Protocol of the Session on January 19, 2006

Kind in einer vermeintlich besseren Schule sehen will.

Wir glauben, dass die Lehrerinnen und Lehrer eine größere Chance haben, diesen Kindern, auch wenn es nur relativ wenige sind, gerecht zu werden als deren Eltern. Die Empfehlung der Lehrer wiegt ja auch am Ende der Erprobungsstufe stärker als der Wille der Eltern. Denn – das ist die vierte Tatsache, der wir ins Auge sehen sollten – die Liebe der Eltern, so wunderschön und so wichtig sie ist, ist leider noch keine genügend stabile Grundlage für diese Entscheidungen. – Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Solf. – Nun hat als nächste Rednerin die Kollegin Beer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eltern kennen ihre Kinder am besten und nicht die Schule. – Die Schulministerin hat das hier an dieser Stelle gerne bemüht im Hinblick auf den Zugang zur Grundschule. Das in diesem Satz ausgedrückte Prinzip hat aber offensichtlich nur da Gültigkeit, wo es Ihnen von der schwarz-gelben Koalition gerade in den Kram passt. Sie wollen Ihren zwanghaften Begabungsreflex den Kindern in NRW überstülpen und Ihre Schulformschubladen füllen.

(Zuruf von Michael Solf [CDU])

Herr Solf, dann erklären Sie mir bitte einmal, warum der Elternwille gilt, wenn die Eltern ihre Kinder aus irgendwelchen Bedenken nicht ins Gymnasium schicken wollen, aber der Elternwille nicht gilt, wenn Eltern ihr Kind in eine Schulform schicken wollen, die die von Ihnen geplante Kommission nicht empfiehlt. Das ist doch wirklich heuchlerisch. Offensichtlich haben Sie ganz andere Motive.

Sie wollen den Eltern die Verantwortung bei der Schulformwahl aus der Hand nehmen und sie beim Entscheidungsrecht entmündigen. Elternbeteiligung in der Schule sollte eigentlich gestärkt werden. Sie sollten für mehr Transparenz in der Schulentwicklung sorgen und Eltern mehr in die Qualitätsentwicklung einbeziehen. Das ist auch das Votum der Landeselternschaft der Grundschulen.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie machen sich einen schönen schlanken Fuß, indem Sie in unverschämter Weise zur

Elternbeschimpfung greifen und sagen, man müsse Kinder vor ihren Eltern schützen, anstatt Ihre Hausaufgaben in der Entwicklung des Bildungssystems zu machen, Chancengleichheit zu schaffen und Leistungschancen für alle Kinder zu sichern.

Sie schieben den Eltern den schwarzen Peter des Scheiterns am Schulsystem zu, anstatt daran zu arbeiten, dass sich die Philosophie im Schulsystem grundlegend verändert. Ich schreibe Ihnen das gerne noch einmal ins Stammbuch: Es darf nicht die Prämisse gelten, das Kind muss zum System passen, sondern das System muss alles tun, um dem Kind zum Bildungserfolg zu verhelfen. Sie verhindern durch Ihre Schulstrukturrestauration sehr deutlich die Entwicklung von Lehrerprofessionalität und stärken gerade die Lehrer und Lehrerinnen, die immer noch nach dem Prinzip den Unterricht gestalten: Ich könnte so guten Unterricht machen, wenn ich nur die richtigen Kinder hätte.

Eltern haben das Prinzip durchschaut, dass mit den unterschiedlichen Bildungsgängen unterschiedliche Berufs- und Lebenschancen verbunden sind. Aber gerade Eltern aus benachteiligten und benachteiligenden Lebenslagen trauen sich nicht, sich falschen Grundschulempfehlungen von Lehrkräften zu widersetzen. Dass die zu einem hohen Prozentsatz falsch sind, das belegen unter anderem die Iglu-Studie, die Erkenntnisse aus der PisaStudie und besonders eindrucksvoll auch die Hamburger Lernausgangslagenuntersuchung. Dort werden auch die Mechanismen deutlich, die Kindern aus schwierigen sozialen Ausgangslagen höhere Hürden aufbauen, um gute Zensuren zu erringen, während Kindern aus bildungsnahen und sozial besser gestellten Haushalten gute Zensuren auch für im Vergleich geringere Leistungen ausgestellt werden.

Frau Kollegin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Solf?

Ja, gerne. Bitte.

Frau Beer, ist Ihnen denn bewusst, dass sich so, wie es in unserem Land zurzeit läuft, in jedem Jahr bei ca. 14.000 Kindern und Jugendlichen zeigt, dass sie offensichtlich doch die falsche Wahl getroffen haben?

Zweitens. Ist Ihnen bewusst, dass die ScholastikStudie dargelegt hat, dass man nach der vierten Grundschulklasse mit einer relativ hohen Trefferquote sagen kann, in welcher zukünftigen Schul

form Kinder am besten aufgehoben sein werden? – Danke.

Gerade aus Ihren Hinweisen ist sehr deutlich erkennbar, dass wir im Augenblick nur ein Instrument haben, das nicht belastbar ist, nämlich genau die Grundschulempfehlungen, wie sie da sind. Ich habe eben über die Fehlerquoten und darüber gesprochen, dass die Experten uns empfehlen, diese Entscheidung nicht in so frühem Lebensalter zu vollziehen. Es ist also ganz deutlich, dass diese Entscheidung in ein späteres Lebensalter zu verschieben ist. Das sind die Ergebnisse, die auch international bestätigt werden und die uns in Bezug auf den Reformbedarf gerade an dieser Stelle im System mahnen.

Deshalb führt die Landeselternschaft Grundschulen auch vollkommen zu Recht aus, dass die Übergangsempfehlungen der Grundschulkräfte in großem Umfang nicht dem Leistungsvermögen der Kinder entsprechen und dass selbst mit hohem Aufwand – das sagt uns auch die Wissenschaft in diesem Zusammenhang – kaum Verbesserungen an der Prognosequalität zu erwarten sind.

Was ansteht, ist, wie ich gerade schon ausgeführt habe, die Entscheidung über Bildungskarrieren konsequent in spätere Jahrgänge zu verschieben. Sie kommen nicht an der Entwicklung des längeren gemeinsamen Lernens, der konsequenten individuellen Förderung und des Lernens voneinander und in Gemeinschaft vorbei; denn wir müssen auch dringend den notwendigen sozialen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft unterstützen.

Herr Solf, noch ein kleines Schmankerl am Rande dazu: In Bayern, dem Musterland der Zwangsrestriktionen in Bezug auf den Besuch des Gymnasiums mit massiver Zensureneingangsklausel, verlässt immer noch knapp ein Viertel der Schüler und Schülerinnen das Gymnasium. In NRW, wo die Eltern im Augenblick das letzte Wort haben, müssen eklatant weniger Schüler und Schülerinnen deshalb die Schulform wechseln.

Unser Ziel ist es, von den falschen Schulformvorstellungen wegzukommen und Lehrerprofessionalität zu stärken. Es geht darum, Kinder nicht in „richtig“ und „falsch“ einzuteilen und die Eltern gleichzeitig zu entmündigen, sondern die Eltern in der Erziehungs- und Bildungskompetenz und in der Unterstützung auf dem Bildungsweg ihrer Kinder zu stärken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Wir dürfen an dieser Stelle nicht Eltern aus der Verantwortung herausnehmen und ihnen Restriktionen aufbauen, sondern müssen Eltern in Verantwortung hineinnehmen. Wir müssen die Bildungswege offen halten und dürfen nicht die Zukunft von Kindern im Alter von neun Jahren von dieser Entscheidung abhängig machen. Sie wissen ganz genau, dass wir Schulformwege haben, die im Leben doppelt benachteiligen und in Sackgassen führen, was Berufs- und Lebenschancen angeht. Das haben Sie dann zu verantworten.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Pieper-von Heiden für die Fraktion der FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Hendricks, auf Sie passt wirklich der Satz: Sage mir dein politisches Ziel, und ich liefere dir die Argumentation dazu.

(Beifall von der FDP)

Auf diese Art und Weise wollen Sie wirklich nur das Schulgesetz torpedieren und sich nicht an Sachargumenten entlang bewegen.

Bei der Novellierung des Schulgesetzes haben wir die Beratung von Eltern und die Stärkung der Schulmitwirkungsrechte zum Wohle ihres Kindes fest im Blick. Sie werden künftig frühzeitig durch schriftliche Vorlagen der Schule zu Tagesordnungspunkten der Mitwirkungsgremien informiert, sodass sie sich sachkundig in Entscheidungsprozesse einbringen können. Ebenso wählen sie gemeinsam mit Lehrern und Schülern im höchsten Entscheidungsgremium einer Schule, der Schulkonferenz, ihren Schulleiter selbst.

Darüber hinaus soll Eltern aber auch eine bessere und sachgerechtere Unterstützung als bisher bei der Wahl der weiterführenden Schule für ihr Kind zuteil werden. Das Schulgutachten erhält deshalb eine größere Verbindlichkeit.

Sofern Eltern dann allerdings von der Empfehlung der Grundschule abweichen wollen, wird künftig anders als bisher weitere Expertise herangezogen. Zunächst findet ein Beratungsgespräch sowohl mit der abgebenden Grundschule als auch mit der gewünschten weiterführenden Schule statt. Sollte es dabei zu keiner Einigung mit den Eltern kommen, dann – und nur dann – schließt sich ein dreitägiger Prognoseunterricht mit bis da

hin unbeteiligten Lehrern an, der Leistungsstand und Lernpotenzial des Kindes in den Fokus nimmt. Erst wenn diese Prognose die Eignung des Kindes für die gewünschte Schulform offenkundig ausschließt, erfährt das Elternwahlrecht seine Grenzen, und zwar zum Wohle des Kindes.

Frau Kollegin Pieper-von Heiden, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?

Sie wird ja nicht auf meine Zeit angerechnet, oder?

Nein.

Frau Pieper-von Heiden, Sie haben ausgeführt, dass Sie die Eltern an den Punkten schützen wollen, wo es sich um kollektives Recht handelt. Bei dem Recht, bei dem es sich sozusagen um das individuelle Recht handelt, sehe ich diese Stärkung nicht. Ich würde gerne wissen, warum Sie das jetzt in einen Tagesordnungspunkt hineinpacken. Denn das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Ich sehe es als individuelles Elternrecht an, eine fachgerechte Beratung zu erhalten, was die Wahl der weiterführenden Schule für ihr Kind anbetrifft. Ich gehe nämlich davon aus, dass Eltern nicht in jedem Fall die Kenntnis darüber mitbringen, wie die Anforderungen einer weiterführenden Schulform sein könnten, dass Lehrer – das darf ich wohl voraussetzen – aber selbstverständlich Kenntnis darüber haben.

Ich möchte jetzt gerne fortfahren. – Erst dann, wenn diese Prognose die Eignung des Kindes infrage stellt und ausschließt, erfährt dieses Elternwahlrecht also seine Grenzen, wirklich erst dann – und zwar zum Wohle des Kindes, um eine dauerhafte Überforderung und ein absehbares Scheitern und damit einhergehende Demütigungen für das Kind zu vermeiden.

(Beifall von der FDP)

Dennoch: Nichts ist unumkehrbar. Anders als bisher prüfen in den weiterführenden Schulen die in einer Klasse unterrichtenden Lehrer künftig am Ende eines jedes Schuljahres, ob einem Kind aufgrund guter Schulleistungen und Entwicklungssprüngen die Empfehlung zum Wechsel in eine höhere Schulform gegeben werden kann. Das hatten wir bisher nicht.

All dies ist um Lichtjahre besser als das, was Sie jahrelang praktiziert haben, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Sie haben die Zeitressourcen der Grundschullehrkräfte belegt, um ein Grundschulgutachten zwar erstellen zu lassen, um aber anschließend die dort eingeflossene Lehrerarbeit zu missachten und dieses Gutachten einfach in der Schublade verschwinden zu lassen. So war es doch. Nun haben wir jährlich rund 15.000 Rücküberweisungen von überforderten Schülern zumeist an die Hauptschulen.

Sie haben sich immer gescheut, einen Weg auch konsequent weiter zu gehen. Wir, FDP und CDU, handeln dagegen konsequent, übrigens auch in umgekehrter Richtung. Da sollten Sie genau zuhören. Wir wollen, dass Eltern leistungsstarker Grundschulkinder auch dann davon überzeugt werden, ihr Kind beispielsweise an der Realschule oder am Gymnasium anzumelden, wenn sie sich ungeachtet der guten Leistungen ihrer Kinder traditionell an die Hauptschule gebunden fühlen. Davon gibt es nicht wenige in diesem Land. Das müssen wir auch verändern. Auch gute Schüler gehören in die für sie passende Schullaufbahn. Das ist eben nicht immer die Hauptschule, wie von vielen Eltern gewählt.

Eines wird beim Vorgehen der neuen Landesregierung doch völlig klar, meine sehr geehrten Damen und Herren. Niemals zuvor war unser Schulsystem so durchlässig. Niemals nahm es in einer solchen Weise Rücksicht auf die unterschiedlichen Fähigkeiten und Leistungen von Schülern, wie es nach Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes zum nächsten Schuljahr der Fall sein wird. Warten Sie es ab.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper-von Heiden. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laschet das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben der Öffentlichkeit die Eckpunkte dieser Reformen vorgestellt. Ich meine, dass wir das nicht in dieser Schwarzweißform diskutieren sollten, wie das zum Teil gemacht wird.

Der Ausgangspunkt sind 15.000 Kinder und Jugendliche – der Kollege Solf hat es erwähnt –, die Jahr für Jahr auf weiterführenden Schulen scheitern. Deshalb muss sich – das ist die feste Überzeugung der Landesregierung – an der derzeitigen Situation etwas ändern. Die Frage ist: Wie macht man das am besten?

Hinter dieser hohen Zahl steht mehr als schulischer Misserfolg. Jedes Kind, das eine Schule verlassen muss und auf eine andere Schule geht, fühlt sich zunächst ständig überfordert und leidet auch seelisch unter dieser ständigen Überforderung. Zudem belastet diese viel zu hohe Zahl solcher Fälle von Abstufungen ebenfalls die aufnehmenden Schulen. Insbesondere die Hauptschulen haben dadurch erhebliche Probleme. Die Motivierung dieser meist schulmüden Schulwechsler ist mehr als schwierig.

Um diesen Problemen entgegenzuwirken, aber auch um Kindern in einer ihren Begabungen gerechten Schulform bessere Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, wollen wir, wie in der Koalitionsvereinbarung angekündigt, die Grundschulempfehlung verbindlicher machen. Sie entscheidet ja nicht alles am Ende. Wir wollen sie verbindlicher machen, als sie das heute ist.