Protocol of the Session on December 20, 2006

Die Gymnasien dürfen sich über ein Plus von 1.363 Stellen freuen. Dabei gehen beileibe nicht alle Stellen auf das Konto wachsender Schülerinnen- und Schülerzahlen, sondern sind einer gegenüber den übrigen Schulform deutlich größeren Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relation geschuldet. Dazu kommen die hohen Quoten der Stellen für Laufbahnwechsler und die attraktivere Besoldung.

Allen Beteuerungen zum Trotz, wie wichtig die möglichst frühe individuelle Förderung ist, werden dagegen 344 Stellen im Grundschulkapitel abgebaut, anstatt den demografischen Wandel genau an dieser Stelle zu einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen zu nutzen, wie das im Übrigen die erfolgreichen Pisa-Länder tun. 846 Stellen sind der Tribut der Hauptschulen, 148 Stellen muss die Realschule abgeben, und der Gesamtschule werden sachwidrig 125 Stellen vorenthalten.

Es ist perfide, den Gesamtschulen, die mit die größten Integrationsleistungen im Gesamtsystem erbringen und gerade Kinder aus Zuwandererfamilien größeren Bildungserfolg ermöglichen, aus ideologischer Blindheit, gepaart mit einer konstanten Erkenntnisverweigerung, notwendige Stellen zu streichen

(Ralf Witzel [FDP]: Bleiben Sie doch sach- lich!)

und diese Streichung damit zu begründen, in dem von mir kurz skizzierten Gesamtstellentableau des Haushaltsplans hätten Sozialpädagogen für Förderschulen sonst keine Stellen erhalten können. Das ist lächerlich. Es ist perfide, das in diesen Zusammenhang zu stellen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nicht nur der Kollege Kaiser hat sich mit seinem Bild vom lahmen Gaul tüchtig vergaloppiert. Auch die Ministerin hat mit ihrer sinngemäßen Aussage, die Schulleitungspauschale an Gesamtschulen sei eine Vergeudung von Ressourcen und diene nicht der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern, einen beispiellosen Affront vom Zaun gebrochen und ihre Fehlinterpretation und den Informationsbedarf über Schulleitungsaufgaben und -leistungen eindrucksvoll präsentiert.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Freude über die Verleihung des ersten deutschen Schulpreises an die Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund sind wir uns sicherlich einig. Aber macht es Sie eigentlich gar nicht nachdenklich, dass die ersten fünf Preise an Gesamtschulen gegangen sind, nämlich der erste Preis an die genannte Gesamtschule in der Primarstufe und die Preise zwei bis fünf an Gesamtschulen der Sekundarstufen I und II? Obwohl in der Auswahlkommission wahrscheinlich keine ausgewiesene Gesamtschul-Fangruppe saß, musste von ihr bestätigt werden, dass der Schulerfolg dort am breitesten verankert ist, wo die Lernbarrieren fallen, die gerade auch Strukturbarrieren und damit soziale Barrieren sind.

Diese Konsequenzen zieht die Landesregierung allerdings nicht. Erkenntnisverweigerung – ein zweites Mal.

Vielerorts gibt es Aufruhr in den Kommunen. Schulschließungen – gerade auch von Grundschulen – drohen. Schulverbünde werden blockiert. Gymnasien finden sich nach der einseitigen Schulzeitverkürzung im nackten Ganztag wieder – ohne Unterstützung bei der Mittagsversorgung und ohne Möglichkeiten, Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern Entspannungszeiten und -räume anbieten zu können. Hauptschulen, die fertige Ganztagskonzepte in den Schubladen haben, gucken in die Röhre; denn für sie gibt es keine neuen Mittel im kommenden Haushaltsjahr.

Lassen Sie die Schulen nicht weiter ins Leere laufen. Die Ganztagsmittel müssen für alle Schulen der Sekundarstufe geöffnet werden. Und lassen Sie die Schulen des gegliederten Systems endlich – endlich! – zusammenarbeiten, damit gerade im ländlichen Raum ein wohnortnahes Schulangebot erhalten bleiben kann.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Aktivitäten der Landesregierung sehen jedoch anders aus. Das Ziel der Chancengleichheit wird – es mutet kaltschnäuzig an – vom Tisch gewischt. Wie sieht es denn bei den Lernmitteln für Arbeitslosengeld-II- und Asylbewerber-Familien aus? Arme Kinder in NRW erkennt man neuerdings an fehlenden Schulbüchern. Während Sie dieses Problem mit schönen Phrasen im Schulgesetz nach dem Muster: „Die Kommunen stellen dann sicher, dass …“, zukleistern wollen, verschickt die Kommunalaufsicht schon Verbotsbriefe an Kommunen mit Haushaltssicherungskonzept.

(Frank Sichau [SPD]: Hört, hört! – Zuruf von Staatssekretär Günter Winands)

Zum Beispiel in Gelsenkirchen, Herr Winands. Sie sollten auf dem Laufenden sein. – Der Landesregierung gelingt es trotz des Klimawandels, in den Schulen sozialpolitischen Dauerfrost zu erzeugen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Aussagen, die sich das Ministerium in der Auseinandersetzung mit den kommunalen Spitzenverbänden leistet, sind wahrhaft ein Stück aus dem Tollhaus und lesenswert, Herr Winands. Ich empfehle Ihnen allen die kurze Serie von Kleinen Anfragen als besinnliche Weihnachtslektüre.

Potemkinsche Dörfer erzeugt das Ministerium weiterhin in Bezug auf die Zahl der neuen Lehrerstellen. Diese Taschenspielertricks kennen wir schon aus dem letzten Haushalt. Es wird versucht, alles doppelt und dreifach zu vermarkten – nach dem Motto: Ein neuer Anstrich, und keiner merkt es. Lassen Sie mich dazu den stellvertretenden Vorsitzenden des Philologenverbandes NRW, Gerhard Müller-Frerich, zu Wort kommen, der ausführt, dass Ergänzungsstunden der individuellen Förderung dienen sollenbei Problemen in einzelnen Fächern, zur Förderung besonderer Begabungen, für Aufsteiger aus anderen Schulformen und zur Aufstockung von Stunden, zum Beispiel in der dritten Fremdsprache.

„Konzepte,“

so führt er wörtlich aus –

„die all dies mit den fünf freien Ergänzungsstunden vermögen, haben sicherlich die Stufe höchster Genialität erreicht.“

Schulen werden zusätzliche Stellen für individuelle Förderung für den Ausgleich benachteiligender Lernausgangslagen versprochen. „Sozialindex“ heißt das richtige Instrument. Aber auch hier gilt: Rechte Tasche, linke Tasche! Die Stellen werden durch ein unsinniges Verfahren zur Sprachstandserhebung in den Kitas aufgesogen.

Ein Blick auf die Unterrichtsgarantie: Das, was Sie vorgelegt haben, ist eine Anwesenheitsstatistik, die auf dem Rücken der Lehrer und Lehrerinnen ausgetragen wird, die häufig genug schon am Limit arbeiten. Das gilt besonders auch für die Teilzeitkräfte im Grundschulbereich. Lediglich die Anwesenheit von Schülerinnen und Schülern in der Schule wird abgefeiert, egal welche Qualität der Unterricht hat.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Koalition der Beteuerung und die Koalition der Enttäuschungen versäumt die notwendigen Weichenstellungen. Kurz nach dem dramatischen Ereignis in Emsdetten spricht die Ministerin davon, dass mehr Schulpsychologen gebraucht werden. Jetzt wird zurückgerudert: Die 27,5 Stellen, die an Gesamtschulen verankert sind, sollen über das Land verteilt werden.

Wir werden einen Entschließungsantrag auf den Tisch des Hohen Hauses legen, der deutlich macht, welche Hausaufgaben Sie zu erledigen haben, damit Schulen endlich das notwendige Unterstützungssystem erhalten, wie endlich mehr multiprofessionelles Personal in die Schulen kommt, wie wirklich umgesteuert wird und ernst gemacht werden kann mit individueller Förderung und der Förderung des sozialen Zusammenhalts, einem Thema, das Sie so gerne außen vorlassen.

Angesichts der Überweisungsquoten an die Förderschulen müssten Sie eigentlich schlaflose Nächte haben. Ein Beispiel: Fast 11.000 € pro Kind wenden wir dort auf, anstatt das Geld in verbesserte Rahmenbedingungen an den allgemeinbildenden Schulen zu stecken, damit die Förder- und Integrationsleistungen dort erbracht werden können.

Wir fordern Sie deshalb auf, endlich die Weichen für eine Qualifizierungsoffensive im Land zu stellen sowie die notwendigen Ressourcen dafür zu investieren. Die Krönung Ihrer Initiativen in diesem Jahr ist leider nur die irrationale und ideologiegesteuerte Eliminierung des Landesinstituts für Schule in Soest.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Zum Schluss bleibt mir noch das bittere Kapitel der Weiterbildung: Unter massivem öffentlichen Druck haben Sie die Kürzungen zurückgefahren. Es fehlten der Koalition der Beteuerung aber offensichtlich die Kraft und der Wille, bei dieser eklatanten Fehlsteuerung das Ruder gänzlich herumzureißen.

Ich zitiere:

„Weiterbildung als Erweiterung der Lebenschancen, als Beitrag zur Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens und als wichtiger Baustein des Standorts NRW setzt Pluralität und Trägervielfalt voraus.“

Weiter heißt es an anderer Stelle:

„Die Förderung und Stärkung der allgemeinen politischen, kulturellen und beruflichen Weiterbildung sowie die Familienbildung wird durch

eine finanzielle Grundförderung des Landes auf dem Niveau des Jahres 2000 gesichert.“

Unterschrieben ist das von Jürgen Rüttgers, Bernhard Recker, Michael Ezzo Solf, Klaus Kaiser, Ursula Doppmeier. Es handelt sich dabei um den Entschließungsantrag der CDU vom 19.04.2005. – So viel zu den Halbwertzeiten christdemokratischer Versprechen. Von der Weiterbildungsumfallerpartei will ich gar nicht erst reden. FDP ist ihr Name.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist schon dreist, den Menschen verkaufen zu wollen, man werde in der Weiterbildung noch etwas draufpacken. Die begrüßenswerten ESFMittel sind kein Ersatz für wegbrechende strukturelle institutionelle Förderung. Das wissen Sie ganz genau, versuchen aber, die Öffentlichkeit weiter hinters Licht zu führen. Es bleibt dabei: Die Weiterbildung in NRW wird noch einmal mit mehr als 10 % Kürzungen im Vergleich zu 2006 zur Kasse gebeten und ist das permanente Sparschwein im Einzelplan 05.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Beer. – Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Frau Pieper-von Heiden.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das war Sigrid Beers Märchenstunde.

(Beifall von der FDP – Oh-Rufe von der SPD)

Aber zu Weihnachten sollte man andere Märchen erzählen, als Horrorvisionen zu verbreiten, Frau Beer. Nicht etwa, weil das Weihnachtsfest vor der Tür steht und die Opposition etwas milder und ehrlicher gestimmt sein sollte, fällt es heute leicht, hier am Rednerpult zu stehen und über den Haushalt 2007 für den Bereich Schule und Weiterbildung zu sprechen, meine Damen und Herren, sondern vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass der dringend notwendige und von uns eingeschlagene Weg zur Haushaltskonsolidierung und Haushaltssanierung konsequent fortgesetzt wird, bietet der vorgelegte Haushaltsentwurf allen Grund zur Freude. Dieser ist der Beweis dafür, dass dem Thema Bildung tatsächlich oberste Priorität eingeräumt wird.

Der Bereich Schule und Weiterbildung ist der mit Abstand größte Einzeletat des Landes. Die vorgelegten Zahlen machen deutlich, dass die Voraussetzungen für eine weitere qualitative Verbesse

rung der Schulen in Nordrhein-Westfalen geschaffen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass auf das Wort von FDP und CDU Verlass ist, belegt die Tatsache, dass auch im Jahr 2007 1.000 zusätzliche Lehrerstellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für die individuelle Förderung geschaffen werden.

(Beifall von FDP und GRÜNEN)

Damit sind seit dem Regierungswechsel vor eineinhalb Jahren 3.000 zusätzliche Stellen geschaffen worden.

(Beifall von der FDP)

Ab dem Schuljahr 2007/2008 erhalten die Grundschulen einen Stellenzuschlag, der 3 % der Grundstellenzahl entspricht. Konkret sind das 940 Stellen. Die Hauptschulen werden insgesamt 520 zusätzliche Stellen und damit einen Zuschlag gegen Unterrichtsausfall erhalten, der 4 % der Grundstellenzahl entspricht. Dabei sind wir fast an unseren früheren Idealvorstellungen einer schuleigenen Vertretungsreserve angelangt. Darauf möchte ich einmal verweisen.