Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Deren Ursachen erforschen Bund und Länder seit Jahren, und die jüngste Studie benennt einige Faktoren. Gewiss sind dies die alternde Gesellschaft, die steigende Lebenserwartung, die Zunahme altersbedingter Erkrankungen, insbesondere von Demenzerkrankungen. Aber das ist nur ein Aspekt der stets wachsenden Betreuungszahl. Die größten Zuwachsraten finden sich bei den psychisch Erkrankten und in der Altersgruppe der 45- bis 60-Jährigen. Schließlich – auch darauf weise ich hin – sind eine immer mehr zunehmende Komplexität und Verrechtlichung unserer Gesellschaft zu beobachten, die den Betreuungsbedarf ebenfalls immer mehr steigen lassen. 2008 flachte die Zunahme zwar etwas ab; aber sie lag immer noch bei fast 4 %.
Meine Damen und Herren, Alter, Krankheit und Unfall machen vor uns nicht halt. Jeder Einzelne von uns kann allerdings verhindern, dass er in einem solchen Fall unter rechtliche Betreuung gestellt wird. Ich erwähne noch einmal die Vorsorgevollmacht. Prüfen Sie sich mal selbst – haben Sie schon eine Vorsorgevollmacht, jeder von Ihnen? –, denn der Fall der Betreuungsbedürftigkeit kann jederzeit eintreten. Die Vorsorgevollmacht ist das Instrument zur Betreuungsvermeidung. Daher werbe ich hier und bei jeder Gelegenheit dafür.
Meine Damen und Herren, der größte Kostenfaktor ist die Vergütung aus der Staatskasse für Berufsbetreuer, obwohl von allen Betreuungen nur 33 % von Berufsbetreuern und 67 % von ehrenamtlichen Betreuern geführt werden.
Auch die Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuer ist ein besonderes Anliegen der Landesregierung. Ich schließe mich dem von Herrn Abgeordneten Giebels ausgesprochenen Dank an jeden Familienangehörigen, aber auch jeden anderen ehrenamtlichen Betreuer für aufopferungsvolle und verantwortungsvolle Tätigkeit an.
Von den Betreuungsvereinen würde ich mir nicht zu viel versprechen – ich war selbst mal in einem Verein, der auch ehrenamtliche Betreuer warb –: Es ist wahnsinnig schwierig.
Zudem müssen wir berücksichtigen: Zumeist sind es Familienangehörige. Da sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Geeignete Familienangehörige zu finden wird angesichts der Auflösung von Familienverbünden immer schwieriger, gerade für die Fälle der 45- bis 60-Jährigen und die der psychisch Erkrankten.
Betreuungsvermeidung und Kostenbegrenzung sind Stichworte; sie müssen diskutiert werden. Eines sage ich vorweg, um nicht missverstanden zu werden: Wer alt ist, wer krank ist oder, wie es in § 1869 BGB heißt, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenhei
ten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, der braucht Hilfe, und diese Hilfe kostet Geld. Dafür sind wir alle in der Verantwortung. Und dieser Verantwortung haben wir uns nicht entzogen.
Dieser Verantwortung entspricht es aber auch, zu prüfen, ob die finanziellen Mittel gut und richtig angelegt sind. Auch das haben wir in der Vergangenheit getan. Wir haben Betreuungsvermeidung durch Werbung für die Vorsorgevollmacht betrieben und gemeinsam mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales die ehrenamtliche Betreuung gefördert. Lassen Sie mich hier – aus Sicht der ehrenamtlichen Betreuer sehr wichtig – die Einführung einer umfangreichen Versicherung für ehrenamtliche Betreuer nennen.
Wir haben Maßnahmen zur Kostensenkung und Qualitätssteigerung im Betreuungswesen geprüft und gesetzliche Reformen auf den Weg gebracht. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass davon signifikante Wirkungen ausgegangen wären. Deshalb ist aus meiner Sicht die Grundsatzfrage gestellt: Ist eine Strukturreform im Betreuungsrecht notwendig?
Wir müssen feststellen, dass sich die tatsächliche Entwicklung von der Grundidee der rechtlichen Betreuung entfernt hat. Das haben auch Ihre Ausführungen gezeigt. Wir haben es heute nicht mehr mit einer rechtlichen, sondern mit einer sozialen Betreuung zu tun. Damit ist gemeint, dass im Gewand einer rechtlichen Betreuung soziale Hilfeleistungen erbracht werden, die in vielen Fällen sicherlich notwendig und durchweg sinnvoll sind, um den Bedürftigen zu helfen. Die Frage ist nur: Ist die Justiz dafür strukturell eingerichtet?
Eine solche strukturelle Reform mit einer vollständigen oder jedenfalls teilweisen Verlagerung richterlicher Tätigkeit in Betreuungsverfahren auf andere Stellen könnte ein Mittel zur Qualitätssteigerung und zur Schaffung eines effizienteren Verfahrens zur Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit und von Betreuungsbedarf sein.
Die Große Anfrage der SPD-Fraktion gibt dankenswerterweise Gelegenheit, diese Strukturreform wenigstens einmal in der Öffentlichkeit als Problem anzusprechen. Ich würde mich freuen, wenn eine solche Diskussion nicht unter den üblichen Gesichtspunkten von Verteilungskämpfen – zahlen die Kommunen oder das Land, zahlt das eine Ressort oder das andere? – geführt würde; denn solche Diskussionen interessieren denjenigen, den es angeht, den Betreuten, und auch denjenigen, der das Geld aufbringen muss, den Steuerzahler, überhaupt nicht.
Ich würde mich freuen, wenn eine solche Diskussion alleine unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt, wie man den Betreuungsbedürftigen in rechtlicher und sozialer Hinsicht am besten hilft,
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe noch eine Wortmeldung von Herrn Sichau. Bleibt es dabei? – Ja. Bitte.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident, es bleibt dabei, sonst wäre das meine zweite nicht gehaltene Rede in kurzer Zeit. Daher ein paar Schlagworte.
Herr Giebels, die Diskussion muss weitergehen. Ich muss Ihnen leider widersprechen: In der Antwort auf unsere Große Anfrage kommt kein präzises Bild von der Situation der Betreuung zum Ausdruck. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen.
Sowohl Sie als auch Frau Ministerin MüllerPiepenkötter haben hier weit und breit über das Ehrenamt gesprochen. Zeigen Sie mir aber doch einmal, wo das in der Antwort steht! Darauf gibt es wenige bis keinerlei Hinweise. Das heißt, Sie geben hier zusätzliche Antworten, die in der Antwort auf unsere Große Anfrage gar nicht stehen.
Ein zweiter Punkt. Ich bin Herrn Prof. em. Wolf Crefeld für seine Hinweise, dass Kooperation eben ganz besonders wichtig ist, ausdrücklich dankbar. Von Qualifikation war ja schon die Rede, und bei Kooperation, Frau Ministerin Müller-Piepenkötter, müssen ausdrücklich die Gerichte beteiligt sein, was bisher leider selten zu finden ist.
Wenn ich dann auf die Komplexität zu sprechen komme, die Frau Müller-Piepenkötter genannt hat, dann frage ich mich natürlich auch: Wie sollen Betreute den Rechtsweg beschreiten? Etwa indem sie den Betreuer, gegen den sie sich wenden wollen, darum bitten? – Also, das ist doch ausgesprochen wirklichkeitsfremd. Deswegen ist der Vorschlag von niedrigschwelligen, unabhängigen Beschwerdestellen richtig.
Ein weiterer Punkt, den Sie, Frau Müller-Piepenkötter, gerade schon angesprochen haben. Aufgrund der Komplexität wird schon seit 1998 über eine Weiterentwicklung der rechtlichen Betreuung zu einer sozialen Betreuung diskutiert. Das hat die Bundestagskollegin Margot von Renesse aus Bochum dankenswerterweise mit Frau Däubler-Gmelin diskutiert. Das kostet nicht unbedingt mehr. Aber dann müssten auf kommunaler Ebene sogenannte Hilfepläne erstellt werden, die zu einem signifikanten Teil sogar Betreuungen überflüssig machen würden.
Das ist der Weg, den wir dann neben der Qualitätsdiskussion als Weiterentwicklung in der nächsten Legislaturperiode beschreiten müssen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Sichau. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Meine Damen und Herren, damit kann ich die Beratung schließen und erklären, dass die Große Anfrage 37 der Fraktion der SPD damit abgearbeitet und erledigt ist.
Ich weise darauf hin, dass der Antrag an den Schulausschuss überwiesen und dort beraten wurde und die Abstimmung im Plenum nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt, die nun vorliegt.
Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Beer, die bereits am Rednerpult steht, das Wort. Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie es wussten – aber in 14 Bundesländern der Republik existiert ein Landeselternbeirat, der schulformübergreifend arbeitet und von Landesseite aus auch gefördert wird. Nur in Bayern und in Nordrhein-Westfalen gibt es das nicht. Hier haben wir eine Beteiligung der Eltern, die aus einer Reihe von privatrechtlich organisierten Vereinen besteht, und nicht immer agieren dort Eltern – das kann man sich ja mal ganz genau anschauen –, die ihre Kinder überhaupt noch aktuell in der Schule haben.
Die Organisation der Elternmitwirkung in einem solchen Vereinswesen hat auch zur Folge, dass die Vereine mit gravierenden unterschiedlichen Mitteln ausgestattet sind. Dadurch können sie sich natürlich in unterschiedlicher Art und Weise in die schulpolitischen Diskussionen einmischen und Einfluss nehmen. Die Eltern in NRWs Schulen werden nicht vertreten, sondern wir haben eine Lobbyarbeit aus privaten Vereinen heraus.
Das ist schon sehr bemerkenswert und wirkt sich auch in den Debatten insofern aus, dass Eltern immer für irgendeine Seite in Anspruch genommen werden. Es gibt nicht die eine Elternstimme in Nordrhein-Westfalen, die auch legitimiert ist, gegenüber dem Landtag und gegenüber der Landesregierung aufzutreten.
Die bisherige Regelung blendet vor allen Dingen auch eine Entwicklung aus, die sich auf der kommunalen Ebene nicht nur angebahnt hat, sondern in vielen Orten schon Realität geworden ist. Die Kommunen haben ja ein ganz anderes Verhältnis zur Qualitätsentwicklung vor Ort bekommen. Sie verstehen ihre Aufgaben als Schulträger viel weiter gehender, und es ist auch gewünscht, in gemeinsamer Verantwortung Qualität von Bildung zu entwickeln. Längst sitzen in zahlreichen Kommunen erfreulicherweise schulformübergreifende Elternvertretungen in Schulausschüssen,
die dort gemeinsam Elterninteressen vertreten und effektiv in die Ratsarbeit einbringen. Interessant ist auch, dass solche Stadtschulpflegschaften natürlich auch schulformbezogene Ausschüsse haben und es trotzdem gelingt, die schulformübergreifenden Elterninteressen zu formulieren und zu vertreten.
Wir brauchen auch auf der Landesebene eine Elternschaft, die, von der kommunalen Ebene über die Bezirke bis zur Landesebene legitimiert, als Elternvertretung aller Schulen in Nordrhein-Westfalen gegenüber der Landesregierung agieren kann. Die derzeitigen Vereine können ihre Tätigkeit und ihre Lobby- und Interessenarbeit daneben natürlich fortsetzen.
In der Anhörung, die wir durchgeführt haben, war der Beitrag von Frau Picker aus Baden-Württemberg besonders interessant. Sie war dort neun Jahre Vorsitzende des Landeselternbeirats. In Baden-Württemberg gibt es einen durchgewählten Landeselternbeirat schulformübergreifend seit 40 Jahren. Da ist das ganz selbstverständliche Praxis.
Sie hat überzeugend dargestellt, dass es gelingt, alle Schulforminteressen zu berücksichtigen, und niemand fällt dort hinten runter. Das waren die Bedenken von Elternvereinen aus Nordrhein-Westfalen. Nein, sie hat vor allen Dingen sehr überzeugend ausgeführt, dass gerade in der Elternschaft ein solidarischer Bogen geschlagen werden muss von denen, die stärker sind, bis hin zu denen, die schwächer aufgestellt sind und mehr Unterstützung brauchen.
Eine starke Stimme der Eltern in Nordrhein-Westfalen – legitimiert, für alle Eltern in NordrheinWestfalen zu sprechen – stärkt die Rolle der Eltern in der Mitwirkung auch auf der Landesebene. Das ist genau unser Ziel, und dafür bitten wir auch um Ihre Zustimmung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einrichtung eines Landeselternrates bezieht sich insbesondere auf Erfahrungen in Baden-Württemberg, was auch in der Anhörung deutlich wurde. Man kann einfach sagen: Man kann das machen, muss es aber nicht machen.
Die Anhörung hat eines deutlich gemacht: Es ist innerhalb der Elternschaften keine Akzeptanz vorhanden.
Daher brauchen wir nur aufzugreifen, was die Landeselternschaft der Gymnasien und die Landeselternschaft der Realschulen, also die großen Verbände, die auch über eine große Organisation verfügen, sagen: Wir lehnen die Schaffung eines Landeselternrats entschieden ab. – Ich zitiere weiter aus der Stellungnahme der Landeselternschaft der Gymnasien:
Die Elternvertretungen der Gymnasien sind in allen Landesteilen stark und einflussreich vertreten. Der Organisationsgrad der gymnasialen Schulpflegschaften in der Landeselternschaft ist hoch.