Protocol of the Session on January 25, 2007

Ich komme damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 14/3451 an den Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie – federführend –, den Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform, den Ausschuss für Bauen und Verkehr sowie an den Ausschuss für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Gesetzentwurf einstimmig überwiesen.

Wir kommen zu

9 Pflegenotstand verhindern – Wiedereinführung der Umlagefinanzierung in der Altenpflegeausbildung!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/3480

Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Abgeordneten Killewald das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Günter Garbrecht [SPD]: Wo ist der Minister denn?)

Der kommt noch. Der sitzt irgendwo auf dem zweiten Rang.

(Günter Garbrecht [SPD]: Dann warten wir, bis er kommt!)

Die Pflege in NRW befindet sich an einem mehr als kritischen Punkt. Gerade auf die Ausbildungssituation in diesem Lande trifft das besonders zu. Deshalb bringen wir heute den Antrag „Pflegenotstand verhindern – Wiedereinführung der Umlagefinanzierung in der Altenpflegeausbildung!“ ins parlamentarische Verfahren ein.

Kritisch sind nach unserer Ansicht, meine Damen und Herren – Herr Laumann hat es dem Landtag mit Schreiben vom 24. November 2006 mitgeteilt –, die Absolventenzahlen für die Jahre 1999 bis 2006. In dem Schreiben heißt es, dass für das Jahr 2004 noch 3.107 Absolventen zu verzeichnen waren, während im Jahr 2006 wahrscheinlich noch 2.900 Absolventen zu verzeichnen sind. Das ist ein klares Absinken der Absolventenzahl.

Ferner ist ein Bericht der Berufsgenossenschaft der Gesundheitsberufe und der Wohlfahrtspflege aus Dezember 2006 kritisch zu bewerten. Dort heißt es auf Seite 12: Im Schuljahr 2003/2004 waren in unserem Land noch 12.599 Ausbildungsplätze verzeichnet. Im Schuljahr 2005/2006, Herr Minister, waren es nur noch 11.133. Das ist sage und schreibe ein Rückgang um 1.466 Ausbildungsverhältnisse in Nordrhein-Westfalen innerhalb von wenigen Jahren. Rechnet man Ihre Absolventenzahl auf 2007, 2008 und 2009 hoch, wird uns auch ein weiterer Rückgang der Absolventenzahlen nicht erspart bleiben.

Herr Minister, Ihr 1.000-Plätze-Programm hat auch keine Wende gebracht und wird sie in dieser Form auch nicht bringen. Wir werden wahrscheinlich auf den Stand der Absolventenzahlen von 1999 absinken.

Wieso ist das kritisch? Wieso ist das ein Notstand? Herr Laumann, Sie haben am 15. September 2006 der Öffentlichkeit in einer Presseerklärung mitgeteilt: In den nächsten fünf Jahren bis 2010 werden 29.000 Fachkräfte in der Pflege benötigt. Ferner sagte das Institut für Arbeit und Technik schon 2001, 2004 und erneut 2005 in Berechnungen, dass wir mindestens 44.000 neue Pflegefachkräfte bis 2015 benötigen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)

Herr Minister, das deckt sich ungefähr mit Ihren Zahlen.

In einem extremen Szenario geht das Institut sogar von 100.000 Fachkräften aus.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Aber selbst die untere Zahl liegt nahe bei Ihren Zahlen, weil die Berechnungen einfach fünf Jahre weiter in die Zukunft gehen.

Deshalb, meine Damen und Herren, fordern wir Sie erstens auf, einen Bericht zu erstellen, in dem die Anzahl der Ausbildungsverhältnisse und die Finanzierung der Altenpflegeausbildung in allen Bundesländern verglichen werden. Dabei soll insbesondere geprüft werden, in welchen Bundesländern es Modelle der Umlagefinanzierung gibt.

Zweitens ist eine neue Konzeption zur Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres im Rahmen der SGB-II- und SGB-III-Förderung gemeinsam mit den Trägern zu entwickeln. Denn hierbei sind insbesondere seit dem Umschwenken in den Sozialgesetzbüchern seit 2004 erhebliche Verluste zu verzeichnen.

Drittens liegt jetzt eine valide Datenbasis vor; so bezeichnen wir die Daten von der Berufsgenossenschaft, denn dort sind alle Pflegefachkräfte versichert. Damit können wir sicher sagen, da sie die Daten zeitnah erhoben hat, wie viele Ausbildungsverhältnisse es in einem Schuljahr gegeben hat. Wir sagen aufgrund der validen Datenbasis, dass der Pflegenotstand droht. Deshalb muss das Land diesen Pflegenotstand erklären, um, wie Sie wissen, die Umlagefinanzierung als vierte Forderung einführen zu können. Denn ein Gericht höchstrichterlicher Instanz hat uns vor einigen Jahren genehmigt, nur so eine solche Umlagefinanzierung durchzuführen.

Wir sehen diesen Zustand als gegeben an und freuen uns auf die Beratungen.

Ich möchte, meine Damen und Herren, damit schließen: Wir haben uns für eine Oppositionspartei schon sehr stark bei der Überschrift des Antrags zurückgehalten, wie Sie sehen. Wir hätten auch sagen können, Herr Laumann, das 1.000Stellen-Programm von Minister Laumann ist gescheitert!

(Minister Karl-Josef Laumann: Quatsch!)

Das ist Ihre Interpretation, Herr Laumann. – Wir haben das nicht getan, Herr Laumann, weil wir sagen: In den …

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Das ist eine sehr subjektive Wahrnehmung!

Wir wollen gemeinsam mit Ihnen diesen Weg gehen. Wir würden uns freuen, in den gemeinsamen Ausschussberatungen auf Ihre Zustimmung bauen zu können. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Killewald. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Burkert das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die demografische Entwicklung in unserer Gesellschaft bestimmt immer mehr das Geschehen in unserem Land. Alle gesellschaftlichen Gruppen, Wirtschaftsbereiche, Ausbildungs- und Arbeitsplätze und die Menschen über 65 Jahre sind vom demografischen Wandel betroffen.

Man kann davon ausgehen, dass sich noch einige Zeit die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland beziehungsweise in NordrheinWestfalen erhöhen wird. Das ist außerordentlich erfreulich. Allerdings nimmt nach jetzigem Kennt

nisstand damit auch die Pflege- und Hilfsbedürftigkeit zu, vor allem in den letzten Lebensjahren. Die damit einhergehende Zunahme des Pflegebedarfs wird durch gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen der Kostendämpfung und Leistungseinschränkung flankiert. Wir müssen heute sicherstellen, dass wir auch in Zukunft den Ansprüchen der Bürger im Bereich Pflege und Hilfsbedürftigkeit menschenwürdig gerecht werden.

Statistisch ist festgestellt worden, dass Menschen im Alter von 65 bis 70 Jahren zu 2 bis 3 % pflege- und hilfsbedürftig sind. Dieses nimmt mit zunehmendem Alter von 75 bis 79 Jahre auf 8 bis 9 % zu, und im Alter von über 85 Lebensjahren betrifft es statistisch 40 % der Menschen. Die Diskussion zur Pflege von Menschen auf den verschiedensten Ebenen stellt immer wieder heraus, dass es häufig an optimaler Zuwendung und Pflege fehlt. In vielen Publikationen der Medien, Berichten von Angehörigen und wissenschaftlichen Aufsätzen können wir nachlesen, dass es erhebliche Mängel in der Betreuung, in der Zuwendung, in der menschlichen Behandlung und im Bereich der Gesundheits- und Körperpflege gibt. Hier sehe ich den Pflegenotstand.

Ich möchte einige Beispiele, die jedem aus einer Fernsehsendung der ARD zugänglich waren, nennen. Ein Mann, der mit Hilfe einer Magensonde ernährt wird, verhungert, weil ihm zu wenige Kalorien zugeführt werden. Trotz Hilferuf wurde ihm nicht geholfen. Menschen sind den ganzen Tag auf einen Holzstuhl fixiert und starren auf eine nackte Tischplatte. Menschen in Pflegeheimen werden durch Medikamente ruhiggestellt, damit sie nicht zur Belastung werden. Zu Pflegende werden körperlich misshandelt. Weitere Beispiele, meine Damen und Herren, nennt Professor Hirsch vom Seniorennotruf in Bonn, der viele Mängel im Bereich der Pflege festgestellt hat. Das ist tatsächlicher Pflegenotstand.

Wir dürfen allerdings auch bei aller notwendigen Kritik an bestimmten schwarzen Schafen Einrichtungen und die Menschen, die in ihnen zum Wohl der zu Pflegenden arbeiten und hervorragende Leistung erbringen, hervorheben. Der Beruf der Altenpflege ist von herausragender Bedeutung und kann nicht genug gewürdigt werden. Unsere Aufgabe ist es, diesem Beruf mehr Anerkennung in der Bevölkerung zu verleihen und ihre wichtige und herausgehobene Stellung in jeder Beziehung deutlich zu machen. Wir brauchen den Einsatz und das Engagement dieser Menschen. Wenn es diese Menschen nicht geben würde, könnten wir alle Pflegeleistung für ältere Menschen vergessen.

Alle, die über Veränderungen in der Pflege nachdenken, sollten Veränderungen anstoßen, die den Beruf der Altenpflege attraktiv gestalten. Die Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, wollen mit den alten Menschen arbeiten, mit ihnen Zeit verbringen und ihnen bei der Bewältigung des Alltags liebevoll zur Seite stehen. Unsere Aufgabe ist es, diese Tätigkeiten wieder in den Mittelpunkt der Arbeit eines Altenpflegers zu stellen. Ich konnte mich in den letzten Wochen in einigen Einrichtungen in meinem Wahlkreis davon überzeugen, dass dieses möglich ist.

Den tatsächlichen Pflegenotstand sehe ich nicht in der statistischen Größe – wie von der SPD festgestellt –, dass zwischen 44 und 100.000 Arbeitskräfte in der Alten- und Pflegehilfe gebraucht werden, sondern in den vorher genannten Beispielen. Bei der damaligen Abschaffung der Umlagefinanzierung wurde argumentiert, dass alle Heime, die nicht ausbilden, sich nicht freikaufen können sollen. Denn Ausbildung ist nicht nur allein eine finanzielle Belastung, ausbildende Unternehmen werden daher in vielfältiger Weise gefordert. Beispiele in der dualen Ausbildung gibt es genügend.

Ich sehe deshalb nicht, dass man durch eine Umlagefinanzierung – wie im Antrag gefordert – genügend zusätzliche Altenpfleger generiert und damit den von den Antragstellern beschriebenen Pflegenotstand beseitigen kann. Lösungen sehe ich im Bürokratieabbau in der Pflege. Meine Ausführungen zu diesem Thema können Sie im Plenarprotokoll 14/32 nachlesen.

Als eine Ursache für den Personalmangel wird in einer Studie von Becker/Meifort die sehr kurze Verweildauer der Altenpflegerinnen und Altenpfleger in ihrem Beruf identifiziert. Laut dieser Studie sind nach fünf Jahren Berufstätigkeit nur noch 20 % in ihrem erlernten Beruf tätig. Im Gegensatz dazu ist die Berufsverweildauer von Krankenpflegekräften fast doppelt so hoch. Hier ist zu hinterfragen, warum die Pflegekräfte so kurze Verweildauern in ihrem Beruf haben. Ich denke, darin sollte der Ansatz liegen, um die Bedingungen in der Pflege – ambulant wie stationär – zu verbessern.

(Beifall von der FDP)

Alle Fraktionen in diesem Haus haben in den letzten Debatten zum Thema Pflege bekundet, dass sie gemeinsame Anstrengungen unternehmen wollen, die Situation in Heimen und ambulanter Pflege zu verbessern, damit all die Schwierigkeiten bei der Betreuung von pflege- und hilfsbedürftigen Menschen abgestellt werden.

Wenn wir alle gemeinsam in den nächsten Monaten zügig die schwierigen Punkte auf der Agenda abarbeiten, werden wir ein tragbares Konzept zum Wohle aller Beteiligten, der zu pflegenden und der pflegenden Menschen, bekommen. In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive Diskussion zum Wohle der zu Pflegenden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Burkert, ich finde es schade, dass Sie sich nicht einmal intensiv mit Ihren Kollegen unterhalten haben, die in der letzten Legislaturperiode in der Enquetekommission waren. Ich weiß nicht, ob Sie nicht vielleicht vorher auch mit denen hätten reden sollen, die in der letzten Legislaturperiode, gerade als die Umstellung war, in Ihrer Fraktion intensiv die Position vertreten haben, man solle an einer Umlage festhalten. Auch Ihren Kollegen Post habe ich rund um die Koalitionsverhandlungen und danach immer so verstanden, dass auch er meint, dass eine Umlage eigentlich das richtige Instrument ist, um die Probleme zu lösen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben zwar einen netten Redebeitrag gehalten, in dem allerdings nicht klar erkennbar war, ob Sie verstanden haben, was Pflegenotstand in der gesetzlichen Definition ist und was ein Skandal ist. Das würde ich unterscheiden. Die Beispiele von Professor Hirsch sind Skandale, die nicht vorkommen dürfen, so oder so nicht. Pflegenotstand ist schon im § 25 Bundespflegegesetz, wie und warum man das definiert, ziemlich klar geregelt.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Das hat auch etwas damit zu tun, wie viele Pflegekräfte da sind.