Protocol of the Session on June 21, 2006

Darauf liefert der Antrag der Grünen nur eine einzige Antwort, nämlich das Klischee, nur durch mehr Geld und mehr Therapie sei dies zu erreichen. Dieses steht zumindest im Vergleich zu anderen Bundesländern auf sehr schwachen Füßen. Es gibt Flächenstaaten in Deutschland, bei denen die Kosten für den Maßregelvollzug pro Tag und pro Kopf niedriger liegen als in NordrheinWestfalen. Gleichzeitig ist die Verweildauer dort niedriger als in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Wenn man weiß, dass das so ist, und wenn man weiß, dass die Tagessätze im Maßregelvollzug in NRW rund 240 € betragen, dann ist doch klar, dass ein Fachminister sagt: Lasst uns einmal gucken, wie wir das anders gestalten können. Geht das preisgünstiger? Geht das erfolgversprechender, natürlich auch in der Gesamtschau der Kosten, wobei nicht nur der Tagessatz eine Rolle spielt, sondern natürlich auch die Verweildauer. – Ich finde ein solches Verfahren richtig. Und die Vergleiche mit anderen Bundesländern – Herr Burkert hat das geschildert – zeigen, dass das richtig ist.

Dann gibt es noch Punkte, bei denen wir uns einig sind. Ist hier im Landtag eine Fraktion gegen die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge für sucht

kranke Straftäter mit langen Begleitstrafen? Es ist nun einmal so, dass diese Landesregierung mit erreicht hat, dass der Bundesrat mit Mehrheit gesagt hat: Das wollen wir. Das ist in Ihrem alten Kabinett immer am Widerstand des damaligen Justizministers gescheitert. Diesen Konsens haben wir in dieser Landesregierung herbeigeführt und damit eine entscheidende Rolle auf der Bundesebene eingenommen, damit dieser Gegensatz zwischen den Ministern, die für Forensik zuständig sind, und den Ministern, die für Strafvollzug zuständig sind, aufgehoben wurde. Natürlich hat das Auswirkungen auf die zur Verfügung zu stellenden Plätze im Strafvollzug. Das ist doch ganz klar.

Ich frage: Ist jemand dagegen, dass wir die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge für Suchtkranke mit hohen Begleitstrafen realisieren? Ich bin froh, dass wir darüber im Grundsatz auch mit der Bundesregierung ein Einvernehmen haben. Alle 16 Minister, die für Forensik zuständig sind, sagen: Wenn wir Landeshaushalte konsolidieren wollen, so brauchen wir diese Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge.

(Günter Garbrecht [SPD]: Hat die Justizmi- nisterin auch schon gesagt, wie viele Haft- plätze sie braucht?)

Zweitens. Wir müssen die ambulante Nachsorge konsequent weiter ausbauen. Ich frage jetzt: Ist jemand von den Fraktionen hier im Hohen Hause dagegen, dass wir die ambulante Nachsorge konsequent weiter ausbauen?

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Deswegen ist es auch wichtig, dabei finanzielle Anreize der Träger für therapeutisch anstehende Langzeiturlaube im Auge zu haben.

Drittens. Die alte Landesregierung hat sich intensiv darum bemüht, viele Einweisungen in den Maßregelvollzug zu vermeiden, zum Beispiel durch Information der Justiz und die Qualifizierung der Gutachter. Das war ein richtiger Schritt. Es ist eine wesentliche Aufgabe des Maßregelvollzugsbeauftragten, dafür zu sorgen, dass diese Problematik bereits in den Gerichtsverfahren eine Rolle spielt, dass bereits in den Gerichtsverfahren darüber nachgedacht wird, ob die Einweisung in den Maßregelvollzug oder den Strafvollzug die richtige Entscheidung ist.

Vielleicht müssen wir auch noch früher ansetzen. Möglicherweise wäre mancher psychisch Kranke nicht straffällig geworden, wenn die Krankheit vorher ausreichend und nachhaltig behandelt worden wäre. Möglicherweise – so frage ich mich

seit einigen Wochen – wäre auch mancher mit einer niedrigen Intelligenz nie straffällig geworden, wenn er vorher besser betreut worden wäre. Auch das sind Dinge, die uns einmal beschäftigen müssen.

Woher kommt denn der Zufluss? In den Maßregelvollzug wandert man erst dann, wenn eine Straftat vorliegt. Was können wir im Vorfeld tun, um Menschen, die hier aufgefallen sind, vor diesen Straftaten zu bewahren?

Ich glaube, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt. Ich denke nicht, dass es eine Fraktion in diesem Hohen Hause durchhalten wird, gegen Nachteinschlüsse – da, wo es möglich ist; natürlich alles in einem vernünftigen Umfange – zu plädieren. Nachteinschlüsse sind in anderen Ländern im Maßregelvollzug gang und gäbe. In der neuesten Klinik, der in Dortmund, die nicht unter meiner Zuständigkeit geplant worden ist, ist das Realität. Da kann es doch nicht falsch sein, dass wir gucken, in welchen Kliniken wir mit welchem Aufwand, auch mit welchen Verlusten an Therapieplätzen – klar – wir verstärkt zu Nachteinschluss kommen können. Dabei müssen wir feststellen: Was kostet uns die Investition, was bedeuten diese Veränderungen in Bezug auf die Betriebskosten? Meiner Meinung nach liegen wir in dieser Frage gar nicht weit auseinander.

Ich halte es auch für richtig, diejenigen, die oft viele Jahre im Maßregelvollzug verbringen, die von Fachleuten als nicht therapiefähig eingeschätzt werden, in Langzeiteinrichtungen zu versorgen, in denen es eine andere Form der Betreuung gibt, die aber preiswerter sein muss als eine intensive Therapie. Gibt es hier im Haus die Meinung, dass es falsch ist, solche Langzeiteinrichtungen in bestimmten Stationen, in bestimmten Einrichtungen zu installieren?

Hier wird ein Streit über etwas geführt – dieser Diskussionspunkt wird auch immer wieder in den Landtag eingebracht –, bei dem es viele Gemeinsamkeiten gibt.

Abschließend fasse ich noch einmal zusammen: Die Strategie im Maßregelvollzug lautet: Sicherheit steht ganz oben. Der zweite Punkt ist, dass für diejenigen, für die eine Therapie sinnvoll ist – das ist auch aus unserem Menschenbild heraus geboten –, diese Therapie nach besten fachlichen Erkenntnissen durchgeführt wird.

Klar ist, dass die Instrumente wirtschaftlich sein müssen. Ich halte viel davon, eine Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge hinzubekommen. Das wird uns erheblich entlasten. Ich bin durchaus der Meinung, dass man den Nachteinschluss überall

dort, wo es möglich ist, Schritt für Schritt umsetzen muss. Dass man dies zunächst in jenen Einrichtungen macht, in denen dies mit den leichtesten baulichen Veränderungen gelingt, ist eigentlich nichts anderes als ein Gebot der Vernunft.

Wir müssen uns ansehen, wie groß die Klientel unter diesen jetzt im Maßregelvollzug befindlichen Menschen ist, bei der wir die Therapie zurücknehmen und eine andere Form der Betreuung anwenden können.

Im Übrigen hat man in Rheine – Rheine ist ja eine Einrichtung, in der aufgrund des Vertrages keine Lockerung vorgenommen werden darf, bei der es daher vor allem um Langzeitpatienten geht – festgestellt – so ist mir jetzt berichtet worden –: 15 Menschen haben, weil die Patienten in eine neue Umgebung gekommen sind, weil sie in eine andere Form des Betreuungskonzeptes gekommen sind, diese Einrichtung aufgrund erheblicher Fortschritte schon wieder verlassen.

Es muss also nicht von vornherein alles schlechter sein, wenn man solche Schritte geht. Ich glaube auch nicht, dass diese Frage hier im Landtag am Ende streitig sein wird.

Ich glaube schon, dass man mit diesem Bündel der Maßnahmen Kosteneinsparungen im Maßregelvollzug erzielen kann, dass diese Kosteneinsparungen auch möglich sind. Ich will dies gern zusammen mit den großen Trägern – das sind die beiden Landschaftsverbände – erreichen. Aber nach der Melodie: Die Landschaftsverbände bestimmen, was im Maßregelvollzug geschieht, und das Land zahlt!, nach dieser Melodie wird der Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nicht tanzen. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU – Günter Garbrecht [SPD]: Wenn der letzte Teil nicht gewesen wäre, hätte ich ja vielleicht ebenfalls ge- klatscht!)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Fischer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, alle Abgeordneten, die in den vergangenen Jahren hier im Parlament waren, haben die Probleme und die Brisanz des Maßregelvollzugs wirklich kennen gelernt. Ich freue mich darüber, dass der Minister durchaus die richtigen Fragen stellt und die Einschätzung der Problemlagen durchaus richtig darstellt, nur mit dem Unterschied, dass erstens die CDUFraktion in den vergangenen Jahren nicht ganz so

einsichtig war und dass zum anderen die Landesregierung inzwischen einige andere Wege einschlägt, Herr Minister. Dahinter setzen wir doch schon einige Fragezeichen.

(Zuruf von der FDP: Ich bitte um ein differen- ziertes Votum!)

Überraschend ist für mich schon, wenn sich hier der CDU-Kollege Burkert ans Rednerpult stellt und sagt, er verstehe überhaupt nicht, warum das Thema Maßregelvollzug in den vergangenen Tagen und den vergangenen Wochen eine so zentrale Rolle spielt,

(Zuruf von der SPD: Scheinheilig ist das!)

und hier die Verdächtigung ausspricht, da werde ein politisches Süppchen gekocht.

Das Thema Maßregelvollzug – das sagen wir heute als Oppositionsfraktion genau so, wie wir es damals als Regierungsfraktion gesagt haben – eignet sich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen.

(Beifall von der SPD)

Darum geht es uns auch überhaupt nicht. Die Bedeutung des Themas Maßregelvollzug ist gleich geblieben.

Neu ist der Rückwärtsgang der Landesregierung, den Sie bei diesem Thema durch drastische Kürzungen auch zulasten der Sicherheit eingeschlagen haben.

(Oskar Burkert [CDU]: Das ist doch nicht wahr!)

Die Beteuerung, die immer wieder von der CDU kommt – wie gerade von Herrn Kollegen Burkert –, an der Sicherheit werde nicht gespart, ändert nichts daran, dass die CDU aber den Beweis schuldig bleibt, wie sie mit weniger Geld plötzlich mehr erreichen will,

(Oskar Burkert [CDU]: Wie können Sie eine solche Rede halten?)

warum die Argumente, die die CDU in der vergangenen Wahlperiode immer angeführt hat, plötzlich alle nicht mehr stimmen sollen.

Ich möchte ebenfalls etwas zu Ihren Behauptungen sagen, Herr Minister, bei uns in NordrheinWestfalen sei der Maßregelvollzug sehr viel teurer als in anderen Ländern. – Ich denke, dass man auch sehr genau vergleichen muss, wie der Maßregelvollzug in dem einen oder anderen Land überhaupt aussieht.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Wenn Sie die Frage der Verweildauer ansprechen, dann gibt es andere Länder, bei denen die Verweildauer kürzer, aber der Drehtüreffekt größer ist; das heißt, da ist die Rückfallquote höher und dieselben Patienten kommen zum zweiten Mal und zum dritten Mal in den Maßregelvollzug. Würde man die gesamte Bilanz betrachten, stünden wir in Nordrhein-Westfalen außerordentlich erfolgreich da,

(Beifall von der SPD)

weil nämlich die Therapie erfolgreich gewirkt hat.

Wenn Sie den Grünen vorwerfen, in ihrem Antrag sei nur die Rede davon, dass man Problemlösung nur durch mehr Geld und mehr Therapie erreiche, so muss ich sagen: Das allein lese ich nicht da heraus. Aber dass es auch um die Qualität des Maßregelvollzugs geht, ist meines Erachtens doch unbestritten.

Wir haben einen weiteren Grund, warum in Nordrhein-Westfalen die Kosten von denen andererLänder vordergründig abweichen. Man muss sich in den anderen Ländern nämlich auch anschauen, wie dort das zahlenmäßige Verhältnis von Therapeuten und Patienten aussieht. Auch darin könnte ein Grund liegen, warum wir in NordrheinWestfalen vielleicht erfolgreicher sind als andere Länder, nämlich weil das inhaltliche Konzept ein anderes ist.

In einem Land mit 18 Millionen Einwohnern ist es nicht möglich, den Maßregelvollzug zentral zu organisieren, sondern – darauf haben wir uns ja auch bewusst festgelegt – hier ist eine dezentrale Lösung notwendig, was im Ergebnis aber, weil dezentrale Lösungen immer teurer sind als zentrale, zu höheren Kosten führt. Nur frage ich mich, wie man das mit 18 Millionen Einwohnern im Vergleich zu anderen Ländern anders machen will.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich betone nochmals, dass keiner von uns ein Interesse daran hat, dieses Thema in parteipolitische Auseinandersetzungen zu ziehen. Dies ist aber an eine Bedingung für eine Kooperation gekoppelt: Diese Zusage der Kooperation gilt nur, wenn Vereinbarungen eingehalten werden, wenn Zusagen eingehalten werden und wenn die Grundlagen der getroffenen Beschlüsse überhaupt noch stimmig sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das, was mit den drastischen Kürzungen im Maßregelvollzug passiert, ist eine Aufkündigung des Konsenses, den es hier im Land gegeben hat.