Protocol of the Session on June 22, 2006

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Ratajczak. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der SPD die Kollegin Altenkamp das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sind wirklich keine guten Zeiten für die Kinder- und Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen. Kinder- und Jugendpolitik hat es – das ist wahr – immer schwer, wenn die Finanzen knapp sind. Das ist in den Kommunen so, und das ist letztlich auch hier in Nordrhein-Westfalen so. Aber wir haben in diesem Jahr eine elementare Krise durch die Landespolitik zur Kenntnis zu nehmen.

538.531 Menschen haben die Volksinitiativen unterstützt. Das ist nicht nur mehr, als die FDP bei der Landtagswahl an Stimmen auf sich vereinen konnte; es ist eben auch ein Signal des Misstrauens gegenüber der Politik der Landesregierung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Anspruch und Wirklichkeit haben noch nie so weit auseinander gelegen wie bei dieser Landesregie

rung. Sie rufen das „Jahr der Kinder“ aus und kürzen nirgendwo so stark wie bei den Kindern.

Sie fordern im Jahr 2004 mehr Geld für den Landesjugendplan, um dann im Jahr 2006 zu sagen: Mehr Geld als 75 Millionen € braucht der Landesjugendplan gar nicht.

Sie erklären, Ihnen sei das Jugendfördergesetz mit seinen Inhalten ganz wichtig, und setzen dann 4,5 Millionen € neben den Landesjugendplan, die genau nicht zur Umsetzung der Inhalte des Jugendfördergesetzes zur Verfügung stehen. Das ist doch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bewusst geschehen – und wenn es nur geschehen ist, weil Sie innerhalb Ihrer Koalition Konflikte hatten, da die CDU der FDP nicht zubilligen wollte, hier als die wahren Bewahrer der Kinder- und Jugendpolitik dazustehen, und man deshalb die 4,5 Millionen € neben den Landesjugendplan gesetzt hat. Tatsache ist jedenfalls, dass Sie sagen, der Landesjugendplan brauche nicht mehr als 75 Millionen €, dann aber 4,5 Millionen € daneben setzen. Das bedeutet: Es gibt zwar mehr Geld für die Kinder- und Jugendpolitik, aber eben nicht im Jugendfördergesetz und nicht im Landesjugendplan. Was glauben Sie, wie die Leute die Ernsthaftigkeit Ihres Vorhabens, den Landesjugendplan dauerhaft mit 75 Millionen € zu finanzieren, angesichts einer solchen Argumentation tatsächlich bewerten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dann verweisen Sie, wie Herr Ratajczak das gerade auch wieder gemacht hat, auf die Aufstockung im Schulbereich, für die Sie sich dann immer feiern.

Ich wiederhole den Vorwurf meiner Fraktion: Sie machen Kinder- und Jugendpolitik zugunsten der Schulpolitik. Durch Ihre Politik ist die informelle und nichtformale Bildung der Kinder- und Jugendpolitik gefährdet und wird der Schule geopfert.

Wir wollten auch eine verbesserte Kooperation zwischen Kinder- und Jugendarbeit und Schule. Deshalb wollten wir im Landesjugendplan sukzessive die Mittel für eine solche Kooperation verstärken. Jugendarbeit sollte auf gleicher Augenhöhe mit Schule Kooperation beginnen; dafür muss sie finanziell entsprechend ausgestattet sein. Sie machen die Jugendarbeit klein. Damit wird es zwar zu Kooperationen kommen, aber auf jeden Fall immer zulasten der Jugendarbeit.

(Beifall von der SPD)

Das halten wir für falsch. Das wird auf Sicht dazu führen, dass Jugendarbeit als eigenständiges Politikfeld verliert; sie verliert hier im Land und ver

liert dann auch in den Kommunen. Ich prophezeie hier und heute, dass es trotz der Umschichtungen, die Sie gerade noch einmal geschildert haben, Herr Ratajczak, die Sie innerhalb des Landesjugendplans zugunsten der Jugendverbandsarbeit und der offenen Jugendarbeit vorgenommen haben, zu erheblichen Einschränkungen bis hin zu Schließungen von Einrichtungen kommen wird.

Ich kann Ihnen sagen – entgegen den Äußerungen, die der Kollege Lindner letztens vor dem Jugendamtsleiter der Stadt Essen zitiert hat –: Gestern ist im Rat der Stadt Essen beschlossen worden, dass es eine Konzeption geben wird, wie man mit den Kürzungen der Landesmittel umgehen wird. Dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe ist klar, dass die 220.000 € dadurch kompensiert werden sollen, dass eine städtische Einrichtung geschlossen wird. Insofern: So leicht lässt sich das dann eben doch nicht machen, sondern es müssen tatsächlich Einrichtungen geschlossen werden.

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Wir haben über die Elternbeiträge ge- sprochen, nicht über Einrichtungen!)

Es wird in vielen Bereichen auch zu Entlassungen kommen, Herr Lindner. Auch das will ich Ihnen noch einmal schildern, wie ich es im Ausschuss getan habe.

Es hat in den letzten zwei Jahren Kürzungen seitens der alten Landesregierung im Landesjugendplan gegeben; das ist wahr. Aber es war immer so, dass die Träger darauf vertraut haben, dass es die 96 Millionen € für den Landesjugendplan geben wird – mit der Folge, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesagt haben: Okay, ich reduziere meine Arbeitszeit, wir setzen die Öffnungszeiten ein paar Stunden niedriger an und vertrauen darauf, dass es im Jahre 2006 – auch durch Ihre Hilfe und Ihre Aussagen – tatsächlich zu einer besseren Ausstattung kommt.

Was Sie jetzt machen, ist Folgendes. Sie bestrafen die Menschen, die dann zwar nur einen 30Stunden-Vertrag hatten, die aber nach wie vor 38,5 Stunden in die Einrichtung gekommen sind, weil sie geglaubt haben, sie könnten der Politik vertrauen. Deshalb sage ich Ihnen jetzt: Die Träger werden das nur noch auffangen können, indem sie entlassen. Das ist Ihnen auch schon mehrfach gesagt worden. Es wird also auch zum Personalabbau in der Jugendarbeit kommen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall von der SPD)

Kommunen und Jugendämter sind nicht in der Lage, wegfallende Landesmittel zu kompensieren. Das wird an vielen, vielen Stellen im Land deutlich, wenn man die Ratsbeschlüsse zur Umsetzung der Kürzungen der Landesmittel beobachtet.

Planungssicherheit auf niedrigstem Niveau – das ist das, was Sie den Menschen heute bieten. Dazu kommen aber noch solche Äußerungen, die man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen kann. Frau Kastner hat im Ausschuss, als die Volksinitiativen ihre Positionen dargestellt haben, gesagt, dass sie im Übrigen auch der Auffassung sei, dass Jugendarbeit dahin gehen soll, wo die Jugendlichen sind. Das heißt doch nichts anderes, als dass Jugendarbeit im Ruhrgebiet möglicherweise reduziert wird, weil Bürgerinnen und Bürger da wegziehen, und dass Jugendarbeit auf dem Land dann verstärkt wird. Das ist doch absolut widersinnig, weil es doch eigentlich so sein muss, dass Jugendarbeit da verstärkt wird, wo die Menschen leben, die die meisten Probleme und sozialen Schwierigkeiten haben.

(Beifall von der SPD)

Darum geht es doch bei der Jugendarbeit und eben auch bei der nicht formellen oder informellen Bildung.

Herr Lindner möchte Jugendhäuser dann noch mit weiteren Aufträgen im Sinne der Mehrgenerationenhäuser ausstatten. – Viel Vergnügen! Was bedeutet das am Ende? – Die Bedeutung der Jugendarbeit im Sozialraum und im Stadtteil vor Ort wird nach Ihrer Politik reduziert werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall von der SPD)

Die Eigenständigkeit und der Bildungsanteil der Kinder- und Jugendarbeit sind Ihnen fremd. Das ist der Grund, weshalb Sie so ignorant mit dem, womit Ihnen die Volksinitiative entgegengetreten ist, umgehen.

Kommen wir einmal zu den Kindertagesstätten, weil wir heute auch über die Volksinitiative NRW 2006 reden. Auch hier gehen Sie über die Realitäten einfach hinweg.

Ihre Kürzungen führen zu einem erheblich beschleunigten Abbau von Gruppen, weil die Träger diese einfach nicht mehr finanzieren können. Das hat wiederum etwas damit zu tun, dass Sie sich noch im Wahlkampf hingestellt und gesagt haben, mit Ihnen werde es eine weitere Sachkostenreduzierung nicht geben. Tatsache aber ist: Sie führen sie fort. Heute erklären Sie, die Einrichtungen seien doch in der Vergangenheit auch mit den Mitteln ausgekommen. Es ist aber so, dass viele

Träger jetzt keine Rücklagen mehr haben, auf die sie zurückgreifen können. Sie sind jetzt in einer Situation, in der Sie sich tatsächlich fragen müssen, ob Sie Ihre Einrichtungen noch aufrechterhalten können. Deshalb wird es zu einem dynamischeren Abbau von Gruppen kommen. Das werden Sie erleben.

Sie haben auch immer beteuert, dass Erhöhungen bei den Elternbeiträgen nicht erfolgen werden. – Wissen Sie, dass die Kommunalaufsicht in diesem Land Kommunen mit Haushaltssicherungskonzepten zu einer mindestens 10 %igen Erhöhung verpflichtet hat? Meine Stadt hat es sich gestern im Rat bei der Diskussion über dieses Thema ausgesprochen schwer gemacht. Ich weiß aber, dass viele Städte und Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzepten überhaupt keine Chance haben, darüber zu entscheiden, ob sie den Elternbeitrag erhöhen oder ob sie die fehlenden Mittel kompensieren oder nicht, sondern durch die Kommunalaufsicht und das Haushaltssicherungskonzept gezwungen werden, die Elternbeiträge zu erhöhen.

(Beifall von der SPD)

Dann kommt der wunderbare Moment des Wettbewerbs unter den Kommunen. Der Wettbewerb unter den Kommunen sieht dann so aus, dass die Kommune X entscheidet, ob der Elternbeitrag bei der Einkommenshöhe XY angehoben wird, und die Kommune daneben entscheidet, überhaupt keinen Elternbeitrag mehr zu erheben. Das ist wirklich ein toller Wettbewerb.

Wir Sozialdemokraten sind immer der Auffassung gewesen, dass Landespolitik die Verpflichtung hat, allen Menschen den gleichen Zugang zur Infrastruktur zu ermöglichen, gleich, ob sie im Hochsauerland leben, in Minden-Lübbecke oder im Ruhrgebiet.

(Beifall von der SPD)

Tatsache ist jedenfalls, dass Ihre Politik dazu führen wird, dass die Zukunftschancen und der Zugang zu Bildungseinrichtungen und Erziehungseinrichtungen, eben Kindertageseinrichtungen, zukünftig nicht nur vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist, sondern es kommt auch darauf an, in welcher Stadt das Kind geboren wird. Das ist nach meinem Dafürhalten im Jahr des Kindes so ziemlich das schlimmste Signal, das man an Eltern und Kindern in diesem Land aussenden kann.

(Beifall von der SPD)

Mit den Eckpunkten für den Haushalt 2007 verfestigen Sie diese Politik durch die Struktur Ihrer

Kürzungen: Zum einen schreiben Sie zwar Ihr Sonderprogramm fort, aber zum anderen ermöglichen Sie den Elternbeitragsdefizitdeckungsausgleich nicht mehr und stehen Sie den Kommunen, die aufgrund der ungünstigen Sozialstruktur in ihrer Stadt ein Problem haben, nicht mehr bei.

Sie verfestigen diese Entwicklung noch mit der Folge, dass es in einigen Städten nicht nur zu Gruppenschließungen und nicht nur zu erheblichen Erhöhungen bei den Elternbeiträgen kommen wird, sondern es wird auch dazu kommen, dass Eltern ihre Kinder abmelden oder eben gar nicht mehr in Kindertageseinrichtungen anmelden.

So, wie Sie bestritten haben, dass es zur Erhöhung von Elternbeiträgen kommen wird, werden Sie sicher gleich behaupten, dass das alles gar nicht nötig ist.

(Beifall von der SPD)

Aber Sie werden von der Realität eingeholt werden, weil Sie ganz offensichtlich keine Ahnung davon haben, wie unterschiedlich die Landschaft in unserem Lande aussieht und wie unterschiedlich die Leistungsfähigkeit der Kommunen ist. Sie drücken den Kommunen immer stärkere Entscheidungsnotwendigkeiten auf. An dieser Stelle ist es so, dass das voll gegen die Kinder und Familien im Land durchschlägt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie ignorieren den Wunsch von über 500.000 Menschen in unserem Lande und verschlechtern die Situation von vielen Kindern, Jugendlichen und Familien gerade in den Bereichen, wo die Kinder und Familien die besondere Aufmerksamkeit der Landespolitik bräuchten.

Sie haben schließlich dem Vertrauen vieler Menschen in die Politik schweren Schaden zugefügt. Sie wissen, dass dieser ignorante Umgang mit den Volksinitiativen, wo Sie sich einfach schlicht über die Argumente hinweggesetzt haben, ganz sicher dazu führen wird, dass viele Menschen in diesem Land Zweifel daran haben, ob der politische Diskurs mit Ihnen und der Politik insgesamt tatsächlich eine fruchtbringende Auseinandersetzung sein kann. Wenn also immer mehr Menschen nicht zur Wahl gehen, dann hat das möglicherweise – ich bin aber davon überzeugt, dass das nicht nur möglicherweise so ist, sondern auch tatsächlich – mit Ihrem Umgang mit den Volksinitiativen in diesem Jahr und mit Ihrem Verhalten zu tun, dass das, was man nach der Wahl erzählt, nicht unbedingt mit dem übereinstimmen muss,

was man vorher und während des Wahlkampfes versprochen hat.

(Christian Lindner [FDP]: Sie erhöhen die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte!)

Herr Lindner, jeder wirke an seinem Platz. So wie Sie und Ihre tolle Regierung meint, mit der Mehrwertsteuer umgehen zu können, nämlich hier zu kassieren und dort dagegen zu sein, ist auch etwas, was ganz sicher das Vertrauen der Menschen in Ihre Politik nicht erhöht hat. Da seien Sie sich sicher!