Protocol of the Session on September 1, 2005

heren CDU-Positionen - Positionen, die, wie schon im Antrag erwähnt, mit Grünen, SPD und eben gemeinsam in der letzten Legislaturperiode gegen das Ansinnen der FDP, die Grundschulbezirke zu schleifen, gemeinsam bekundet und abgestimmt worden sind.

Mit der Unterschrift unter diesen unglückseligen Koalitionsvertrag haben Sie alle Kolleginnen und Kollegen der letzten Legislaturperiode düpiert, die sich engagiert und sachkundig zustimmend zum notwendigen Bestand der Grundschulbezirke auch im Schulausschuss geäußert haben.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Ich habe dazu eben in diesem Sinne schon die CDU-Kollegen Herrn Solf und Frau Kastner im Juli hier an dieser Stelle zitieren dürfen; Frau Schäfer hat dies heute noch einmal verdeutlicht.

Aber der richtige und wichtige Protest aus den Kommunen zeigt Wirkung: Immerhin haben sich nun mit der Schulministerin Frau Sommer und dem Generationenminister Herrn Laschet zwei CDU-Kabinettsmitglieder langsam und zaghaft aus der Koalitionsdeckung gewagt und melden zu Recht aus der fachlichen Sicht erhebliche Bedenken gegen die Auflösung der Grundschulbezirke an.

Es hat mich wiederum nicht gewundert, dass der Ministerpräsident sofort beschwichtigend in Richtung FDP das Koalitionsmäntelchen über den sich entwickelnden Zwist gebreitet hat, um das schwelende Feuer im Keim zu ersticken, obwohl Herr Recker, wie wir aus der Presse erfahren, eigentlich ganz gerne zündelt. Schließlich soll in der Öffentlichkeit vor den anstehenden Wahlen die schwarz-gelbe Harmonienummer nicht die ersten tiefen Risse zeigen. Aber um welchen Preis?

(Zurufe von der FDP)

Ministerpräsident Rüttgers muss sich weiterhin vorhalten lassen, dass er es zulässt, dass Kinder auf den Markt geworfen werden.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] - Wi- derspruch von der CDU)

Was soll an dem Sozialdarwinismus, den die Koalition damit provoziert, liberal sein? - Kein Wunder, dass sich die Grande Dame des Liberalismus, Hildegard Hamm-Brücher, aus dieser bestenfalls pseudoliberalen Partei verabschiedet hat.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] - Zu- rufe von der FDP)

Die FDP ist bestenfalls pseudoliberal, was auch die Einlassungen von Frau Pieper-von Heiden zur

Zensur des national und international renommierten Diversity-Handbuchs für Fachkräfte in Erziehung und Beratung mit Vielfalt umgehend zeigen: Da geht es um professionelle Hilfen auch für Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit dem Thema „Schwul und lesbisch sein“ in der Schule. Das war wirklich ein Ausweis wahrer Liberalität. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ministerpräsident Rüttgers hat die Schulministerin und den Generationenminister in Sachen Grundschulbezirke doch wider besseres Wissen zurückgepfiffen. Er schwärmt in Pressegesprächen von der Entwicklung von Familienzentren, die sozial-räumlich angesiedelt sind, Unterstützungssysteme bündeln und weiterentwickeln und damit die Bildungsaspiration und Erziehungskompetenz stärken sollen, die zur Frühförderung beitragen sollen, um dann im nächsten Schritt den Auftrag der Grundschule zur sozialen Kohäsion zu fördern und ihre sozial-integrative Funktion auf dem Koalitionsaltar zu opfern.

Deshalb wird uns gleich - offensichtlich gegen ihre eigenen Bedenken und den Widerstand der Kommunen - Frau Ministerin Sommer vortragen müssen, dass die Aufhebung der Grundschulbezirke kommen soll, im Realisierungsprozess kosmetisch geschönt, weil zeitlich vielleicht etwas gestreckt, aber im Ergebnis gleich.

Die dazu sattsam bekannten und schon oft gehörten Begründungen bleiben dünn und letztlich fachlich nicht haltbar. Zum Beispiel: Eltern umgehen die bestehenden Regelungen doch heute schon. - Tatsächlich.

Kinder besuchen auch heute schon vereinzelt außerhalb ihres Wohnbezirks die Grundschule. - Aber schauen wir uns die Gründe dafür einmal näher an: zum Beispiel, weil das Kind einen Platz im gemeinsamen Unterricht braucht, weil das Kind Betreuungszeit braucht und diese in der Grundschule in dem entsprechenden Bezirk noch nicht angeboten wird. Da bieten Kommunen verantwortlich im Einzelfall die Möglichkeit, nicht genutzte Plätze in anderen Bezirken in Anspruch zu nehmen.

Es ist doch dann die Aufgabe der Politik, diese Möglichkeiten durch Schaffung der Rahmenbedingungen für Ganztagsangebote zum Beispiel an den Schulen flächendeckend zu schaffen.

Herr Kaiser, Pisa lesen ist zwar prima, aber Pisa verstehen ist wichtiger. Wir wissen doch aus den internationalen Studien, dass ein Problem im deutschen Schulsystem die Varianz zwischen den

einzelnen Schulen ist. In Deutschland beeinflusst diese Varianz laut Pisa die Leistungsentwicklung zu mehr als 60 %. Das, was wir in der Sekundarstufe I als massives Problem konstatieren müssen und identifiziert haben, können wir doch nicht auf die Primarstufe herunterziehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler FrankOlaf Radtke hat in seinen Untersuchungen im Rhein-Main-Gebiet belegt, dass die Freigabe der Schuleingangsbezirke nicht zu einer Qualitätssteigerung durch Marktmechanismen - das ist ja der Fetisch der sogenannten Liberalen - führt, sondern dass „Black and White Scools“ entstanden sind und eine soziale Gettoisierung stattgefunden hat. Das wollen Sie jetzt provozieren und auf Nordrhein-Westfalen übertragen?

Ich empfehle Ihnen im Übrigen auch noch aus anderen Gründen, als das die Kollegin Schäfer getan hatte, einen Blick nach Bayern; denn Bayern hat mit gutem Grund keine konfessionell gebundenen Grundschulen mehr und braucht deshalb auch keine besonderen Gemeinschaftsgrundschulen. Das hat offenbar nicht dazu geführt, den allgemein stark christlich-konservativen Charakter der Grundschulen aufzuweichen.

Es ist unsere Pflicht, alle Schulen in die Lage zu versetzen, die geforderte Qualität zu erbringen und gute Schulen für ihre Kinder vor Ort zu sein. Schulen, die dabei vor besonderen Aufgaben und Herausforderungen stehen können, brauchen - darin stimme ich Ihnen, Herr Kaiser, ausdrücklich zu - auch eine besondere Unterstützung und Ressourcen. Wir werden Sie bei der Aufgabe unterstützen, die Varianz zwischen den Schulen auf diesem schulfachlichen Weg abzubauen, damit die Eltern die Gewissheit haben, dass, egal an welcher Schule sie ihr Kind anmelden, es Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Grundbildungsangebot hat. Das gilt auch für die Grundschule, die ich vor Ort habe, und deshalb geht mein Kind dorthin.

Wenn wir die Aufgabe meistern, die Varianz zwischen den Schulen zu minimieren, dann brauchen wir die Aufhebung der Bezirke nicht mehr. Das ist im Übrigen genau die Quintessenz, die die Grundschuleltern an dieser Stelle ziehen.

Sie können den aufmerksamen Eltern auch nicht die Argumentation zumuten, Sie stärkten mit einer solchen Maßnahme das Elternrecht. Sie geben vor, das Elternrecht zu stärken, aber im Gegenteil Sie privilegieren nur wenige und lassen den Rest - das sind in der Regel die sozial Schwächeren und diejenigen, die keine Möglichkeit haben, ihre Kin

der morgens als Taximütter durch die Gegend zu kutschieren - im Regen stehen, was die Qualitätsentwicklung der Schulen vor Ort angeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie das verstanden und nachvollzogen haben, dann müssen Sie uns auch nicht mehr das Missverständnis des Profilgedankens besonders im Rahmen der offenen Ganztagsgrundschule präsentieren und als Begründung für die Auflösung der Grundschulbezirke heranziehen. Alle Kinder sollen von einem zusätzlichen kulturellen, musisch kreativen Bildungsangebot, von einem Sport- und Bewegungsangebot, von einem Bildungsverständnis profitieren, das Kopf, Herz und Hand berücksichtigt. Das passiert in der Grundschule vor Ort. Aber es hat unterschiedliche Gesichter, verfolgt jedoch den gleichen Grundsatz; denn das Angebot wird natürlich in der Regel von den Verbänden getragen, die vor Ort aktiv sind und die die weiter gehenden sozialen Beziehungen anbieten. Das gilt auch für die außerschulischen Kooperationspartner, die vielfältig vorhanden sind. Eltern können vor Ort in der Grundschule, in deren Nähe sie wohnen, dieses Angebot mitgestalten und mitbestimmen.

Frau Minister Sommer, wenn Sie heute die Auflösung der Grundschulbezirke als Koalitionsvorhaben doch vertreten müssen, dann bitte ich Sie, die folgenden Punkte zu erläutern:

Sie wollen Kinder mit fünf Jahren einschulen. Stehen die sogenannten i-Dötzchen demnächst auch mit allen anderen vor den bereits überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln und müssen sich gegen die älteren Schüler und Erwachsenen auf dem Weg zur Arbeit durchsetzen?

Wie sehen Ihre Schulwegsicherungskonzepte für Grundschüler/innen aus, die sich quer durch die Stadt zur Schule bewegen müssen?

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ich komme zum Schluss. - Was sagen Sie den Gesundheitsexperten, die den Wert des Fußwegs ganz deutlich betonen?

Was sagen Sie frauenpolitisch dazu, dass Sie die Gattung der Taximütter neu beleben, die zur Verfügung stehen müssen und nichts anderes zu tun haben, als ihre Kinder quer durch die Stadt zur Schule zu fahren?

Sie torpedieren mit Ihren Plänen die Schulentwicklungsplanung.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dieser Auseinandersetzung werden Sie sich weiterhin stellen müssen. - Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Witzel von der FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorredner von Rot-Grün haben es in der Tat realisiert: Wir haben in Nordrhein-Westfalen neue Zeiten und politische Veränderungen. Wir sind der Auffassung, dass sich unser Land Fehler in der Politik, wie sie in den letzten Jahren gemacht worden sind, nicht länger leisten kann, wenn wir nicht länger an Zukunftsfähigkeit verlieren wollen.

Man kann ja vieles diskutieren, aber ich habe noch nicht so ganz den Einwurf der GrünenFraktion verstanden, warum gerade unter frauenpolitischen Gesichtspunkten die Aufhebung von Grundschulbezirken gendermäßig problematisch sein soll. Die Argumente liegen sicherlich auf anderen Feldern.

Wenn ich an den heutigen Vortrag unserer ExMinisterin Schäfer denke, dann frage ich mich, wo Sie leben. Sie verantworten eine Bildungspolitik, die im Ergebnis dazu geführt hat, dass NordrheinWestfalen bundesweit bei der Schülerleistung am Ende steht,

(Beifall von FDP und CDU)

dass es Schüler in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Schülern aus anderen Bundesländern mit einem erheblichen Wettbewerbsnachteil zu tun haben, dass Nordrhein-Westfalen bezüglich einiger Kompetenzen bei der Pisa-Nacherhebung das einzige Bundesland in ganz Deutschland ist, wo in Teilbereichen noch Verschlechterungen gegenüber der ersten Erhebung im Jahre 2001 eingetreten sind. All das vertreten Sie mit Ihrer Politik. Sie haben in Nordrhein-Westfalen bezogen auf die Kompetenzen bei Pisa die schlechtesten Ergebnisse, aber Sie haben die formal höchsten Abschlüsse, weil hier an bestimmten Schulformen jeder den Abschluss bekommt, den er gerne hätte. Das ist nach Ihrem Verständnis gute Bildungspolitik, aber nicht nach unserem.

Wir werden die Schule im Wettbewerb einführen. Wir werden in der Koalition das machen, was wir

partnerschaftlich verabredet haben. Wir werden in Nordrhein-Westfalen ein Schulranking einführen, und wir werden die freie Schulwahl umsetzen, weil wir der Auffassung sind, dass wir unser Bildungssystem nach vorne bringen müssen.

Schule im Wettbewerb löst den Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts ab. Wir werden konsequent handeln, und zwar mit einem beispiellosen Paradigmenwechsel, weil wir der Auffassung sind, dass eine schulische Wettbewerbslandschaft besser ist, in der Schüler zu Marktteilnehmern werden, in der ein Qualitätswettbewerb um das beste Angebot stattfindet, in der sich Schulen anstrengen, ihre Resultate zu verbessern und dafür die notwendige Unterstützung des Staates erfahren, um dieses Ziel zu erreichen.

Wir werden zukünftig Schüler individuell besser fördern und ihnen mehr Freiheiten einräumen, auch bei der Wahl des für sie passenden schulischen Angebotes. Aber Sie müssen den Menschen in diesem Land wirklich einmal ihr Verständnis von sozialer Herkunft und den Bildungschancen, die sich daraus ergeben, erklären.

Es gibt in Nordrhein-Westfalen als Ergebnis Ihrer Politik einen enorm hohen Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft. Es gibt ihn unter anderem auch deshalb, weil Sie die Schüler mit Schulbezirksgrenzen starr in das Wohnquartier einmauern, in dem sie geboren sind: Wenn Sie den Zaun um den sozialen Brennpunkt gezogen haben, lassen Sie Kinder daraus auch nicht ausbrechen. Wenn Sie den Zaun der Schulbezirksgrenzen um die Villengegend ziehen, verhindern Sie, dass andere dort im Austausch diese Schulstandorte besuchen.