„In Nordrhein-Westfalen wären dies rund 540.000 Kinder. Ursache für diese Entwicklungen sind grundlegende, langfristige Strukturprobleme einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft, die mit den verfügbaren Instrumenten der sozialen Absicherung aus den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht zu bewältigen sind. Armutslagen sind immer weniger vorübergehende Problemlagen kleiner, überschaubarer Bevölkerungsgruppen, vielmehr handelt es sich um dauerhafte Erscheinungen, die weite Teile der Bevölkerung betreffen. In ihren Auswirkungen sind dabei manche stärker betroffen als andere, dazu zählen Einelternfamilien und Familien mit mehreren Kindern. Leben in relativer Armut stellt häufig nicht nur vorübergehende Lebensphasen für diese betroffenen Kinder dar, erfahrene Benachteiligungen haben in vielen Fällen langfristig negative Konsequenzen.“
Armut nur auf die reduzierten finanziellen Möglichkeiten zu beziehen, entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Durch Armut wird die Lebenssituation der gesamten Familie belastet. Kinder und Eltern brauchen Unterstützung, um diesem Teufelskreis zu entfliehen. Es darf nicht so sein, dass man an der Adresse eines Kindes oder an seinem Glück, in eine bestimmte Familiensituation hineingeboren zu sein, die Lebensperspektive ablesen kann.
Hauptgrund für Kinderarmut ist die Arbeitslosigkeit der Eltern oder etwa die Lebenssituation von Familien mit nur einem Elternteil oder, wie ich eben schon sagte, von Familien mit mehreren Kindern. Kinderarmut kann also nicht allein auf Hartz IV zurückgeführt werden. Wir behandeln heute ein Thema, bei dem die Fakten eindeutig sind, und deshalb – das sagte ich eben schon – freue ich mich auf die konstruktive Diskussion.
In diesen Tagen veröffentlichte das Land den Armutsbericht und den Reichtumsbericht; wir haben eben darüber gesprochen. Demnach leben in Nordrhein-Westfalen in 2 Millionen Familien mit Kindern bis zum Alter von 18 Jahren 3,3 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 18 Jahren. Und jetzt kommt die Herausforderung, der wir uns stellen müssen: Fast jedes vierte Kind lebt in einem einkommensschwachen Haushalt. Mit 25 % tragen also Kinder und Jugendliche ein überdurchschnittliches Armutsrisiko.
der Zuwanderungsgeschichte dazukommen. Kinder aus einkommensschwachen Haushalten haben ungünstige Gesundheitsperspektiven. Spätestens hier sollten wir sehr aufmerksam werden. Darüber werden wir morgen noch einmal sprechen.
Ich sage ausdrücklich: Nicht jedes Kind hat das Lebensglück, in eine einkommensstarke Familie geboren zu sein. Aber wir müssen sehr deutlich festhalten, dass einkommensschwache Eltern oder Eltern mit durchschnittlichem Einkommen oft herausragende Eltern sind und sein können. Das hat nichts miteinander zu tun, und das sollten wir hier auch nicht so diskutieren. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich komme aus einem Haushalt mit fünf Kindern; da war Geld knapp.
Festgehalten werden muss: Das Armutsrisiko steigt mit der Anzahl der Kinder im Haushalt und insbesondere in Abhängigkeit von der Erwerbstätigkeit der Elternteile. Im Durchschnitt liegt das Armutsrisiko in unserer Gesellschaft bei etwa 14 %. Mit Kindern steigt es auf 22 %, Alleinerziehende haben ein Armutsrisiko von 38 %. Das darf nicht so bleiben.
Noch einmal: Ein wesentlicher Lösungsfaktor ist die Erwerbstätigkeit. Sie vermeidet Kinderarmut. Die jüngste positive Entwicklung der Wirtschaft, die hoffentlich noch lange anhält und die sich erfreulicherweise insbesondere in NordrheinWestfalen bemerkbar macht, reduziert Arbeitslosigkeit und damit auch das Risiko von Kinderarmut.
Unsere Aussage im Wahlkampf 2005 „Sozial ist, was Arbeit schafft“ wird hier in vollem Umfang bestätigt. Mehr Arbeitsplätze helfen den Familien, Eltern und Kindern mehr als jede staatliche Förderung. Trotzdem ist die Not groß, und wir brauchen wohl auch die staatliche Förderung. Der Sozialbericht Nordrhein-Westfalen 2007 legt dazu bemerkenswerte Zahlen vor, und ich kann nur jedem in diesem Hohen Hause eine gründliche Lektüre empfehlen.
„Kinder brauchen mehr“ darf nicht nur auf Geld und Hartz IV bezogen werden. Kinder brauchen Förderung, Anerkennung, Zuneigung, Aufmerksamkeit und Liebe. Kinder brauchen eine feste Bezugsperson. Kinder brauchen gesunde, ausreichende und regelmäßige Ernährung. Hier sind einige Fragen offen. Kinder brauchen Bewegung und nachhaltige medizinische Versorgung und Vorsorge. Kinder brauchen gute Bildung in schulischer und persönlichkeitsbildender Förderung im sozialen und kulturellen Bereich. Kinder brauchen
Wir mussten 2005 feststellen, dass die Bildungsarmut in unserem Land oft an soziale Armut gekoppelt war und leider heute auch oft noch ist. Wir sind dabei, diese Entwicklung gemeinsam aufzubrechen. Ich fordere Sie auf: Machen Sie mit! Es gehört zu der Geschichte unseres Landes und Ihrer Geschichte, liebe Damen und Herren von der Opposition, dass diese beschämende Situation entstanden ist. Es gibt noch sehr viel zu tun, und es wird ein weiter Weg.
Ich komme zum Schluss. Auch unsere Familienzentren sind ein Instrument, die Armut von Kindern zu bekämpfen. Dazu zählen die Beratung und Unterstützung von Familien genauso wie die frühkindliche Erziehung. Dazu zählen die wichtige Elternbildung und Erziehungspartnerschaften genauso wie die Tagespflege, die Sprachförderung oder die Sicherstellung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu zählt der konsequente Sozialraumbezug in den Familienzentren genauso wie die konsequente Kooperation mit verschiedenen Anbietern, die sich auf diesem Feld schon betätigen und bei denen ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken will.
Lassen Sie uns im Fachausschuss nicht nur über Herrn Hartz sprechen, sondern darüber, wie wir den Weg fortsetzen, Nordrhein-Westfalen zum kinder- und familienfreundlichsten Bundesland zu machen. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir können in der Tat mit diesem Antrag direkt an die Diskussion, die wir vorhin bei der Aussprache zu dem Armuts- und Reichtumsbericht geführt haben, anknüpfen.
Dieser Bericht hat die Notwendigkeit mehr als deutlich gemacht, sich in Nordrhein-Westfalen mit der herrschenden Kinderarmut auseinanderzusetzen. Die Sozialverbände haben meines Erachtens völlig zu Recht bei der Bewertung dieses Berichts Alarm geschlagen und unser Augenmerk insbesondere auf Kinder gerichtet. Der vorliegende Antrag – dafür bin ich der Fraktion der Grünen außerordentlich dankbar – gibt uns Gelegenheit, genau dies in den Fokus zu nehmen. Denn wir haben es jetzt schwarz auf weiß: Kinder in Nordrhein-Westfalen – Herr Kern, Sie haben es in Ih
Es gilt für alle Bundesländer, dass die Armut von Kindern überproportional steigt und gestiegen ist. Doch in keinem Land – das müssen wir leider feststellen – der Bundesrepublik ist der Anstieg der Kinderarmut so hoch wie hier. Um ein bisschen über den Sozialbericht hinaus zu blicken – seine Zahlen enden ja nicht im Jetzt, sondern in der Vergangenheit –, habe ich mir erlaubt, die Zahlen der Sozialgeldbezieher in den letzten beiden Jahren hinzuzunehmen. Da muss ich feststellen, dass in diesen beiden Jahren die Zahl der Sozialgeldbezieher mit Kindern extrem, um nicht zu sagen: dramatisch gestiegen ist.
Das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt zeigt auf: Je jünger ein Kind ist, desto höher ist sein Armutsrisiko. Immer mehr Kinder wachsen bereits in ganz jungen Jahren in einkommensarmer Umgebung auf, und – das haben Sie, Herr Kern, ebenfalls bestätigt – je früher Kinder von Armut betroffen sind, desto geringer sind ihre Chancen, je wieder aus der prekären Situation herauszukommen. Frau Holz von dem oben genannten Institut beschreibt dies in ihrem Beitrag „Lebenslagen und Chancen von Kindern in Deutschland“ wie folgt:
„Je früher, je schutzloser und je länger Kinder einer Armutssituation ausgesetzt sind, desto rasanter fährt der Fahrstuhl nach unten und umso geringer wird die Möglichkeit, individuell die eigentlichen Potenziale herauszubilden und Zukunftschancen zu bewahren.“
Gleichzeitig weisen Sozialwissenschaftler darauf hin, dass Kinder, die in materieller Armut leben – ich bin Herrn Kern außerordentlich dankbar dafür, dass er diesen Zusammenhang ebenfalls dargestellt hat, also auch so sieht –, sich in viel höherem Maße als nicht arme Kinder auch in kultureller Armut sowie in sozial und gesundheitlich prekärer Situation befinden.
Wem diese wissenschaftliche Darstellung und mit Zahlen untermauerte Analyse zu wenig unter die Haut geht, der mag sich mit ganz alltäglichen Schilderungen von Erzieherinnen auseinandersetzen. Ein Beispiel: In Tagesstätten ist es durchaus selbstverständlich, dass sie einen zusätzlichen Beitrag erheben, um mit den Kindern gemeinsam einmal die Woche ein gesundes Frühstück organisieren und dafür einkaufen gehen zu können. Dann gibt es aber Kinder, deren Eltern diesen Sonderbeitrag nicht aufbringen können. Das führt dann dazu, dass Eltern aus Scham an diesen Tagen, an denen das fällig ist, ihre Kinder
nicht in die Einrichtung bringen. Oder Erzieherinnen berichten, dass Kinder ohne Frühstück in die Einrichtung kommen und den anderen Kindern, die ein Frühstück mitgebracht haben, sehnsüchtig zuschauen, was sie dann dazu veranlasst, dass sie ihre privaten Essensmitbringsel verteilen. Das kann aber keine Lösung sein.
Zusammenfassend bleibt festzustellen: Die Defizite, die bei Kindern unter sechs Jahren festzustellen sind, verfestigen sich im Grundschulalter und erst recht darüber hinaus. Daher kann es – Kollege Kern zeigt in der Beschreibung der Ist-Situation eine große Übereinstimmung mit uns auf – für uns politisch doch nur eine Antwort geben. Wir müssen überall dort, wo wir Gestaltungsmöglichkeiten haben, Armut von Kindern bekämpfen, nicht nur um der Kinder willen, sondern auch um die Zukunft unserer Gesellschaft zu sichern.
Aber – jetzt kommt der Knackpunkt, wo wir uns, meine ich, unterscheiden und worüber wir uns im Ausschuss im Detail auseinandersetzen müssen –: Welche strukturellen Maßnahmen ergreifen Sie in Nordrhein-Westfalen, um daran tatsächlich etwas zu verändern?
Fangen wir mit dem Elementarbereich an. Das Stichwort Kinderbildungsgesetz ist heute bereits gefallen. Wenn Sie Strukturen schaffen mit einem Gesetz, das Sie Kinderbildungsgesetz nennen, das Eltern zwingt, aus Kostengründen die kürzeste Betreuungsform zu wählen, dann ist dies nicht förderlich. Wenn Sie gleichermaßen Kommunen, die sich in der Haushaltssicherung befinden, also diejenigen Kommunen, die die schlechteste Sozialstruktur aufweisen, zwingen, die höchsten Elternbeiträge zu erheben, um über die Runden zu kommen, dann ist dies nicht förderlich, um die Armut von Kindern abzubauen.
In Bezug auf das Problem der Sprachstandsfeststellung – wir haben das mehrfach betont, dass auch wir Kinder so früh wie möglich fördern wollen – kann ich Ihnen mehrere Einrichtungen nennen, auch aus meiner Kommune, in der zukünftig Sprachförderung reduziert wird. Das ist ein Beispiel, das mir unter die Haut gegangen ist. Wir haben eine durchaus große Einrichtung, die in den letzten Jahren grundsätzlich sieben Fördergruppen von jeweils zehn Kindern hat, in denen Sprachförderung stattfindet. In dieser Einrichtung wurde beim Sprachfeststellungstest in der ersten Runde bei 50 Kindern festgestellt, dass sie offensichtlich Förderbedarf haben. Was glauben Sie, wie viele Kinder nach der zweiten Runde übrig
Hat das etwas damit zu tun, dass Sie den Test nicht richtig angelegt haben? – Ich meine, er hat den Realitätstest nicht bestanden und löst gleichzeitig eine unsägliche Diskussion in den Kindertagesstätten aus; denn die Eltern kommen mit dem Testbogen in die Einrichtung und sagen: Das hat eine Lehrerin festgestellt; mein Kind hat fünf Punkte – zwar von 69, aber es benötigt keinen Förderbedarf mehr. – Das ist mehr als kontraproduktiv. Das heißt, Sie werden mit dem, was Sie eingeführt haben, Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht.
Ich schließe gleich an dem Punkt Schulgesetz an. Die Stichworte sind schon genannt worden. Sie mit Ihrer Mehrheit hätten die Chance gehabt, im Schulgesetz die Lernmittelfreiheit zu verankern, die warme Mahlzeit für Kinder zu verankern. Aber Sie haben es nicht getan. Stattdessen haben Sie wiederum strukturelle Maßnahmen ergriffen, die zu einer Selektion führen. Die Abschaffung der Schulbezirksgrenzen, die dazu führt, dass gut situierte Eltern ihre Kinder auf wenige Grundschulen konzentrieren können …
Auch wenn es Ihnen nicht passt, nehmen Sie die Realität wahr! Sie erheben Ansprüche, Sie stellen Anforderungen auf, aber Ihre Realpolitik bewirkt genau das Gegenteil.
Ich bin gerade so gut drin. – Dieses Selektionsprinzip verfolgen Sie weiter, indem Sie das Turboabitur am Gymnasium verbindlich machen und es mit der Einführung von Studiengebühren an den Hochschulen fortsetzen. Das Motto kann man groß drüberschreiben: Wer arm geboren wird, muss auch arm bleiben! – Ihre Politik stellt nicht Wasser zum Löschen der Feuer bereit. Nein, Sie gießen zusätzlich Öl hinein!
Für meine Fraktion sage ich: Dies ist nicht unsere Politik. Eine solche Politik ist mit unserem Menschenbild nicht vereinbar. Ich freue mich auf die interessante Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Für die Fraktion der FDP hat jetzt Kollege Dr. Romberg das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist drei Monate her, dass wir hier im Plenum über einen Antrag der Grünen beraten haben, der sich gleichfalls mit dem Thema Regelsätze beschäftigte und deren Anhebung gefordert hat. Damals war die Mehrwertsteuererhöhung Anlass. Jetzt ist es der Armuts- und Reichtumsbericht NRW.
Dieses Mal konzentriert sich die Grünen-Fraktion auf die Kinder, die im engen Zusammenhang mit der Langzeitarbeitslosigkeit ihrer Eltern besonderen Härten ausgesetzt sind.
Das Thema „Armut bei Kindern“ haben wir eben in der Debatte ausführlich diskutiert. Es geht eben nicht nur alleine darum, die Regelsätze zu erhöhen, sondern wichtig ist zunächst einmal, die Startbedingungen der jungen Kinder im Bildungssystem, in der Frühförderung und der sprachlichen Frühförderung sowie allen Bereichen, die wir eben angesprochen haben, zu verbessern, die mit dazu führen, dass Kinder in diesem Land chancenreich aufwachsen.
Eigentliches Ziel muss für uns alle sein, zu verhindern, dass ein längerer Leistungsbezug im Rahmen von Hartz IV überhaupt erst erforderlich wird. Auch diese Zielsetzung kommt mir manchmal zu kurz in der Diskussion. Klar ist, dass wir das nicht in jedem Bereich und bei jedem Menschen verhindern können. Aber zunächst einmal sollte Zielsetzung sein, dass der Bezug von Hartz IV möglichst kurz ist und Chancen bestehen, in diesem Leben mit normalen Mitteln – etwa durch einen Arbeitsplatz – zurechtzukommen und durch ausreichende Bildung ein Teil der Gesellschaft zu werden.