Protocol of the Session on March 23, 2010

können Sie doch selber feststellen. Sie bekommen doch gar nicht die Mengen von Schulen, die Sie haben wollen. Es war doch ein mühsamer Prozess des Werbens. Wenn wir in die Kommunen hineinschauen, sehen wir, dass sich längst nicht alle Gymnasien und Realschulen gemeldet haben. Hier gibt es nach wie vor enorme Widerstände gegen

den Ganztag. Tun Sie doch nicht so, als wenn wir die Frage des Ganztags hätten vom Himmel fallen lassen. Auch das ist ein Prozess, ähnlich wie andere Prozesse in der Bildungspolitik.

(Zurufe von der CDU)

Aber wir können einfach mal weiterschauen. Über das längere gemeinsame Lernen gibt es in der Zwischenzeit in großen Teilen dieser Gesellschaft Konsens. Ob es die katholische Kirche ist, der BDKJ, die evangelische Kirche, die Gewerkschaften – es gibt unendlich viele Menschen, die eine Veränderung im Schulsystem haben wollen. Das ist ja auch der Grund, warum Sie eine derartige Angst haben.

800 Schulleiter von Grundschulen haben jetzt deutlich gemacht, dass sie eine Verlängerung der Grundschule als zielführend ansehen. Das war übrigens sehr mutig von diesen Grundschulleitern, die sich mit einer Resolution nach draußen gewagt haben.

Zu dieser Resolution hat auch unser Ministerpräsident als neuer Fach- und Generalpädagoge etwas gesagt, nämlich:

Ich halte eine solche Verlängerung nicht für zielführend. Es gibt auch keine wissenschaftlichen Belege für die These, dass längeres gemeinsames Lernen zu effizienten Ergebnissen führt.

Herr Ministerpräsident, ich weiß nicht, wer Sie berät. Aber es müssen die falschen Berater sein. Denn offensichtlich ist, dass es durchaus Beweise dafür gibt. Auch wenn Ihnen Ihre Kollegen von der FDPFraktion immer etwas anderes erzählen – es gibt Beweise.

So ist zum Beispiel in der LAU-Studie von Herrn Lehmann – den Sie immer so gerne zitieren –, die 2003 veröffentlicht worden ist, noch einmal sehr deutlich gesagt worden:

So zieht sich als roter Faden durch die LAUStudien, dass die Gegenwart leistungsstärkerer Schüler und Schülerinnen durchgehend zu höheren Lernfortschritten der leistungsschwächeren Schüler und Schülerinnen führt, ohne dass ein Nachteil für die leistungsstärkeren Schüler und Schülerinnen die Folge sein muss.

Es wird aber auch von den Herren Köller und Baumert darauf hingewiesen, dass es einen Schereneffekt in der Intelligenzentwicklung gibt. Die Gymnasiasten, die in Klasse 7 die gleiche Ausgangsintelligenz und soziale Herkunft hatten wie ihre Kameraden von der Realschule wiesen am Ende der Jahrgangsstufe 10 eine mittlere Intelligenz auf, die 11 IQ-Punkte höher war als die der Realschule. Das heißt, das Lernmilieu, über das wir auch in diesem Landtag immer wieder miteinander gesprochen haben, ist wesentlicher Faktor für die Bildung von Kindern. Lernfähigkeit und Intelligenz werden vom schulischen Milieu geprägt und sind Voraussetzungen für die Ergebnisse schulischer Lernprozesse. –

Genau diese Lernprozesse wollen Sie aber nicht zulassen und bauen stattdessen ein Popanz gegen längeres gemeinsames Lernen in NordrheinWestfalen auf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer sich das Interview von Frau Sommer durchgelesen hat, wird vielleicht auch die Zitate finden, die am Ende stehen. Da schreibt zum Beispiel ein Bürger – und die Bürger sind es doch, die am 9. Mai die Wahl entscheiden –: Frau Sommer will die Entwicklung gut beobachten, nimmt aber die Realität nicht wahr. – Ich kann dazu nur sagen: Sie, meine Damen und Herren, haben weder mit Ihrer Kampagne noch mit diesem Antrag auch nur annähernd die Entwicklung wahrgenommen, die Kinder brauchen.

Wir wissen, Kinder bringen unterschiedliche Begabungsprofile mit. Wir wissen, dass sie individuelle Exzellenzen führen. Wir wissen, dass sich Kinder unterschiedlich im Wechsel mit der Umwelt entwickeln. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir eine heterogene Schülerschaft. Das zeigen die PISA-Ergebnisse, das zeigen aber auch die Lern- und Begabungsforschungen. Sie, meine Damen und Herren, spielen zurzeit „Kevin – Allein zu Haus“.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Frau Hendricks. – Für die CDU spricht nun der Kollege Recker.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir einige wenige Vorbemerkungen.

Frau Schäfer, jeder kann hier kritisieren. Nur, dass Sie dieses Recht in Anspruch nehmen, nachdem die Bildungschancen zu Ihrer Zeit wie in keinem anderen Bundesland von der sozialen Herkunft abhingen, das ist geradezu unglaublich.

(Beifall von CDU und FDP)

Was das Zurückpfeifen von Herrn Pinkwart angeht, nur so viel: Das war ein demokratischer Prozess. Fragen Sie mal Herrn Priggen, wie es ist, wenn man echt zurückgepfiffen wird. Bei den Grünen war das wohl kein so demokratischer Prozess.

(Beifall von CDU und FDP)

Für Ole von Beust und die CDU war es ein teurer Preis. Schauen Sie sich die Reaktionen an. Wir sind nicht bereit, einen solchen Preis zu zahlen, daher wollen wir mit der FPD weitermachen. So einfach ist das, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Es geht darum, dass der Bürger vor der Wahl weiß, wie es weitergeht.

(Zuruf von Ute Schäfer [SPD])

Meine Damen und Herren, ich möchte an die Beschlusslage der Parteien erinnern, nicht an das, was die CDU sagt. Bei der SPD heißt es: Die Gemeinschaftsschule ist eine Ganztagsschule. Sie nimmt die Kinder nach der Grundschule auf und ist bis zur 10. Klasse für deren Bildungserfolg verantwortlich.

(Beifall von der SPD)

Hören Sie gut zu!

Die Linken: Wir wollen eine Schule für alle, in der alle Kinder bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen.

Die Grünen: Das Ziel ist der Abbau aller Lernbarrieren, eine gemeinsame Schule aller Kinder bis zum Ende der Pflichtschulzeit, eine Schule der Sekundarstufe II usw.

Frau Schäfer, Sie sagen, dass wir im Hinblick auf die Hauptschule allein stehen. Das stimmt gar nicht. Nach den unverschämten Attacken gegen die Hauptschule als Restschule usw. von Frau Beer habe ich meinen Augen nicht getraut, heute in der Presse folgende Äußerungen von Frau Löhrmann zu lesen – ich darf zitieren –: „Wir schaffen keine Schulformen ab, auch keine Hauptschulen. Wir brauchen die Stärken aller Schulformen für alle Kinder.“

(Zurufe von CDU und FDP)

Frau Löhrmann, ist das Angst vor der eigenen Courage oder Angst vor dem Votum der Wähler? Denn die von Ihnen genannte Formulierung „Wir brauchen die Stärken aller Schulformen für alle Kinder“

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

ist seit Jahren punktgenau unsere Forderung, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Hier riecht es ganz stark danach, die Wähler von Ihrer eigentlichen Intention, der Einheitsschule, abzubringen. Das ist Verdummung der Wähler, meine Damen und Herren. Nichts anderes machen Sie hier;

(Beifall von CDU und FDP)

denn in Ihrem Antrag steht genau das Gegenteil, Frau Löhrmann!

Die Beschlüsse auf dem Parteitag bedeuten die Abschaffung jeder anderen Schulform, meine Damen und Herren. Es wird dann vielleicht noch gymnasiale Klassen in einer Einheitsschule geben, aber kein Gymnasium mehr. Dann reden wir übrigens nicht mehr über „G8“, sondern über „G3“. Das wird eine hervorragende Herausforderung für die Gymnasien sein, meine Damen und Herren.

Erlauben Sie mir eine Anmerkung zu der seit Jahrzehnten ununterbrochen geführten Strukturdebatte.

(Sören Link [SPD]: „G3“ ist abgeschafft wor- den! Das heißt jetzt „G36“!)

Hören Sie mal gut zu! Ich habe überhaupt kein Problem mit unterschiedlichen, auch gut gemeinten Argumenten für unterschiedliche Strukturen. Was ich Ihnen vorwerfe, das ist der Absolutheitsanspruch, mit dem Sie das Einheitssystem favorisieren – wohl wissend dass es null wissenschaftliche Erkenntnisse dazu gibt, dass längeres gemeinsames Lernen den Schülern irgendwelche Vorteile bringt.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, gerade jüngst hat der PISA-Papst Prof. Baumert – Frau Schäfer und Frau Beer, Sie waren dabei – im Schulausschuss deutlich gemacht, dass es keinerlei wissenschaftlichen Beweis gibt, dass längeres gemeinsames Lernen zu einem besseren Erfolg führt.

(Beifall von CDU und FDP)

Was sagt Prof. Baumert weiter? – Mit dem Umstülpen der gesamten Schulstruktur sind keine Leistungsverbesserungen zu verzeichnen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wir wollen und wir werden die bewährten Strukturen erhalten und verantwortungsvoll weiterentwickeln. Das bedeutet eine Konzentration auf die Qualität in der Bildung

(Zuruf von Rüdiger Sagel [fraktionslos])

und das, was in der Bildung passiert.