Protocol of the Session on March 11, 2010

Wer ist für Punkt II? – Auch SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – Niemand. Ebenfalls abgelehnt.

Dann brauchen wir noch eine Gesamtabstimmung über den Antrag. Wer dem Antrag Drucksache 14/10742 in Gänze zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. Damit ist dieser Gesamtantrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/10813. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das sind SPD und Grüne. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

9 Nach der Verlängerung der Bleiberechtsregelung – Kettenduldungen beenden!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/10636

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/10784

Ich eröffne die Beratung und gebe Herrn Link von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute von der SPD vorliegende Antrag zur Thematik der Kettenduldung beinhaltet zwei Kernaspekte, nämlich erstens die bisherige Praxis der Kettenduldung schnellstmöglich zu beenden und zweitens die sogenannte Altfallregelung anhand politisch festzulegender Kriterien weiterzuentwickeln.

Ziel unseres Antrag ist es, eine Perspektive und eine ernsthafte Integrationsoption für solche Ausländerinnen und Ausländer zu schaffen, die sich über mehrere Jahre bereits geduldet in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und nicht abgeschoben werden können. Ihnen wollen wir Rechts- und persönliche Planungssicherheit geben.

In Nordrhein-Westfalen gibt es knapp 11.000 Menschen, die lediglich über eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe im Sinne der gesetzlichen Altfallregelung verfügen. Diesen Menschen drohte bereits Ende 2009, in den Status der Duldung und damit in die Ungewissheit zurückzufallen; denn es war erforderlich, zum festen Stichtag die Voraussetzungen der Probeaufenthaltserlaubnis zu erfüllen. Diese sind im Einzelnen der Nachweis der Aufnahme der Erwerbstätigkeit, die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und die Mitwirkungspflicht.

Im Dezember 2009 hat sich Innenministerkonferenz auf eine Verlängerung der Altfallregelung im Wege einer sogenannten zweiten Chance verständigt. All denjenigen, die den Stichtag der Regelung von 2007 oder einer der Vorgängerregelungen verpasst bzw. die dortigen Voraussetzungen nicht erfüllt haben, ist damit jedoch nicht geholfen. Die Geduldeten müssen die gesetzlich vorgeschriebenen Voraufenthaltszeiten bereits zu einem Zeitpunkt X erreicht oder überschritten haben, um von der Regelung überhaupt profitieren zu können. Die Problematik der Regelung mit den mehr oder minder willkürlich gegriffenen Stichtagen liegt auf der Hand.

Die SPD-Fraktion schlägt deshalb vor, die bisherige Stichtagsregelung durch eine rollierende Regelung zu ersetzen. Eine solche Regelung wäre auch auf künftige Fälle anwendbar. Neue Kettenduldungen könnten somit vermieden werden.

Hinsichtlich der Altfallregelung streben wir eine Weiterentwicklung an. Wer derzeit eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach dieser Regelung hat, muss nachweisen, dass er seinen Lebensunterhalt überwiegend eigenständig und aus Erwerbstätigkeit sichern kann. In Anbetracht der herrschenden Wirtschaftskrise und vor dem Hintergrund des angespannten Arbeitsmarktes wird dies vielen Betroffenen so nicht gelingen können. Das dürfte relativ einleuchtend sein. Wir streben deshalb an, diese Anforderungen abzusenken und künftig das ernsthafte Bemühen um Arbeit zu würdigen, um den gesetzlichen Anforderungen einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe gerecht zu werden.

Darüber hinaus muss es eine eigenständige Regelung für all die Personen geben, die in der Bundesrepublik Deutschland einen Schulabschluss ablegen oder anstreben. Das ist mir sehr wichtig.

Dem heute vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann die SPDFraktion folgen. Hinsichtlich des Wegfalls einer Stichtagsregelung entspricht der Antrag unserem vorgelegten Antragstext, so dass einer Bundesratsinitiative aus unserer Sicht nichts im Wege steht. Auch der Forderung nach einem Erlass, der trotz Versäumens der Antragsfrist zum 10. Februar 2010 bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bis

Ende 2011 vorsehen soll, können wir uns anschließen.

Auch wenn die Betroffenen selbstverständlich selbst dafür verantwortlich sind, sich über die Änderung aufenthaltsrechtlicher Regelungen zu informieren, geht es uns darum, die jetzigen Zustände der Kettenduldungen aus den angeführten Gründen für möglichst viele Menschen zu beenden. Darum bitten wir um Zustimmung zu dem hier zu beratenden Antrag. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Link. – Für die CDU spricht Herr Kollege Kruse.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Bleiberechtsregelung für langjährig in Deutschland lebende ausreisepflichtige Ausländer war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand von Anträgen und kontrovers geführten Diskussionen, dies besonders im letzten Jahr vor den Bundestagswahlen und vor dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis zum 31. Dezember 2009.

Die CDU-Fraktion hat die Einigung der Innenminister von Bund und Ländern über eine Verlängerung der Altfallregelung am 4. Dezember des vergangen Jahres ausdrücklich begrüßt. Angesichts humanitärer Gesichtspunkte und der momentanen wirtschaftlichen Situation ist mit der Verlängerung der Altfallregelung aus unserer Sicht die richtige Lösung gefunden worden. Sie gibt bundesweit und somit natürlich auch hier in Nordrhein-Westfalen geduldeten Ausländern zwei weitere Jahre Zeit, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Die Betroffenen erhalten damit eine faire Chance. Sie müssen diese aber auch nutzen und sich aktiv um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sowie den Erwerb befriedigender Sprachkenntnisse kümmern. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass sowohl die Fraktionen von CDU und FDP als auch die Landesregierung die Bemühungen des Bundes in der Vergangenheit grundsätzlich unterstützt haben, integrierten ausreisepflichtigen Ausländern eine verlässliche Perspektive zu vermitteln.

Aus vielerlei Gründen, von denen einige in den vorliegenden Anträgen angesprochen werden, setzt der Umgang mit der Gruppe der langjährig im Bundesgebiet geduldeten Ausländer allerdings eine politische Grundentscheidung voraus, die aufgrund ihrer Reichweite nur durch den Bundesgesetzgeber getroffen werden kann und aus unserer Sicht einer sorgfältigen Folgenabwägung bedarf.

Die Zielsetzung besteht darin, humanitäre Härten zu vermeiden, die vor allem dann entstehen, wenn gut integrierte Ausländer in ein Land zurückgeschickt

werden, in dem sie keinerlei Wurzeln mehr haben oder als Kinder und Jugendliche nie welche hatten.

Allerdings gilt es zu vermeiden, dass die gesetzlich normierte Ausreiseverpflichtung leerläuft. Doch diese Gefahr droht, wenn das Gesetz selbst durch das In-Aussicht-Stellen eines allein an Aufenthaltsdauer und faktischer Integration anknüpfenden Bleiberechts Prämien auf die Missachtung der Ausreisepflicht auslobt und die Betroffenen es sozusagen in der Hand haben, durch das bewusste Missachten der Ausreisepflicht in die begünstigende Regelung hineinzuwachsen.

Mit der Legalisierung des Aufenthalts wäre die Gefahr verbunden – und dies ist aus unserer Sicht der Dinge nicht ganz unwichtig –, dass die gesellschaftliche Anerkennung der Verbindlichkeit von Gesetzen weiter abnimmt. Dem können wir nicht entsprechen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die eingangs angesprochene Verständigung der Innenminister zum Bleiberecht ist ein sachgerechter Kompromiss zwischen den humanitären Anliegen und der Notwendigkeit, eine dauerhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme zu vermeiden. Wir haben nun ausreichend Zeit, um in aller Ruhe und in der gebotenen Gründlichkeit eine angemessene gesetzliche Neuregelung zu erarbeiten, die ab dem Jahr 2012 als Steuerungsinstrument für die Zukunft dient. Wir werden uns daran beteiligen.

Sowohl der vorliegende Antrag der SPD als auch der Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen sind aus unserer Sicht abzulehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Kruse. – Für die FDP spricht nun Herr Kollege Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst sollte der Eindruck zerstreut werden, als würde man sich bei der Praxis der Kettenduldung über Prinzipien der Schutzbedürftigkeit und der Humanität hinwegsetzen. Es geht hier vielmehr um Fälle, in denen tatsächliche oder rechtliche Hinderungsgründe dazu zwingen, die Rückführung des Betreffenden auszusetzen und eine Duldung auszusprechen. Hier bestehen Ausreisepflichten, die sich nicht mit staatlichen Mitteln durchsetzen lassen. Oftmals täuschen Betroffene über ihre Identität, sodass Heimreisedokumente nicht ausstellbar sind. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen die Ausreisepflicht zum Teil über Jahre wegen Inanspruchnahme von Rechtsschutz nicht geklärt werden kann. Nur in diesen Fällen kommt es unweigerlich zu einer Kettenduldung. Diese Klarstellung muss sein.

In all diesen Fallgestaltungen sieht das maßgebliche Bundesgesetz, das Aufenthaltsgesetz, aber keine Möglichkeit des Aufenthalts vor. Und das ist der springende Punkt; das wurde ja schon vorgetragen. Hier ist der Bundesgesetzgeber gefragt. Da die Bundesregierung bereits signalisiert hat, sich dieses Themas in dieser Legislaturperiode anzunehmen, sollte man sich nicht voreilig im Sinne des Antrags festlegen.

Auch die weiteren Forderungen, die Altfallregeln fortzuentwickeln, haben weder Hand noch Fuß. Wie bereits ausgeführt, wurde mit dem IMKBeschluss vom 4. Dezember 2009 eine weitere Aufenthaltsperspektive für die Menschen geschaffen, die zum 31. Dezember 2009 die Verlängerungskriterien nach § 104 Abs. 5 und 6 Aufenthaltsgesetz nicht erfüllten. Was soll also Ihre Forderung nach deren Einbeziehung?

Auch Ihre Forderung, das ernsthafte Bemühen um Arbeit als ausreichend anzusehen, wenn es um die Anforderungen an die Sicherung des Lebensunterhaltes geht, ist nicht ausgegoren. Besondere Schwierigkeiten speziell von Ausländern bei der Erlangung von Arbeit gerade in Zeiten eines wirtschaftlichen Tiefs sind uns allen bewusst. Auch die Sachverständigen haben im Herbst 2009 erschütternde Beispiele problematischer Praxisfälle genannt. Dennoch darf die Wertung des Gesetzgebers nicht übersehen werden. Nicht nur die soziale, sondern auch die dauerhafte und vollständige wirtschaftliche Integration wird erwartet.

Die Verlängerungsregeln gemäß IMK-Beschluss vom 4. Dezember 2009 tragen den Bedingungen der Wirtschaftskrise Rechnung. Sie geben aber nicht eine Richtungsänderung hinsichtlich der Wertung des Bundesgesetzgebers vor. Auch insofern gilt es, keinesfalls ohne den Bund Veränderungen anzustreben.

Vorschnelle Bestrebungen verbieten sich auch im Hinblick auf die Forderung nach einem eigenständigen Aufenthaltsrecht für Personen, die in Deutschland einen Schulabschluss machen. Sie denken an minderjährige integrierte Kinder von geduldeten Ausländern. So verständlich der Gedanke an ein weiteres gesondertes Recht für diese Schüler ist: Er würde das Gesamtgefüge des Aufenthaltsrechts aus den Fugen bringen. Denken Sie nur an Art. 6 Grundgesetz. Vor diesem Hintergrund würden Sie mit dem Recht der Kinder quasi nebenbei an sich nicht beabsichtigte Rechte von Familienangehörigen schaffen. Somit gilt auch hier: Keine voreiligen Schüsse aus Nordrhein-Westfalen!

Last, but not least lehnen wir auch ein erleichtertes Aufenthaltsrecht nach zehnjährigem Aufenthalt ab. Was würde das für Signale setzen? Es wären katastrophale Signale an alle, die sich einer Ausreisepflicht trotz unsicherer Zukunftsaussichten nicht widersetzt haben. Müssen sie sich nicht dumm vorkommen gegenüber denen, die sich über zehn Jah

re hinweg widersetzt haben? Überdies würden alle Bedingungen – von der Beherrschung der deutschen Sprache bis hin zur Straflosigkeit – massiv entwertet, wenn das Signal gesendet würde: Halte einfach nur zehn Jahre durch, missachte die Rechtsordnung!

Solche Signale dürfen wir nicht senden. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Engel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Düker.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum stellen SPD und Grüne – Herr Kruse, Sie wissen es – hier zum wiederholten Mal

(Theo Kruse [CDU]: Immer wieder!)

ja, Sie stellen es infrage – Anträge zum Thema Bleiberecht? Ich will Ihnen das sagen: weil es ein Armutszeugnis ist für diese Republik, dass wir es trotz dieser Endlosdebatten seit vielen, vielen Jahren nicht geschafft haben,

(Beifall von den GRÜNEN)

das Problem der Kettenduldung wirklich wirksam, nachhaltig zu lösen;

(Beifall von den GRÜNEN)

ich will Ihnen auch gleich sagen, warum. Deswegen müssen wir darüber weiter diskutieren und können es eben nicht in die Schublade legen.

Es geht um Menschen. Es geht um Menschen, die lange hier leben. Es geht um integrierte Menschen. Es geht um viele Kinder, die hier aufgewachsen sind, die hier zur Schule gehen. Wir haben eine große Gruppe aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Ländern wie Kosovo und Serbien. Wir haben aber auch viele aus Afghanistan, aus dem Irak. Das sind Kriegsflüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkönnen, die lange hier leben, aber nach wie vor keinen festen Aufenthaltsstatus und deswegen keine faire Integrationsperspektive haben.