Protocol of the Session on February 4, 2010

(Beifall von den GRÜNEN)

Gucken Sie sich an, mit welchen Renten manche Menschen heute schon leben müssen, und dann wissen Sie, wie die Menschen morgen leben müssen. Das ist nicht das Leben, das Sie verbringen werden. Das ist nicht das Leben, das ich verbringen werde. Aber es ist eines, das ich den Menschen nicht zumuten möchte.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Deswegen müssen wir an dieser Stelle etwas ändern und dafür sorgen, dass andere Arbeitsverhältnisse zur Verfügung stehen.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Man kann es auch bei der Rente ändern. Da kann man auch draufzahlen. Aber ich möchte es anders ändern.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wie denn?)

Ich glaube, dass wir mit dieser geringfügigen Beschäftigung und mit der Ausweitung, die von Ihnen in Berlin geplant wird, nicht weiterkommen.

Also: armutsgefährdend heute, armutsgefährdend in Zukunft. Sie haben gesagt: Das sei aber doch super, weil man damit als Einstieg wieder in den ers

ten Arbeitsmarkt in Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse hineinkomme. Herr Kern, da machen Sie sich etwas vor. Sie haben meine Zwischenfrage eben nicht zugelassen. Ich wollte Sie fragen, welche Zahlen und welche Gutachten Ihnen denn bekannt sind, die belegen, dass das ein Überleitungsinstrument in ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis ist. Ich kenne nur Studien und nur Gutachten – ich kann damit Ihnen Ihr Postfach mehrfach füllen –,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Inklusive BA!)

die alle sagen: Geringfügige Beschäftigung führt nicht in ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis, zu einer Vollzeitstelle oder Halbzeitstelle, sondern im Gegenteil: Je länger Sie in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis sind – nach einem Jahr fängt der Klebeeffekt an –, umso geringer ist die Chance, dass Sie da jemals wieder herauskommen. Von daher, Herr Kern: Sie machen sich etwas vor, Sie machen den Menschen etwas vor. Das, was passieren muss, ist, das man hieran etwas ändert.

Dann haben Sie noch gesagt, dass wir keine bundespolitischen Debatten führen sollen, Herr Kern! Was ist das für ein Minister, der für die Hoteliers und deren Steuerpflichten gerade durchs Land tourt? Das ist Bundespolitik. Da will man Schritte aussetzen, die im Koalitionsvertrag stehen. Sie haben doch im Bundeskoalitionsvertrag vereinbart, dass Sie dieses Stundenbudget sogar ausweiten wollen, dass Sie das Finanzvolumen ausweiten wollen – statt 400 € was weiß ich wie viel. Das heißt, Sie erhöhen die Anzahl der Menschen, die in geringfügige Beschäftigung fallen.

Da sagen Sie: Wir sollen an dieser Stelle nicht Halt und Stopp schreien, wenn eine solche Planung im Raum steht, wobei Sie gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag Leute ins Rennen nach Berlin schicken, die ihn selber verhandelt haben?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Kern, machen Sie sich nicht lächerlich. Es ist das gute Recht eines Parlaments, Halt zu schreien und zu sagen: Das kann man den Menschen nicht zumuten.

Letzter Punkt: Sie sagen, es sei alles ganz schrecklich, und fangen wieder mit der Leier an, wie furchtbar das ist, wie die Zahlen früher waren und wie toll Nordrhein-Westfalen ist.

(Walter Kern [CDU]: Das gehört dazu!)

Die Zahlen der Arbeitslosigkeit waren zu der Zeit, zu der wir mit in der Regierung waren, schlecht, katastrophal für die Menschen. Sie hatten da eine Phase, wo es richtig bergauf ging. Und da hat sich das Land nicht mit Ruhm bekleckert. Da sind die Zahlen nicht so viel besser geworden, auch im Bundesdurchschnitt nicht. Jetzt haben wir eine Krise, eine Krise, die vielleicht von der Dimension und von ihren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt her gering ist, aber nicht wegen Ihnen, sondern auf

grund der Kurzarbeit und aufgrund dessen, wie viel Geld in die Hand genommen wird.

Hätten wir damals einen Bruchteil des Geldes, was jetzt zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ausgegeben wird, in die Hand nehmen können, hätten wir die Zahlen auch nicht gehabt. Von daher ist es nicht Ihr Verdienst. Es ist gut, dass es so ist, aber bekleckern Sie sich hier nicht mit Ruhm, der nicht Ihrer ist! Es ist so nicht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Von daher hoffe ich, dass die Menschen in diesem Land verstehen, was Ihre Linie ist. Wir werden den Wahlkampf an dieser Stelle auch dafür nutzen, um eine solche Initiative, die die Chancen und Perspektiven für noch mehr Menschen im Land verschlechtert und noch mehr Menschen in geringfügige Beschäftigung bringt, in der nächsten Legislatur hier in Nordrhein-Westfalen zu verhindern. Ich hoffe, dass das ankommt. Ich bin froh darüber, dass Sie heute klar und deutlich gesagt haben, wie Sie zu geringfügiger Beschäftigung stehen. Wir werden dem Antrag zustimmen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort.

(Zuruf: Er ist nicht da!)

Aha. Der Abgeordnete ist im Augenblick nicht im Plenarsaal. Dann darf ich das Recht zur Rede an die Landesregierung weitergeben, und zwar an Herrn Minister Laumann. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Kollege Sagel nicht im Saal ist, kann meinetwegen auch so bleiben.

(Beifall von CDU und FDP)

Zunächst möchte ich aus der Sicht der Landesregierung etwas zu den Minijobs sagen. Ich als Arbeitsminister bin der Meinung, dass das Instrument der sogenannten 400-€-Verträge im Grundsatz ein wichtiges und unverzichtbares Element in unserem Arbeitsmarkt ist. Denn wie war das vor 2003? – Da wurden unter Walter Riester für eine kurze Zeit die damaligen 360-DM-Verträge wie eine Überstunde behandelt, sodass die Beschäftigten voll sozialversicherungspflichtig waren. Sie können sich vielleicht noch daran erinnern.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Damals ist Folgendes passiert: Diese Jobs sind voll in die Schwarzarbeit abgedriftet, und wir hatten überhaupt keine Kontrolle mehr darüber, was in diesen Bereichen passiert. Viele Betriebe, etwa in

dem Bereich der Gastwirtschaften, waren nicht mehr in der Lage, die Aushilfen zu bekommen, die man unstreitig braucht, wenn man größere Feste ausrichtet oder im Sommer einen Biergarten betreibt. Dies war damals der Grund, die von Walter Riester eingeführten Regelungen wieder abzuschaffen und die 400-€-Verträge in der jetzigen Konstellation einzuführen. Ich halte diese 400-€-Verträge für den einzig wirklich gelungenen Teil der Hartz-IVGesetze.

Zweiter Punkt. Wir haben uns damals diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Um die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Vollzeitstellen in 400-€-Stellen zu verhindern, haben wir uns damals entschieden, die Sozialversicherungsbeiträge auf diese 400-€-Verträge gegenüber dem alten Modell der 360-DM-Verträge, wie es im Volksmund hieß, rapide ansteigen zu lassen.

Denn es ist so, dass heute auf einen 400-€-Vertrag 13 % Krankenversicherungsbeitrag und 15 % Rentenversicherungsbeitrag liegen. Das heißt, ein Beschäftigter mit einem 400-€-Vertrag zahlt 28 % Sozialversicherungsbeiträge. Das sind 8 % mehr als im regulären Arbeitsverhältnis. Das haben wir deswegen gemacht, weil wir nicht wollten, dass der 400-€-Vertrag, was die Sozialversicherung angeht, billiger ist als das Regelarbeitsverhältnis. Das war damals der Grund.

(Gerda Kieninger [SPD]: Wie viel Rentenver- sicherung habe ich dann?)

Ich finde, dass uns das gut gelungen ist, dass das zu rechtfertigen ist, und dennoch funktioniert ja das System der 400-€-Verträge, obwohl wir das so gemacht haben.

Dann haben wir eine zweite Sache gemacht – das sollte man nicht vergessen –: Wenn ein Zusatzbeitrag zu diesen 28 %, die ich genannt habe, von 4,9 % gezahlt wird, ist der 400-€-Jobber in vollem Umfange sozialversicherungsrechtlich in der Rentenversicherung abgesichert.

(Gerda Kieninger [SPD]: Wie viel Rente macht das denn aus?)

Ja, gut. Wenn Sie in einem sozialversicherungspflichtigem Arbeitsverhältnis 401 € verdienen, kriegen Sie vom 401-€-Verdienst auch nicht mehr Rente heraus, womit Sie Altersarmut verhindern könnten.

Ich kann nur sagen: Jeder, der zum Beispiel einen 400-€-Jobber im Privathaushalt hat, sollte sich gut überlegen, ob man für diesen Menschen nicht die 5 % zusätzlich in die Mini-Job-Zentrale einzahlt. Damit hat die Frau oder der Mann weiterhin einen Anspruch – wenn vorher anderweitig gearbeitet wurde – auf Erwerbsunfähigkeitsrente, auf Reha und all diese Dinge. Ich denke schon, dass es nicht schlecht gemacht worden ist.

(Beifall von der CDU)

Jetzt müssen wir einen weiteren Punkt sehen. Die Anzahl der 400-€-Job-Verträge liegt in Deutschland immer so – wenn Sie es über die ganzen Jahre sehen – zwischen 6,7 Millionen bis etwa 7 Millionen. Sie war noch nie weit über 7 Millionen, aber auch noch nie weit unter 6,5 Millionen. Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir eine relativ konstante Zahl von Minijobbern in unserem Land haben. Und deswegen muss auch die Frage sehr differenziert betrachtet werden, ob Minijobs in einem großen Umfange sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängen, was ich nicht in Ordnung fände.

Und dann gibt es auch – wie immer im Leben – Dinge, die uns nachdenklich stimmen müssen: 64 % aller Menschen, die einen Minijob haben, sind Frauen und nur 36 % sind Männer. Ich glaube schon, dass es manche Frau gibt, die gerne statt eines 400-€-Jobs eine andere Stelle hätte, um mehr Geld zu verdienen, aber auch, um eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung zu haben. Das darf man nicht übersehen.

Wahr ist auch, dass es durch die Veränderungen im Einzelhandel ohne Zweifel eine Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Arbeit zu 400-€Jobs gegeben hat. Das kann niemand leugnen. Das sind die Schattenseiten, die mit dieser Gesetzgebung zusammenhängen. Aber trotzdem komme ich in der Abwägung – damals hat man die 400-€-Jobs genau so behandelt wie eine Überstunde – zu dem Ergebnis, dass die jetzige Regelung für die 400-€-Jobs alles in allem vertretbar ist.

Die sozialdemokratische Landtagsfraktion fordert bei diesem Thema die Landesregierung nicht etwa auf, Anträge im Bundesrat einzubringen, die 400-€Jobs abzuschaffen, sondern Sie sagen, wir sollen etwas einführen, das es bereits früher gegeben hat, nämlich die Festsetzung der Stundenhöchstzahl auf 15 Stunden. Die hat es bereits gegeben. Ich weiß auch, warum wir die abgeschafft haben. Wir haben sie abgeschafft, weil die Angabe einfach nicht kontrollierbar war.

Was nützt es mir, wenn ich per Gesetz vorschreibe, nachzuhalten, wie viel Stunden ein Mensch für 400 € oder 280 € gearbeitet hat? Liebe Leute, Papier ist geduldig. Ich war damals dabei. Wir haben diese 15-Stunden-Regelung abgeschafft, weil nirgendwo in Deutschland bekannt war, dass es jemals wegen dieser 15-Stunden-Regelung eine Beanstandung gegeben hat. Das war Bürokratie. Ich finde, dass man eine Bürokratie, die uns nicht weiterhilft, abschaffen darf. Deswegen will ich die auch nicht wieder eingeführt haben, weil sie wirklich nichts nutzt.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir haben aber etwas anderes gemacht, und das ist in dieser Frage, glaube ich, viel wichtiger. In Deutschland haben wir sozialversicherungsrechtlich immer noch nicht das Prinzip des Zuflusses, son

dern sozialversicherungsrechtlich gilt, was dem Einzelnen zugestanden werden kann. In dieser Frage passiert sozialversicherungsrechtlich in Deutschland bei Kontrollen eine ganze Menge. Wenn zum Beispiel in der nordrhein-westfälischen Gastronomie ein Mensch einem 400-€-Jobs nachgeht und nicht den für allgemein verbindlich erklärten Tariflohn in dieser Branche bekommt … Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen von mir als allgemein verbindlich erklärten Tariflohn, den es vorher nicht gab. Den haben wir gemacht.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sagen Sie nicht immer die Unwahrheit! Den gab es zu Zeiten von Schartau und Brusis auch schon!)