Protocol of the Session on October 26, 2006

Deshalb meine ich, dass das, was heute hier aufgezählt worden ist, dass man Familien auch durch das, was der Staat leisten kann, in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken kann, dass wir in der Familienbildung und -beratung ganz bewusst einen Schwerpunkt setzen, um denen, die Rat suchen, zu helfen, auch eine sehr wichtige Aufgabe ist, die die Politik und hier die Landespolitik leisten kann.

Unsere Politik richtet sich deshalb an drei zentralen Punkten aus. Wir wollen eine verlässliche, qualitativ gute Bildung und Betreuung von Kindern schaffen, die Beratung und Unterstützung von Familien weiterentwickeln und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Alles das diskutieren wir in allen anderen Debatten. Ich wollte das heute ganz bewusst nicht in den Mittelpunkt stellen.

Bei einer Diskussion hat mir jemand gesagt: Wenn man das hört und wenn man eben unsere Debatte gehört hätte, würde das überhaupt keinen ermutigen, ja zu sagen zu Kindern.

Reden Sie doch einmal über das Schöne! Reden Sie doch einmal darüber, was das auch an Bereicherung ist, wenn Kinder einen immer wieder infrage stellen, wenn man Leid, Glück, Trauer und Schönes mit Kindern gemeinsam erlebt.

Ich tue das aber meistens doch nicht so gerne, weil am Ende, wenn man eine solche Rede halten würde, die Leute sagen: Typisch Politiker, der redet darüber, dass alles so schön und so wunderbar ist, aber er soll doch die Probleme lösen. In dem Zwiespalt stehen wir ja immer als Politiker. Aber dennoch müsste man es öfter sagen und nicht nur über Versorgungsquoten, Betreuungsquoten und Zielvereinbarungen reden, sondern auch diesen Wert, den es in diesen Familien gibt, ab und an einmal erwähnen. Diese Debatte heute bietet uns dazu, meine ich, die Chance.

Lassen Sie mich schließen mit einigen Bemerkungen zu dem Thema Generationen. Wir haben

über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf diskutiert und meinen damit meistens Kinderbetreuung. Wir werden in einer älter werdenden Gesellschaft Vereinbarkeit von Familie und Beruf zunehmend auch als Pflegebetreuung von Älteren in den Blick nehmen müssen. Es wird eine ganz neue Vereinbarkeitsdebatte geben, dass nämlich Kinder ihre Eltern pflegen und auch dafür eine Vereinbarkeit mit dem Beruf herstellen müssen. Ich fürchte, auch in dem Punkt wird wieder die größere Last bei den Frauen liegen. Insofern ist es wichtig, dass wir hier Männer und Frauen gleichermaßen in die Pflicht nehmen für eine solche neue Vereinbarkeitsdebatte.

(Beifall von der CDU)

Wir werden zunehmend eine ältere Generation haben, eine Großelterngeneration, die keine Großeltern mehr sind, zunehmend ältere Menschen, die gar keine Kinder mehr haben und auch keinen Kontakt mehr zu Kindern haben. Da generationenübergreifende Projekte zu schaffen, Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen, ist, meine ich, auch etwas, das nicht nur die Mehrgenerationenhäuser des Bundes, sondern auch wir uns vor Ort zum Thema machen müssen.

Lassen Sie mich eine allerletzte Bemerkung machen: Wir haben viele Formen von Kinderlosigkeit. Wir sollten uns als Politik immer davor hüten, Kinderlosigkeit als Kinder- und Familienfeindlichkeit zu benennen. Denn es gibt viele, viele Gründe, weshalb Menschen kinderlos geblieben sind.

Nur die oft beschriebene Gruppe Besserverdienender mit der selbst gewählten Kinderlosigkeit gibt es auch. Die sagen für sich selbst: Ich will nicht verzichten. Ich möchte noch in den Urlaub fahren. Ich möchte noch viel Geld für meinen eigenen Lebensstil und Luxus haben. Die gibt es auch. Die gibt es auch in unserem Land. Es ist eine Frage von kultureller, sozialer Kompetenz, wie man seine eigene Lebenseinstellung beschreibt.

Wir müssen aufpassen, dass nicht in einer älter werdenden Gesellschaft diese Gruppe so stark ist, im Alter dann noch so viel ausmacht und sich in den Wählerstimmen so niederschlägt, dass wir keine Lobby mehr für Kinder und Familien haben.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Diese Frage wird uns zunehmend beschäftigen, denn die Gruppe der Kinderlosen geht irgendwann in den Ruhestand. Wenn man mit 30 und 40 schon nicht zu einer solchen Solidarleistung bereit war, ja zu sagen zu Kindern, ja zu sagen zum Verzicht und den Weg vom Ich zum Wir zu gehen,

nicht bereit war, mehr in eine Beziehung hineinzunehmen, dann wird das im Alter keine Generation sein, die dann die Stimme für Kinder und Jugendliche erhebt.

Auch hier rechtzeitig eine Wertediskussion unter Generationsgesichtspunkten anzustoßen, tut uns – glaube ich – allen in diesem Land sehr gut.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Auch hier der allgemeine Hinweis: Ich bin im Augenblick nicht erkältet. Wenn ich huste, dann hat das gelegentlich etwas mit der Redezeit zu tun.

Jetzt hat als nächster Redner der Kollege Jörg für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation der Familien in Nordrhein-Westfalen kommt gerade zu Recht in einer Zeit, in der wir uns intensiv um die Situation der Familien und vor allen Dingen der Kinder in unseren Familien kümmern müssen.

Zunächst bin ich froh, dass sich das gesellschaftliche Bild von Familien innerhalb der CDU in den letzten drei Jahrzehnten verändert hat – der Minister hat es vorhin ausführlich beschrieben – und sich langsam der Realität nähert. In der Beantwortung gibt es auf jeden Fall eine Handvoll Indizien, die dafür sprechen. Die von einigen Kreisen der CDU noch immer propagierte Meinung, dass Familien vor allen Dingen aus einem allein verdienenden Vater und einer dem Haushalt verpflichteten Mutter bestehen sollten, ändert sich offenbar langsam.

Mir scheint, dass sie insofern deutlich schneller in der Entwicklung sind als zum Beispiel die Katholische Kirche – immerhin.

Auch die Formulierung, dass die Landesregierung die Gründung von Familien erleichtern und bestehende Familien fördern möchte, stößt hier im Parlament auf große Zustimmung. Da bin ich relativ sicher.

Weiterhin ist es natürlich völlig richtig, eine verlässliche und qualitativ gute Kinderbetreuung zu schaffen. Auch bei der Forderung, die Beratung und Unterstützung von Familien weiterzuentwickeln, sind wir auf Ihrer Seite. Das sind allesamt Punkte, für die in diesem Hohen Hause einstimmige Abstimmungsergebnisse zu erreichen wären. Da bin ich völlig sicher.

Aber leider ist die Realität eine andere: Es schleicht sich in der Beantwortung der Großen Anfrage die Rüttgers-Masche ein. Kennen Sie die Rüttgers-Masche? – Nun, sie ist einfach erklärt: Man beschließt die Hartz-Reform und verschärft sie, wo man kann, um anschließend eine Generalrevision zu fordern.

(Minister Armin Laschet: Das hat Herr Rütt- gers doch nicht beschlossen! – Britta Alten- kamp [SPD]: Aber er hat es mit beschlos- sen!)

Man drängt die eigene Partei zu mehr Sozialpolitik, obwohl man sie selber im eigenen Land jahrzehntelang bekämpft hat. Man schimpft auf BenQ und andere und lässt die eigenen Landesbediensteten verunsichert im Regen stehen.

(Rudolf Henke [CDU]: Das ist doch unglaub- lich! Sie vergleichen Äpfel mit Heftzwecken!)

Man möchte das familienfreundlichste Bundesland werden und organisiert die massivsten Kürzungen bei den Familien in der Geschichte NRWs. Die Krönung: Man ruft das Jahr des Kindes aus und streicht 170 Millionen € bei den Kindergärten. Das, liebe CDU und liebe Landesregierung, ist die Realität. Das ist die Rüttgers-Masche.

In diesem Sinne sind viele Erkenntnisse in der Beantwortung der Großen Anfrage richtig. Doch die Folgen und das Handeln fehlen.

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Diese Worte von Erich Kästner sollten wir vor Augen haben, wenn wir uns einigen Passagen inhaltlich nähern.

Eine Erkenntnis nicht nur in der Beantwortung der Anfrage – die Kolleginnen und Kollegen haben es vorhin auch gesagt – ist, dass Kinder in Deutschland nach wie vor ein Armutsrisiko darstellen. Es ist in diesem Zusammenhang bitter zu sehen, dass die Große Koalition in Berlin Eltern steuerlich entlasten will und die Landesregierung die Entlastung durch die Kürzung im Kindergartenbereich in die eigene Kasse spült.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass Familien über weniger Einkommen verfügen. Ganz dramatisch ist die finanzielle Situation für alleinerziehende Mütter. Sie verfügen nur über rund 61 % der relativen Einkommensposition im Vergleich zu Menschen ohne Kinder.

Wir alle wissen, dass die soziale Situation unmittelbar mit der späteren Ausbildung der Kinder zusammenhängt. Kinder armer Eltern, egal, ob sie alleinerziehend sind oder nicht, bleiben später ebenfalls arm. Sie haben kaum Chancen, aus die

sem Kreislauf auszuscheren. Dadurch verliert unsere Gesellschaft an sozialer Mobilität und Dynamik: ein zweifelsfreies Indiz, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hier nicht gut aufgestellt ist.

Für uns in NRW sollte es bedeuten, dass wir gerade Kinder, die aus einfachen sozialen Verhältnissen kommen, besonders fördern. Denn die Potenziale der Kinder lassen sich nicht am Geldbeutel der Eltern festmachen.

Doch was macht die Koalition der Verschlechterung? – Sie zerschlägt schrittweise die bislang guten Hilfe- und Beratungsstrukturen in unserem Land. Frauenhäuser, Erziehungs- und Familienberatung, die auch hier zu einer lebenswichtigen Ader einer guten Hilfe gehören, werden langsam in die Knie gezwungen – genau entgegengesetzt zu dem, wie es richtigerweise in der Antwort steht. Die Rüttgers-Masche lässt auch hier grüßen.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Jetzt ist es aber gut!)

Diese Einrichtung für sozial Schwächere ist häufig eine sichere Zuflucht, in denen sie Hilfe und in den Frauenhäusern auch Obdach bekommen. Statt die Strukturen zu zerschlagen, müssten sie gestärkt werden, wenn man es mit der Unterstützung und der Hilfe für Kinder wirklich ernst meinen würde.

(Zuruf von Rudolf Henke [CDU])

Es gibt eine einfache Formel, die wir alle zusammen berücksichtigen sollten: Immer da, wo die Familie versagt, immer da, wo Kinder in ihren Familien keine richtigen Lebensimpulse mehr bekommen, muss der Staat so gut es geht einspringen. Mehr Staat statt Elend oder Verwahrlosung. Wir – damit meine ich alle Politiker aller Parteien – müssen uns politisch zurück in die Kreise der Gesellschaft begeben, in denen das Leben als aussichtsloser Kampf erlebt wird. Wir müssen den Kindern dieser Menschen eine Perspektive bieten. Das, liebe CDU-Landtagsfraktion, kann man nicht durch eine Verschärfung der Hartz-Gesetze erreichen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Diese sozial schwächer gestellten Menschen kommen ohne Hilfe nicht durch das Leben. Sie verfügen nicht über die Mechanismen und Ressourcen, um aus Lebenskrisen herauszukommen. Der Bericht zeigt klar auf, dass diese Familien und vor allem die Kinder deutlich mehr Lebensrisiken ausgesetzt sind als Kinder aus sozial stabileren Verhältnissen. Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen doch, dass unsere Kinder die Zu

kunft unseres Landes sichern. Deshalb brauchen wir auch Kinder.

Ich komme zum Schluss. – Wir können es uns nicht leisten, Kinder außen vor zu lassen, nur weil sie die schlechteren Startbedingungen haben. Wir müssen sie da abholen, wo wir stehen.

(Rudolf Henke [CDU]: Wo Sie stehen!)

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat die Koalition der Verschlechterung leider gar nicht begriffen. Sie sind ideologisch gefangen.

(Zurufe von CDU und FDP: Oh!)

Deshalb tragen Sie nicht dazu bei, dass es den Familien im Lande besser geht. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Welch ein sachlicher Beitrag!)

Vielen Dank, Herr Kollege Jörg. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung und stelle fest, dass die Große Anfrage 2 der Fraktion der SPD erledigt ist.