Protocol of the Session on September 13, 2006

Die künstlerisch-kulturelle Bildung ist für alle wichtig. Sie befähigt Kinder und Jugendliche, sich künstlerisch auszudrücken, ästhetische Werte zu bilden und individuelle Interpretations- und Sichtweisen zu entwickeln.

Im Zusammenhang mit dem zweiten Begriff, den Sie einführen, gewinnt die künstlerisch-kulturelle Bildung jedoch noch einmal eine andere Bedeutung, eine zusätzliche Bedeutung, nämlich im Bereich der interkulturellen Bildung.

Das Zentrum für Türkeistudien in Essen hat nüchtern bilanziert, der Versuch zur interkulturellen Erziehung erschöpfe sich bisher häufig in Folkloreeinlagen im Sport- und Musikunterricht und in südländischen Spezialitäten auf Schulfesten. Ich hoffe sehr, dass das inzwischen eine Verzerrung ist. Doch trotz aller Fülle an pädagogischen Konzepten, Entwürfen und Projekten ist es offenbar noch nicht recht klar geworden, wie interkulturelle Erziehung in die schulische Praxis umgesetzt werden kann.

Interkulturelles Lernen – so hat es einmal Lale Akgün vom Zentrum für Zuwanderung in Solingen ausgedrückt – ist weder ein Förderunterricht zur Kompensation von Defiziten von Migrantenkindern noch ein Antidiskriminierungstraining für einheimische Kinder. Es ist ein Bildungskonzept, das alle Kinder, Lehrer und Eltern einbezieht und grundsätzlich die Qualität von Schule verändern soll.

Wie sollen deutsche Kinder Offenheit, Verständnis für ausländische Mitschülerinnen und Mitschüler entwickeln, wenn sie nicht oder kaum etwas über deren Kulturen erfahren? Hier kann Schule in ihrer ureigenen Form als Vermittlerin von Wissen zu viel interkultureller Bildung beitragen.

Jedoch kann die Gesellschaft ihre Orientierungsprobleme nicht einfach bei der Schule abladen. Schule wäre überfordert, sollte sie alle Defizite in diesem Sinne ausgleichen.

Deswegen ist es richtig, bei diesem Thema auch zum dritten Punkt Ihres Antrags zu kommen, nämlich zum Thema Integration. Hier kann ich nur sagen – adressiert auch an den Antragsteller –: Herzlich willkommen in der Wirklichkeit! Ich hoffe und glaube, dass es inzwischen bei der großen Mehrheit von Politik und Gesellschaft unumstritten ist, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaft leben. Die Innovation des Zuwanderungsgesetzes war es, die Integrationsförderung zur staatlichen und auch zur kommunalen Aufgabe zu machen.

Lange genug haben wir Debatten geführt, die zwei Pole hatten. Denn auf der einen Seite wurde in Ihrer Partei immer wieder hervorgehoben: Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland. Immer wieder hatten wir das Thema „Deutsche Leitkultur“. Wir hatten Auseinandersetzungen zum Zuwanderungsgesetz. Wir hatten Fragebögen zum Wahlkampf in Hessen. Ich will nur einige dieser Beispiele nennen.

Wir hatten auf der anderen Seite aber auch naive Vorstellungen von multikultureller Gesellschaft. Das muss hier auch benannt werden. Naiv waren sie insoweit, als sie Probleme ausgeklammert oder vielleicht sogar übersehen haben.

Die Integration und das friedliche Miteinander-Leben verschiedener Kulturen ist auch angesichts der großen internationalen Herausforderungen eine gemeinsame Aufgabe. Dabei wird es darauf ankommen, eine Wertedebatte zu führen, basierend auf dem gemeinsamen Fundament unseres Grundgesetzes und einer Geisteshaltung der Aufklärung.

Dieser Diskurs läuft bereits auf allen Ebenen. Es gibt Bundesfachkonferenzen zum interkulturellen und interreligiösen Dialog. Es gibt im Jahr 2008 das europäische Jahr interkultureller Bildung.

Wir haben außerdem ein ganz großes Projekt von interkulturellem Dialog, nämlich die Kulturhauptstadt Europas. Hier können wir zeigen, dass hier 140 Nationen friedlich und unter dem Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ leben.

Zum Schluss möchte ich einen Satz aus dem Unesco-Jahrbuch zitieren:

„Wenn der Begriff Kultur die Art und Weise des Menschseins beschreibt, dann ist dieser Begriff ein Begriff des Unterscheidens, der Differenz

und damit der Vielfalt. Kulturen und Menschen bilden sich erst durch Austausch.“

Dazu möchten wir gerne einen Beitrag leisten. – Wir stimmen der Überweisung des Antrags an die Ausschüsse zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Nell-Paul. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Keymis das Wort.

Frau Präsidentin! Um es gleich vorweg zu nehmen, damit gar keine Unruhe entsteht, Herr Kollege Sternberg: Wir stimmen der Überweisung zu.

Der Antrag ist umfangreich und ein Beleg für viel Fleiß, aber aus meiner Sicht insofern noch diskussionsbedürftig, als dass er eine Reihe von Zusammenfassungen bietet, die sich häufig im Antrag selbst wiederholen. Deshalb ist vieles von dem, was grundsätzlich zu diesen Fragen hier am Pult gesagt wird, von uns schon mehrfach gehört worden. Also muss ich das im Detail nicht alles wiederholen.

Wir Grünen haben im Jahre 2004 genau in diesem Saal eine Veranstaltung durchgeführt, bei der wir anhand von Best-Practice-Beispielen gezeigt haben, wie Kultur und Bildung im Land schon unterwegs sind. Es war eine sehr gut besuchte Veranstaltung. Den ganzen Nachmittag wurde im Plenarsaal musiziert, Theater gespielt und diskutiert. Das war – und das ist wirklich ernst und nicht ironisch gemeint – wesentlich spannender als die Debatte heute. Vor allen Dingen hat es uns belegt, dass diese Entwicklung schon seit vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen stark voranschreitet und in allen Bereichen Entsprechendes praktiziert wird.

Natürlich hat es im Zuge der Einführung der offenen Ganztagsschule einen besonderen Schub gegeben. Das ist völlig klar. Alle die Debatten, die seinerzeit darüber geführt wurden, sind heute Gott sei Dank ad acta gelegt, und wir sind uns einig, dass wir dieses für den richtigen Weg halten, um frühzeitig kulturelle Bildung in die Schulen zu tragen.

Da die Schulen über weite Strecken heute von Menschen besucht werden, die, wie Sie es an einer Stelle formulieren, mit „Zuwanderungsgeschichte“ im Lande leben, ist klar, dass diese kulturelle Arbeit, Bildung und Kultur letztlich etwas mit Integration zu tun haben. Man kann vermutlich

gar nicht mehr anders, als das Leben gemeinsam kulturell zu gestalten.

Vor dem Hintergrund ist auch das im Antrag richtig angesprochen. Auch die Fakten, die Sie aufzählen, sind so, wie wir sie seit Jahren diskutieren.

Ein wenig gestört hat mich – darauf hat Frau Kollegin Nell-Paul schon hingewiesen – dieser Alleinerfindungsanspruch, der in dem Antrag ein bisschen durchschimmert, nach dem Motto „Jetzt sind wir dran, und jetzt erfinden wir das!“, als ob es das so in den Facetten, wie ich es schon andeutete, im Lande nicht gegeben hätte.

Ich habe extra noch einmal die schöne Literaturrundschau „Jugendhilfe und Schule“ aus dem September 2005 mitgebracht. Da sortierte sich die Regierung noch – das tut die neue Regierung zum Teil heute noch –, und da war der Schwerpunkt Schule und Kultur gleich Schulkultur. Da ist auf fast 30 Seiten sehr beispielhaft zusammengefasst, was in Nordrhein-Westfalen schon geleistet wurde und wird, und zwar nicht erst seit gestern und vorgestern, sondern schon seit vielen Jahren. Sie selber haben auf ein berühmtes Beispiel in Duisburg hingewiesen mit dem Ballettmeister Maldoom und dem Projekt, das dort zu Beginn der 90er-Jahre in die Wege geleitet wurde.

Deswegen ist es wichtig, Herr Kollege Sternberg, dass wir uns bei der Diskussion nicht darauf versteifen, das als Werbeveranstaltung in irgendeiner parteipolitischen Art zu organisieren, sondern es kommt darauf an zu wissen, dass das für alle Menschen in unserem Land – junge Menschen, aber auch für die Älteren – von Bedeutung ist.

Ein großer Teil dessen, was an kultureller Bildung nicht mehr stattfindet, findet deshalb nicht mehr statt, weil die Kinder in der häuslichen Umgebung mit den Fragen gar nicht mehr konfrontiert werden, geschweige denn mit irgendwelchen von Ihnen so definierten Bildungsgütern.

Offen gesprochen haben wir auch ein Problem. Wir sprechen immer von Goethe und Bach, aber wer von uns kennt schon arabische Schriftstellerinnen und Schriftsteller, wer kennt sozusagen die Kultur derer, mit denen wir immer versuchen wollen, in den Dialog zu kommen. Das sind nicht viele hier im Saal, nehme ich an. Ich selber bin auch kein großer Kenner.

Von daher ist genau da die riesige Lücke, die wir schließen müssen. Wenn wir vom Dialog der Kulturen reden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann hat das eben ganz viel damit zu tun, dass wir es nicht nur aus unserer eurozentrischen Sicht be

trachten, sondern uns ein Stück weit lösen und sehen, wie vielfältig die Welt ist, und interaktiv in diesen Austausch hineingehen, aber mit der Offenheit, die sich gehört.

Ich bin gespannt, wie viele ich am Samstag Abend im Mülheim treffen werde, wenn das „Theater an der Ruhr“ eine Theatergruppe aus Bagdad zu Gast hat, die ein Stück nach Garcia Lorca spielen wird, „Bernarda Albas Haus“. Es ist übrigens ein Frauenstück, setzt sich mit dem Katholizismus in Spanien und den Frauen, die damit umzugehen hatten, auseinander.

Es ist eine ganz spannende Geschichte, das jetzt aus der irakischen Sicht, von modernen Theaterleuten aus Bagdad, zu sehen zu bekommen. – Nicht, dass jetzt jemand jubelt. Diese Theatergruppe gibt es nicht erst, seit da die Amerikaner stationiert sind. Es gab auch vorher schon Kulturaustausch mit Bagdad. Der war insgesamt friedlicher. Es ist heute natürlich wesentlich schwieriger, in Bagdad Theater zu machen, als das vorher der Fall war, auch wenn die Umstände, die vorher geherrscht haben, schrecklich waren. Wir wollen an der Stelle nichts verheimlichen und umdrehen.

(Minister Armin Laschet: War das ein Lob für Saddam Hussein?)

Aber dass das „Theater an der Ruhr“ vor dem Krieg in Bagdad gastiert und deutlich gezeigt hat, dass unsere kulturellen Angebote im interkulturellen Dialog laufen können, war schon eine besondere Sache. Wir haben in der Fraktion dazu mit den Theatermachern aus Mülheim eine sehr spannende Diskussion über das Thema „Kunst und Krieg“ geführt.

Damit sind wir beim entscheidenden Punkt, der in Ihrem Antrag natürlich nur gestreift werden kann. Das Thema kulturelle Integration hat auch etwas mit Friedenspolitik zu tun. Ich glaube, dass wir alles, was wir künftig in diese Richtung diskutieren müssen, immer vor dem Hintergrund werden beraten müssen, dass sich die Welt insgesamt genau auf einem gegenteiligen Weg befindet, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich auf einem Weg des aggressiven Umgangs miteinander, des Terrorismus, des Bekriegens des Terrorismus, also im Grunde das Primat der Gewalt und des gewalttätigen Wirkens hier nach vorne gestellt wird.

Ich habe mit großem Schrecken die Rede des amerikanischen Präsidenten zum 11. September gehört, weil es genau in die andere Richtung geht als in die, die zum Beispiel in diesem an sich gut gemeinten und in vielen Punkten richtig geschriebenen Antrag zu lesen steht, nämlich dass es um ein friedliches Zusammenwachsen der Völker ge

hen muss, dass es um Austausch, um Dialog gehen muss und eben nicht um das politische oder sonstwie geartete gewalttätige Unterdrücken bestimmter Gruppen und Meinungen oder möglicherweise auch Glaubensrichtungen.

Ich glaube, dass wir vor dem Hintergrund diese Debatte sehr weit auffächern müssen. Es gibt sehr viel Konkretes im Land. Ich will auf die Details gar nicht mehr eingehen. Frau Kollegin NellPaul hat auf einiges schon hingewiesen; wir werden das im Ausschuss auch weiterhin tun. Wir werden uns dann darüber unterhalten: Welche Beiträge kann zum Beispiel Essen als Kulturhauptstadt – allerdings Essen und das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt; also auch da ein großer Rahmen, in den das passt – bis 2010 und darüber hinaus leisten? Einiges davon haben wir schon diskutiert.

Und ich glaube, dass wir ganz entscheidend von allen Debatten herunterkommen müssen, die uns irgendwie abheben wollen von den anderen nach dem Motto: Wir haben das für richtig erkannt und gepachtet, und andere müssen sehen, wie sie Bach und Goethe erlernen.

Ich würde mir wünschen, dass wir den interkulturellen Dialog in den Schulen nicht nur danach gestalten, dass wir gemeinsam erzählen, was wir für kulturell bedeutsam halten, sondern dass wir noch stärker darauf achten, was die Menschen, die zu uns gekommen sind, an Literatur, an Musik, an bildender Kunst, aber auch an Lebenskultur und Lebensart mitbringen und dass wir gemeinsam voneinander lernen. Wenn wir in diesem Sinne über diesen Antrag weiter diskutieren, dann freue ich mich darauf. In dem konstruktiven Sinne möchte ich diese Rede beenden. – Danke schön.

(Christian Lindner [FDP]: Es hat keiner ge- klatscht!)

Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Meine Damen und Herren, für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laschet das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat gerade deshalb wahrscheinlich keiner geklatscht, weil das selbst den Grünen eine Nummer zu viel war.

(Beifall von der FDP)

Wenn jemand sagt, man wolle hier keine Parteipolitik machen, und dann erklärt, wie toll in Bagdad alles gewesen sei, bevor die Amerikaner ka

men, wie gut die Kulturpolitik unter Saddam Hussein funktioniert habe, dann hat meiner Meinung nach eine solche Rede in diesem Parlament keinen Beifall verdient.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Keymis, ein Zweites: Es ist eine übliche Mischung, die die Oppositionsfraktionen hier vorführen. Entweder wird alles als schrecklich beschrieben oder man hält, wenn nach Meinung der Oppositionsfraktionen aus einer Fraktion eine gute Initiative kommt, Broschüren hoch und sagt: War alles schon da in diesem Land, ist alles wunderbar. Wir haben das alles schon gemacht.

In der Tat stand vieles in der Integrationsoffensive 2001. Es hat aber vier Jahre gedauert, ehe man das einmal angepackt hat, ehe man begonnen hat, Sprachförderung zu machen, ehe man beginnt, einen solchen Antrag mit konkreten Haushaltsstellen zu unterlegen.