Protocol of the Session on July 14, 2005

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Jeder Euro höhere Verschuldung fällt künftig Ihnen auf die Füße. Jede junge Frau und jeder junge Mann, der zukünftig keinen Ausbildungsplatz bekommt, geht auf Ihr Konto.

(Lachen von der CDU)

Angebot und Nachfrage …

(Zurufe von CDU und FDP - Unruhe - Glo- cke)

- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich an dieser Stelle so aufregen. Ich hätte mir das bei anderen Stellen vorstellen können.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Koalition wird jetzt schon bei Fakten nervös!)

Angebot und Nachfrage für Ausbildungsplätze entstehen jedes Jahr neu. Sie müssen jedes Jahr ausgeglichen werden. Auch hier können Sie sich nicht aus der Verantwortung flüchten. Die SPD und ihr voran immer der Ministerpräsident haben jahrelang dafür gekämpft, jedem Jugendlichen, der wollte, einen Ausbildungsperspektive und da

mit eine Berufsperspektive zu ermöglichen - mit großem Erfolg.

Der Ausbildungskonsens ist das Werk der NRWSPD. Wir hoffen, dass Sie Ihre Ankündigung umsetzen, hier die Kontinuität zu wahren.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung und auch der Koalitionsvertrag lassen den Willen zur konkreten Haushaltskonsolidierung und zum Schuldenabbau nicht erkennen. Es bleibt bei allgemeinen Ankündigungen. Zu befürchten ist: Wenn gespart wird, dann vor allem zulasten politisch ungeliebter Projekte und Hilfeempfänger.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Frauen, Migrantinnen und Migranten, unabhängige Träger - sie alle müssen sich wohl auf harte Zeiten einrichten. Sie haben gesagt, es wird Opfer kosten. Wird darum auch das Sparen mit dem Rasenmäher abgelehnt? Gekürzt wird wohl, was nicht ins Weltbild passt.

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Sie haben den Menschen im Land neue Chancen versprochen. Ich habe mich während Ihres Vortrages die ganze Zeit gefragt: Welche Menschen in diesem Land meinen Sie und Ihr Koalitionspartner von der FDP denn eigentlich? Ich habe wieder die Starken, die sich selbst helfen können, die Reichen gefunden, die die Hilfe des Staates gar nicht benötigen. Was ist mit den vielen Menschen, denen man auf allen Ebenen Chancen offen halten muss, weil sie es alleine nicht können?

(Michael Solf [CDU]: Da haben Sie versagt!)

Sie, Herr Ministerpräsident, betonen immer wieder, das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft sei Ihnen wichtig. Gleichzeitig sind Sie im Wahlkampf mit dem Slogan angetreten: Sozial ist, was Arbeit schafft. In Wahlkampfzeiten sind solche einfachen Botschaften vielleicht noch legitim, aber Sie sind in Ihrer Regierungserklärung dabei geblieben.

(Zuruf von der CDU: Das Stiegler-Zitat!)

- Ich distanziere mich von der Äußerung von Herrn Stiegler. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Wenn aber alles sozial wäre, was Arbeit schafft, hieße es im Umkehrschluss, jede Art von Arbeit wäre sozial. Bedenken Sie doch einmal ernsthaft, was Sie damit aussagen!

(Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen gar nicht unterstellen, dass Sie das wirklich meinen. Ich denke, auch Sie wollen keine 80-Stunden-Woche oder die Rückkehr zum Man

chester-Kapitalismus. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sozial ist, was Arbeit schafft - hinter Ihrer einfachen Botschaft steckt die Ankündigung, die sozialen Akten in diesem Land zu verschieben. Ihre Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft ist nicht unsere. Das ist sehr klar geworden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Eine gute Infrastruktur, tüchtige und erfolgreiche Unternehmen, innovative Forschungseinrichtungen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, qualifizierte und motivierte Arbeitnehmer - das wollen wir alle. Aber zur sozialen Marktwirtschaft gehören für uns auch Mitbestimmung, Arbeitnehmerrechte, gerechte Bezahlung für gute Arbeit, Bezahlung, von der man leben kann, statt Niedrigstlöhne und nicht zuletzt freie und verantwortliche Akteure auf gleicher Augenhöhe: nicht der eine Herr und der andere Knecht!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir stehen für sozialen Fortschritt, soziale Rechte, die den sozialen Frieden in diesem Land sichern helfen.

(Zuruf von der CDU: 5 Millionen Arbeitslose!)

Sozialer Frieden ist ein hohes Gut, um das uns viele anderswo beneiden. Denn nur in einer Kultur von Freiheit und Verantwortung ist eine soziale Demokratie dauerhaft möglich.

Diese Verantwortung vermissen wir bei einem Teil - ich betone: einem Teil - der Wirtschaft in diesem Land und auch bei Teilen Ihrer Koalition.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mit Erlaubnis der Präsidentin würde ich gerne zitieren:

Durch eine maßgebliche Beteiligung der Arbeitnehmer an der Betriebs- und Wirtschaftsführung soll die soziale Gleichberechtigung hergestellt, der Mensch ganz allgemein wieder in den Mittelpunkt der Wirtschaft gestellt... werden. Die deutschen Gewerkschaften stehen damit vor einer überaus großen und verantwortungsreichen Aufgabe.

Herr Rüttgers - er guckt mich gar nicht an; die ganze Zeit nicht -, Sie wissen sicher, wen ich da zitiert habe, nämlich den CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold, der dies in seiner Regierungserklärung am 17. Juni 1947 sagte. Diese Worte haben fast genau 58 Jahre danach nichts an Aktualität eingebüßt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Deshalb stemmen wir Sozialdemokraten uns im Interesse der Menschen in Nordrhein-Westfalen gegen alle Versuche, den sozialen Teil unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu minimieren und die Ökonomisierung zur alleinigen Messlatte des Denkens und Handelns zu machen. Wir wollen nicht, dass die zunehmenden Fliehkräfte in der Gesellschaft unser Gemeinwesen auseinander reißen. Ich habe große Sorgen, dass die vielen Klammern unbewusst oder mutwillig weggesprengt werden. Das Ergebnis - wir wissen es alle - wäre eine Radikalisierung unserer Gesellschaft. Das können und dürfen wir alle nicht zulassen; denn die Auswirkungen auf unsere Demokratie wären dann nicht mehr kalkulierbar.

Die Zukunftsvorstellung Ihrer Koalition ist nicht das sozial gerechte Nordrhein-Westfalen. Im Gegenteil: Sie wollen in NRW vieles - vor allem die soziale Demokratie und die Chancengerechtigkeit - zurückdrehen. Auf Dauer wird die Gesellschaft als Ganzes der Verlierer sein; denn auch die heutige Mittelschicht wird schon bald zu spüren bekommen - die Sorge ist bereits da, deshalb geht die Sparquote ja auch nach oben -, dass die Chance auf Teilhabe etwa an Bildung noch weiter beschnitten wird. Am schnellsten wird dieser Prozess bei den Studiengebühren spürbar werden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mit den Studiengebühren schaffen Sie eine neue Hürde für Kinder aus Arbeiter- und Mittelschichtfamilien. Um Ihre zu erwartenden Einwände direkt aufzugreifen: Ja, auch uns ist es nicht gelungen, eine zufrieden stellende Quote von Kindern aus so genannten bildungsfernen Schichten ins Studium zu bringen. Meine Damen und Herren von der CDU, vor diesem Hintergrund ist es aber doch geradezu fatal, mit Studiengebühren eine weitere hohe Hürde aufzubauen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Herr Ministerpräsident, es ist interessant, was Sie in einem Interview mit dem „Focus“ am 20. Juni auf die Frage geantwortet haben, ob Studiengebühren nicht besonders junge Menschen aus einkommensschwachen Familien vom Studium abschrecken. Sie haben wörtlich gesagt: „Eine Alternative gibt es nicht.“ - Ich nenne das fast schon zynisch.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Rüttgers, Sie haben den vermessenen Anspruch erhoben, der Vorsitzende der Arbeiterpartei in diesem Land zu sein.

(Heiterkeit von SPD und GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Empirie ist das!)

Dann sorgen Sie auch dafür, dass die Kinder dieser Arbeiter in diesem Land in Zukunft weiterhin einen ungehinderten Zugang zu einer universitären Ausbildung haben. Wir brauchen mehr Akademiker für den Wohlstand unseres Landes.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Apropos Bildung! Interessanterweise haben Sie gestern einen wichtigen Punkt aus Ihrer Verabredung mit Ihren Partnern nicht mehr erwähnt, nämlich die Aufhebung der Grundschulbezirke. Hat Sie der einhellige Widerstand der Kommunen überzeugt,

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Nein!)

oder wollen Sie diesen Aspekt nur in den Hintergrund rücken?

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Nein!)

- Warum haben Sie ihn dann nicht erwähnt?