Protocol of the Session on June 21, 2006

Deswegen müssen wir den Kern der Fleischproduktion angehen, und das sind die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Dies haben wir uns hier in einer Anhörung verdeutlichen lassen können: In der Fleischindustrie werden zunehmend Stammarbeitskräfte entlassen – das weiß jeder, der Fleischindustrie bei sich vor Ort hat –, und diese Arbeitskräfte werden durch Subunternehmer ersetzt. In den letzten Jahren haben so mehrere Tausende Beschäftigte ihren Arbeitsplatz hier verloren.

Der WDR hat in einer Dokumentation jüngst aufgezeigt, unter welchen Bedingungen Menschen heutzutage in der Fleischindustrie arbeiten. Da wurde das ganz vertrackte System aus Werksverträgen und Dienstleistungsverträgen, die vor allen Dingen mit Arbeitnehmern aus mittel- und osteuropäischen Ländern hier geschlossen werden, sehr genau aufgerollt. Die Überwachungsbehörden können dieses Geflecht überhaupt nicht mehr richtig kontrollieren. Das Ergebnis ist, dass schlecht geschulte und völlig unterbezahlte Men

schen – 1,50 € je Stunde – hier im Akkord Fleisch zerlegen. Das tun sie oft illegal, das tun sie ohne Versicherung, ohne Arbeitsschutz und ohne hygienerechtliche Schulungen.

Das muss eine Aufgabe dieser Landesregierung sein, und dieser Aufgabe müssen Sie sich endlich stellen. Herr Uhlenberg als Verbraucherschutzminister sollte in diesem Sinne tätig werden, und Herr Laumann, es ist auch Ihr Job, einmal zu schauen, was in der Fleischindustrie überhaupt passiert.

Die Gewerkschaft NGG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitnehmer auch aufgrund der zeitlichen Befristung ihrer Arbeitsverträge nicht mit ihrem Unternehmen identifizieren können. Sie können bei der innerbetrieblichen Qualitätskontrolle kaum mitwirken, und sie haben auch gar nicht die Motivation oder Qualifikation, hier tätig zu werden.

Die Landesregierung muss nicht nur im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch im Sinne der Beschäftigten in der Fleischindustrie und im Sinne der hier produzierenden Betriebe endlich tätig werden. Deshalb fordere ich Sie auf, unseren Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.

Wir haben es hier mit Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu tun, die die Qualität unserer Produkte bedrohen. Bei einem Stundenlohn von 1,50 € kann man nicht erwarten, dass die Arbeitnehmer sauber und ordentlich arbeiten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulze. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Kollege Peter Kaiser das Wort. interjection: (Beifall von Dr. Axel Horstmann [SPD])

Deshalb muss diese Landesregierung endlich tätig werden, und zwar im Sinne des Standorts Nordrhein-Westfalen. Die hier produzierenden Betriebe brauchen Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass auch eine liberal geführte Regierung gegen Wettbewerbsverzerrungen vorgeht.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zu einem herzhaft gewürzten Würstchen gehört auch ein schöner Klecks Senf. Da werden Sie mir angesichts der derzeitigen Fußballweltmeisterschaft in unserem Lande, die glücklicherweise zeitlich mit der Grillsaison zusammenfällt, sicherlich zustimmen. Ein wenig erinnert mich der heutige Antrag der SPD zum Thema Qualitätsfleisch – wie passend! – an das Würstchen. Viele haben schon ihren Senf dazugegeben. Aber mit der Behandlung des Antrags heute und der Aktuellen Stunde morgen wird noch ein kräftiger Klecks hinzugefügt.

(Beifall von Dr. Axel Horstmann [SPD])

Und die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die durch den Gammelfleischskandal deutlich wurden, sind eben solche Wettbewerbsverzerrungen. Da muss Herr Uhlenberg, den ich gerade noch gesehen habe, über den Tellerrand seines Ministeriums hinaus sehen. Hier brauchen wir eine enge Kooperation zwischen Verbraucherschutzministerium und Arbeitsministerium. Herr Laumann, vielleicht können Sie einmal mit Herrn Uhlenberg reden.

Dabei stammt die Rezeptur für das etwas fad daherkommende Würstchen dem Vernehmen nach gar nicht aus der eigenen Herstellung, der Küche der SPD, sondern aus einer Stellungnahme der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, entnommen der öffentlichen Anhörung, die im letzten Monat im Ausschuss für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz stattgefunden hat. Das macht nicht gerade Appetit auf ein herzhaftes Würstchen – aber sei’s drum.

(Minister Karl-Josef Laumann: Tun wir schon!)

An dem Thema würde es sich meiner Meinung nach wirklich lohnen.

Seitdem in der Europäischen Union die fünf Grundfreiheiten kodifiziert worden sind, zu der nach Art. 49 des EG-Vertrages auch die Dienstleistungsfreiheit gehört, gibt es in der Bundesrepublik einige Wirtschaftsbereiche, die einer sehr starke Konkurrenz aus den osteuropäischen Staaten unterliegen. Das gilt unter anderem für einige Bereiche der Lebensmittelverarbeitung, die vorwiegend von Nichtdeutschen bestellt werden. Ich nenne nur Erntehelfer jeglicher Art oder Arbeiter in der Fleischindustrie.

Wir müssen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Qualität des produzierten Fleisches in Nordrhein-Westfalen zurückerlangen. Wir müssen diese illegale Arbeitnehmerüberlassung intensiv und gezielt bekämpfen, und deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, dass es faire Arbeitsbedingungen gibt. Die hier ansässigen Betriebe brauchen Regeln, und man kann die Betriebe nur schützen, wenn wir gegen Dumpinglöhne und gegen unfaire Arbeitsbedingungen vorgehen.

Gerade in den vergangenen Wochen und Monaten haben wir häufiger im Zusammenhang mit dem Fleischskandal über das Thema „Stärkung des Verbraucherschutzes“ gesprochen – unbestritten zu Recht. Als Mitglied des Ausschusses für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz habe ich an der öffentlichen Sitzung dieses Ausschusses am 24. Mai 2006 teilgenommen. In dieser Sitzung fand die eben von mir zitierte öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Verbraucherschutz stärken! Was folgt aus den bundesweiten Fleischskandalen für Nordrhein-Westfalen?“ statt.

In den vergangenen Tagen habe ich das Ausschussprotokoll dieser Sitzung noch einmal durchgelesen. Es war ein breites Spektrum zu verzeichnen. So wurde von vorbildlich geführten fleischverarbeitenden Betrieben gesprochen, aber auch von solchen, die uns zu Vegetariern werden lassen würden.

(Svenja Schulze [SPD]: Ach, das wollen wir nicht hoffen!)

Als Konditormeister und Landesinnungsmeister kann ich bestätigen, dass es überall schwarze Schafe gibt. Aber an dieser Entwicklung tragen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Lande ein Stück Mitschuld. Die Mentalität vieler Kunden, die den Werbeslogan „Geiz ist geil“ verinnerlicht haben und um keinen Preis viel Geld ausgeben wollen, schafft diese Zustände. Es kann doch nicht sein, dass ich draußen für 1,99 € ein Kilo Hackfleisch erwerben kann. Wie viel Qualität kann man für so wenig Geld erwarten?

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, nun zu Ihrem Antrag: Als überzeugte Anhänger der Idee der Europäischen Union tragen wir natürlich die gesetzlichen Regelungen mit, die in einigen Bereichen zu Arbeitsplatzverlusten in sogenannten Niedriglohnsektoren führen. Auf der anderen Seite ziehen wir als Teil der Europäischen Union auch einen Nutzen aus dem europäischen Gedanken, wenn wir beispielsweise an den Export denken. Trotzdem bleibt unbestritten: Unter dem Deckmantel der europäischen Einigung dürfen unwürdige Arbeitsbedingungen und Ausbeutung bei uns in Deutschland nicht geduldet werden.

Nicht haltbar ist allerdings in den Augen der CDULandtagsfraktion die Verquickung der Themen „Hygiene“ und „Billigarbeitskräfte“. Nicht die Billigarbeitskräfte sind für die hygienischen Zustände in den Betrieben zuständig, sondern die Betriebsinhaber mit ihrer Produkthaftung. Letztlich ist der Betriebsinhaber für die Qualität, die Hygiene und

die ordnungsgemäßen Beschäftigungsverhältnisse nebst entsprechenden Nachweisen in seinem Betrieb verantwortlich – unabhängig davon, wie viele Subunternehmer oder Fremdarbeiter er beschäftigt.

(Svenja Schulze [SPD]: Genau das funktio- niert nicht!)

Es sind ja nicht alle Betriebe, Frau Schulze. – Insoweit treffen ihn die Auflagen, Bußgelder oder Strafen. Das funktioniert; es werden auch Bußgelder erhoben.

Zur Überprüfung der Schwarzarbeit und der entsprechenden Nachweise hat die Landesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Finanzkontrolle „Schwarzarbeit“ eingerichtet. Eine weitere Reglementierung halten wir nicht für notwendig, da ein ausführliches gesetzliches Regelwerk besteht. Also: keine weiteren bürokratischen Hemmnisse, stattdessen stärkeres Durchgreifen mithilfe der vorhandenen Regelwerke.

Die CDU-Fraktion sperrt sich nicht, wenn es um die bessere Bekämpfung der illegalen Arbeitnehmerüberlassung geht. Denn dass durch die ausländischen Scheinfirmen bei uns im Land sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren gehen, ist nicht in unserem Sinne und auch nicht im Sinne einer wohlverstandenen Globalisierung.

Die Forderung der SPD, eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu starten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Missbrauch im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Personaleinsatz auf der Grundlage von Werk- und Dienstverträgen speziell in der Fleischindustrie zu unterbinden, ist nicht wirklich realisierbar, da dem eine einschlägige EU-Richtlinie entgegensteht und EU-Recht nationalem Recht immer vorgeht. Wir schlagen deshalb vor, die gesetzlich festgelegten Regelungen einzuhalten.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf zwei Gedanken allgemeiner Art eingehen:

Erstens. Nach meinem Eindruck unternimmt die SPD den Versuch, ihr politisches Kind der Mindestlöhne, nachdem eine flächendeckende Einführung auf Bundesebene nicht geklappt hat, in einzelnen Bereichen wie der Fleischindustrie einzuführen, um so das gescheiterte Projekt durch Untergrabung des Systems zu installieren. Dazu kann ich nur sagen: Mindestlöhne sind der falsche Weg, um die Stellung der Arbeitnehmer zu verbessern.

Zweitens will ich noch etwas zur staatlichen Regulierung sagen. CDU und FDP haben im Koaliti

onsvertrag vereinbart, den Menschen wieder mehr Eigenverantwortung zu übertragen und nicht erneut mit weiteren gesetzlichen Regelungen aufzuwarten, sondern Bürokratieabbau zu betreiben.

Wir halten zum Beispiel die elektronische Zeiterfassung für alle Zeitarbeitsverträge für den falschen Weg. Nach unserer Ansicht sollen wie auch in den vergangenen Monaten die vorhandenen staatlichen Regelungen eingehalten werden und die Kontrollen auf hohem Niveau fortgeführt werden. Dabei müssen kriminelle Machenschaften entschieden bekämpft werden. Hier muss auch über eine höhere Bestrafung für diejenigen diskutiert werden, die Profit um jeden Preis machen.

Wir dürfen allerdings die große Zahl der Betriebe nicht vergessen, die ordentlich und einwandfrei arbeiten und die gesetzlichen Bestimmungen einhalten. Wer gutes Geld verdient, arbeitet auch gut und motiviert. Wir sollten zudem zufrieden und froh sein, dass in Nordrhein-Westfalen weiterhin Fleisch verarbeitet wird und die Betriebe nicht ins Ausland abwandern, wo eine Qualitätskontrolle schwerlich möglich wäre. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollege Remmel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe Herrn Kaiser sehr aufmerksam zugehört; was er sagte, ist wiederholt von der CDU und noch viel stärker von der FDP vorgetragen worden. Es gibt einen Grundwiderspruch, der uns an dieser stelle trennt.

Im Übrigen ist die Frage nach den Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit dem Fleischskandal ein Segment einer Diskussion, die wir im Zusammenhang mit Verbraucherschutz und Lebensmitteln führen. Dazu gehören sicherlich die Diskussion, die wir im Zusammenhang mit dem Verbraucherinformationsgesetz – also die Stärkung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher – geführt haben, aber auch die Frage, wie staatliche Kontrolle organisiert wird. Es ist also nur ein Teilsegment.

Aber das Argumentationsmuster, das uns in diesen Bereichen begegnet, ist das gleiche. Da unterscheiden wir uns offensichtlich grundsätzlich. Wir sind der Auffassung: Es gibt eine Schieflage im Markt. Sie verstecken sich hinter der EU, Sie verstecken sich hinter den ach so törichten Ver

braucherinnen und Verbrauchern, die billige Ware kaufen wollen und deshalb einen Anreiz zu kriminellen Machenschaften in diesem Sektor geben. Meine Damen und Herren, das ist zynisch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn der Markt muss ins Gleichgewicht kommen. Da müssen wir gemeinsam, fraktionsübergreifend Anstrengungen unternehmen, ihn ins Gleichgewicht zu bringen. Er ist im Ungleichgewicht. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben nicht die gleiche Augenhöhe wir diejenigen, die Lebensmittel produzieren und behandeln. Auch die staatlichen Kontrollbehörden sind nicht in jedem Bereich auf gleicher Augenhöhe. Deshalb muss gleiche Augenhöhe hergestellt werden.

Wenn man allerdings das allgemeine Lied des freien Marktes singt, auf die EU verweist und sich hinter den Verbraucherinnen und Verbrauchern versteckt, kann man sich diesen Problemen letztlich nicht entscheidend nähern. Das ist der Grundwiderspruch, der auch die heutige Debatte – das habe ich jedenfalls Ihren Wortbeiträgen entnommen – ausmacht.

Ich gebe zu: Die gleiche Augenhöhe herzustellen ist schwierig, weil es sich um eine Dreiecksbeziehung handelt. In einer solchen Dreiecksbeziehung ist es immer schwierig, die gleiche Augenhöhe zu erreichen: Da sind die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Unternehmen und der Staat als Dritter in diesem System.

Aber Minister Seehofer hat auf Bundesebene angekündigt – und Minister Uhlenberg hat auf Landesebene große Programme verkündet –: Es ist an der Zeit, auch in diesem Bereich Bilanz zu ziehen. Nur müssen wir leider feststellen, dass in diesem Dreivierteljahr wenig bis gar nichts passiert ist,

(Beifall von den GRÜNEN)

um diese gleiche Augenhöhe auch tatsächlich zu erreichen. Das hat uns die Anhörung noch einmal bestätigt.

Meine Damen und Herren, es ist ein trauriger Anlass. Eigentlich könnten Rednerinnen und Redner sehr zufrieden sein, wenn sie einen tagesaktuellen Anlass haben. Aber es gibt einen traurigen Anlass dafür, dass wir heute darüber reden, weil aktuelle Pressemitteilungen bestätigen – Frau Kollegin Schulze hat schon darauf hingewiesen –, dass wir nicht nur mit kriminellen Machenschaften zu tun haben, sondern dass der gesamte Markt in Schieflage geraten ist, dass es offensichtlich einen Markt gibt, der von Fachleuten als Resterampe bezeichnet wird, wo es kriminelle Energien

gibt, die nicht begrenzt werden, und wo keine Kontrollen stattfinden, die verhindern, dass dieser illegale Markt entsteht, der offensichtlich riesengroß ist.