Protocol of the Session on January 19, 2006

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Witzel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte den Einstieg mit dem Thema O.Vision wählen, aber, Herr Eiskirch, nach der Präsentation, die Sie uns geboten haben, ist eine Klarstellung zu Beginn notwendig.

Ich selber bin ein Kind des Ruhrgebiets, dort aufgewachsen, habe den Kindergarten besucht, die Schule besucht, studiert und dort gearbeitet.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Weil ich mein ganzes Leben in der Region verbracht habe, sage ich Ihnen: Ich lasse mir von Ihnen nicht unterstellen, dass es mir egal ist, wie sich diese Region zukünftig entwickelt.

(Beifall von FDP und CDU – Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Nomen est omen bei O.Vision. Das Projekt ist hochgradig risikobehaftet; es birgt die Gefahr der weiteren Verschwendung von Steuermitteln. Deshalb hat Ihnen mein Kollege Hendrik Wüst völlig zu Recht dargestellt, welche großen Vorbehalte bei nicht wenigen Mitgliedern des alten rot-grünen Kabinetts bereits vorhanden waren. Die Entscheidung, die die schwarz-gelbe Landesregierung in den letzten Tagen getroffen hat, ist eine verantwortungsvolle Entscheidung im Sinne des Steuerzahlers und auch im Sinne der Region.

Es ist schon ein dreister Versuch, über diese Symboldebatte hier von dem Versagen von RotGrün in der Förderung des Ruhrgebietes in den letzten Jahren abzulenken.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Hat er eigentlich noch eine andere Schallplatte drauf?)

Die Wahrheit ist: Rot-Grün hat den Menschen im Ruhrgebiet zu lange das Blaue vom Himmel und das Schwarze aus der Erde versprochen. Einzelne Leuchttürme sollten den Schatten über dem sonstigen Revier verschleiern. Die Nachhaltigkeit Ihrer Strohfeuereffekte war aber gleich null. Wir werden dies ändern, indem wir zukünftig helle Köpfe und nicht dunkle Schächte fördern.

(Unruhe bei der SPD)

Die Erblast von fast 40 Jahren sozialdemokratischer Verantwortung könnte desaströser kaum sein. All die Stichworte, die in den letzten Jahren für NRW im negativen Sinne galten, gelten in besonderer Weise für die Probleme des Ruhrgebiets: Pleitewelle, zu wenig Selbstständige, Massenarbeitslosigkeit – allein die letzte Legislaturperiode plus 80.000 Arbeitslose –,

(Marc Jan Eumann [SPD]: Im Bericht von Frau Thoben liest sich das aber ganz an- ders!)

Bildungsdesaster, Perspektivlosigkeit für die Jugend – all das haben Sie hinterlassen. Deshalb werden Sie ehrlicherweise hier nicht sagen können: Die Strukturprobleme des Ruhrgebiets, die unbestrittenermaßen vorhanden sind, sind das Resultat von sechs Monaten Schwarz-Gelb. Ich glaube, das wäre unehrlich. Vielmehr resultieren sie aus mehr als 40 Jahren SPD-Herrschaft.

(Beifall von der FDP – Prof. Dr. Gerd Boller- mann [SPD]: Lesen Sie einmal den Wirt- schaftsförderungsbericht!)

Sie haben die letzten Jahre Ankündigungspolitik betrieben. Was haben Sie den Menschen alles versprochen: Sie haben einen Metrorapid in Aussicht gestellt, jahrelang hier im Landtag diskutiert und sind damit gescheitert. Sie haben 55 Millionen € bei HDO in der naiven Annahme verbrannt, wir könnten aus einem traditionellen Industriekern mal eben schnell ein zweites Hollywood machen.

(Dr. Michael Vesper [GRÜNE]: Was ist denn mit dem Tunnel im Ruhrgebiet?)

Genau diese Symbolpolitik, die Sie die letzten Jahre betrieben haben, hat eines nicht bewirkt, nämlich eine nachhaltige Strukturverbesserung, auf die man zukunftsorientiert aufbauen kann, meine Damen und Herren.

(Hannelore Kraft [SPD]: Schauen Sie sich einmal die Zahlen im Bericht von Frau Tho- ben an, Herr Witzel!)

Deshalb sage ich Ihnen: Die FDP-Landtagsfraktion bekennt sich sehr wohl zu einem starken Industriestandort Ruhr. Wir wollen dort moderne Kraftwerke, wettbewerbsfähige Industriearbeitsplätze, und wir wissen, dass wir dies mit neuen Technologien, mit Forschungsförderung kombinieren müssen, damit sich die Standorte dann auch im Wettbewerb behaupten.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ha- ben wir im Ruhrgebiet bisher nicht?)

Minister Pinkwart hatte gestern die Konsequenzen aus der RWI-Technologiestudie dargstellt und Ihnen attestiert, dass wir nämlich durch die Unterlassung von Zukunftsfähigkeit, durch das Unterlassen eines frühzeitigen Umsteuern in modernen Strukturwandel

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: So ein Quatsch!)

Jahre in der Entwicklung hinterherhinken. Ansonsten stünden wir heute anders da.

Dies gilt in besonderer Weise für Ihre Politik, die zulasten der jungen Generation geht. NordrheinWestfalen insgesamt weist im Bundesländervergleich große Defizite im Bildungsbereich auf. Das werden wir gleich noch diskutieren. Wir stehen abgeschlagen am Ende der bundesweiten Bildungsbundesliga. Es gibt aber wahrscheinlich in Nordrhein-Westfalen auch nach all den Ergebnissen, die Sie in Ihrer damaligen Amtszeit, in der Amtszeit von Rot-Grün, präsentiert haben, keine Region des Landes, die so große Bildungsdefizite hat wie viele Standorte im Ruhrgebiet.

Deshalb leiten wir nun endlich die Umsteuerung ein. Wir setzen die parlamentarischen Initiativen der FDP-Landtagsfraktion aus der 13. Legislaturperiode um, die Sie abgelehnt haben, unter anderem die, bei der Bildung mit der Gießkannenförderung aufzuhören und lieber gezielt den Gartenschlauch in die Winkel zu halten, wo es besonderer Unterstützung bedarf. Wir sind die erste Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die damit anfängt, in der Mittelzuweisung für Schulen bewusst und gezielt besondere Problemlagen von Standorten in Rechnung zu stellen, um damit mehr Förderung für diejenigen zu ermöglichen, die dies auch benötigen.

(Beifall von der FDP)

Deshalb werden wir vor allem auch zum Wohle des Ruhrgebiets bei unserer Bildungsoffensive, die wir mit der neuen Koalition starten und die, wenn Sie sich die Entwicklung in allen anderen Bundesländern anschauen, eine Dimension hat, die bundesweit vorbildlich ist, dafür sorgen, dass sich insbesondere im Ruhrgebiet die Strukturen verbessern, damit sich auf Dauer nachhaltig etwas verändert und nicht nur einzelne Leuchttürme in die Landschaft gestellt werden.

Wir werden dort einen Wettbewerbsprozess in Gang setzen, Einrichtungen im schulischen Bereich, aber auch im Hochschulbereich mit dem Hochschulfreiheitsgesetz entfesseln. Wir werden Ihre Grenzen der Schulbezirke einreißen,

(Widerspruch von SPD und GRÜNEN)

damit eine moderne Wettbewerbslandschaft von Schule entsteht und die Chance besteht, sich endlich bei den Bildungsergebnissen denen aus den internationalen Vergleichen anzunähern, die besser sind.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Sie sollten den Mund nicht so voll nehmen! – Zuruf von der SPD: Keine Ahnung!)

Wir werden selbstverständlich die Chance auch als solche begreifen, die sich durch die Umstrukturierung und Neuausrichtung der EU-Förderung ergibt, damit nachhaltige, dauerhafte Innovationsprozesse einsetzen und nicht weiter losgelöst von jeder Sinnhaftigkeit einfach Millionenbeträge für Strohfeuereffekte verbrannt werden.

(Horst Becker [GRÜNE]: Nur Visionen und Schulwitze!)

Wir werden einem Ausbau der Infrastruktur offen gegenüberstehen. Wir unterstützen den Weiterbau der A 52, den Sie viele Jahre blockiert haben,

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Ist nicht wahr!)

damit eine leistungsfähige Nord-Süd-Verbindung im Ruhrgebiet entsteht und damit der Standort als solcher gestärkt wird. Wir sind die erste Landesregierung, die in dem Umfang eigene planungsrechtliche Kompetenzen in die Region vergibt, weil wir nämlich den Menschen vor Ort zutrauen, dass sie einen wichtigen eigenen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, wenn man sie zukünftig nur lässt.

(Beifall von FDP und CDU)

Deshalb wird der Regionalverband Ruhr weitgehende Planungskompetenzen bekommen, woran in der Vergangenheit unter Ihrer Verantwortung nicht zu denken war.

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Uns als neuer Koalition liegt die Regionalentwicklung, anders als das hier von der SPD unehrlicherweise behauptet wurde, sehr am Herzen. Uns liegt daran, dass wir hier einen großen Schritt in Richtung Zukunft machen, aber wir sind uns auch dessen bewusst, dass Symbolpolitik allein nicht ausreicht, sondern dass wir nachhaltige Effekte benötigen. Jede Studie, die sich mit dem Innovationsklima und der Technologiepolitik beschäftigt, führt zu dem Ergebnis, dass wir heute entschieden weiter wären, wenn Sie, als Sie die letzten Jahre und Jahrzehnte in der Verantwortung waren, mutige Schritte des Umsteuerns nicht in dem Maße unterlassen hätten.

Deshalb gilt für uns als neue Koalition: Wir brechen auf in eine neue Epoche der Ruhrförderung,

(Heiterkeit von Horst Becker [GRÜNE])

indem wir die Menschen selber zu mehr Freiheit befähigen,

(Zurufe von SPD und GRÜNEN)

sie unterstützen bei dem Prozess, in moderne Bereiche umzusteigen, …

Herr Kollege, kommen Sie dann bitte jetzt auch langsam zum Schluss?

… weil wir eines nicht fortsetzen werden: Ihre Politik, bei der Sie Zukunft verschenkt haben,

(Horst Becker [GRÜNE]: Eine Witzel- Epoche!)

Millionen verbrannt haben und im Ergebnis damit gescheitert sind. Wir stehen für eine moderne Ausrichtung der Ruhrgebietsförderung und werden diesen Kurs – darauf können Sie sich verlassen – konsequent fortsetzen. – Vielen Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Landesregierung spricht jetzt Wirtschaftsministerin Thoben.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für das Ruhrgebiet braucht man Herz und Verstand.