Protocol of the Session on May 4, 2007

favorisierte Partei wählen. Die eine Stimme entscheidet darüber, wie stark die Partei im Stadtrat oder im Gemeinderat oder im Kreistag ist. Sie entscheidet außerdem darüber, welcher lokale Kandidat in den Rat einzieht. Wer seiner Partei also nicht untreu werden will, ist daher gezwungen, deren Kandidaten vor Ort mit zu wählen und auch die Kandidaten mit zu wählen, die dann auf der Liste sind, die die Partei bestimmt.

Finden die Menschen aber einen Kandidaten oder eine Kandidatin gut, wollen aber nicht deren Partei, haben sie ein Problem, genau wie im umgekehrten Fall. Sie haben jeweils keine Chance, getrennt zu wählen. Sie haben vor allen Dingen keine Chance, das durchzusetzen, was viele Menschen wollen, nämlich einzelne Kandidaten herauszuwählen oder einzelne Kandidaten hochzuwählen. Denn die Parteien allein legen den Platz fest, an dem die Kandidatinnen und Kandidaten gewählt oder nicht gewählt werden.

Meine Damen und Herren, dieses nicht leicht zu durchschauende Mischsystem von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht wollen Sie beibehalten. Eigentümlich ist: CDU und FDP bemühen gerade bei der Verwaltungsreform so oft die Südländer, zum Beispiel Baden-Württemberg oder Hessen. In diesem Fall, wo es um die Sicherung der Macht der Parteien und wo es um die Sicherung der alleinigen Bestimmung der Parteien über die Wahllisten geht, machen sie das aber nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei sind andernorts die Gestaltungsmittel für die Wählerinnen und Wähler wesentlich erweiterter als in NRW. Inzwischen besteht in 13 der 16 Bundesländer die Möglichkeit, mehrere Stimmen auf verschiedene Direktkandidatinnen und kandidaten zu verteilen, also zu panaschieren, oder einer Kandidatin oder einem Kandidaten mehrere Stimmen zu geben, also zu kumulieren. Wir finden es eigentümlich, dass Sie das hier nicht wollen, eigentümlich auch deswegen, weil Sie in den letzten Jahren immer die Einführung von Kumulieren und Panaschieren gefordert haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch in der letzten Wahlperiode, meine Damen und Herren – ich habe es mir heute extra noch einmal herausgesucht –, hieß es in einem Antrag der CDU, unterschrieben vom heutigen Ministerpräsidenten:

„Sechstens. Kumulieren und Panaschieren: Zur Stärkung des direkten Einflusses der Bürgerschaft soll das Instrument von Kumulieren und

Panaschieren in das Kommunalwahlrecht eingeführt werden. Den Wählerinnen und Wählern soll die Möglichkeit eingeräumt werden, von vorgegebenen Parteilisten abzuweichen, sich die Kandidatinnen und Kandidaten für Räte und Kreistage selbst auszusuchen und ihren Vorzugskandidaten mehrere Stimmen zu geben.“

„Mehr Mut!“ möchte ich Ihnen zurufen. Haben Sie jetzt den Mut, wo Sie die Chance haben, den Mut nicht nur in der Opposition zu deklarieren, sondern es auch in der Praxis umzusetzen!

Angst vor Chaos und Überforderung der Wähler sind nun die bemühtesten Gegenargumente. Aber schauen wir doch hin: Die Kommunalwahlen in Bayern und Baden-Württemberg funktionieren schon seit Jahrzehnten in diesem System, in Niedersachsen im Übrigen seit 1981 und in Rheinland-Pfalz seit 1989. Die Erfahrungen in diesen Ländern zeigen deutlich, dass ein politisches Mitwirkungsbedürfnis vorhanden ist, dem das Kommunalwahlgesetz NRW bis heute nicht ausreichend Rechnung trägt.

Dem wollen wir abhelfen. Wir wollen Ihnen die Chance geben, dem mit uns gemeinsam abzuhelfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir schlagen hier ein Modell des Kumulierens und Panaschierens vor, das sich in dem in Hessen 2001 eingeführten Modell bewährt hat, nämlich – kurz gesagt –:

Erstens. Jeder Wähler hat so viele Stimmen, wie Vertreter zu wählen sind.

Zweitens. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Stimmenzahl können alle Wählerinnen und Wähler Bewerbern jeweils bis zu drei Stimmen geben.

Drittens. Die Wählerinnen und Wähler können ihre Stimmen Bewerbern aus verschiedenen Wahlvorschlägen geben, nämlich Panaschieren.

Viertens. Ein Wahlvorschlag kann unverändert angenommen werden oder ein Wahlvorschlag kann gekennzeichnet werden und außerdem einzelnen Bewerbern in einem oder mehreren Wahlvorschlägen Stimmen gegeben werden oder Wahlbewerber gestrichen werden.

Darüber hinaus – ich sagte es schon – können nach diesem System auch Wahlkreise eingerichtet werden.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass ähnlich wie in Hessen die Kommunen und die Landkreise die Chance haben, selber zu bestimmen,

ob das Modell von Kumulieren und Panaschieren mit der Möglichkeit gekoppelt wird, Wahlkreise einzurichten. Denn vor Ort, insbesondere in den großen Städten und in den großen Kreisen, ist die Möglichkeit, Wahlkreise einzurichten, eine sehr interessante und soll es auch bleiben. Deswegen sollte man diese Kombination aus unserer Sicht – da weichen wir ab von dem Modell „Mehr Demokratie wagen“ – mit integrieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie sich einen Ruck! Haben Sie den Mut nicht nur in Oppositionszeiten und Wahlprogrammen! Modernisieren Sie mit uns zusammen unser Wahlrecht! Trauen Sie den Wählerinnen und Wählern in NRW einfach endlich einmal das zu, was andernorts seit Langem funktioniert und durchaus dort mit einer gewissen Begeisterung praktiziert wird! Geben Sie den Wählerinnen und Wählern in NRW ein Stück Gestaltungsmöglichkeit! Es stärkt das Band und das Vertrauen zwischen Wählern und den Gewählten und damit die kommunale Demokratie.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, ich möchte Ihnen an dieser Stelle eigentlich auch Mut machen, ein Stück weit vertraute Pfade zu verlassen und ein Stück weit mehr zu wagen als bisher. Ich will Ihnen ein Zitat von einem Kollegen, den Sie sicherlich auch sehr schätzen, mitgeben, nämlich vom Kollegen Hans-Jochen Vogel.

Er ist ein eifriger Befürworter des Kumulierens und Panaschierens und hat gesagt, auf diese Weise sei es möglich, einige Zöpfe abzuschneiden; man solle sich zutrauen, diesen Schritt des Kumulierens und Panaschierens endlich auch an anderer Stelle einzuführen.

Genau so sollten wir es machen. Wir sollten hier in Nordrhein-Westfalen den Weg gehen, den schon viele andere vor uns gegangen sind. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion erhält der Abgeordnete Hüsken das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrem in der vergangenen Woche eingebrachten Gesetzentwurf zur Novellierung des Kommunalwahlgesetzes in Nordrhein-Westfalen verfolgen Sie als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einigen Punkten – das muss man zunächst einmal herausstellen, Herr Becker – die gleichen Ziele, die bereits im Gesetzentwurf der Landesregierung enthalten sind, der am 29. März 2007 Gegenstand von Diskussionen in diesem Hause war.

Für das Verfahren wäre es deshalb sicherlich sinnvoller gewesen, hier ergänzende Änderungsanträge – auch zu dem von Ihnen gerade angesprochenen Punkt – vorzulegen, statt einen eigenen und in weiten Teilen identischen Gesetzentwurf parallel in die parlamentarische Debatte einzubringen.

Herr Kollege Hüsken, auch wenn Sie noch kaum mit Ihrer Rede angefangen haben, gibt es schon den Wunsch, Ihnen eine Frage zu stellen. Gestatten Sie dem Herrn Kollegen Ewald Groth, eine Frage an Sie zu richten?

Bitte, Herr Groth.

Dann haben Sie das Wort, Herr Groth.

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Kollege. – Schon am Anfang Ihrer Rede habe ich das Gefühl, dass Sie den Kollegen Albert Leifert gar nicht mehr kennen wollen. Er war ja sehr lange gemeinsam mit mir kommunalpolitischer Sprecher und hat sich verschiedentlich zu dieser Problematik geäußert. Könnten Sie dem Hohen Haus erklären, ob Sie den Namen Albert Leifert aus der Liste der ehemaligen Mitglieder Ihrer Fraktion gestrichen haben? Oder wollen Sie seine Einlassungen nur hier nicht mehr würdigen? Wie wollen Sie überhaupt mit seinem Erbe umgehen?

Ich weiß jetzt nicht, was Herr Leifert im Einzelnen gesagt haben soll. Ich kann Ihnen nur nochmals bestätigen – wenn Sie jetzt darauf hinauswollen –, dass ich das am 29. März dieses Jahres hier Ausgeführte sehr wohl gelesen habe. Insofern möchte ich Ihnen gleich noch einmal unsere Argumente vermitteln.

Lassen Sie mich zunächst die identischen Merkmale herausstellen; damit hatte ich eingangs mei

ner Ausführungen ja schon begonnen. Dort sind wir gar nicht auseinander.

Ich nenne nur ein paar Beispiele: die Reformziele bei der Verkürzung der Sperrfrist für die Ausübung des aktiven Wahlrechts; die Absenkung der Höchstabweichungsgrenze von 33 ⅓ auf 25 %; die erhebliche Reduzierung und Einschränkung der Gründe für die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat; die Installierung des Wahlrechts für Bürgerinnen und Bürger ohne festen Wohnsitz; das Verbot einer Mitgliedschaft in mehreren Wahlorganen.

Trotz dieser angeführten Gemeinsamkeiten – ich habe das Angenehme bewusst vorangestellt – bleiben in wesentlichen Bereichen Unterschiede bestehen – das hat Herr Becker ja gerade schon zum Ausdruck gebracht –, auf die ich im Folgenden eingehen möchte.

Die Grünen fordern in ihrem Entwurf für ein neues Kommunalwahlgesetz, jedem Wahlberechtigten so viele Stimmen zu geben, wie Sitze in den zu wählenden Gemeindevertretungen und Kreistagen zu vergeben sind. Dabei kann der Wähler jedem Bewerber bis zu drei Stimmen geben. Das haben wir gerade schon inhaltlich gehört. Wegen der Kompliziertheit der Begriffe will ich es hier aber noch einmal herausstellen. Der Wähler kann also bis zu drei Stimmen vergeben und damit kumulieren.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Er kann seine Stimmen aber auch Bewerbern aus verschiedenen Wahlvorschlägen geben, also panaschieren. Auch dieser Punkt wurde schon angeführt.

Des Weiteren kann ein Wahlvorschlag unverändert angenommen werden, indem man sich lediglich für eine Partei entscheidet und diese kennzeichnet.

Durch die Einführung dieser Möglichkeiten der Stimmvergabe wird entgegen der Begründung des Gesetzentwurfes der Grünen aber keinesfalls mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung an den politischen Entscheidungen der zu wählenden Vertretungen geschaffen.

Ich kann hinzufügen: Auch in der Politikwissenschaft ist dieses Verfahren nicht völlig unumstritten. Zur direkten Demokratie gehört nach einschlägiger Expertenmeinung, dass die Initiative vom Bürger ausgelöst und ihm eine Gestaltungs- und Entscheidungsmacht eingeräumt wird. Zu den direkt demokratischen Institutionen gehören Volks- und Bürgerentscheide.

Beim Kumulieren und Panaschieren wird dem Wähler lediglich eine direkte Wahl von Kandidaten in die Kommunalvertretungen suggeriert. Dabei wird vergessen, dass die Regelungen der Ergebnisermittlung letztendlich die Kandidatenvoten der Wähler in Stimmen für Parteien umrechnen. Auf diese Weise wird der Proporz zwischen den Parteien sichergestellt. Die Wähler haben nur eine beschränkte Einflussnahme auf die Auswahl der Kandidaten.

Panaschieren und Kumulieren kann den Einfluss der Parteien bei der Zusammensetzung der Kommunalvertretungen nur bedingt zurückdrängen. Schon ein vorderer Listenplatz sichert einem Kandidaten mehr zusätzliche Stimmen, weil auf ihn von den zu verteilenden Reststimmen mehr entfallen als auf Kandidaten mit hinteren Listenplätzen. – Diese Stimmverteilung ergibt sich aus § 27 Abs. 5 Ihres Gesetzentwurfs.

Den Parteien ist es immer möglich, Kandidaten einen sicheren Sitz zu gewähren, indem sie weniger Kandidaten als vergebene Sitze auf die Wahllisten stellen. Die Reststimmenverwertung – ich habe es gerade schon in anderem Zusammenhang ausgeführt – wirkt sich demzufolge immer zugunsten der Spitzenkandidaten aus.

Bewährte Aufstellungskriterien innerhalb der Parteien – etwa der Proporz in Bezug auf regionale Verteilung oder die Förderung bestimmter Personengruppen wie Frauen oder auch junge Kandidaten – sind nicht mehr gegeben. Derjenige Kandidat profitiert am meisten, der lokale Präsenz aufweist. Der Bewerber muss den Wählern als jemand bekannt sein, der lange im Ort wohnt und sich engagiert. Nach Untersuchungen kann auch derjenige einen positiven Effekt mitnehmen, der sich in Vereinen besonders engagiert. Gewählt wird ferner der Kandidat, dem man Selbstlosigkeit, Einsatz oder andere Attribute für das Wohlergehen seiner Mitmenschen unterstellt.

Jetzt kommt die Einschränkung. Nach diesen Kriterien werden zum Beispiel Ärzte, Polizeibeamte, Lehrer oder auch Handwerker Vorteile gegenüber anderen Mitbewerbern haben.

Wähler legen nach Untersuchungen auch Wert auf Bildung und bevorzugen promovierte Akademiker. Auch wenn der Wähler die Kandidaten nicht näher kennt, wird er den promovierten bevorzugen – aus welchen Gründen auch immer. Diese Untersuchungen haben auch ergeben, dass die Gruppe der Arbeiter und Angestellten demgegenüber schwach abschneidet.

Die dargestellte Fokussierung auf Persönlichkeitsmerkmale der Kandidaten kann in Großstäd