Protocol of the Session on September 1, 2005

Viele Schulen haben sich auf den Weg gemacht, gerade die Vernetzung zwischen Vormittag und Nachmittag herzustellen und Fragen der Gesundheitsförderung aufzunehmen. Wir sind der Meinung, dass zusätzlich auch Sonderpädagogen, Sonderpädagoginnen und vor allen Dingen auch weitere Sozialpädagogen in diesen Bereich hinein müssen.

Ihr Ganztagsschulverständnis weist jedoch, so muss ich konstatieren, noch erhebliche Defizite auf. Das wird vor allen Dingen daran deutlich, dass Sie offensichtlich annehmen, Ganztag in der Sekundarstufe I sei nur etwas für die Hauptschule. Für Sie ist der Ganztag dort im Wesentlichen und zuerst ein Wettbewerbselement, mit dem Sie meinen, eine Hauptschule retten zu können, deren Situation Sie strukturell in der Tiefe immer noch nicht begriffen haben.

Ich möchte Ihnen deshalb nahe legen, sich mit dem Verband Bildung und Erziehung in Verbindung zu setzen. Ich will den VBE an dieser Stelle gerne einmal zitieren:

„Der insgesamt zu verzeichnende Rückgang der Schülerzahlen wirkt sich überproportional auf die Hauptschulen aus, während er an den Gymnasien unterproportional ist und an den Realschulen dem tatsächlichen Rückgang der Schülerzahlen entspricht. Er kann also nicht allein davon abhängig sein, ob Schulen im Ganz- oder Halbtagsbetrieb arbeiten, und wird alleine mit der Umwandlung von Hauptschulen in Ganztagsschulen folglich auch nicht umzukehren sein.

Mittelfristig gesehen ist nach den vorhandenen Zahlen jede zweite Hauptschule in NRW von der Schließung bedroht. Dieses Problem wird auf Dauer nicht zu lösen sein, ohne dass auch die Frage der Schulstrukturen angegangen wird. Die Schulträger vor Ort werden sich über kurz oder lang dieser Entwicklung stellen müssen, wenn sie ein umfassendes wohnortnahes Bildungsangebot erhalten wollen. Das zeigt auch die große Nachfrage nach dem ‚Rahmenkonzept einer Allgemeinen Sekundarschule’ beim VBE.“

Es ist dieses Modell der Allgemeinen Sekundarschule, das der VBE dazu vorgelegt hat und das eine konzeptionelle Entwicklung der Strukturen in der Sek I verfolgt, das vollkommen unideologisch, unpragmatisch die Frage der Demographie, der notwendigen strukturellen und Qualitätsentwicklung des Schulwesens insgesamt auf die Agenda holt.

Damit legt der VBE, ein eher konservativer Lehrerverband, der Ihnen doch näher steht, und eben nicht die GEW ein Konzept als Grundlage vor, das die Probleme der Demographie auf der kommunalen Ebene angeht. Er bietet gleichzeitig eine konzeptionell vernünftige Grundlage für die Entwicklung einer Ganztagsschullandschaft gerade auch in der Sek I.

Glauben Sie also nicht, dass Ganztag in der Sek I als Thema der Hauptschule und einer bestimmten Schülergruppe behandelt werden kann. Und vermeiden Sie für sich und andere die Illusion, über das Vehikel Ganztag der grundsätzlichen Diskussion über die Zukunft der Hauptschule und der Schulstrukturen insgesamt entgehen zu können.

Ich freue mich wirklich auch auf die Diskussion im Ausschuss.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. - Als nächste Rednerin hat für die FDP-Fraktion die Kollegin Pieper-von Heiden das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir wollen Ganztagsangebote ausbauen, aber mit einem höheren Qualitätsanspruch, als Rot-Grün das bei der offenen Ganztagsgrundschule praktiziert hat. Diese Ganztagsgrundschulen bekommen bereits in diesem Schuljahr mehr Geld für mehr Betreuungs- und Förderqualität, konkret 24 Millionen €, wie die Ministerin angekündigt hat. Das entspricht einem Gegenwert von 1.200 Lehrerstellen.

Bis 2010 wollen wir deutlich mehr als 200.000 qualitätvolle Ganztagsplätze an Grundschulen schaffen. Bis 2012 soll es an Hauptschulen 50.000 Plätze für den Unterricht am Nachmittag geben.

Wir geben den Haupt- und Förderschulen zunächst Priorität beim Ganztag in der Sekundarstufe I, weil sich der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lernerfolg neben Bremen am gravierendsten in NRW darstellt. Das ist doch blamabel und völlig inakzeptabel. Und das wollen

wir ändern, so schnell und so gut das geht. Was Rot-Grün jedoch über viele Jahre versäumt hat, können wir nicht mit einem Federstrich heilen. Hier sind schon gründliche Langfristreparaturen nötig.

Bemerkenswert am Antrag der SPD ist, dass erstmals die Frage von Ganztagsangeboten in der Sekundarstufe I für alle Schulen, also auch für andere Schulformen als für die Gesamtschule gestellt wird. Ja, das hätten Sie doch alles haben können, wenn Sie ideologiefrei gehandelt hätten, als Sie Regierungsverantwortung hatten. Die FDP hat das Ganztagsprivileg von Gesamtschulen und den Ausschluss anderer Schulformen vom Ganztag immer kritisiert. Aber Sie wollten das so.

Die Bezirksregierungen hatten doch eindeutige Anweisungen, wie sie mit Ganztagsanträgen anderer Schulformen zu verfahren hatten, nämlich Ablehnung. Und nun diese plötzliche, durchsichtige Kehrtwende, neue Kursbestimmung von heute auf morgen! Ihnen geht es dabei doch gar nicht um die Sache, sondern um den Versuch, uns einen Strich durch die Prioritätenliste zu machen.

Ja, wir nehmen uns für die Sekundarstufe I zunächst vor allem die Hauptschulen und die Förderschulen für den qualitätvollen Ganztagsausbau vor. Darüber hinaus bleibt für Betreuungsbedarf am Nachmittag an anderen Schulformen das Programm „13 plus“ weiter bestehen.

Bis 2012 werden wir 50.000 Hauptschülern Ganztagsschulangebote machen. Und wir wollen, dass die Pisa-Verlierer von heute zu Pisa-Gewinnern von morgen und übermorgen werden und dass kein Schüler - wie unter Rot-Grün - einen Bildungsnachteil hat, weil er aus einem sozial schwachen und bildungsfernen Umfeld kommt.

Sie haben das nicht hinbekommen. Und an dieser Stelle hat die rot-grüne Bildungspolitik sich selbst ad absurdum geführt. Ihren ureigenen Anspruch der Chancengleichheit - nach Ihren Vorstellungen nicht nur am Anfang, sondern möglichst auch am Ziel - haben Sie wegen falsch verstandener Schonpädagogik nie umsetzen können. Sie meinten, den Schwachen könne man helfen, indem man den Leistungsanspruch auf ein Mittelmaß trimmt. Versuch fehlgeschlagen! Und jetzt haben wir dramatische Leistungsdefizite bei unseren Schülern.

Wir wollen diesen benachteiligten Schülern an Haupt- und Förderschulen helfen, ihr Potenzial voll zu entfalten und mithalten zu können im Wettbewerb um Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Dies ist die dringlichste Aufgabe. Sobald finanzielle Freiräume entstehen, werden wir beim Ganztag

mit den anderen Schulformen der Sekundarstufe I nachziehen.

Was uns in unserer Politik am deutlichsten von Rot-Grün unterscheidet, ist, dass wir uns an der Sache orientieren und nicht an Ideologien, dass wir Prioritäten erkennen und die auch in Handeln umsetzen. Das Dringlichste muss immer zuerst getan werden. Danach kommt das Wünschenswerte.

Wir werden unseren Koalitionsvertrag nach und nach umsetzen und uns nicht von solchen Schauanträgen wie diesem ablenken lassen. Die Schüler von heute, ihre Eltern und Lehrer hier in Nordrhein-Westfalen, werden aufatmen und sagen können: Ja, es ist besser geworden mit SchwarzGelb. Wir haben endlich wieder eine Chance.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper-von Heiden. - Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Sommer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stehe heute zum dritten Mal vor Ihnen, aber ich hoffe, dass Sie noch genügend Aufnahmekapazität für ein sicherlich immer noch sehr spannendes Thema haben.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Wir freuen uns jedes Mal!)

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung zum Ausbau der Ganztagsschulen die Ziele der Landesregierung benannt. Ich möchte ihn zitieren:

„Erstens. Wir schaffen mehr als 200.000 Plätze im Primarbereich. Dies verbinden wir mit einem Mehr an individueller Förderung.

Zweitens. Wir werden bis zum Jahr 2012 in den Hauptschulen 50.000 vollwertige Ganztagsplätze schaffen, auch dies mit dem Ziel einer besseren individuelleren Bildungsförderung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“

Ich nenne noch einmal ganz klar und deutlich unser gemeinsames Ziel: mehr individuelle Förderung für die Schülerinnen und Schüler, die bisher nicht ausreichend gefördert wurden. Das ist unsere gesellschaftspolitische Verpflichtung.

Deshalb setzen wir unseren Schwerpunkt zunächst bei der Hauptschule. Sie muss ihren Bildungsauftrag erfüllen können, damit ihre Absol

venten nicht länger zu den Verlierern des Bildungssystems gehören.

Sehr geehrte Frau Hendricks, Sie haben uns eben dargelegt, wie viele Mittel Sie in das Bildungssystem Hauptschule gegeben haben. Ich frage mich: Wieso steht - in Bezug auf alle Entwicklungen - die Hauptschule immer noch so schlecht da? Wieso gibt es, bei allem, was Sie für die Hauptschule getan haben, bei den sozial Benachteiligten und deren Bildungserfolg immer noch ein so großes Gefälle?

Für uns heißt das, dass wir neue Wege brauchen. Mehr vom Gleichen allein löst das Problem nicht. Wir müssen die vorhandenen Ressourcen besser einsetzen: weg vom Gießkannenprinzip.

(Beifall von CDU und FDP)

Konkret heißt das: Ich möchte ein konzeptionell neues, vollwertiges Ganztagsangebot an den Hauptschulen, und zwar vorrangig dort, wo die Schulen vor besonderen pädagogischen und sozialen Herausforderungen stehen.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer?

Ich möchte immer gerne erst meinen Vortrag beenden.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dann gibt es keine mehr!)

Wir setzen dort an, wo beispielsweise der Anteil der Migrantenkinder besonders hoch ist, wo das soziale Umfeld der Schule besonders schwierig ist, wo Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit die Bildungsarbeit erschweren. Aber wir setzen auch dort an, wo Hauptschulen besonders engagiert arbeiten und innovative Konzepte entwickeln. Diese Schulen werden wir stärken.

(Beifall von CDU und FDP)

Das kostet natürlich Geld. Dieses Geld werden wir in die neuen, vollwertigen Ganztagsschulen investieren, und es wird daher nicht nur zu einem 20 %igen, sondern sogar zu einem 30 %igen Lehrerzuschlag kommen.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben mir heute Morgen in einer Rede deutlich gemacht - das ist fast ein Zitat von mir -, ich hätte es nicht so sehr mit den Zahlen, sondern mehr mit den Visionen. Ich möchte Ihnen entgegnen, dass ich auch eine Zahl parat habe. Ich er

gänze daher: 120 Millionen € für Ganztagsangebote in dieser Legislaturperiode, davon 24 Millionen € bereits 2005/2006. Das ist keine Vision, sondern eine schöne Realität.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir werden zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer bereitstellen, aber wir werden auch anderes Personal hinzuziehen. Die Schulen brauchen die Unterstützung anderer Professionen, vor allem dort, wo sie mit eigenen Mitteln nicht weiterkommen. So können in diese vollwertigen Ganztagsschulen auch Handwerker eingebunden werden, zum Beispiel wenn es um die Berufsvorbereitung geht. Es können auch Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, Künstler und Sportübungsleiter eingebunden werden.

Wir brauchen einen breiteren Ansatz als bisher, um die Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen zu entfalten. Anders als bei dem Ganztagsangebot an der Grundschule soll die Maßnahme an der Hauptschule in der Verantwortung der Schule stehen.

(Beifall von der FDP)