Protocol of the Session on March 15, 2006

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

Anlage zu Punkt 8 der Tagesordnung – Fragestunde

Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 49

Die Mündliche Anfrage 49 des Abgeordneten Ralf Jäger (SPD) lautet:

Verschleiert die Landesregierung einen starken Anstieg der Klagen vor den Verwaltungsgerichten durch die beabsichtigte Abschaffung der Widerspruchsverfahren?

Die SPD-Landtagsfraktion hatte die Landesregierung im Innenausschuss am 9. März um Auskunft über die beabsichtigte Neuordnung der Widerspruchsverfahren und deren Auswirkungen auf die Bezirksregierungen, Kommunen und Gerichte gebeten.

Der Parlamentarische Staatssekretär für Verwaltungsstruktur und Sport, Herr Manfred Palmen MdL, hatte auf Nachfragen über Erfahrungen aus anderen Ländern vor allem aus Niedersachsen erläutert, dort sei ein Anstieg der Klagen vor den Verwaltungsgerichten von rund 4 % zu verzeichnen. In Niedersachsen kann seit Anfang 2005 gegen einen behördlichen Bescheid in den meisten Fällen nur per Klage angegangen werden.

Demgegenüber hat der Präsident des Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg, Herwig van Nieuwland, am Donnerstag, 09.03., in einer dpa-Meldung erklärt, die Verwaltungsgerichte in Niedersachsen müssten seit dem Wegfall der Widerspruchsverfahren erheblich mehr Klagen bewältigen. Im Jahr 2005 habe es bei den sieben Gerichten rund 20 % mehr Eingänge als im Vorjahr gegeben.

Im vergangenen Jahr gingen rund 32.000 Klagen bei den Verwaltungsgerichten ein – fast 5.200 mehr als 2004. Diese Zahl sei lediglich Mitte der 90er-Jahre durch die extrem vielen Asylverfahren höher gewesen. In Rechtsgebieten, in denen das Widerspruchsverfahren entfallen sei, habe sich die Zahl der Klagen beinahe verdreifacht. Dazu gehörten zum Beispiel die Baugesetzgebung, das Steuer-, Beitrags- und Gebührenrecht.

Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Verwaltungsgerichte zumindest teilweise erheblich überlastet. So hat der Landtag erst am 15. Februar 2006 auf Vorschlag der Landesregierung das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsge

richtsordnung im Lande Nordrhein-Westfalen beschlossen, mit dem zur Entlastung einzelner Verwaltungsgerichte die Zuständigkeit für Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz zeitlich befristet umverteilt wird. Dies macht die schon jetzt angespannte Situation in der Verwaltungsgerichtsbarkeit deutlich.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung: Kann die Landesregierung den erheblichen Anstieg von Klageverfahren seit der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Niedersachen bestätigen?

Die schriftliche Antwort des Innenministers lautet:

Die Landesregierung tritt für eine klare Konzentration im Bereich des Widerspruchsverfahrens ein. Derzeit wird daher – bis Anfang April 2006 – eingehend geprüft, auf welchen Rechtsgebieten Widerspruchsverfahren erhalten werden sollen. Bei den verbleibenden Widerspruchsverfahren wird der sogenannte Devolutiveffekt eingeschränkt, indem die Sachentscheidungskompetenz auf die Ausgangsbehörde verlagert wird.

Die Reform des Widerspruchsverfahrens ist Teil der Bemühungen der Landesregierung, die Verwaltung in Nordrhein-Westfalen zu modernisieren und schlankere Strukturen zu schaffen. Auch im sogenannten Düsseldorfer Signal vom Juni 2003 wurde die Notwendigkeit der drastischen Verkleinerung des staatlichen Verwaltungsapparates beschrieben und die Einsparung von 15 bis 20 % Verwaltungspersonal in Aussicht gestellt; ohne Reform des Widerspruchsverfahrens wäre dies kaum möglich gewesen.

Die Reform des Widerspruchsverfahrens wird mit Augenmaß erfolgen. Ohne der eingehenden Prüfung der Ressorts vorgreifen zu wollen, kann jetzt schon festgestellt werden, dass das Widerspruchsverfahren in den Bereichen belassen wird, in denen eine Abschaffung nicht zielführend wäre.

In persönlichen Gesprächen mit den Verantwortlichen im niedersächsischen Innenministerium wurde erläutert, dass in Niedersachsen ein Anstieg der Klagen vor den Verwaltungsgerichten von rund 4 % zu verzeichnen sei. Dies hat die niedersächsische Justizministerin auch in der 74. Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtags am 10. November 2005 ausgeführt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Entwicklungen in Niedersachsen nur sehr bedingt zum Vergleich herangezogen werden könn

ten, weil die nordrhein-westfälische Landesregierung einen eigenen Ansatz verfolgt. Sobald die Ressorts die Liste der Widerspruchsverfahren, die nicht abgeschafft werden sollen, vorgelegt haben, werden die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit eingehend überprüft, auch unter Einbeziehung der Entwicklungen in den anderen Ländern.

Das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung kann aus Sicht der Landesregierung nicht als Beleg für eine generelle Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in NRW herangezogen werden, wie dies in der Mündlichen Anfrage jedoch anklingt. In diesem Gesetz ging es vielmehr um den konkreten Belastungsausgleich zwischen einzelnen Verwaltungsgerichten.