Protocol of the Session on September 27, 2006

Wie Sie wissen – das ist auch schon in den Vorreden genannt worden –, ist „individuelle Förderung“ eine der starken Säulen unseres neuen Schulgesetzes. Ich denke, dass es die Säule schlechthin ist. Sie ist erstmalig wirklich gesetzlich verankert worden. Die individuelle Förderung ist – das muss man an dieser Stelle sagen – kein neuer Ansatz, wahrlich nicht. Wo immer ich mich im Lande befinde und es Fragerunden gibt, wird mir immer wieder gesagt: Es geht Ihnen zwar um individuelle Förderung, aber wie macht man die? – Eigentlich wäre die Antwort auf diese Frage eine Gegenfrage: Wie haben Sie es denn bisher gemacht? – Denn individuelle Förderung ist bereits in vielen Lehrplänen und Richtlinien seit Jahrzehnten verankert. Nur ist sie dort offensichtlich noch nicht angekommen, wo sie landen soll.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich während der 35 Jahre meiner Zeit an der Schule in irgendeiner Weise konkrete Unterstützung bekommen hätte, wie ich individuelle Förderung machen soll.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, wir können es nicht hoch genug anrechnen, dass sich Schulen dennoch auf den Weg gemacht haben, wissend, dass individuelle Förderung ein wesentliches und wichtiges Prinzip ist, mit ihren Möglichkeiten zu versuchen, das umzusetzen, statt auf Unterstützung zu

warten. Wir müssen unser Augenmerk darauf lenken, dass es viele gute Schulen im Land gibt. Meine Damen und Herren, von diesen positiven Praxiserfahrungen, die wir honorieren wollen, gehen wir aus.

(Beifall von der FDP)

Was machen die Schulen konkret, die individuell fördern? – Es gibt vielfältige Möglichkeiten, und sie sind abhängig von der Schülerschaft und der Lehrerschaft, die wir haben. An dieser Stelle blühen auf der pädagogischen Wiese viele bunte Blumen, die wir wahrlich blühen lassen wollen.

Schulen stellen beispielsweise ihren Unterricht hin zu eigenständigen Lernprozessen der Schüler um. Sie setzen motivierende Aufgaben ein. Sie lassen unterschiedliche Lernwege zu. Sie nutzen systematisch Projektarbeit im Unterricht. Schulen, die individuell fördern, stellen Lerngruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammen. Sie lassen begabte Schüler in bestimmten Fächern am Unterricht höherer Jahrgangsstufen teilnehmen. Sie mischen Altersstufen und Jahrgänge.

Schulen, die individuell fördern, organisieren Lernstudios, also Fördergruppen außerhalb des Regelunterrichts. Sie machen auch Schüler zu Tutoren, die anderen Wissen vermitteln und dabei selbst Wissen verfestigen.

Schulen, die individuell fördern, stellen Förderpläne auf. Sie organisieren Rückmeldungen für Schüler über ihre Leistungen. Sie bieten Lernberatung durch Fach- und Klassenlehrer an.

Diese in der Praxis bewährten Konzepte fließen dann in ein schuleigenes Förderkonzept ein.

Mit diesem Konzept der individuellen Förderung basierend auf schulpraktischen Erfahrungen wird nicht nur den schwächeren Schülern geholfen, sondern auch die stärkeren Schüler erfahren eine individuelle Förderung ihrer Begabung.

Um den Schulen eine frühzeitige Orientierung bei der konkreten Ausgestaltung der individuellen Förderung zu ermöglichen, haben wir basierend auf dem oben genannten Förderkonzept gemeinsam mit dem Landeskompetenzzentrum für individuelle Förderung an der Universität Münster einen Katalog entwickelt. Es handelt sich zunächst um einen Handlungsfeldkatalog. Die einzelnen Kriterien aus diesem Handlungsfeld müssen noch heruntergebrochen werden.

Ich möchte Ihnen heute an dieser Stelle aber gern die vier großen Handlungsfelder vorstellen. Das erste Handlungsfeld heißt „Grundlagen schaffen – Beobachtungskompetenz entwickeln“. Das zweite

Feld trägt den Titel „Unterschiedliche Voraussetzungen und Begabungen im schulischen Umgang“. Das dritte Handlungsfeld hat die Überschrift „Übergänge begleiten“. Das vierte und ebenso wichtige Handlungsfeld heißt „Nachhaltigkeit sichern“.

Den Schulen, die diesen Handlungsfeldern entsprechen, wird für drei Jahre ein Gütesiegel verliehen. Sie können in dieser Zeit mit dem Gütesiegel für ihre Schule werben. Das finde ich durchaus positiv.

Darüber hinaus erhalten die Schulen die Möglichkeit, einen schulischen Ansprechpartner für individuelle Förderung zu benennen, der sich in diesem Bereich weiter qualifizieren kann. Diese Fortbildungsmaßnahme wird von der Stiftung „Bildung zur Förderung Hochbegabter“ finanziert.

Möchten die Schulen das Siegel auch nach Ablauf dieser drei Jahre führen, müssen sie ihre Aktivitäten im Bereich der individuellen Förderung weiter unter Beweis stellen. Wichtig ist mir, zu betonen, dass es sich bei dem Verfahren um ein Audit handelt. Die Kriterien werden den Schulen vorab bekannt gegeben. Jede Schule, die diese Anforderungen erfüllt, erhält die Auszeichnung: das Gütesiegel. – Das Gütesiegel zu erwerben, ist freiwillig. Das ist auch sehr wichtig. Wir ziehen keine weitere Schiene der Schulanalyse ein. Jede Schule kann auf ihrem Fundament und mit der Freude, etwas getan zu haben und das zu zeigen, dieses Gütesiegel erwerben. Das ist eine ganz positive Entwicklung.

(Beifall von CDU und FDP)

Der Startschuss für dieses Audit soll am 21. Oktober dieses Jahres im Rahmen des von der Stiftung „Partner für Schule NRW“ in Essen veranstalteten Kongresses „forum schule – Fachkongress ‚Praxis der individuelle Förderung!’“ fallen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Große Brömer.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Angst: Das ist nicht mein Redemanuskript, sondern nur das recht umfangreiche veröffentlichte Material, aus dem ich im Verlauf meiner Rede mit Erlaubnis der Präsidentin das eine oder andere Zitat vortragen möchte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, über die Zielsetzung der individuellen Förderung gibt es eigentlich keinen Streit. Es gibt keine Fraktion, die dieses Ziel, diese pädagogische Methodik nicht gutheißen würde. Das ist mehrfach festgestellt worden.

Bei der Frage, was das eigentlich ist beziehungsweise wie es umgesetzt werden soll, gehen die Meinungen allerdings auseinander. In der vergangenen Legislaturperiode beziehungsweise in der ersten Phase der jetzigen Legislaturperiode reicht die Bandbreite von der Förderung der Hochbegabten bis zum vorzeitigen Nach-Hause-Schicken von besseren Schülerinnen und Schülern, um die Schlechteren zu fördern. Diese Bandbreite stellt sich in der Praxis der politischen Situation offensichtlich dar.

Alle Experten haben deshalb mit Spannung erwartet, was die neue Landesregierung und die Regierungskoalition für Lösungsmöglichkeiten und Antworten anbieten, wenn sie diese individuelle Förderung jetzt sogar – begrüßenswerterweise – als zentrale Säule in ihr neues Schulgesetz schreiben.

Die Ratlosigkeit war offensichtlich etwas größer. Deswegen gab es eine Informationskampagne der Landesregierung. Die Ministerin, der Staatssekretär, die Regierungspräsidenten und weitere Schulaufsichtsbeamte wurden durch das Land geschickt und durften der interessierten Öffentlichkeit einen Power-Point-Vortrag über das neue Schulgesetz vorstellen: Nordrhein-Westfalen macht Schule. – Dort finden wir auf Folie 6 den ersten Maßnahmenteil für die Realisierung der individuellen Förderung aus Sicht der Landesregierung. Das sind die ersten differenzierenden Maßnahmen, nämlich die Sortierungsmaßnahmen, die unter diesem Begriff offensichtlich verstanden werden.

Es handelt sich um das Vorziehen des Stichtags für die Einschulung und die höhere Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung.

Der zweite Maßnahmenteil umfasst den schulformspezifischen Bildungsauftrag der Schule. Das Aussortieren ist demnach individuelle Förderung. Hinzu kommen natürlich die Kopfnoten, die ebenfalls individuelle Förderung darstellen sollen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es war nicht verwunderlich, dass die Expertinnen und Experten, nämlich die Schulpraktiker, etwas ratlos waren, ob das wirklich etwas mit individueller Förderung zu tun hat. Das Ministerium hat nachgelegt. Man hat das Modernste aufgelegt, was es in der Bildungspolitik zurzeit gibt: Eine sogenannte FAQ-Liste. Man kennt sie aus dem In

ternet, aus dem Computerbereich. Es handelt sich um die am häufigsten gestellten Fragen bei Problemen.

Darin findet man die Fragestellung, wie das Konzept zur individuellen Förderung aussieht. Das ist die zentrale Frage. Die Antwort der Landesregierung darauf lautet:

„Nach § 4 Abs. 1 der Ausbildungsordnung Grundschule sind die Grundschulen verpflichtet, Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern.“

(Beifall von der SPD)

Das war ausgesprochen hilfreich. Dann wird noch nachgelegt:

„Wir setzen dabei auf die Erfahrungen der Lehrkräfte vor Ort.“

Ein schlimmeres Armutszeugnis über Sinn, Zielrichtung und Zweck dieser Maßnahme kann sich eine Landesregierung eigentlich nicht ausstellen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wenn man dann noch die nächste Frage betrachtet, wie es erreicht werden soll, dass die Sitzenbleiberquote künftig halbiert wird – ein interessantes Thema –, dann lautet die Antwort der Landesregierung darauf:

„Die Reduzierung der Sitzenbleiberquote kann nur erreicht werden, wenn sich das Ministerium für Schule und Weiterbildung gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern auf den Weg macht.“

(Zurufe von der SPD)

Das ist in der Tat hilfreich. Wenn man die Antwort weiter liest, findet man den zentralen Satz:

„Durch Preise, Wettbewerbe oder Ähnliches werden Schulen angeregt, gute Konzepte umzusetzen.“

Diese Denkweisen spielen eine Rolle. Ich will einmal unterstellen, dass es irgendwann in diesem Prozess der Ratlosigkeit im Schulministerium einmal bei der Regierungsfraktion einen schlauen Menschen gegeben hat, der sich daran erinnert hat, dass es das Landesinstitut für individuelle Förderung gab, was unter Rot-Grün auf den Weg gebracht worden ist. Die Vorgängerin der jetzigen Schulministerin, Frau Schäfer, hat den Kooperationsvertrag zwischen Landesregierung und diesem Institut unterschrieben.

Dieses Institut hat dann tatsächlich einen Kriterienkatalog entwickelt. Ich will ihn jetzt nicht vorle

sen. Frau Ministerin Sommer hat eben die Überschriften genannt.

Ich will Ihnen aber eines sagen, meine Damen und Herren: Wenn man diese Kriterien und Stichworte Überprüfung der Lernausgangslage, Maßnahmen der inneren Differenzierung, Maßnahmen der äußeren Differenzierung, Lernbegleitung, Lernberatung, Beratungsprozesse beim Übergang Schule und Beruf als Kriterienkatalog für dieses Gütesiegel zugrunde legt, dann sollte das Ministerium heute Nachmittag direkt an ungefähr drei Viertel der Schulen des Landes dieses Gütesiegel per Post verschicken. Denn das ist in diesem Land längst gängige Praxis.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wenn man dann nach den Ressourcen fragt, die eigentlich zur Verfügung gestellt werden, haben ja gerade die beiden Rednerinnen, Frau Ministerin Sommer und Frau Pieper-von Heiden, auf diese Fortbildungsmaßnahme für die Schulen mit Gütesiegel hingewiesen. Ich darf aus dem Sprechzettel der Ministerin bei der Pressekonferenz zitieren. Es geht um diese Schulen, die das Gütesiegel haben: