Protocol of the Session on May 24, 2007

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zu nennen sind auch die Drogen- und Suchtberatung sowie die Beratungsstellen,

(Wolfram Kuschke [SPD]: Spielsucht!)

die Arbeitslosenberatungsstellen, die eine ganz wichtige Funktion haben. Wir haben darüber schon diskutiert, auch im Ausschuss.

(Rudolf Henke [CDU]: Wie viele Stellen sind denn dadurch entstanden? – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Wie viele Kosten sind dadurch eingespart worden?)

Im Übrigen wollen Sie die Zahl dieser Stellen reduzieren.

Also: Die Behauptung, frühere Landesregierungen und frühere Parlamentsmehrheiten hätten keine Konsequenzen gezogen, entspricht nicht der Wahrheit.

Wir haben lange gebraucht, um auf gleichem Level zu diskutieren. Da ging es um die Definition von Armut. Die CDU hat zehn Jahre gebraucht, die FDP braucht wahrscheinlich noch fünf Jahre,

(Zurufe von der SPD: Länger!)

wenn ich Herrn Dr. Romberg eben richtig verstanden habe, um nachzuvollziehen, dass der, der nur über 50 % des Durchschnittseinkommens verfügt, in diesem Land als relativ einkommensarm gilt. Es war ein langer Diskussionsprozess mit der Union, um zu dieser Definition zu kommen. Ich kann mich noch gut erinnern, welche Diskussionen ich als Sozialpolitiker vor Ort mit dem CDU-Sozialdezernenten der Stadt Bielefeld in dieser Frage hatte. Ich bin froh, dass wir uns zumindest auf dieser Ebene einander genähert haben.

Die Ergebnisse können nicht überraschen. Der Sozialbericht, der Armuts- und Reichtumsbericht, steht in einer langen Reihe. Es gibt zwei solcher Berichte auf der Ebene des Bundes. Ihre Einlassung, Herr Minister, die Sie im Deutschen Bundestag zu diesem Punkt gemacht haben, gucke ich mir noch einmal an. Das habe ich bei der Vorbereitung der heutigen Rede leider versäumt.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Menschen in bestimmten Lebenslagen, Familien mit mehreren Kindern, Alleinerziehende, verbunden mit geringem Bildungsstand und Qualifikationsniveau, sitzen sozusagen in der Armutsfalle fest. Der Rückgang der Zahl normaler Arbeitsverhältnisse, die rasante Zunahme der Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, die sinkende Lohnquote im Land, die Aufteilung in Stamm- und Randbelegschaft – all das dreht die Spirale noch schneller nach unten. Das Risiko, aus einer relativ gesicherten sozialen Position in Armut zu geraten, ist heute größer als die Chance, sich aus diesem Bereich herauszubewegen.

Wir haben es also mit einem verfestigten Kern von Menschen zu tun, die in Armut leben. In der Sozialpolitik reden wir seit Jahren von Generationen, die von Transferleistungen leben. Wir suchen händeringend nach Lösungen, wie wir diesen Teufelskreis durchbrechen können. Das gelingt natürlich mit mehr Teilhabe, mit gleichen Bildungschancen. Aber es geht auch um die Frage – ich bin dankbar: die Kollegin Steffens hat das eben angesprochen – der Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land. Wir reden über Armut und Reichtum. Dieser Frage kann man nicht entgehen. Sie sind ihr leider ausgewichen.

Es geht um die Frage einer solidarischen Gesellschaft. Es geht auch darum, wie wir in unserer Gesellschaft die in ihr wirkenden Zentrifugalkräfte umkehren können, wie wir mehr Zusammenhalt und Solidarität erreichen können. Diejenigen politischen Kräfte in unserem Land – ich will nicht nur den Landtag, sondern das Land insgesamt ansprechen –, die der Privatisierung von Lebensrisiken das Wort reden, die nach der Maxime „Privat vor Staat“ handeln, die die Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse in einem Land im Prinzip als politische Priorität aus dem Blick verloren haben, die versöhnen nicht, die führen die Gesellschaft nach unserer Überzeugung nicht zusammen, sondern sie spalten.

(Beifall von der SPD)

Das, meine Damen und Herren, können auch salbungsvolle oder energische Reden nicht verdecken.

(Beifall von der SPD)

Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Wer die Kraft nicht aufbringt – Sie sind zwei Jahre in der Regierungsverantwortung –, wer es trotz zweijähriger ständiger Diskussion hier im Hause unterlässt, den Kindern unseres Landes, die in Armut leben – deren Zahl ist auch von 2005 bis 2007 gestiegen –, Lernmittelfreiheit real zu gewähren und nicht nur davon zu reden, die Teilnahme an der OGS, an schulischen Angeboten und am Essen zu ermöglichen, wer trotz aller vollmundigen Behauptungen nicht in der Lage ist, dies innerhalb von zwei Jahren zu realisieren, der darf sich hier heute nicht hinstellen und sagen: Wir sind sozusagen die Speerspitze im Bekämpfen von Kinderarmut.

Im Übrigen war eine Konsequenz, die die SPDFraktion aus dem letzten Sozialbericht gezogen hat, die Einrichtung einer Enquetekommission, die sich genau mit diesem Themenfeld beschäftigt hat.

(Beifall von der SPD)

In anderen Lebensverhältnissen würden Sie sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. Das hat mit solidarischem oder christlichem Verständnis jedenfalls nach meiner Einschätzung nichts zu tun. Sie bekämpfen in diesem Fall nicht die Armut, sondern Sie verstärken diese Prozesse. Das ist die Wahrheit!

(Beifall von der SPD)

Mit zukunftsgerichteter, generationengerechter Politik – Herr Kollege Klein hatte gestern auch davon gesprochen – hat das nichts zu tun.

Wir wären froh, Herr Minister, wenn der von Ihnen gestern postulierte Konsens, dass wir gemeinsam als Parlament für existenzsichernde Löhne eintreten, wirklich eine tragfähige Basis wäre. Ich sehe diese tragfähige Basis nicht.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Ich wiederhole: Wir nehmen auch in NRW die gezahlten Hungerlöhne duldend hin und machen sie weiter salonfähig, weil wir sie mit Transferzahlungen aufstocken. Das ist die Grundlage dafür, dass die Unternehmen solche Hungerlöhne zahlen können, meine Damen und Herren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir zahlen sie. Wir subventionieren die Hungerlöhne in diesem Land, die bei der Fleischindustrie Ostwestfalens bei 3,78 € in der Stunde liegen. Herr Minister, Sie können da nicht mit Allgemeinverbindlichkeit kommen, sondern Sie müssen sich

der Frage nach dem Mindestlohn konstruktiv stellen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich will meinen Beitrag nicht wiederholen. Ich weiß: Auch der Mindestlohn – darin stimme ich Ihnen zu – ist nicht das Allheilmittel. Aber er ist ein ganz wichtiger Schritt.

Ich will Ihnen noch einmal die Zahl vorhalten, weil wir auch über Geld reden: Mit 720 Millionen € finanzieren die Städte dieses Landes im Prinzip die Existenz von Hungerlöhnen.

(Widerspruch von Minister Karl-Josef Lau- mann)

Ich glaube, wenn es darum geht, Menschen aus der Armutsfalle zu holen, brauchen die Kommunen dieses Geld. Daher ist das eine fehlgeleitete Sozialpolitik. Ich appelliere ausdrücklich an Sie: Nehmen Sie sich endlich dieses Themas an!

(Beifall von der SPD)

Es fehlt also nicht an Geld, sondern es ist fiskalisch und sozialpolitisch mit katastrophalen Wirkungen falsch geleitet.

Ich sage Ihnen auch: Sie dürfen nicht nur energische Reden halten, sondern Sie müssen dann auch die Diskussion in Ihrem Lager führen. Was wollen Sie denn? Wollen Sie existenzsichernde Löhne? Oder wollen Sie den Ausbau des Niedriglohnsektors? Wer den Ausbau des Niedriglohnsektors über die Dinge hinaus will – das ist auch im Bericht geschildert –, wird nicht zu einer konsequenten Armutsbekämpfung kommen.

(Beifall von der SPD)

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der alle demokratischen Parteien in diesem Land betrifft.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Ich bin sofort am Ende meiner Rede, Frau Präsidentin.

Wir müssen uns die Frage stellen: Wie viel Armut und Ausgrenzung verträgt eine demokratische Gesellschaft? Sie kennen die Untersuchungen über die geringe Wahlbeteiligung und über das Ausklinken aus der demokratischen Gesellschaft in bestimmten Wohnquartieren. Dieser Frage müssen wir uns stellen.

Und ich füge hinzu: Der Verkauf dieser Quartiere an internationale Finanzinvestoren wird die soziale Sicherheit und Basis nicht schaffen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Das Ende der Redezeit wird erneut signalisiert.)

Ein letzter Punkt, Frau Präsidentin. Die anderen Redner haben auch ein bisschen überzogen, wenn ich das sagen darf.

Bis jetzt noch nicht!

Die Armutsrisiken lassen sich auch geografisch festmachen. Das ist mein letzter Punkt. Er ist, finde ich, noch wichtig, denn der Minister wird gleich dazu auch Stellung nehmen. In den großen kreisfreien Städten entlang der Ruhrschiene sowie in den Städten Köln, Bielefeld, Aachen, Wuppertal gibt es das höchste Armutsrisiko. Ich sage Ihnen: Im Ausgleichsverfahren der Wohngeldersparnis benachteiligen Sie genau diese Städte!

Herr Kollege!

Es wird keine bedarfsorientierte Förderung zur Bekämpfung des Armutsrisikos gegeben, sondern Sie bestrafen die Städte. Die Stadt Gelsenkirchen, die die höchste Sozialhilfequote bei Kindern aufweist, schurigeln Sie als Land, wenn sie etwas für Kinder tun will.

Herr Kollege, ich darf Sie jetzt wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.

Meine Damen und Herren, beschreiben ist eine Sache.