Werter Herr Sagel, wenn man dann kürzt, schallt einem sofort entgegen, das sei sozial ungerecht. Ich erlebe das vor Ort reichlich. Wann immer ich mich den Diskussionen vor Ort stelle, wird mir entgegengehalten, es sei nicht sozial, nicht gerecht und nicht ausgewogen.
Allerdings wird dabei immer vergessen und übersehen, was in Gesprächen aber entwickelt werden kann, dass es in keiner Weise sozial gerecht sein kann, heute durch Verschuldung auf die Arbeitsleistung unserer Kinder und Kindeskinder zurückzugreifen, die diese noch gar nicht erbracht haben können. Es kann nicht sozial sein, etwas zu verteilen, was unsere Kinder erst noch erarbeiten müssen. Das ist mit Sicherheit unsozial im schlimmsten Sinne.
Ich sehe im Augenblick eine gute Chance, das zu tun. Der Ministerpräsident und das Landskabinett kommen gerade aus Bayern wieder. Dort fand eine gemeinsame Kabinettsitzung statt.
Frau Kollegin Kraft, ich hoffe, wir sind gemeinsam stark genug, damit es uns – zumindest was den Solidarpakt II angeht – gelingt, die Evaluation vorzuziehen, um mehr Gerechtigkeit in die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu bekommen.
Ich habe die Erwartung an die Landesregierung, dass sie unsere Anliegen in die nun laufenden Gespräche hinein nimmt. Ich bin guter Hoffnung, dass sie diese Erwartung erfüllen wird. Die Tür muss für zusätzliche Verschuldungen in Bund und Ländern geschlossen werden. Die Bestimmungen in Art. 115 und Art. 109 unseres Grundgesetzes müssen gestrichen werden, wonach mehr Schulden gemacht werden können, wenn eine vermeintliche Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklärt werden kann. Diese Hintertür muss geschlossen werden.
Wir wollen gemeinsam über Art. 83 Abs. 2 unserer Verfassung sprechen, der darauf in gleicher Weise Bezug nimmt.
Ich habe die Hoffnung und die Erwartung, dass wir miteinander klarkommen und wir viele Verbündete finden, angefangen bei unserem Bundesfinanzminister, von dem ich höre, dass er einmal Ähnliches angedacht hat, bis hin zum Sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt, der Gleiches angeregt hat. Wir tun damit etwas Gutes für unser Land und für die Zukunft unserer Kinder. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stahl. – Für die zweite antragstellende Fraktion hat Frau Abgeordnete Freimuth, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! FDP und CDU haben seit Übernahme der Regierungsverantwortung immer wieder bekräftigt, dass wir die Sanierung der öf
fentlichen Finanzen anstreben, dass wir einem ungebremsten Anstieg der Schulden unseres Landes und einem weiteren Anstieg der Nettokreditaufnahme entgegentreten wollen.
Ziel ist es, mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, bei dem die Ausgaben aus den Einnahmen finanziert werden und der immense Schuldenberg zudem langsam aber sicher abgebaut werden kann. Wir wollen Generationengerechtigkeit auch durch eine nachhaltige Finanz- und Haushaltspolitik.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, den letzten ausgeglichenen Haushalt hatten wir im Jahr 1973. Das war der letzte Haushalt, der ohne eine Nettoneuverschuldung ausgekommen ist. Das war der letzte Haushalt, in dem es gelungen war, den Schuldenstand im Vergleich zum Vorjahr tatsächlich zu senken. Seitdem ist die Kreditaufnahme völlig unabhängig von der jeweiligen Konjunkturlage jährlich angestiegen. Der Schuldenberg und damit die Belastung nachfolgender Generationen sind explosionsartig gewachsen.
Man muss sich ins Gedächtnis rufen, wie die Diskussion auch heute verläuft. Es geht nämlich nicht um die Vermeidung der Kreditaufnahme der öffentlichen Hand. Es geht leider wirklich wieder nur um die Frage, ob die Höhe der Nettokreditaufnahme unterhalb des Investitionsbetrages bleibt.
Man muss sich das vor Augen führen. Offensichtlich ist der Zustand der Kreditaufnahme zum Regelfall geworden. Er ist nicht mehr die Ausnahme, wie es die Verfassung eigentlich gebietet. Das müssen wir ändern. Aus Gründen der Generationengerechtigkeit dürfen wir nur noch das ausgeben, was wir haben.
Wenn wir für große Investitionen ausnahmsweise doch eine Finanzierung über den laufenden Etat hinaus vornehmen und dies über Kredite finanzieren wollen, müssen wir ebenfalls klar und plausibel darlegen und festlegen, wie wir diese Kredite zurückzahlen. Das gilt für jeden Privatmann. Es darf für den öffentlichen Haushalt an der Stelle keine Ausnahme geben.
Die Realität sieht aber bedauerlicherweise völlig anders aus: Jahr für Jahr steigen die Schulden der öffentlichen Haushalte an; dies geschieht völlig unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung. Seinerzeit wurde Art. 115 des Grundgesetzes durch die sogenannte Haushaltsreform im Jahr 1969 neu gefasst. Von der objektbezogenen Verschuldungsermächtigung wurde auf die Situa
tionsgebundenheit der Verschuldung umgestellt. Der Staatshaushalt sollte nicht nur der Bedarfsdeckung dienen, sondern auch für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht, für die Konjunktursteuerung schlechthin, zuständig und verantwortlich sein.
Für dieses Verständnis einer Finanzpolitik wird Keynes in Anspruch genommen. Ich lasse es dahingestellt, ob ihm das tatsächlich gerecht würde oder nicht. Jedenfalls muss man feststellen, dass diese Finanzpolitik und dieses Verständnis von Finanzpolitik in der Praxis jedenfalls gescheitert sind, falls sie überhaupt je funktioniert haben. Schon die früheren Rezessionsphasen 1974/75 oder 1981 bis 1983 konnten mit diesen Instrumenten nicht verhindert werden. Auch der strukturell bedingte Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte nicht gebremst oder vermieden werden. Das hat sich auch in den Wachstumsphasen als illusionär herausgestellt.
Meine Damen und Herren, wir müssen an dieser Stelle auch feststellen, dass auch in den Wachstumsphasen eine hinreichende staatliche Ausgabendrosselung nicht durchgesetzt werden konnte. Auch das ist die Realität.
Erinnern wir uns allein an die aktuelle Diskussion, in der wir bei den etwas positiveren Erwartungen zu den Steuereinnahmen direkt wieder riesige Wunschlisten vorgelegt bekommen, was mit dem Geld alles gemacht werden soll und wofür das Geld noch ausgegeben werden soll und es eben nicht für die Reduzierung der Verschuldung und damit zur Reduzierung der Belastungen nachfolgender Generationen eingesetzt werden soll.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen der Generationengerechtigkeit zum Sieg verhelfen. Wir müssen leider feststellen, dass sich die geltende verfassungsrechtliche Kreditobergrenze des Art. 115 Grundgesetz als unzureichend erwiesen hat.
Ja, Herr Sagel, bei dem Schuldenaufwuchs im Landes- und im Bundeshaushalt sind Sie natürlich Experte. Ich weiß das.
Aber an dieser Stelle kann man sogar den Bundesrechnungshof als Verbündeten in Anspruch nehmen. Deshalb sage ich auch ganz klipp und klar: Es ist notwendig, das bereits herausgehobene Problem der intergenerationell zulässigen
Staatsverschuldung auch durch eine Änderung des Grundgesetzes neu zu regeln. Daran führt aus meiner Sicht kein Weg vorbei. Es gibt in der Tat unterschiedliche Möglichkeiten, die da diskutiert werden.
Die eine Möglichkeit – dies ist die „gängige“ – ist die Klage vor dem Verfassungsgericht. In den letzten Jahren wurden das Bundesverfassungsgericht und der Verfassungsgerichtsgerichtshof unseres Landes gelegentlich angerufen. Im Ergebnis war das nicht sonderlich zielführend. Denn selbst wenn das Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit eines Haushalts festgestellt hat, hatte das keine unmittelbaren Konsequenzen. Denn das Haushaltsgesetz war dann zwar nichtig, aber durch Zeitablauf längst Geschichte. Noch dazu ist ein verfassungswidriger Haushalt nicht sanktionsbehaftet. Er ist allenfalls politisch fragwürdig.
Die zweite Möglichkeit, die man durchaus wählen kann, ist der Abschlag auf die Investitionssumme. Das hieße, dass man – um das kurz zu sagen – einfach festschreibt, dass wir zum Beispiel bei einer Investitionssumme von 100 lediglich zwei Drittel an Krediten dafür in Anspruch nehmen dürfen, um dem Gedanken Rechnung zu tragen, dass eben nicht jede öffentliche Investition zu den erhofften Rückflüssen führt.
Die dritte Möglichkeit halte ich für die sauberste und klarste Regelung, weil sie auch die unbestimmten Rechtsbegriffe „Störung“ und „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ vermeidet. Diese Möglichkeit besteht darin, dass wir die Streichung dieser Ausnahmeklausel in Art. 115 Grundgesetz vorsehen und angehen. Für dieses Anliegen werben wir auch mit diesem Antrag um Unterstützung. Denn dieser Zusatz ist nicht nur wegen seiner Unbestimmtheit problematisch, sondern er ist insbesondere deshalb problematisch, weil er eine Kreditaufnahme in unbegrenzter Höhe zu rechtfertigen scheint und lediglich auf eine Prognose abzielt, die im Nachhinein einer nachträglichen Überprüfung an der Realität faktisch entzogen ist.
Deshalb ist es notwendig, diesen Satz „Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ gänzlich zu streichen. Es darf nicht das Ziel aus den Augen verloren werden, dass in den Normalzeiten ein Haushalt ausgeglichen werden muss und sein muss, ohne dass Kredite aufgenommen werden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich vor, wir könnten uns hier im Landtag dann Debatten darüber ersparen, ob denn überhaupt eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichge
wichts durch ein Land allein erklärt werden kann und ob wir mit den beabsichtigten Maßnahmen auch tatsächlich wirksam gegen diese Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorgehen werden.
Lassen Sie uns lieber das Augenmerk darauf richten, wie wir in diesem Land die strukturellen Defizite beilegen können, wie wir es wieder schaffen können, ein attraktiver Wirtschaftsstandort in einem offenen, globalen Wettbewerb zu sein, damit die Menschen hier die Chance auf Beschäftigung haben und wir auf die Art und Weise unsere öffentlichen Haushalte sanieren, weil es hier in diesem Land vielen Menschen infolge der Investitionen in Bildung und Ausbildung, Innovationen und Technologie wieder besser geht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die SPD-Fraktion erhält die Frau Abgeordnete Brunn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat mich nicht gewundert, dass Sie, Herr Kollege Stahl, relativ wenig zum konkreten Inhalt Ihres Antrags gesagt haben.
Ich meine auch, wir sollten uns hier erst einmal mit der Frage auseinandersetzen, was Sie eigentlich beantragen. Sie schreiben in der Überschrift Ihres Antrags, Sie wollten den Staatsbankrott bekämpfen. Ich frage mich, welchen Staatsbankrott Sie eigentlich meinen. Meinen Sie, wir wären Argentinien? Die Überschrift ist schon ziemlich blühender Unsinn. Es ist auch ziemlicher Unsinn, wenn wir in Bezug auf Deutschland ständig das Wort vom Staatsbankrott im Munde führen. Es ist zwar schon üblich, das hier zu machen, aber es wird dadurch nicht besser.
Als Rezeptur wider den von Ihnen deklarierten drohenden Staatsbankrott bieten Sie die Streichung des kreditverfassungsrechtlichen Ausnahmetatbestandes der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus dem Grundgesetz an. Die Landesregierung solle einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat einbringen.