Wenn ich dann die ewige Mär höre, wir müssten jetzt endlich – endlich! – in Nordrhein-Westfalen ein Jugendstrafvollzugsgesetz auflegen:
Liebe Frau Seidl, haben Sie eigentlich einmal überlegt, wie lange wir die Gesetzgebungskompetenz dafür haben?
Ja? – Die Gesetzgebungskompetenz lag seit 1998 bei Rot-Grün im Bund. Und da haben Sie versagt. Ganz besonders Ihre Fraktion hat da versagt.
Kaum dass die Tinte des Bundespräsidenten unter dem Reformwerk trocken ist, haben wir das Eckpunktepapier hier im Plenum schon beraten – und das vor Siegburg! Da kann uns keiner sagen, dass wir trödeln – ganz im Gegenteil! Wo ist denn Ihr Entwurf? Dann legen Sie doch einmal Ihre Vorstellungen vor.
Wir können die gern im Rahmen unseres Antrages mitberaten. Darüber würden wir uns sehr freuen. Ich jedenfalls möchte mich für die gute Zusammenarbeit – auch mit dem Ministerium – in den letzten zwölf Monaten sehr herzlich bedanken. Ich glaube, dass der gesamte Justizbereich, insbesondere aber der Strafvollzug, auf einem Weg ist, der deutlich besser ist als das, was Sie, meine Damen und Herren, uns hinterlassen haben.
Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Müller-Piepenkötter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Natürlich ist heute auch das schreckliche Ereignis in Siegburg angesprochen worden, das uns alle betroffen gemacht hat und aus dem die Landesregierung die notwendigen Konsequenzen gezogen hat.
Wir haben ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das Gegenstand der zweiten Ergänzungsvorlage zum Haushaltsentwurf 2007 ist, und tun damit genau das, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen zu Recht von uns erwarten. Ich nenne die folgenden drei Eckpunkte:
Erstens. Wir werden die Rahmenbedingungen im Strafvollzug verbessern. Dazu werden wir den Personalabbau im Vollzug stoppen und neues Personal einstellen. Wir ermöglichen so eine bessere Betreuung der Inhaftierten. Wir werden 650 neue Haftplätze schaffen, die nicht zu neuen Inhaftierten führen, die aber für eine Entspannung der Belegungssituation in den vorhandenen Haftanstalten sorgen. Wir werden Gemeinschaftsunterbringung deutlich zurückfahren und die Betreuung der Gefangenen insbesondere an Wochenenden signifikant verbessern.
Zweitens. Wir werden die Ursachen der Gewalt im Strafvollzug ermitteln. Bereits am Freitag werde ich den Schlussbericht des Kriminologischen Dienstes vorstellen, der die Erkenntnisse liefert, um diese Mittel zielgerichtet im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Verbesserung des Strafvollzuges einzusetzen. Das ist auch Ziel der von mir eingesetzten Expertenkommission. Und das wird auch Inhalt des Anfang nächsten Jahres einzubringenden Jugendstrafvollzugsgesetzes sein, das tatsächlich überfällig ist. Wir haben jetzt endlich im Land die Gesetzgebungskompetenz, und wir werden sie wahrnehmen.
Drittens. Die Institution eines Ombudsmannes als unabhängiger Ansprechpartner für die Belange des Strafvollzuges wird sicherstellen, dass jeder vom Strafvollzug Betroffene einen unabhängigen Ansprechpartner findet.
Mit diesen Maßnahmen werden wir die Bedingungen, unter denen gerade junge Gefangene inhaftiert sind, weiter verbessern.
Sehr dankbar bin ich dafür, dass der Haushalts- und Finanzausschuss auf Antrag der Regierungsfraktionen beschlossen hat, für die Drogenberatung im nächsten Jahr weitere 400.000 € zur Ver
fügung zu stellen. Die Sucht- und Drogenberatung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der vollzuglichen Behandlung. Sie ist Voraussetzung für die Wirksamkeit aller sonstigen vollzuglichen Behandlungsmaßnahmen.
Die nach dem Regierungswechsel erstmals in den Justizhaushalt eingestellten Mittel für die Finanzierung von Beratungs- und Betreuungsleistungen durch externe Drogenberater haben sich als äußerst effektiv erwiesen. Sie sind allerdings bei Weitem nicht ausreichend. Mit der nun vom Haushalts- und Finanzausschuss beschlossenen Verfünffachung des diesjährigen Mittelansatzes werden wir die externe Drogenberatung massiv ausweiten und auch denjenigen Gefangenen eine Chance eröffnen können, die ansonsten ohne jegliche Perspektive bleiben müssten.
Ich komme nun zu den Gerichten und Staatsanwaltschaften. Hier schaffen wir durch den Stopp des von Rot-Grün beschlossenen Stellenabbaus die Voraussetzungen dafür, dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in unserem Land auch unter harten Rahmenbedingungen erhalten wird. Ich erinnere daran, dass die Landesregierung die Rechtspflege von dem 1,5%igen Stellenabbau ausgenommen hat, dass wir bereits im zweiten Nachtragshaushalt 2005 108 kw-Vermerke in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und 18 kw-Vermerke in der Arbeitsgerichtsbarkeit verlängert haben und dass wir im Haushalt 2006 insgesamt 200 neue Stellen im Assistenzbereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit und bei den Staatsanwaltschaften eingerichtet haben. Wir haben damit zahlreichen Aushilfskräften, die bereits seit vielen Jahren in der Justiz tätig sind, eine sichere berufliche Perspektive gegeben.
Im Haushaltsentwurf 2007 setzen wir die Bemühungen um eine Stärkung der Rechtspflege in unserem Land fort. Wir werden 125 kw-Vermerke im richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst streichen, die von Rot-Grün zur Abschöpfung von Kapazitätsgewinnen aus der Verlängerung der Arbeitszeit ausgebracht waren. Hiermit reagieren wir auf hohe und signifikant weiter ansteigende Belastungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften.
Parallel dazu werde ich die Binnenmodernisierung in der Justiz fortsetzen durch solche Maßnahmen, die zu deutlicher Effizienzsteigerung führen. In den Verwaltungsbereichen nicht mehr benötigtes Personal werde ich in den Kernbereichen Rechtspflege und Justizvollzug einsetzen. Dazu gehört, dass wir einen wesentlichen Teil der im Haushaltsentwurf 2007 vorgesehenen Investitionsmittel für die Einführung neuer und arbeitssparender IT
Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang die flächendeckende Erweiterung des elektronischen Handelsregisters mit Beginn des Jahres 2007. Dies ist ein wichtiger Meilenstein hin zu einem elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehr in den Bereichen der Justiz, in denen dies für alle Beteiligten zu einer Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahrensabläufe führt und hohe Effizienzpotenziale erschließt.
Daneben werden wir durch eine noch stärkere Bündelung aller IT-Services in einem gemeinsamen Rechenzentrum die Gerichte und Behörden des Landes von zahlreichen IT-Aufgaben entlasten. Dies erhöht die Produktivität, verbessert den Komfort für die Anwender und spart wertvolle Personalressourcen, die in der Rechtspflege eingesetzt werden können.
Meine Damen und Herren, die Justiz befindet sich trotz ganz erheblicher Herausforderungen auf richtigem Kurs. Der Haushaltsentwurf 2007 mit seinen Ergänzungen bietet die Gewähr dafür, dass ihre Funktionsfähigkeit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erhalten und verbessert wird.
Um das nachhaltig sicherstellen zu können, ist aber auch der Bundesgesetzgeber gefordert. Auf Bundesebene werden wir uns dafür einsetzen, dass der seit Jahren zu beobachtende Kostenanstieg bei den Ausgaben für die Prozesskosten- und Beratungshilfe gestoppt wird.
Meine Damen und Herren, hier bitte ich um Ihre Unterstützung, damit das Geld im Justizhaushalt da eingesetzt werden kann, wo es dringend gebraucht wird. Ebenso bitte ich um Ihre Unterstützung für den Haushaltsentwurf 2007 mit den genannten Kernpunkten und den Änderungen des Haushalts- und Finanzausschusses. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin Müller-Piepenkötter. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit komme ich zum Schluss der Beratung des Einzelplans 04.
Nunmehr folgen die Abstimmungen zum Einzelplan 04, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/3227 mit der laufenden Nummer 31. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – CDU
Wir stimmen zweitens ab über den Einzelplan 04 entsprechend der Beschlussempfehlung Drucksache 14/3004. Wer dieser Beschlussempfehlung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU und FDP. Wer ist dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit sind die Beschlussempfehlung und gleichzeitig der Einzelplan 04 angenommen.
Ich eröffne die Beratung und weise hin auf die Beschlussempfehlung und den Bericht Drucksache 14/3002 sowie auf die Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den laufenden Nummern 32 bis 45 in der Ihnen bereits bekannten Tischvorlage.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit drei Punkten beginnen, die ich zum Haushalt und damit auch zu den vergangenen zwölf Monaten des Agierens der Behörde des Ministerpräsidenten, der Staatskanzlei, vortragen könnte.
Punkt 1. Das Quartett aus Minister und drei Staatssekretären ist da. Das freut mich. Damit wird natürlich noch einmal deutlich, welches Jahr von Pleiten, Pech und Pannen
sowie der Stellenvermehrung hinter uns liegt. Es ist ja noch nicht vorbei, meine Damen und Herren. Denn wir konnten heute einen wunderschönen Artikel darüber lesen, dass es in der Staatskanzlei eines neuen Chefs vom Dienst bedarf. Der alte ist geschasst worden, der soll eine andere Position einnehmen. Wir werden uns natürlich um die Frage kümmern – Frau Kollegin Löhrmann nickt zustimmend –, was das nun wieder in Bezug auf Stellenvermehrung bedeutet.
Punkt zwei: Wir können uns darüber unterhalten, wie es mit der Wahrnehmung des ehrenamtlichen Engagements aussieht. Das, was wir in den Haushaltserläuterungen lesen konnten, hat uns an der Stelle auch nicht weitergeholfen.
Drittens. Herr Minister Breuer, wir können uns nicht in der Frage der sachlichen Kriterien auseinandersetzen, was die Suche nach einem neuen
Standort für die Landesvertretung in Brüssel angeht; da stimmen wir zu. Aber jetzt, meine Damen und Herren, ist natürlich der Zeitpunkt – ich habe es Ihnen ja auch schon persönlich gesagt –, wo wir nicht mehr gelten lassen, dass wir nicht bald eine Lösung bekommen. Denn Sie, Frau von Boeselager, haben uns in den Monaten unserer Regierungstätigkeit oftmals vorgehalten, dass wir an dieser Stelle nicht zu Potte kommen würden.
Punkt eins: die Fragestellung nach den Schwerpunkten der Europapolitik. Ich will feststellen – das haben wir auch in der letzten Ausschusssitzung getan –, dass wir begrüßen, dass es dort in wichtigen Bereichen Kontinuität gibt. Dazu gehört die Fortsetzung alter, begonnener Themen beispielsweise im Bereich Reach, Herr Brockes, aber natürlich auch im Bereich Ziel 2, zumindest dahin gehend, dass die alte und die neue Landesregierung es hinbekommen haben, dass wir überhaupt eine Ziel-2-Förderung, dass wir weiterhin auch die Förderung aus EU-Strukturfonds haben.
Aber wir sind in diesem Hohen Hause natürlich unterschiedlicher Auffassung, was – das ist ein Thema, das insbesondere die Wirtschaftsministerin angeht – die Frage der Operationalisierung des Programms anbelangt. Wie sieht es mit den klassischen Ziel-2-Regionen aus, und wie sieht es mit der Vorstellung aus, 50 % der Mittel in einem Landeswettbewerb flächendeckend über das Land Nordrhein-Westfalen zu verteilen? Das ist etwas, worin wir keinen Sinn sehen.
Ich will zweitens ein Thema nennen, bei dem wir glauben, dass wir durch die avisierte Politik in Europa eine echte Bedrohung für unser Land haben und dass unsere Landespolitik, das heißt die Politik dieser Landesregierung, Bedrohlichem aus Europa auch noch Vorschub leistet. Das ist das Stichwort Daseinsvorsorge.