Herr Minister, wenn Sie sagen, die alte Landesregierung habe nichts getan, müssen wir hier Zweierlei feststellen: Diese Sozialberichterstattung gibt es schon lange. Ein Ergebnis dieser langen Tradition der Sozialberichterstattung war zum Beispiel das Bemühen der alten Landesregierung, die offene Ganztagsschule einzuführen.
Die Einführung der offenen Ganztagsschule haben die Mitglieder Ihrer Partei und Sie persönlich noch am Anfang dieser Legislaturperiode bekämpft und im Wahlkampf als ungeeignetes Mittel gegen soziale Ausgrenzung bezeichnet.
(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Wir haben die Zahl der Lehrerstellen erhöht! – Gegenrufe von der SPD)
Herr Lindner, ich will einmal auf die FDP eingehen. Seit mehreren Tagen – es sind nicht ganz zwei Wochen – versuchen Sie, ein neues Image zu bekommen: ein soziales Image für die FDP.
Dazu muss man sich noch einmal ein Wort Ihres wirtschaftspolitischen Sprechers vergegenwärtigen, das gestern gefallen ist, als es um die Mindestlöhne ging. Er hat gesagt: Wir haben schon einen Mindestlohn, und dieser heißt Hartz IV.
(Beifall von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Ein Zyniker, der Herr Lindner! – Christian Lindner [FDP]: Das ist die ökono- mische Realität!)
Herr Lindner, eines möchte ich Ihnen – den Mitgliedern der Landesregierung und der Regierungsfraktionen – nicht vorenthalten: Sie sagen, Sie hätten in diesen zwei Jahren schon gehandelt. Der Herr Minister hat auf seinem Sprechzettel die verschiedenen Maßnahmen der Landesregierung in den letzten zwei Jahren aufgelistet, die nach Ihrer Ansicht das Ziel haben, die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen.
Herr Minister, dann verstehe ich aber eines nicht, nämlich das Urteil der Sozialverbände, die Ihnen mehrfach folgenden Satz in Ihr Stammbuch geschrieben haben:
„Haushaltssanierungen sind dann keine Sozialpolitik für die Zukunft, wenn die Interessen unserer Kinder heute geopfert werden, um diese schuldenfrei zu den Verlierern von morgen zu machen.“
Es ist auch sehr verwunderlich, wie Sie den Tagesordnungspunkt – dessen Titel ich Ihnen gerade vorgelesen habe – benutzen. Sie benutzen also die Armutsbilanz von Nordrhein-Westfalen, für die wir uns zum Teil wirklich richtig schämen müssen, denn es kann nicht sein, dass wir der Spaltung der Gesellschaft tatenlos zusehen: auf der einen Seite mehr Reichtum und auf der anderen Seite immer mehr Armut und immer mehr Menschen, die unter – in Anführungszeichen – „Armen“ – Sie haben das vorhin mit allem Für und Wider erläutert – leben müssen.
Dass Sie das ständig als Abschlussbilanz titulieren und nicht sagen, was Sie in Zukunft machen wollen, zeigt auch Ihre Ohnmacht gegenüber dem Finanzminister. Sie sind nicht in der Lage, entsprechende Programme zu begründen. Ich hoffe, dass Ihnen das mit dem jetzigen Zahlenwerk vielleicht besser gelingt und nicht nur ESF-Mittel in bestimmte Kanäle, die nötig sind, geleitet werden.
Wir Sozialdemokraten werden weder ideenlos noch konzeptionslos reagieren. Klar ist schon heute, dass es nicht ausreichen wird, die Landesaufgabe auf die Moderation zu beschränken, Herr Minister.
Es gibt Aufgabenfelder, die helfen können, Armut zu bekämpfen, die klar in Landesverantwortung liegen. Beispielhaft können aufgeführt werden:
Erstens. Armutsbekämpfung heißt: mehr Ganztagsangebote im Elementarbereich und in der Schule machen.
Zweitens. Armutsbekämpfung heißt: den U3Rechtsanspruch schneller als geplant realisieren. Die Kollegin Kraft hat heute Morgen schon gesagt, wir hätten ihn gern viel früher gehabt; Ihre Partei wollte erst 2013.
Drittens. Armutsbekämpfung heißt: Beitragsfreiheit für den Elementarbereich umsetzen. Da bin ich sehr beruhigt, weil ich gelesen habe – ich habe es selber nicht erlebt –, dass sich der Ministerpräsident dieses Landes in der Grundsatzkommission der CDU bundesweit für diese Beitragsfreiheit einsetzt.
Zumindest wird von diesem Widerspruch geschrieben. Ich kann gerne eine entsprechende Presseerklärung von dieser Woche zitieren.
Viertens. Armutsbekämpfung ist möglich durch gemeinsame Mahlzeiten in Schule und Elementarbereich. Wir haben schon seit Monaten gefordert, das Schulgesetz entsprechend umzugestalten und eine Ausweitung auf den Elementarbereich vorzunehmen.
Sechstens. Armutsbekämpfung ist möglich, Herr Minister, durch eine aktivere Rolle des Landes in der Gesundheitsvorsorge von der frühkindlichen Phase bis zum Jugendalter.
Herr Minister, Sie haben noch angesprochen, wieso die alte Landesregierung nach der letzten Sozialberichterstattung nichts gemacht hat. Darauf möchte ich noch eingehen. Im Dezember 2004 – sechs oder fünf Monate vor der Landtagswahl 2005 – ist dieser Sozialbericht nach meinen Unterlagen veröffentlicht worden.
Dann hat die Landesregierung entschieden, um den Sozialbericht nicht in den Vorwahlkampf hineinzuziehen – das waren berechtigte Befürchtungen, Herr Minister, weil Ihre Partei das aufgrund seiner Veröffentlichung getan hat –, ihn
Im Fachausschuss war das Thema auf der Tagesordnung. Sie hätten jederzeit fordern können, es auch im Plenum auf die Tagesordnung zu setzen. Das haben Sie aber nicht getan. Ich kann also diese Frage schlicht und einfach zurückgeben, Herr Minister. Ihre Partei hat es auch nicht auf die Tagesordnung gesetzt.
Daher geht die Frage an die Fraktionen und insbesondere den Ministerpräsidenten, der damals Fraktionsvorsitzender der CDU war. Insofern ist diese Frage zwar möglich, aber Sie müssen erst einmal sich selber und Ihre Fraktion fragen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Killewald. – Für die CDU-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Henke das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Karl-Josef Laumann, dem Ministerpräsidenten und der gesamten Regierung herzlichen Dank dafür, dass wir die Chance bekommen, das Thema im Plenum vor den Augen und unter Anteilnahme der nordrhein-westfälischen Öffentlichkeit zu diskutieren. An diesen Ort gehört es. Herr Killewald – Sie waren damals nicht persönlich dabei und nicht verantwortlich, aber Sie haben Ihre Aussagen wohl bei Ihrer heutigen Fraktionsvorsitzenden überprüft –, Sie haben Ihre alte Regierung entlarvt, wie sie damals mit diesen Fakten vor der Landtagswahl umgegangen ist.
Zweitens. Der Inhalt des Sozialberichts – die beklemmenden Befunde und Beobachtungen – ist uns allen bekannt. Jetzt sagen Sie: Ja, aber es ist ganz falsch, das als Abschlussbilanz darzustellen. – Ich verstehe das überhaupt nicht, weil 2003, 2004 und 2005 nun einmal die Jahre sind, über die dort berichtet wird. Die Daten stammen aus 2003 und 2004. Wer damals die Entwicklung in Deutschland aufmerksam registriert hat, über die der Bericht mit einer sehr aufwendigen Methodik in einem sehr präzisen Rückblick auf 2003, 2004 und 2005 Zeugnis
Diejenigen, die das so darstellen, als wäre er eine Momentaufnahme – das habe ich an der einen oder anderen Stelle gelesen –, haben mit folgender Aussage nicht recht: Ihr präsentiert nach zwei Jahren als Landesregierung eine Erfolgsbilanz, und wenn man diesen Sozialbericht liest, zeugt er davon, dass Armut im Lande herrscht und es schlimmer geworden ist, als es war, und daran seid ihr jetzt schuld. – Diese Darstellung, die zum Teil zu lesen war, ist grundverkehrt. Deswegen habe ich volles Verständnis dafür, dass jemand, der wie der Minister für die Richtigkeit dieses Berichts Verantwortung trägt, hier darlegt: Jawohl, das ist die Abschlussbilanz 2003/2004.
Ich füge hinzu: Natürlich enthält sie eine Berichterstattung von der Schattenseite der damaligen Gesellschaft, natürlich spiegelt sie wider, wie es damals in Deutschland allmählich kälter und auf der Schattenseite dunkler wurde. Die Bilder, die der Sozialbericht zeichnet, mögen präziser und detailreicher und wissenschaftlicher sein als die unmittelbare Wirklichkeitswahrnehmung, aber die Wahrnehmung der Wirklichkeit, die er enthält, ist für uns alle eine der Triebkräfte gewesen, auf den Wechsel hinzuarbeiten, den wir 2005 erreicht haben. Diese Verhältnisse zu verbessern, ist einer der Gründe gewesen, warum wir den Kampf aufgenommen und uns in 2004 und 2005 so bemüht haben, sowohl im Land als auch im Bund die Mehrheitsverhältnisse zu verändern.
Das ist einer der Gründe dafür gewesen, warum wir in den Kampf gegangen sind und warum wir uns in 2004 und 2005 so sehr darum bemüht haben, sowohl im Land als auch im Bund die Mehrheitsverhältnisse zu verändern, nämlich weil wir einen Richtungswechsel wollten und weil wir mit dem Neuanfang in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland gegen diese Verhältnisse kämpfen wollten, die damals so waren, wie sie der Bericht beschreibt.
Inzwischen hat dieser Neuanfang begonnen. Wir Christdemokraten gestalten diesen Neuanfang in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit den Freien Demokraten und – weil die Wahlergebnisse auf Bundesebene so sind, wie sie waren, und somit eine daraus resultierende Verantwortung in Berlin besteht – in Berlin gemeinsam in der großen Koalition, gemeinsam mit Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei.