Protocol of the Session on January 19, 2006

Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, den ich wirklich ganz entlarvend finde. Wir diskutieren heute über einen Antrag von CDU und FDP. Sie wollen, dass wir den Antrag überweisen, im Schulausschuss darüber beraten und dann beschließen, dass auf der Basis dieses Antrags die Landesregierung einen Gesetzentwurf machen soll. Das sollen wir heute an den Schulausschuss überweisen. Heute ist Donnerstag. Nach meinen Informationen haben Sie am Dienstag in der CDU-Fraktion schon über einen vorhandenen Gesetzentwurf diskutiert.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Ich finde dieses Verfahren mehr als lächerlich.

(Beifall von der SPD)

Packen Sie das schnell wieder ein, und fangen Sie noch einmal von vorne an, damit Sie nicht sämtliches Porzellan zerschlagen! – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Bernhard Recker [CDU]: Das stimmt doch einfach nicht!)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Laschet das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf für die Landesregierung zu diesem Thema sprechen, da, wie Sie wissen, die Schulministerin aus persönlichen Gründen heute nicht hier sein kann. Ich werde anhand ihres Manuskriptes und der Überlegungen der gesamten Landesregierung …

(Zurufe von der SPD)

Ich finde, hierbei gibt es keinen Grund, lustig zu sein oder Zwischenbemerkungen zu machen. – Ich werde Ihnen das, was wir in der gesamten

Landesregierung erörtern, als Linie dieser neuen Schulpolitik vortragen.

Wir befinden uns am Anfang des Jahres 2006. Seit dem Ende von 39 Jahren roter und zuletzt rot-grüner Bildungspolitik – auch wenn das heute bei Ihnen etwas distanzierter klang – ist erst ein gutes halbes Jahr vergangen.

Die neue Landesregierung hat seitdem unter Hochdruck für die bildungspolitische Wende in Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Eine ganz zentrale Bedeutung für diese Wende hat die Novellierung des vom alten Landtag mit der Mehrheit von SPD und Grünen kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode beschlossenen Schulgesetzes.

Schon damals hatten die damaligen Oppositions- und heutigen Regierungsfraktionen erklärt, dass das zur Beschlussfassung anstehende Schulgesetz nicht den Anforderungen an ein zukunftsfähiges Bildungssystem entspricht. Der Kollege Recker hat das in seiner Rede eben sehr deutlich gemacht. Das mag jetzt hier zwar kontrovers sein. Hier wird es unterschiedliche Modelle geben. Das Modell, das jetzt die Mehrheit hat, ausgestattet mit dem Votum der Wählerinnen und Wähler, ist exakt das, was wir vor der Wahl angekündigt haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Deshalb werden wir uns auch durch all die viele Aufregung, die Sie jetzt zu erzeugen versuchen, nicht davon abhalten lassen. Wenn wir jetzt nicht so handelten, wäre dies Wählerbetrug. Denn die Wähler erwarten von uns, dass wir das jetzt umsetzen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir haben gehandelt und stellen uns nun mit den Eckpunkten, die wir am 13. Dezember beschlossen haben, der bildungspolitischen Diskussion.

Der Referentenentwurf zur Einleitung der Verbändeanhörung wird in allernächster Zeit vorgelegt werden. Wir werden uns in dem zielstrebigen und gleichzeitig diskursbereiten Umsteuern des Bildungssystems in Nordrhein-Westfalen nicht beirren lassen. Frau Schäfer, das wird eines der modernsten Bildungssysteme, die wir in Deutschland haben. Das ist unsere Ambition.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie mögen das karikieren, unsere Ambition ist klar formuliert.

Es fällt auf, Frau Kollegin Beer, dass die Grünen seit einem halben Jahr in all ihren Stellungnahmen Defizite in unserem Schulsystem entdecken, beklagen. Ihr Vergleich von Titanic, Tamagotchi

und Quark und von allem, was Sie dort hineingemischt haben, hat einzelne Defizite aufgezeigt, die nicht entstanden sind, weil am 13. Dezember Eckpunkte formuliert waren, sondern diese Defizite sind vorhanden, weil die Politik der letzten Jahre falsch war.

(Beifall von CDU und FDP)

Vieles von dem ist sehr berechtigt, nur lassen wir Ihnen nicht durchgehen, dass Sie jetzt die Verantwortung allein auf die SPD abschieben, indem Sie immer die Defizite benennen. Das sind für die letzten zehn Jahre auch Ihre Defizite, und so sollten Sie die Debatte führen!

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Bern- hard Recker [CDU])

Die Politik der Landesregierung setzt auf eine begabungsgerechte, individuelle Förderung von Kindern in einem leistungsstärkeren, gegliederten, durchlässigen Schulsystem. Gerechtigkeit in der Schule heißt, jedem einzelnen Kind gerecht zu werden. Eine begabungsgerechte Schule ist daher eine Schule, die individuell fördert.

Soziale Gerechtigkeit setzt ebenfalls eine bessere Förderung von Kindern voraus, auch von Kindern, die zu Hause nicht die Grundlagen vermittelt bekommen, die sie für eine erfolgreiche Bildungskarriere benötigen. Sie brauchen mehr und frühere Hilfe. Deshalb mache ich mit Frau Kollegin Sommer den Übergang aus den Kindertagesstätten in die Grundschulen, eine frühkindliche Bildung schon vor der Schule, zu einem Thema, um die Bildungschancen, die Bildungskarrieren auch der Kinder zu fördern, die von zu Hause diesen Background nicht haben.

(Beifall von der CDU)

Wir dürfen sie nicht alleine lassen. Die PisaErgebnisse sind in der Tat ernüchternd.

Jede Fraktion besetzt ihre Sprecher so, wie sie es für klug hält – aber dass derjenige, der für diese Bildungsergebnisse als Person verantwortlich ist, jetzt erklärt, es sei alles falsch, was wir jetzt verbessern, ist eine absurde Situation. Frau Schäfer, jeder Kritikpunkt, den Sie hier benennen, fällt deshalb auf Sie zurück.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass das Kind von Arbeitern fünffach schwächere Bildungschancen hat als das Kind von Akademikern. Das ist doch Ihr Ergebnis und nicht unser Ergebnis!

(Beifall von CDU und FDP)

Ich sage ein Zweites aus Integrationsgesichtspunkten dazu. Die Pisa-Ergebnisse sind auch so, weil Kinder aus Zuwandererfamilien in diesem Bundesland schlechtere Bildungschancen als in jedem anderen Bundesland haben. Deshalb setzen wir bei der Sprachförderung an. Wir reden nicht darüber, sondern wir machen im vierten Lebensjahr Sprachstandsfeststellungen. Die Kinder werden zwei Jahre in den Kindertagesstätten gefördert, damit, wenn sie in die Schule kommen, sie die gleichen Chancen haben wie diejenigen, die die deutsche Sprache von Geburt an sprechen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schäfer?

Ja.

Frau Schäfer.

Herr Minister Laschet, wenn Sie sagen, Sie wollen die Bildungschancen verbessern, warum bleiben Sie dann dabei, die Grundschulgutachten verbindlich zu machen?

(Zurufe von der CDU: Ah! – Ministerpräsi- dent Dr. Jürgen Rüttgers: Themawechsel, unangenehm!)

Es ist immer so schön; machen Sie noch ein bisschen weiter! – Warum lassen Sie die verbindlichen Grundschulgutachten weiter durchlaufen, obwohl man nach empirischen Untersuchungen weiß, dass rund 40 % dieser Gutachten nicht genau die Kindesentwicklung treffen?

(Widerspruch von der CDU)

Entschuldigung, aber das haben Professoren gesagt, das habe ich mir nicht ausgedacht. Die Kinder werden sowohl über- als auch unterschätzt. Würden Sie das als bessere Bildungschance bezeichnen?

(Beifall von der SPD)

Man kann das geschickt machen und auch durchsichtig machen. Ich habe gerade über Pisa und die Ergebnisse Ihrer Schulpolitik gesprochen. Sie greifen jetzt irgendeinen Eckpunkt heraus, nämlich den zu Grundschulgutachten.

(Zuruf von Ute Schäfer [SPD])

Liebe Frau Schäfer, dazu werde ich Ihnen gleich etwas sagen. Aber Sie versuchen, von dem Thema abzulenken, das uns beschäftigt.

(Beifall von CDU und FDP)

Dass Kinder aus bildungsfernen Schichten schlechtere Chancen haben, bekommen Sie doch nicht mit dem Hinweis auf das Gutachten aufgehoben. Ich komme gleich auf dieses Thema zurück.

Ich nenne ein zweites Argument, weshalb wir das machen. Erstens ist es unsozial, wenn Kinder diese Chance nicht haben und in diesem Bundesland schlechter abschneiden als in jedem anderen.

(Beifall von der CDU)