erreichen, denen im Familienzusammenhang nicht automatisch die Förderung zuteil wird, die sie brauchen. Diese Förderung ist nach Erfahrungen aus Kindergärten bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren am besten dadurch zu gewährleisten, dass man den Eltern stellvertretend für ihre Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für die Betreuung, Bildung und Erziehung ihrer Kinder gibt. Das, was Sie eben gesagt haben, spricht eigentlich für das, was Sie bei der vorherigen Debatte abgelehnt haben.
Herr Laumann, Sie sagen, das gelte besonders für die Migrantenkinder. – Das ist richtig. Warum müssen Sie das aber mit der Formulierung „multikulti“ abwerten – davon spricht heute auch Herr Laschet – bezogen auf Kinder, die in multikulturellen Zusammenhängen leben? Warum sagen Sie nicht: Natürlich sollen sie Deutsch lernen, aber wir wollen auch, dass sie ihre Muttersprache mitbringen, denn wir wollen auch ihr kulturelles Kapital fördern, da wir im globalisierten Zusammenhang der Welt Kinder brauchen, die gut Türkisch, Spanisch oder Russisch sprechen.
Ich möchte Ihnen auch noch Folgendes auf den Weg geben: Sie spielen manchmal Menschen und Interessengruppen gegeneinander aus. Das ist nicht gut für einen Sozialminister. In der Diskussion um die Weiterförderung – Stichwort: Hartz IV – haben Sie ein ergreifendes Beispiel benutzt, das da lautet: Jemand, der lange eingezahlt hat, kann nicht genauso behandelt werden wie ein Alkoholiker, der noch nie etwas für den Staat getan hat. – Warum mussten Sie den Alkoholiker gegen andere ausspielen? Jemand, der aus einer Familie kommt, die schlecht dran ist, kann nichts dafür. Für den muss sich ein Sozialminister genauso einsetzen wie für jemanden, der lange eingezahlt hat und im Alter nicht in Armut fallen soll.
Ich finde, das passt manchmal nicht zusammen. Das ärgert mich, und damit müssen Sie sich aus unserer Sicht auseinandersetzen.
Jetzt komme ich zur Bildungspolitik. Sie glauben, Sie würden mit dem Schulgesetz etwas zur besseren Förderung und Qualifizierung von jungen Menschen tun. – Ich will Ihnen an einem Beispiel, das ich selber als Lehrerin erlebt habe, deutlich machen, warum ich glaube, dass Sie mit Ihrem Bildungsgesetz, Ihrem Schulgesetz, die Weichen falsch stellen. Ich habe unter anderem einen Jun
gen unterrichtet, der in einem sozialen Brennpunkt, der schwierigsten Siedlung, die es in Solingen gab, gelebt hat. Er hätte nie und nimmer eine positive Prognose für das Gymnasium bekommen. Die alleinerziehende Mutter wollte aber, dass es mit dem Kind vorangeht. Daran haben sie gearbeitet. Der Junge ist auf einer Gesamtschule gewesen und hat sich bestens gemacht. Er hat ein Superabitur hingelegt und studiert heute. Dieser junge Mann sagt mir heute: Wenn es Studiengebühren gegeben hätte, dann hätte ich nie studiert.
Das heißt, dass Sie heute den Bildungsgang eines Kindes früher festlegen. Der Junge wäre wahrscheinlich, wenn es die Gesamtschule nicht gegeben hätte, auf einer Hauptschule gewesen und hätte nicht studiert. Sie hätten hier ein Schicksal produziert, das uns möglicherweise an anderer Stelle wieder begegnet wäre. Sie stellen die Weichen heute früher und damit anders.
(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Stefan Rom- berg [FDP]: Jetzt spielen Sie die Menschen gegeneinander aus!)
Ich werbe für ein Schulsystem, welches die Weichen von Kindern nicht so früh, wie Sie es festlegen, nämlich zukünftig mit achteinhalb Jahren, stellt, damit für sie alle Wege offen bleiben. Ich werbe dafür, dass wir uns dafür und Sie sich dafür öffnen.
Eine Familie mit vier Kindern – zwei Kinder über 14 Jahre, zwei Kinder unter 14 Jahre – muss nach dem vorliegenden Reichtums- und Armutsbericht ein Nettoeinkommen von 2.200 € haben. Eine Familie mit vier Kindern, gerade dann, wenn die Kinder noch klein sind, wird es sich kaum leisten können, dass nicht einer der beiden Elternteile zu Hause ist. Jetzt legen Sie einmal neben die 2.200 € netto die Gehaltstabelle von Normalverdienern in diesem Land. Dann werden Sie merken, dass sich bei den Kindern die Armut von selbst ergibt. Das sind ganz normale Familien, die es in unserem Land Hunderte Male gibt.
Glauben Sie, dass das Problem mit einem Rechtsanspruch auf einen teil- oder mitzufinanzierenden Kinderhortplatz bzw. mit einer offenen Ganztagsschule zu lösen ist, bei der die monatlichen Kosten zum Beispiel in der Stadt Münster bei 92 € zuzüglich Mittagessen liegen?
Die Grünen sind dafür, dass es einen Rechtsanspruch gibt, der den Eltern für ihre Kinder die Möglichkeit einräumt, auf eine Infrastruktur zuzugreifen. Wir sind dafür, dass die von den Eltern zu entrichtenden Gebühren sozial gestaffelt sind.
Das heißt: Wenn es sich um Menschen und Kinder aus armen Haushalten handelt, dann haben wir heute schon die Beitragsfreiheit für Kinder sowohl bei der offenen Ganztagsschule als auch bei den Kindergärten. Wir werben ausdrücklich dafür, dass es so bleibt.
Insofern bin ich Ihnen dankbar für Ihre Frage und dafür, dass wir beim nächsten Tagesordnungspunkt darüber reden, was man bei der Infrastruktur und im Bereich des Schulessens tun muss, damit die Kinder, die es sich nicht leisten können, sowohl in der offenen Ganztagsschule als auch im Kindergarten von den Essenszuzahlungen befreit werden.
Worauf es mir vorher ankam, war, meine Bitte deutlich zu machen: Überlegen Sie doch, ob Sie mit der Art und Weise, wie Sie das Schulgesetz angelegt haben, Bildungsgänge nicht zu sehr – nur darum werbe ich – verengen und verknüpfen, sodass Kinder und Jugendliche mit hohem Potenzial durch einen Rost fallen und keine Chancen haben und wir das kulturelle Kapital, was Kinder und Jugendliche – auch Kinder und Jugendliche aus armen Verhältnissen – besitzen, nicht abschöpfen.
Ich erzähle die Geschichte noch zu Ende: Die Mutter wohnt heute auch nicht mehr in dieser Siedlung. Das ist ein erfolgreicher Weg, der durch die offene Bildung, durch Gesamtschulbildung ermöglicht worden ist. Ich glaube, dass wir mit Ihnen auch noch darüber reden können. Bei anderen bin ich da leider skeptisch.
Ich bin gespannt, wie die Debatte – ich nehme die Redezeit nicht voll in Anspruch, Frau Präsidentin – und wie es gleich mit den konkreten Fakten und Ansagen zu unserem Antrag weitergeht, der hervorragend zu der heutigen Debatte passt. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Die Landesregierung möchte doch noch. Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zwei Dinge aus der letzten Runde der Debatte, die mir wichtig erscheinen, noch einmal aufgreifen.
Erstens. Ich möchte erläutern, wie ich mir unseren Umgang mit dem Sozialbericht außerhalb des Parlamentes vorstelle. Im Parlament ist es selbstverständlich nicht allein meine Entscheidung, wie wir vorgehen.
Das MAGS will mit diesem Sozialbericht sehr offen umgehen. Das haben wir dadurch dokumentiert, dass wir Ihnen Ende letzter Woche nicht nur den Sozialbericht, sondern auch eine Zusammenfassung des Sozialberichtes und eine Einladung zu einer Expertenrunde am 10. Juni in Bochum in der Jahrhunderthalle, bei der wir zusammen mit dem DGB über diesen Sozialbericht diskutieren werden, zugestellt haben.
Ich habe Ihnen sogar meinen Sprechzettel für die LPK zur Verfügung gestellt, damit Sie es auch noch einmal pointiert haben. In den nächsten Wochen und Monaten werde ich in allen fünf Regierungsbezirken zu regionalen Konferenzen über diesen Sozialbericht einladen, bei denen ich vor allen Dingen mit den Leuten aus den Sozialabteilungen der Kreisverwaltungen, der Gemeinden, der Stadtverwaltungen, der Argen, der Optionskommunen, wo diese zuständig sind, aber auch mit den Menschen aus den Städten, die im Sozialausschuss tätig sind, über diesen Sozialbericht reden werde.
Ich finde, ein Sozialministerium ist dafür da, dass es mit seinen Erkenntnissen über Menschen in diesem Land, denen es nicht so gut geht, ganz offen umgeht und nicht versucht, die Situation schönzureden. Wir müssen zu einen Dialog finden, da sich die Lage nicht nur mit Möglichkeiten der Landesregierung, nicht nur mit Möglichkeiten der Arbeitsmarktpolitik und nicht nur mit Möglichkeiten der Bildungspolitik in den Griff bekommen lässt, sondern wir brauchen vor allen Dingen auch eine enge Zusammenarbeit mit der Kommunalpolitik.
Dann ist es auch gut, wenn man auf diesen Veranstaltungen nicht alles besser weiß, sondern viel zuhört. Denn mir und sicherlich uns allen bereitet doch die Entwicklung in Bezug auf eine bedeutende Schicht von Menschen, die isoliert leben, was wir alle nicht wollen, viele Sorgen. Manche nennen das Unterschicht, ich sage immer: Das sind Menschen, die von Teilhabe ausgeschlossen sind.
Wie schaffen wir es, die Leute aus ihrer Isolation zu befreien? – Da kann zum Beispiel der engagierte Vorsitzende eines Sportvereins helfen, der sich bemüht, diese in den Fußballverein zu holen. Dieser Vorsitzende ist ganz wichtig, um unser Ziel zu erreichen. Auch der Pastor, der sich darum kümmert, dass Kinder auch aus diesen Gruppen etwa zu den Messdienern gehören, ist ganz wichtig, um diese Probleme zu lösen; ebenso der engagierte Mensch beim Jugendrotkreuz, der sich bemüht, diese Menschen irgendwie in seine Gruppen zu bekommen. Im Übrigen haben gerade viele Jungs – das stelle ich im eigenen Dorf immer wieder fest – eine hohe Affinität zu Angeboten des Roten Kreuzes, gerade dann, wenn sie praktisch veranlagt sind. Die Angebote mit den Autos und Zelten sind eben schön.
In diesem Bereich gibt es sehr viel Engagement in diesem Land. Ich finde, dass wir dort Mut machen müssen, um das Sich-Entwickeln einer Unterschicht in diesem Land – ich nehme das Wort im Zusammenhang mit Menschen nicht gerne in den Mund – mit allen Mitteln zu verhindern. Da gibt es doch viele Gemeinsamkeiten gerade unter Sozialpolitikern.
Zweitens. Herr Kollege Garbrecht, wir dürfen nicht davon sprechen – vielleicht haben Sie es nicht so gemeint –, wir hätten Hungerlöhne. Natürlich haben wir Lohnentwicklungen, die sich schwierig gestalten; dazu führe ich gleich noch aus.
110.000 Beschäftigte mit Grundvergütungen von weniger als 1.300 €. Dazu Folgendes, denn das ist der Punkt bei den gesetzlichen Mindestlöhnen: Tariflöhne von weniger als 7 € werden in nennenswertem Umfang gezahlt in Bäckereien, Eiscafes, im Erwerbsgartenbau, Fleischerhandwerk, in der Floristik, in Friseurbetrieben, Gaststätten, im Hotelgewerbe, in der Systemgastronomie, im Konditorenhandwerk, in der Landwirtschaft und bei Zeitarbeit. Ich betone: Tariflöhne. Diese haben Tarifvertragsparteien festgelegt. Das ist nicht ein Lohn, der einseitig vom Arbeitgeber festgelegt worden ist.
Tariflöhne unter 6 € haben wir bei den Saisonkräften in den Gärtnereien, in den Floristikbetrieben, im Friseurhandwerk, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in der Landwirtschaft.
Das heißt also, dass Sie die Frage von Einkommensarmut nicht allein an der Debatte über Mindestlöhne aufhängen dürfen. Das ist ein Trugschluss. Viele Leute aber wollen das hören, weil es anscheinend ein einfaches Instrument ist nach dem Motto: Wir müssen es nur nutzen, dann sind unsere Probleme gelöst.
Dann möchte ich nicht außen vor lassen, dass wir, wenn ich die Presseberichterstattung über niedrige Löhne in den letzten Wochen im Land richtig ausgewertet habe, im Reinigungsgewerbe, im Hotel- und Gaststättenbereich, im Wach- und Sicherheitsdienst, im Friseurhandwerk, in der Fleischereibranche und bei den Brief- und Paketdiensten Tendenzen zu Dumpinglöhnen verzeichnen.
Aber ich will ganz ruhig sagen: Lassen Sie mir doch noch ein paar Monate Zeit und gucken Sie sich dann an, wie viele Branchen übrigbleiben, bei denen wir am Ende keine tarifliche Allgemeinverbindlichkeit erreichen.
Die Allgemeinverbindlichkeit erklärt ist bereits für Hotels und Gaststätten, für Wach- und Sicherheitskräfte und für das Reinigungsgewerbe; für Letzteres über die Entscheidung in Berlin, dass es in das Entsendegesetz aufgenommen wurde, was ja das Vorliegen der Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfordert.