Protocol of the Session on August 31, 2006

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Orth das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schade, dass ein so wichtiges Thema offenkundig mehr Interessenten auf der Pressetribüne findet als hier im Saal. Das möchte ich dem Ganzen voranstellen; denn ich glaube, dass wir hier ein sehr wichtiges Thema behandeln, das in den nächsten Jahren das persönliche Leben von vielen Bürgerinnen und Bürgern tangiert.

Frau Düker, wenn Sie hier das Steuerehrlichkeitsgesetz mit dem Verfassungsschutzgesetz in einen Topf werfen, dann tun Sie denjenigen, die von den Kontoabfragen entweder auf der einen oder auf der anderen Seite betroffen sind, einen Gefallen. Es hat schon eine andere Qualität, ob es darum geht, Kontostammdaten für finanzamtliche Zwecke komplett zu erfassen, oder ob es darum geht, dass sich der Verfassungsschutz bei Extremisten oder Terroristen diese Daten besorgen darf. Wenn Sie Seriosität vorgeben, bitte ich Sie, an der Stelle auch Seriosität zu wahren.

Natürlich kann man darüber streiten, ob es sinnvoll ist, Extremisten und Terroristen gleichsam zu behandeln. Sie müssen aber berücksichtigen, dass diesem Gesetzentwurf ein Leitgedanke entspringt, der da lautet: Ich will keine sogenannten sicheren Häfen schaffen. – So, wie der Übergang zwischen inländischen und ausländischen Terroristen fließend ist, so ist auch der Übergang zwischen Terrorismus und Extremismus fließend.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Wir können gerne einmal ein Seminar darüber abhalten, wie Sie das bitte schön sauber definieren mögen. Es gibt keine saubere Definition und keine saubere Abgrenzung an dieser Stelle.

Von daher bin ich bereit, dieses Gesetz so mitzutragen. Ich bin bereit, dieses Gesetz deswegen mitzutragen, weil eine Evaluierung bis 2009 ja stattfinden wird.

(Beifall von der FDP)

Dann werden wir sehen, ob sich einzelne Maßnahmen bewähren, ob es zum Beispiel an der Schnittstelle, die Sie kritisieren, problematisch oder unproblematisch für die Bürgerinnen und Bürger ist.

Ich denke, dass wir an dieser Stelle auch nicht verschweigen sollten, dass wir mit diesem Gesetzentwurf erstmalig eine Stärkung der Bürgerrechte und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorsehen. Wir haben mehr Transparenz. Die Ermächtigungen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werden jetzt konkret geregelt. Wir haben eine Kennzeichnung. Alle personenbezogenen Daten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben worden sind, müssen künftig eindeutig gekennzeichnet werden. Wir haben eine Benachrichtigungspflicht geregelt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Die Benachrichti- gung ist doch wertlos!)

Nein, das ist überhaupt nicht wertlos. Frau Düker, warten Sie doch einmal die Evaluierung ab. Dann werden wir sehen, was wertlos und wertvoll ist. Der Beitrag von Ihnen war aus meiner Sicht jedenfalls nicht in der Kategorie „wertvoll“ abzuspeichern.

(Beifall von der FDP – Monika Düker [GRÜ- NE]: Dann evaluieren Sie doch erst einmal!)

Wir haben die Auskunftsbefugnisse jetzt gegenüber den Banken und Telekommunikationsunternehmen ausgeweitet. Ich denke, das muss man vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahre so machen. Man muss auch im Internet mehr nachsehen.

Ich sage ganz klar: Alles, was wir heute beschließen, ist eine Momentaufnahme. Und so, wie die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit im Moment an der einen oder anderen Stelle leider dazu führt, dass wir dem Sicherheitsargument mehr Vortrieb geben müssen, so ist für mich ganz klar, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen kann.

Wir werden alle Jahre wieder diese Fragen neu justieren müssen. Ich erhoffe mir, dass sich die Bedrohungslage so entwickelt, dass wir wieder der Freiheit an der einen oder anderen Stelle mehr Raum geben. Sollten sich einzelne Maßnahmen nicht bewähren, so kann ich – gerade ich persönlich – Ihnen versichern, dass wir sicherlich die eine oder andere Maßnahme bei der anstehenden Debatte 2009 wieder aus dem Gesetz herauskippen. Denn es kann nicht sein, dass Dinge, die man nur ins Gesetz schreibt, dauerhaft

darin bleiben. Darauf werden wir als Liberale auf jeden Fall achten.

Insofern bin ich dem Innenminister dankbar, dass er diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Wir haben die Notwendigkeit, jetzt zu handeln, und als Liberale drücken wir uns auch nicht weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Wir sind damit am Schluss der Beratung, da es weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht gibt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Empfehlung des Ältestenrates, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/2211 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss und an den Rechtsausschuss zur Mitberatung zu überweisen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich die Hand zu heben. – Gegenstimmen? – Damit ist die Überweisung mit Zustimmung aller Fraktionen so angenommen.

Wir kommen zu:

4 Bleiberechtsregelung darf keine Alibilösung werden

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/2407

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin Düker das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das Thema zu verdeutlichen, über das wir jetzt reden, möchte ich zunächst aus einem Brief vorlesen, der an den Landtag von Nordrhein-Westfalen gerichtet ist.

„Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Kasm Cesmedji, und ich möchte mich bei Ihnen für diese Möglichkeit bedanken, den Fall und die Situation meiner Familie persönlich schildern zu dürfen.

Ich lebe seit 1992 mit meinen Eltern und Geschwistern in der Bundesrepublik Deutschland. Wir kommen aus dem Kosovo und gehören der ethnischen Minderheit der Roma an. Der damalige Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien war zu seiner Zeit der Grund für unsere Flucht nach Deutschland.

Seit nun mehr als 13 Jahren lebe ich gemeinsam mit meiner Familie ununterbrochen in Deutschland. Wir fühlen uns hier zu Hause und heimisch, denn meine Geschwister und ich sind hier aufgewachsen beziehungsweise geboren. Meine Eltern fühlen sich ebenfalls hier wohl und können sich ein Leben außerhalb Deutschlands unmöglich vorstellen. Wir haben keinerlei Bezug zu dem Land unserer Staatsangehörigkeit.

Wir sind integriert, beherrschen sehr gut die deutsche Sprache, unsere schulischen Leistungen und unsere Schullaufbahn sind ebenfalls überzeugend (Abitur, kaufmännische Schule, Studium) , wirken in Organisationen und Vereinen mit, in denen wir auch politisch tätig sind.

Doch leider leben wir seit 13 Jahren in ständiger Ungewissheit und Angst, dass wir jederzeit aufgefordert werden könnten, Deutschland für immer zu verlassen, da wir bisher nur im Besitz einer (Ketten-)Duldung sind.

Wir sind dadurch einem sehr hohen Stressfaktor ausgesetzt, der sich insbesondere negativ auf die Gesundheit meiner Eltern und bei aktuellen Anlässen bezüglich unseres Asylverfahrens und bestimmten Phasen auch leider auf unsere schulische Laufbahn ausgewirkt hat beziehungsweise auswirkt.

Wir haben große Angst davor, eines Tages abgeschoben zu werden.“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sagt eigentlich alles über das Problem aus. Das Schicksal dieser Familie ist ein Schicksal, das in Deutschland ungefähr 200.000 Menschen teilen. Weit mehr als die Hälfte, 120.000 davon, leben mehr als fünf Jahre in Deutschland. Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit dem größten Anteil dieser Menschen.

Meine Damen und Herren, ich halte diese Situation für unerträglich und für einen Skandal in unserem Land,

(Beifall von den GRÜNEN und von Hans- Theodor Peschkes [SPD])

dass wir es nicht geschafft haben, hier diesen Menschen wirklich eine faire und echte Bleiberechtsperspektive zu geben.

Was ist denn dieser Status der Duldung? – Duldung heißt nichts anderes als Aussetzung der Abschiebung. Mit dieser Duldung haben sie keinerlei Anspruch auf Integrationsleistungen wie zum Beispiel Integrationskurse. Die meisten dieser Menschen bekommen keine Arbeitsgenehmigung. Sie

wollen ihre Familien ernähren. Sie wollen sich hier integrieren, können es aber nicht, weil sie vom Staat daran gehindert werden.

Jetzt, nach Jahren dieser Debatte, gibt es wieder einmal eine Chance, und zwar Ende des Jahres in der Innenministerkonferenz. Die Innenminister hätten dies schon längst machen können. Ich will die ganze Debatte nicht wiederholen. Aber das nächste Fenster ist die Innenministerkonferenz Ende des Jahres.

Die vielen Einzelfälle hier in Nordrhein-Westfalen sind dankenswerterweise auch durch Ministerpräsident Rüttgers öffentlich thematisiert worden. Herr Ministerpräsident, ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen für die Thematisierung dieser Problematik durch Ihren Einsatz für die Familie Idic in Düsseldorf.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist wichtig, dass wir diese Menschen nicht nur als Fälle sehen, sondern diesen Menschen ein Gesicht geben, damit die Problematik deutlich wird.

Aber so wichtig und richtig es ist, sich in der Härtefallkommission und im Petitionsausschuss um diese Einzelfälle zu kümmern, so wichtig, Herr Ministerpräsident, ist jetzt diese Innenministerkonferenz. Hier dürfen keine Alibilösungen und Kompromisse geschaffen werden, sondern es ist von großer Bedeutung, dass es eine echte Bleiberechtsregelung gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

In diese Richtung zielt unser Antrag. Denn – das ist nach wie vor das Problem – der auf dem Tisch liegende Vorschlag des Innenministers Wolf setzt sehr, sehr hohe Hürden. Die wenigsten dieser Familien, um die wir uns alle vor Ort kümmern und die wir alle kennen, überwinden diese Hürden.

Ich nenne nur zwei dieser Hürden.

Zwei Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Voraussetzung für ein Bleiberecht können die meisten nicht erfüllen, weil sie schlicht keine Arbeitsgenehmigung besitzen. Das ist Zynismus, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich kann denen nicht die Arbeitsgenehmigung verweigern und nachher von ihnen wirtschaftliche Unabhängigkeit fordern. Hier fordern alle – vom Anwaltsverein bis hin zu anderen Ministerpräsidenten und Innenministern –, dass wir zu einer pragmatischen Lösung kommen und den Men

schen erst einmal einen Aufenthalt auf Probe geben oder eine Prognose ausstellen oder was auch immer. Aber diese Hürde, Herr Minister, ist nicht realitätstauglich. – Das ist Punkt 1.