonders an die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen: Gehen wir gemeinsam diese systematische Benachteiligung von Kindern aus Hartz-IV-Familien an! Lassen Sie uns gemeinsam heute hier den Ministerpräsidenten unterstützen! Stimmen Sie unserem Eilantrag zu! Die einzige Hürde, die Sie überspringen müssen, ist die grün gefärbte durch uns als Antragsteller. Alle anderen haben wir bei diesem Antrag den Kindern und Jugendlichen zuliebe ganz bewusst weggelassen.

Meine Damen und Herren, zu Ihrem Antrag, den Sie heute eingebracht haben: Immerhin haben Sie offenbar erkannt, dass Sie das nicht einfach ablehnen können. Das ist ja schon einmal ein Schritt; auch das hebe ich hervor. Aber Sie bleiben mit diesem Antrag hinter den Forderungen des Ministerpräsidenten zurück.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist ganz klar und deutlich in Ihrem Antrag: Sie lassen den Ministerpräsidenten im Regen stehen. Sie sagen: Wir prüfen. Er hat aber gesagt, er will erhöhen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen müssen wir heute hier als Landtag dem Ministerpräsidenten sagen: Jawohl, wir als Parlament unterstützen Sie! Wir wollen, dass Sie das direkt im Bundesrat anpacken! – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Für die CDU spricht der Abgeordnete Henke.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema – Frau Löhrmann hat es schon gesagt – ist ja wahrlich nicht neu. Wir haben beim NRW-Sozialbericht darüber diskutiert, weil es natürlich um die Auswirkungen der Armut von Familien mit Kindern auf die Ernährungssituation der Kinder geht.

Der Sozialbericht zeigt für die Jahre 2003 und 2004, dass die Armutsquote für Familien mit Kindern unter 18 Jahren um die Hälfte höher lag als im Schnitt der Bevölkerung. Er zeigt auch den engen Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit von Eltern. Waren beide Elternteile erwerbstätig, dann lag die Armutsquote bei 5,7 %. War nur ein Elternteil erwerbstätig, lag sie bei 23,9 %. Waren beide Elternteile nicht erwerbstätig, lag die Quote bei 80,1 %.

Die wichtigsten Reformen gegen Kinderarmut bestehen deshalb darin, Eltern den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und ihnen zu einer beruflichen Tätigkeit mit einem ausreichenden Einkommen zu verhelfen. Sie alle wissen, dass Nordrhein-Westfalen auf diesem Weg mit der Koalition der Erneuerung erfolgreich vorankommt und dass es seit dem Regierungswechsel vor zwei Jahren auch auf der Schattenseite der Gesellschaft wieder etwas wärmer zu werden beginnt, weil die Zahl der Arbeitslosen sinkt, die Zahl

der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt und wir viele weitere gute Schritte auf diesem Weg unternehmen. Nicht zuletzt bauen wir das Platzangebot für unter Dreijährige von etwa 2,8 % bis 2010 auf dann 20 % aus, damit Familienarbeit besser mit Erwerbsarbeit kombiniert werden kann.

Auch das von Arbeitsminister Karl-Josef Laumann entwickelte Kombilohnmodell NRW ist ein Beitrag dazu, langzeitarbeitslosen Menschen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu verschaffen. Insofern ist auch die Kombination geringen Erwerbseinkommens mit staatlichem Transfer eine Maßnahme gegen Armut und hilft Kindern in von Armut betroffenen Familien.

Wahr ist aber dennoch, dass, wie es die freie Wohlfahrtspflege formuliert, Armut auch in Nordrhein-Westfalen „heute ganz normal“ ist. Man muss nur in die Suppenküchen, Sozialkaufhäuser und Mittagstafeln sehen und in äußerlich mittelständischen Kindertagesstätten und auf Schulhöfen nachfragen, wie es um die Versorgung unserer Kinder mit warmen Mahlzeiten steht.

Zurzeit werden nun die Regelsätze auch im Zusammenhang mit der Teilnahme am Mittagessen in Ganztagsschulen diskutiert. Dieses Thema ist ja dann konkreter Gegenstand des vorliegenden Eilantrags. Es gibt, Frau Löhrmann, dazu bereits eine Bundesratsinitiative,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das weiß ich!)

nämlich eine Bundesratsinitiative des Saarlandes für einen Gesetzesantrag zur Einführung eines Mehrbedarfszuschlags zur Mittagsverpflegung in Ganztagsschulen im SGB II.

Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung strebt eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel an, die Teilnahme von Kindern von Hartz-IVEmpfängern am Mittagessen in Ganztagsschulen zu sichern. Wir unterstützen dies in dem Antrag, den CDU und FDP einbringen. Insofern besteht für Ihre Belehrungen kein Anlass.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Belehrungen?)

Wichtig ist für uns in der CDU allerdings, dass die Mittel auch tatsächlich für das Essen der Kinder aufgewendet werden. Ob Geldleistungen an Eltern das Existenzminimum besser sichern als Sachleistungen an die Kinder, ist, wie wir finden, ein Diskussionspunkt, der nicht zum Tabu gestempelt werden darf. Denn kein Kind hat etwas davon, wenn der Vater das für sein warmes Mittagessen gedachte Geld in Alkohol oder Zigaretten verwandeln würde. Lassen Sie uns das also dann auch konkret diskutieren!

Wir sind dem Ministerpräsidenten für seine Initiativen dankbar, die Sie erwähnt haben: Stärkung des Ehrenamts in der Mittagsversorgung von Schülern. Wir sind genauso zufrieden mit der Absicht der Landesregierung, über den Nachtragshaushalt 10 Millionen € zur Verfügung zu stellen, um damit den Landesfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ zu bedienen. Auch hier zeigt sich: Während andere noch reden, handeln wir konkret.

Die „Westdeutsche Zeitung“ hat nun am 7. Juni über die Forderung von Jürgen Rüttgers berichtet, die Regelsätze von Kindern im Hartz-IV-Bezug erneut einer Prüfung und Kontrolle zu unterziehen. Sie wissen aus den Ankündigungen von Karl-Josef Laumann bei den Plenardebatten im Mai, dass sein Ministerium eine Expertenrunde aus Verbänden, Wissenschaft und Kirchen einrichtet, deren Ergebnisse dem zuständigen Ausschuss des Landtags dann als Bericht zur Verfügung gestellt werden sollen, sodass wir auf Landesebene eine bessere Grundlage für die Diskussion erhalten werden. Es wäre natürlich ein Vorgriff vor die Ergebnisse eines solchen Berichts, wenn wir jetzt sagen würden, wir können das Ergebnis aber innerhalb eines Tages vorwegnehmen. Das ist nicht möglich.

Deswegen: Ich bin sehr dafür, dieses Verfahren, das ja übrigens mit Grünen-Beteiligung im Bund zustande gekommen ist, einer Prüfung zu unterziehen. Ich bin auch dafür, dass wir als Landtag die fachliche Überprüfung und Diskussion der Regelsätze begrüßen. Ich glaube, dass die Feststellung der Regelsätze tatsächlich Ungereimtheiten enthält. Aber die Ergebnisse der in die Wege geleiteten Überprüfung können wir nicht von einem Tag auf den anderen vorwegnehmen. Die Notwendigkeit der Überprüfung steht für mich fest.

Das alles ist sinnvoller im Antrag der Koalitionsfraktionen zusammengefasst als in dem der Grünen, der – gestatten Sie mir abschließend die Bewertung – lediglich versucht, die bereits eingeleiteten Initiativen der Landesregierung und der Koalition der Erneuerung aus christlichen Demokraten und FDP für grüne Selbstdarstellung und Parteipolitik auszunutzen. Dass wir das nicht mitmachen wollen, bitte ich Sie zu verstehen. Deswegen wollen wir statt des Antrags der Grünen den Entschließungsantrag von CDU und FDP zu diesem Tagesordnungspunkt beschließen.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Wir empfehlen dem Plenum, diesem Vorschlag zuzustimmen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Henke. – Herr Killewald spricht nun für die SPD.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, Sie wollen den Ministerpräsidenten beim Wort nehmen, dass er sich im Bundesrat für die Regelsatzerhöhung bei Kindern einsetzen will, damit diese Kinder am Mittagessen in den Schulen nun teilnehmen können.

Allerdings haben Sie offensichtlich übersehen, dass das keiner neuen Bundesratsinitiative bedarf, weil das Saarland schon vor Januar aktiv geworden ist. Da hätten Sie besser recherchieren können.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Die Landesregierung hat ausdrücklich angekündigt, das Saarland zu unterstützen. – Allerdings sind Zweifel angebracht; das gebe ich gerne zu. Es stimmt, dass das Saarland einen solchen Änderungsantrag zum SGB II in den Bundesrat eingebracht hat. Aber diese Landesregierung, die angeblich diese Initiative unterstützen will, hat bereits im Februar im Bundesrat einer Beerdigung zweiter Klasse zugestimmt,

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

hat bereits, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, gemeinsam mit allen anderen Ländern im federführenden Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik – der Ausschuss, für den Ihr Haus, Herr Minister Laumann, zuständig ist – die unbefristete Vertagung beschlossen. Das bedeutet in Bundesratsdeutsch soviel wie „Auf Nimmerwiedersehen, ab in die Versenkung“.

Dies macht deutlich, was passiert, wenn man auf das Wort dieser Landesregierung bauen will. Mit leeren Ankündigungen beschädigt sie am Ende noch die grundsätzlich gute Idee, die die Landesregierung mit diesem Fonds verfolgen will.