Eine Koalition, die im Bund regiert und den größten Schuldenhaushalt eines Jahres vorlegt, eine Koalition, die sich dessen rühmt, dass sie die Neuverschuldung – wohlgemerkt: die Neuverschuldung – viel weniger abgebaut hat, als sie Steuermehreinnahmen in den guten Jahren hatte, nämlich in den Jahren 2006, 2007, 2008,
die inzwischen bei einer Rekordneuverschuldung pro Jahr liegt und nur mit jeder Menge Tricks ganz knapp unter dem Jahr 2005 auf dem Papier liegt, eine solche Koalition kann nicht ernsthaft von Schuldenbremse reden und darf auch nicht davon reden, weil sie sich ansonsten fragen lassen muss, was sie eigentlich tut.
Lassen Sie mich, Herr Linssen, diesen einen Satz noch sagen: Ich habe mich in den fünf Jahren auch manches Mal mit Ihnen gestritten und bin der Auffassung, dass Sie sich zumindest immer redlich bemüht haben, an bestimmten Punkten in der Sache zu argumentieren. Sie würden vielleicht das Gleiche umgekehrt auch sagen, und damit wären wir quitt.
Ich bin allerdings sehr entsetzt darüber, dass Sie ernsthaft – das ist ein wirklich wichtiger Punkt – vor dem Hintergrund eines Wahldatums in wenigen Tagen ein solches Spiel mit der Verfassung betreiben wollen, was dann letztlich sowohl Ihnen als
auch einer anderen Regierung, vor allen Dingen aber den Kommunen in Nordrhein-Westfalen ganz fürchterlich vor die Füße fällt – und das aus wahltaktischen Gründen.
Ich glaube, eine Verfassung und das Land Nordrhein-Westfalen haben ein solches Spiel bei dieser ernsten Angelegenheit nicht verdient.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor – auch der Blick in die Runde widerspricht dem nicht –, sodass wir am Schluss der Beratung sind und zur Abstimmung kommen können.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich noch einen Hinweis geben. Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung – Artikel 69 – werden nach unserer Geschäftsordnung in drei Lesungen beraten. Nach dem vorgenannten Artikel bedarf es für eine Verfassungsänderung der Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Landtags. Das heißt, heute müssten 125 Mitglieder der vorgeschlagenen Änderung zustimmen. Diese qualifizierte Mehrheit ist durch das Präsidium festzustellen.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 14/10862, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/10358 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP.
Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Sagel.
Ach so, Enthaltungen. Entschuldigung. Ich hatte zwar den Eindruck, dass sich alle anwesenden Abgeordneten an der Abstimmung beteiligt hatten, aber sicherheitshalber fragen wir natürlich noch einmal nach. Ich stelle ausdrücklich fest: keine Enthaltung.
Damit ist die Beschlussempfehlung zwar mehrheitlich angenommen, aber die für die Verfassungsänderung notwendige qualifizierte Mehrheit wurde
nach Feststellung des Präsidiums nicht erreicht. Der Gesetzentwurf Drucksache 14/10358 gilt damit als abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich lasse nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/10901 abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Enthaltungen? – Bei Enthaltung des Abgeordneten Sagel ist der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD abgelehnt.
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 14/10867
Ich weise auf Folgendes hin: Der Antrag Drucksache 14/10380 wurde gemäß § 79 Abs. 2 Buchstabe b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit der Maßgabe überwiesen, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses liegen Ihnen vor.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion dem Abgeordneten Remmel das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich ahne es schon. Gleich wird wieder die hohe Messe im Zusammenhang mit der CO-Pipeline des industriellpolitischen Glaubensbekenntnisses gesungen. Wie das so ist: Wenn man meint, zu den Rechtgläubigen zu gehören – und das immer stärker –, dann wird man schwer zugänglich für rationale Argumente.
Ich meine schon, dass auch diejenigen, die 2006 – zwischen 2006 und 2010 liegen vier Jahre – dieses Projekt befürwortet haben, sich fragen lassen müssen, wie das mit der Einhaltung von Recht und Gesetz ist.
Auch diejenigen, die das Projekt eigentlich wollen, müssen auf der rationalen Ebene beantworten, ob sich der Staat nicht in den letzten vier Jahren lächerlich gemacht hat und ob das Unternehmen, das dieses Projekt betreiben will, das Vertrauen nicht verloren hat. Ich werde Sie heute nicht aus der Verantwortung entlassen.
Ich frage Sie, all die, die das Projekt wollten und wollen: Wo ist die Grenze? Was muss passieren, damit Sie sagen: „So nicht!“? Wäre es nach Bayer oder nach dem Willen der Landesregierung oder nach den Genehmigungsbehörden gegangen, dann würde heute schon – seit Ende 2007 – das tödliche Gift durch die dicht besiedelte Region von Dormagen nach Krefeld strömen.
Es ist dem beharrlichen Widerstand gerade der Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, dass der Pfusch scheibchenweise ans Licht kommt oder überhaupt entdeckt wurde.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Bei der Kampfmittelräumung – das hat die Landesregierung selbst gesagt – wurde gelogen. Man hat das, was vorgeschrieben war, gar nicht gemacht. Es wurden zu schmale Sicherheitsmatten verlegt, es wurde ungenehmigter Stahl benutzt, es wurden zu dünne Röhren verbaut. An über 80 Stellen wurde von der vorgeschriebenen, im Planfeststellungsbeschluss manifestierten Trasse abgewichen,
Es hat über lange Zeit keine Bauüberwachung stattgefunden. Das ist nur ein Teil der Pfuschliste, bei der Bayer gegen geltendes Recht verstoßen hat.
Ich frage Sie: Was muss denn noch passieren, bis Sie endlich Nein sagen? Wie wollen Sie den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass Regeln und Gesetze bei jeder Baugenehmigung, bei jedem Gartenhäuschen, bei jeder Eröffnung einer Frittenbude einzuhalten sind, dass jede Verkehrsregel einzuhalten ist? Alle müssen sich an Recht und Gesetz halten.
So funktioniert unser Staat. So funktioniert unser Zusammenleben. Ich frage Sie, und die Menschen fragen Sie: Muss Bayer sich nicht an Recht und Gesetz halten?
Die Parallelen sind doch unübersehbar: Das bauausführende Unternehmen und die Auftraggeber schaffen und praktizieren ihr eigenes Recht – wie in Köln, wie beim U-Bahn-Bau. Ich frage Sie: Muss denn erst die Sicherheit einer ganzen Region gefährdet werden? Muss denn erst das Kind in den Brunnen fallen? Muss denn erst etwas passieren? Wo fängt die Verantwortung an? Wann hört Ihre Engelsgeduld auf? Wann setzen Sie sich endlich für Recht und Gesetz ein und setzen dieses Recht auch um?
Landesregierung und Bezirksregierung hätten schon längst Konsequenzen ziehen müssen. Stattdessen mussten Gerichte eingreifen, und zwar mehr als deutlich. Wann kommt es schon einmal vor, dass ein Gericht in ein Urteil schreibt, dass die Genehmigungsbehörden – ich zitiere – Vorgaben des Unternehmens einfach abgenickt haben? Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn das Grundrecht auf gesundes Leben, auf körperliche Unversehrtheit auch gegen Wirtschaftsinteressen durchsetzen? Oder gilt das Landrecht von Bayer? Bleiben Politik und Verwaltung bloße Handlanger?
Damit wird auch klar: Nicht die Menschen vor Ort, die Politikerinnen und Politiker, die Landräte und die Gemeinderäte in der betroffenen Region, die die vielen berechtigten Fragen stellen und kritisch sind, beschädigen den Wirtschaftsstandort NordrheinWestfalen, sondern die Firma Bayer, die das Vertrauen verspielt hat und damit das eigentliche industriepolitische Risiko für den Standort darstellt.
Es ist eindeutig: Krankenhäuser, Polizei und Feuerwehren sind nicht entsprechend gerüstet. Leib und Leben der Menschen können bei Unfällen nicht geschützt werden. Diese Risiken sind erkennbar nicht beherrschbar. Selbst ein kleines Loch bedeutet eben Lebensgefahr in großem Umkreis. Bis heute gibt es keinen abgestimmten Gefahren- und Abwehrplan. Auch ein Katastrophenschutzplan liegt nicht vor. Ich frage Sie, die das Projekt wollen: Was antworten Sie den Menschen, die danach seit über drei Jahren fragen?