Protocol of the Session on July 14, 2005

- Warum haben Sie ihn dann nicht erwähnt?

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Ganz einfach: Weil er in der Koalitionsvereinba- rung steht! Die kennen Sie doch! - Lachen von SPD und GRÜNEN)

- Wissen Sie nicht, dass eine Regierungserklärung eine Konkretisierung der Koalitionsvereinbarung sein sollte?

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Ich gehe davon aus, dass Sie das wissen!)

- Sie sind in der Regierungserklärung nicht konkreter geworden. Das hängt damit zusammen, dass Sie wissen, dass bald Bundestagswahlen sind. Deshalb haben Sie Ihre Regierungserklärung auch so frühzeitig abgegeben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Im Übrigen passt die Aufhebung der Grundschulbezirke überhaupt nicht zu Ihren Versuchen, zwischen Markt und Wettbewerb zu unterscheiden. Die Abschaffung der Grundschulbezirke wird nicht Wettbewerb schaffen, sondern ist Markt pur.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist Getto- bildung!)

Sie wird dazu führen, dass gute Schulen den Kindern von Reichen vorbehalten werden.

(Zuruf von der CDU)

-Doch. - Den Grundschulrektorinnen und -rektoren der guten Schulen wird die Aufgabe auferlegt

werden, auszuwählen, wer auf ihre Schule kommen darf.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist wirklich der Witz des Jahrhunderts!)

Die Kriterien sind völlig unklar. Sie wissen: Der Erfolg einer Schule beim Ranking, beim Sozialprestige und bei den Spenden der Eltern für den Förderverein wird vom sozialen Umfeld dieser Schule abhängen. Sie schaffen sehenden Auges Restschulen, in denen die Kinder von Migrantinnen und Migranten und aus bildungsfernen Schichten konzentriert werden. Das nehmen Sie mit Ihrer Politik in Kauf.

(Lebhafter Beifall von SPD und GRÜNEN)

Anders als Sie sind wir der Anwalt für alle Kinder und nicht nur für Ihre Eliten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Heiterkeit von CDU und FDP - Ralf Witzel [FDP]: Pisa zeigt das ja!)

Wir waren es, die die sprachliche Frühförderung nach vorne gebracht haben.

(Zuruf von der CDU: Das ist zynisch!)

Wir waren es, die die offenen Ganztagsschulen gegen Ihren Widerstand aufgebaut haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie sind das Ergebnis rot-grüner Politik im Bund und im Land.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir waren es, die das Jugendfördergesetz eingebracht und verabschiedet haben. Die Tatsache, dass Sie sich dazu überhaupt nicht geäußert haben, zeigt, dass Sie diese Jugendlichen gar nicht im Blick haben.

(Beifall von der SPD)

Wir werden diese konsequente Kinder- und Familienpolitik fortsetzen; da genügt ein Blick in unser Wahlmanifest. Das ist unser Schwerpunkt.

Meine Damen und Herren von der CDU, in Ihrem Wahlprogramm werden dagegen ganz andere Schwerpunkte gesetzt. Konkret: die Ankündigung von Steuererhöhungen. Und - soviel ist deutlich - mit Zustimmung der NRW-CDU werden gravierende Einschnitte in das Kündigungsrecht und die Tarifautonomie gefordert. Arbeitssuchende müssen demnächst quasi freiwillig auf Kündigungsschutz verzichten. In Betrieben bis zu 20 Beschäftigten gäbe es dann wirklich keinen Kündigungsschutz mehr für Neueingestellte. Hier

geht es nicht um Einzelfälle, sondern wir reden über 90 % aller Betriebe in diesem Land.

(Beifall von der SPD)

Man muss es deutlich sagen: Mit der CDU soll Beschäftigung unter Tarif großflächig möglich werden. Empfänger des Arbeitslosengeldes II müssten einen 10%igen Abschlag vom Tariflohn hinnehmen. Die sogenannten betrieblichen Bündnisse sollen für ganze Unternehmen die Tarife außer Kraft setzen können.

Herr Laumann, Ihre Hoffnung hat getrogen. Sie konnten die CDA-Position offensichtlich nicht durchsetzen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ach! - Heiter- keit von der CDU)

Es gibt natürlich kein Vetorecht der Tarifparteien gegen solche betrieblichen Bündnisse.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: So locker geht der Arbeitsminister damit um!)

Es geht dabei nicht um die Möglichkeit der Abweichung vom Tarif im Notfall. Sie besteht heute schon. Es geht im Kern um eine Aushebelung der Flächentarifverträge, und die Gewerkschaften sollen aus den Betrieben verdrängt werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Thatcherismus!)

So sieht die Wahrheit aus.

Hinzu kommt die aktuelle Diskussion um die Mitbestimmung. Immer wieder wird aus den Reihen insbesondere der FDP, aber auch der CDU bei diesem Thema gezündelt. Die Mitbestimmung ist ein tragender Pfeiler unseres Wirtschafts- und Sozialsystems. Die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Entscheidungsprozessen in den Unternehmen hat sich bewährt. Ein gut Teil der Stabilität unseres Systems beruht darauf. Schauen Sie sich einmal in anderen Ländern um! Reisen bildet.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Schauen Sie sich einmal VW an! - Heiterkeit bei der FDP)

Ich freue mich, dass Sie die Mitbestimmung in Ihrer Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident, positiv erwähnt haben.

(Fortgesetzt Heiterkeit bei der FDP)

- Auch Ihr Ministerpräsident hat Sie in der Regierungserklärung positiv erwähnt.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das ist auch meine!)

Aber, Herr Ministerpräsident, hiervon müssen Sie Ihren Koalitionspartner wohl noch überzeugen. Ich

zitiere Herrn Lindner aus der „Rheinischen Post“ vom 29. Juni 2005 - Herr Laumann, hören Sie gut zu! -:

„Es wird nicht reichen, den Neuanfang in NRW und in Deutschland allein auf die Rückbesinnung zur katholischen Soziallehre zu organisieren.“

Das ist doch wohl deutlich.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, im Zentrum Ihres am Montag präsentierten Wahlprogramms steht die Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger Senkung des Spitzensteuersatzes. Wir haben gestern schon darüber debattiert: Die Mehrwertsteuererhöhung vertieft die soziale Schieflage Ihres Programms. Sie belastet insbesondere Familien mit vielen Kindern, Rentner und Arbeitslose. Ich empfehle Ihnen die Tabelle aus der „Rheinischen Post“ aus den letzten Tagen.

Von der geplanten Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung profitieren dagegen insbesondere die gut Verdienenden ohne Kinder. Das ist ein Programm, das die Entscheidung gegen Kinder forciert.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)