Wir stimmen zweitens ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie Drucksache 14/10599. Die Empfehlung lautet, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/9908 abzulehnen. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Das ist Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die SPD-Fraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Vielen Dank für den Hinweis. – Es gibt drittens noch den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/9918. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Das sind die Grünen. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. – Wer enthält sich? – Die SPD-Fraktion. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
In der Drucksache 14/10600 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 356 aus der letzten Fragestunde sowie die Mündlichen Anfragen 357 bis 362 vor. Außerdem liegen zwei Dringliche Anfragen mit den Nummern 363 und 364 vor. Sie sind als Drucksachen 14/10631 und 14/10632 verteilt.
Aus welchen Gründen ist durch die Staatsanwaltschaft Essen die Sicherungsverwahrung eines Sexualstraftäters nicht fristgemäß beantragt worden?
Wegen einer versäumten Frist ist ein Sexualstraftäter in Essen nach Verbüßung seiner Haft auf freien Fuß gesetzt worden. Das Landgericht Essen hatte den Mann als gefährlich eingeschätzt und die Sicherungsverwahrung im Urteil vorbehalten. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Essen sollte er nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe in Sicherungsverwahrung genommen werden.
Diese hätte die Staatsanwaltschaft jedoch spätestens im Frühjahr 2007 – sechs Monate vor Verbüßen von zwei Drittel der Haftstrafe – beantragen müssen. Einen entsprechenden fristgerechten Antrag stellte die Staatsanwaltschaft aber nicht. Das Oberlandesgericht Hamm hat den Mann deshalb mit Beschluss vom 5. Januar 2010 (Az. 4 Ws 348/09) auf freien Fuß gesetzt.
Aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft Essen den Antrag auf Sicherungsverwahrung nicht fristgemäß gestellt?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich kann die Frage in aller Kürze beantworten: Die Herbeiführung einer fristgemäßen Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 a Abs. 2 StGB wurde versäumt, weil der nach dem Rechtspflegergesetz zuständige Rechtspfleger es bei der Einleitung der Vollstreckung im September 2003 versäumt hat, eine Frist zur Sicherstellung einer rechtzeitigen Entscheidung zu notieren.
Zum Hintergrund: Der vielfach vorbestrafte Verurteilte wurde am 11. August 2003 durch das Landgericht Essen wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Das Landgericht Essen behielt sich im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vor.
Gemäß § 66 a Abs. 2 StGB hätte das Gericht über die Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung möglich ist, konkret sechs Monate, bevor Zweidrittel der
Turnusgemäß wurde die Akte zum Halbstrafenzeitpunkt im Juli 2006 und zum Zweidrittelzeitpunkt im September 2007 vorgelegt. Aufgrund der fehlenden Eintragung des Vorbehalts der Anordnung von Sicherungsverwahrung aus dem Jahre 2003 wurde sie nicht mit Blick auf die Sicherungsverwahrung, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt zu einer Strafaussetzung zur Bewährung überprüft.
Unter Berücksichtigung von anrechenbaren Zeiten gemäß § 43 Strafvollzugsgesetz wäre der Verurteilte am 21. September 2009 endgültig aus der Strafhaft zu entlassen gewesen.
Im Rahmen der Vorbereitung zur Prüfung der Führungsaufsicht, die sich an die Vollverbüßung der Strafe anschließt, hat der zuständige Rechtspfleger das Versäumnis festgestellt. Der Fehler, der jetzt zu der Entlassung des Verurteilten geführt hat, ist also im Jahre 2003 geschehen.
Meine Damen und Herren, die Leitende Oberstaatsanwältin in Essen hat dem Justizministerium unter dem 8. Dezember 2009 bereits von dem Vorgang berichtet. Sie hat unverzüglich eine dienstaufsichtsrechtliche Prüfung eingeleitet. Sie hat, um künftige Fristversäumnisse zu vermeiden, angeordnet, dass die Überprüfung der Vorlagefristen in Verfahren, in denen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung ergangen sind, aus einer speziellen Verfahrensliste heraus vorgenommen werden.
Der Fall ist auch Gegenstand intensiver Dienstbesprechungen gewesen. Außerdem hat die Leitende Oberstaatsanwältin in Essen unverzüglich alle Vollstreckungsverfahren der Staatsanwaltschaft, die Sicherungsverwahrung betreffen, einer Kontrolle unterzogen. Dabei sind zwei weitere Fälle fehlerhafter Fristeintragungen zutage getreten, die sich aber von den hier angesprochenen deutlich unterscheiden.
In einem Fall handelt es sich um einen Täter, dem gegenwärtig eine gute Prognose ausgestellt wird, da er sich während des Vollzuges erfolgreich einem Behandlungsprogramm unterzogen hat, sodass nach Einschätzung der Leitenden Oberstaatsanwältin in Essen die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nicht vorliegen.
Ein weiterer Fall liegt ebenfalls anders. Es handelt sich um einen wegen Raubes verurteilten Täter. Hier ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht aufgrund der Fristversäumung ausgeschlossen. Wir erwarten in Kürze die gerichtliche Entscheidung über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung.
Im konkreten Fall des entlassenen Straftäters hat am 18. Dezember 2009 das Landgericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Oberlandesgericht Hamm hat am 5. Januar 2010
diese Entscheidung aufgehoben und die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung verneint.
Unverzüglich nach Bekanntwerden der Entscheidung des Oberlandesgerichts habe ich die Generalstaatsanwälte in Hamm, Düsseldorf und Köln mit Erlass vom 14. Januar 2010 gebeten, die Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften im Vollstreckungsverfahren, die die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zum Gegenstand haben, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen.
Darüber hinaus habe ich angeordnet, dass in Fällen angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung durch technische Mittel und das Vieraugenprinzip eine verbesserte Fristenkontrolle eingeführt wird. Außerdem sind landesweit rückwirkend die einschlägigen Akten zu überprüfen.
Die Leitende Oberstaatsanwältin in Essen hat in Ansehung der Haftentlassung unverzüglich Kontakt zu den zuständigen Polizeibehörden aufgenommen, die ihrerseits alles tun, um den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, bereits in der Vergangenheit habe ich mich dafür ausgesprochen, das viel zu komplizierte und lückenhafte Recht der Sicherungsverwahrung grundsätzlich zu überarbeiten. Der Schutz der Bevölkerung darf nicht an Fristversäumnissen scheitern.
Leider hat die frühere SPD-Bundesjustizministerin Zypries es trotz mehrfacher Aufforderungen durch Initiativen des Bundesrates und der Justizministerkonferenz versäumt, die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Durch ihre langjährige Untätigkeit haben wir beim Gesetzgebungsprozess viel wertvolle Zeit verloren. Und so kommt es, dass wir uns im Jahr 2010 mit einem Fehler befassen müssen, der im Jahr 2003 begangen worden ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Präsident. Frau Ministerin, anlässlich der Entlassung eines Sexualstraftäters aus der Untersuchungshaft im letzten Sommer haben Sie uns in der Sitzung des Rechtsausschusses am 19. August 2009 berichtet, dass Sie mit den Spitzen der Oberlandesgerichte und der Generalstaatsanwaltschaften im Gespräch sind, qualitätssichernde Maßnahmen zu
Ich frage Sie: Welche Maßnahmen haben Sie denn seit Sommer 2009 zur Installierung eines Frühwarnsystems bis jetzt getroffen?
Herr Abgeordneter Kutschaty, da werfen Sie zwei Dinge zusammen: Das eine ist die Untersuchungshaft, das andere ist die Vollstreckung eines Urteils. Für die Überwachung des ersten Sachverhalts sind Staatsanwälte zuständig, die Überwachung der Vollstreckung ist Aufgabe von Rechtspflegern.
In der Vollstreckung gibt es klare Fristen, deren Einhaltung überwacht werden muss. In der Untersuchungshaft liegen ungleich größere Risiken, weil ständig das Verfahren überwacht und vorangetrieben werden muss. Dass das Frühwarnsystem, das im Übrigen in seinen Grundzügen bereits von meinem Vorvorgänger angelegt worden ist, Wirkung zeigt, können Sie daran sehen, dass wir die Zahl der Entlassungen aus der Untersuchungshaft gemäß §§ 121, 122 StPO haben halbieren können.
Frau Ministerin, wenn ich es richtig verstanden habe, hat sich die Staatsanwaltschaft Essen um die Information gekümmert. Warum hat das Justizministerium auf eine Information der Öffentlichkeit verzichtet?
Die Staatsanwaltschaft Essen ist die Behörde, die die Vollstreckung im konkreten Fall durchgeführt hat, die die verfahrensführende Behörde ist. Es ist deren Sache, in ihrem Bereich die Zusammenarbeit mit der Polizei zu organisieren. Das ist geschehen. Deshalb bestand für das Justizministerium kein Anlass, da einzugreifen.
Danke, Frau Ministerin. Mir erschließt sich Ihre Argumentation nicht, wieso ein Versagen bei einer Fristenkontrolle in einer Ihrer Behörden etwas damit zu tun hat, dass Gesetze schlecht sind. Deswegen möchte ich Sie konkret fragen. Es ist hier ein Versagen beim Vollzug eines Gesetzes aufgetreten. Was schließen Sie daraus an gesetzgeberischem Handlungsbedarf, wenn Gesetze nicht vollzogen werden?
Frau Düker, wir sollten uns die Vorschriften über Sicherungsverwahrung, vorbehaltene Sicherungsverwahrung und die komplizierten Fristen, die es dabei gibt, sowie die unterschiedlichen Auswirkungen von Fristversäumnissen angucken. Die Regelungen sind einfach zu kompliziert. Ich will aber nichts beschönigen, ich habe auch nichts beschönigt.
Es ist im Jahr 2003 versäumt worden – wie ich es hier erklärt habe –, die Frist ordnungsgemäß einzutragen. Deswegen ist im Jahr 2007 die zu jener Zeit anstehende Entscheidung nicht getroffen worden. Das ist ein Fehler, der in der Staatsanwaltschaft Essen gemacht worden ist. Dazu steht die Staatsanwaltschaft Essen, und die Staatsanwaltschaft Essen hat sich dafür entschuldigt. Es ist ein Fehler mit gravierenden Auswirkungen, die wir alle sehr bedauern.