Protocol of the Session on January 21, 2010

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Frank Sichau [SPD]: Herr?)

Entschuldigung. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Peinlich!)

Zunächst möchte ich gerne sagen, dass ich als Arbeitsminister hier in Nordrhein-Westfalen sehr froh darüber bin, dass seit einigen Tagen in der Bundesrepublik – wohl auch heute Morgen im Deutschen Bundestag – eine heftige Debatte über die Zeitarbeit geführt wird.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat als eine der wenigen Landesregierungen schon 2008 dafür gesorgt, dass eine umfängliche Studie über die Situation der Leiharbeiter bei uns hier in Nordrhein-Westfalen angefertigt wurde.

In der Fachwelt ist unstreitig, dass diese Studie, die ich in Auftrag gegeben habe, eine der objektivsten Studien ist, die es über Zeitarbeit in diesem Land gibt. Ob man eine solche Studie überhaupt objektiv hinbekommen kann, muss man sowieso hinterfragen; denn am Ende braucht man dazu auch viele Interviewer und Interviews. Zumindest vonseiten des Ministeriums haben wir uns sehr viel Mühe gegeben, einmal objektiv herauszufinden, wie die Situation der Zeitarbeiter ist.

Wir alle wissen, dass es da Licht und Schatten gibt. In den letzten Monaten hat sich sehr deutlich die schwierige Tarifsituation bei der Zeitarbeit herausgestellt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat ganz klar entschieden, keine neuen Tarifverträge mehr zur Zeitarbeit abzuschließen.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch richtig so!)

Er hat damit die Konsequenz daraus gezogen, dass er in mehrjährigen Bemühungen um Tarifverträge in der Zeitarbeit – die ja nahezu Pflicht waren, weil man sonst das Lohnniveau der entleihenden Firmen hätte zahlen müssen – die Löhne in dem Bereich nicht erhöhen konnte, sondern eher – das sagt auch die Studie aus Nordrhein-Westfalen – eine Tendenz nach unten beobachten musste. Ich werte die Entscheidung der DGB-Gewerkschaften, keine neuen Tarifverträge mehr zu machen, als verzweifelten Versuch, hier Bewegung in die Geschichte zu bringen; denn wenn es keinen Tarifvertrag gibt, gilt der Grundsatz „Equal pay“.

Jetzt ist es ja so, dass die Tarifverträge Nachwirkungen haben; in vielen Bereichen schützt uns das auch. Man weiß aber auch, dass bei der relativ starken Personalfluktuation, die es in der Zeitarbeit nun einmal gibt, der Anteil derjenigen dort relativ hoch ist, wo das Land kein Tarifrecht hat. Zumindest gilt dies für den Tarifbereich des DGB.

Dann haben wir die Situation, dass die Zeitarbeit einer der wenigen Bereiche der deutschen Wirtschaft ist, in dem in ganz starkem Umfang sozusagen konkurrierende Tarifverträge durch die christlichen Gewerkschaften bestehen.

(Zuruf von der SPD: Sind das Gewerkschaf- ten, Herr Minister?)

Ich nenne sie jetzt einmal so. – Das Problem ist, dass die Tarifverträge, die zumindest mit einigen Zeitarbeitsfirmen gemacht worden sind, meiner Meinung nach nicht den Arbeitnehmern dienen.

Die Frage, ob diese Gewerkschaften tariffähig sind oder nicht, wird von den Gerichten entschieden. Soweit ich mich da auskenne, haben wir in dem Bereich eine Rechtsprechung, bei der am Ende das hohe Gut der Gewerkschaftspluralität oft ganz nach vorn gestellt wird. Und die Frage der Tarifmächtigkeit? – Na ja. Wenn wir im Übrigen über die Frage der Tarifmächtigkeit in der Zeitarbeit reden, wissen wir, dass es auch für die DGB-Gewerkschaften nicht gut aussieht; denn Zeitarbeitnehmer lassen sich zurzeit sehr schwer gewerkschaftlich organisieren. Das ist die Wahrheit. Deswegen begrüße ich sehr, dass zum Beispiel die IG Metall in NordrheinWestfalen erhebliche Vorleistungen erbringt, um da weiterzukommen.

Ich möchte, Herr Schmeltzer, auch gerne sagen, dass ich der einzige Arbeitsminister in Deutschland bin, der eine Hotline für die Zeitarbeiter eingerichtet hat, damit diese überhaupt – wenn sie keine Be

triebsräte haben und oft auch keiner Gewerkschaft angehören – eine Rechtsauskunft bekommen können. Das ist immerhin etwas ganz Praktisches. Sie wissen, wie wir das gemacht haben. Wir zahlen als Land einen Teil der Kosten, und der DGB stellt die Personalressourcen in der Rechtsberatung zur Verfügung, sodass wir da etwas Handfestes eingerichtet haben. Bei dieser Hotline rufen Zeitarbeiter aus ganz Deutschland an, wenn sie denken, dass es für sie nicht gut läuft. Da kommen schon haarsträubende Geschichten ans Licht.

Wenn man hier etwas machen will, ist eine Voraussetzung, dass wir in der Zeitarbeit in Deutschland zu einer einheitlichen Tarifstruktur kommen müssen. Denn das ist, soweit ich es rechtlich verstanden habe, die Voraussetzung, um diese Branche überhaupt in das Entsendegesetz aufzunehmen. Auch die Juristen im MAGS sagen: Hast du zwei Tarifverträge, kannst du nicht politisch entscheiden, welchen du ins Entsendegesetz steckst. – Deswegen brauchen wir einheitliche Tarifverträge. Auf der einen Seite haben wir die beiden Gewerkschaften. Auf der anderen Seite haben wir auch noch auf der Arbeitgeberseite verschiedene Verbände, die man da zusammenfassen muss.

Ich bleibe dabei: Ein Datum ist besonders wichtig, wenn man noch deutsche Zeitarbeit will – ich sage auch noch einmal: Ich möchte Zeitarbeit in vernünftigen Strukturen als flexibles Instrument unseres Arbeitsmarktes behalten –,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Peinlich!)

und das ist der Mai 2011. Das ist für den Arbeitsmarkt in Deutschland ein ganz besonderes Datum, weil nämlich ab dem Zeitpunkt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Europa gilt. Das wird uns im Übrigen in vielen Bereichen, etwa der Pflege, zumindest der häuslichen Pflege, noch erheblich beschäftigen. Das wird den Arbeitsmarkt verändern.

Ich glaube, dass dann unser jetziges Arbeitnehmerüberlassungsgesetz es ermöglichen würde, zum Beispiel mit polnischen und bulgarischen Tarifverträgen in Deutschland Zeitarbeit anzubieten. Da ist die Rechtsmeinung eindeutig. Ich bleibe dabei, dass wir, wenn dieses eintritt, zumindest in einigen Regionen in Deutschland eine Situation in der Zeitarbeit bekommen könnten, die sich niemand wünschen kann – weder die Arbeitnehmerseite noch die Arbeitgeberseite. Denn zu diesen Löhnen können unsere Arbeitgeber überhaupt keine Zeitarbeit anbieten.

Deswegen bleibe ich dabei, Herr Schmeltzer: Auch wenn das in meiner Partei auf Bundesebene durchaus unterschiedlich gesehen wird, glaube ich, dass wir 2011 faktisch eine Situation bekommen, in der kein vernünftiger Mensch mehr dagegen sein kann, die Zeitarbeit in das Entsendegesetz aufzunehmen.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Okay, dann ma- chen wir das zusammen!)

Ich arbeite sehr dafür und spreche mit Verbänden, mit Beschäftigten in der Zeitarbeit und auch mit den christlichen Gewerkschaften darüber, dass man zu einem einheitlichen Tarif in der Zeitarbeit kommen muss, denn sonst hat man nicht einmal die Voraussetzungen. Und wie schnell der Mai 2011 kommt, werden wir alle erleben.

Daran versuche ich zu arbeiten. Ich gebe zu, dass das zurzeit alles sehr zäh ist, aber mit den im Bundestag geführten Debatten, hochgezogen an dem Fall Schlecker, bin ich äußerst zufrieden. Heute hat die Bundesarbeitsministerin im Deutschen Bundestag nach den Tickermeldungen, die ich kenne, sinngemäß gesagt, dass man dann, wenn eine dauerhafte Verdrängung von Stammarbeitskräften über Zeitarbeit erfolgt und man es über Gewerkschaften und Arbeitgeber nicht regeln kann, überlegen muss, wie man es gesetzlich regelt.

(Beifall von der CDU)

Das ist eine Aussage der Bundesarbeitsministerin, wie ich sie mir früher auch von anderen Arbeitsministern in Berlin gewünscht hätte, um das einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.

(Beifall von der CDU – Wolfram Kuschke [SPD]: Der Widerstand war doch bei Ihnen!)

Sie sehen, dass wir in diesem Punkt unter den Leuten, die davon fachlich ein bisschen verstehen, eine ganze Menge Gemeinsamkeiten haben.

Dass es jetzt bis zum 9. Mai in Nordrhein-Westfalen in jeder Sitzungswoche des Landtags so ablaufen wird, dass Herr Schmeltzer hier eine Rede hält, wonach ich das alles nicht gut mache, liegt ein bisschen in der Natur der Sache. Damit kann ich umgehen; damit können Sie umgehen. Das finde ich auch ganz normal.

Jetzt möchte ich gerne noch etwas zu den Fragen zur AWO und zu den Wohlfahrtsverbänden sagen. Wissen Sie, ich bin ein Mensch, der auch deswegen sehr gerne Sozialminister in NordrheinWestfalen geworden ist, weil ich die Arbeit von Wohlfahrtsverbänden sehr schätze und ich auch immer der Meinung war, dass die Trägervielfalt, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, gut ist. Wir sind das Bundesland, in dem das Subsidiaritätsprinzip mit am stärksten ausgeprägt ist.

Wenn ich das richtig im Kopf habe, sind etwa 80 % unserer stationären Altenpflegeplätze bei Wohlfahrtsverbänden und kirchlichen Einrichtungen. Zwei Drittel unserer Krankenhäuser sind in Trägerschaft von gemeinnützigen Stiftungen und Kirchen. Diese Vielfalt – dazu gehört die AWO genauso wie die Caritas und die Diakonie sowie die vielen unterschiedlichen Initiativen im Paritätischen Wohlfahrtsverband, um nur einmal die Großen zu nennen; das Rote Kreuz gehört zum Teil auch dazu – macht, auch was die Philosophie der Sozialarbeit betrifft, unser Land ein Stück reicher. Das ist der

Grund, warum das Land Nordrhein-Westfalen in seiner Geschichte die Einrichtungen der Wohlfahrtspflege immer besonders unterstützt hat.

Aber das heißt auf der anderen Seite auch, dass es ein paar Prinzipien geben muss, die ein Wohlfahrtsverband bei der Organisation seiner Arbeit einhalten muss. Dabei geht es zum Beispiel um solche Grundsätze wie, dass die Leute eine sichere Arbeit haben, dass gleiche Arbeit mit gleichem Lohn bezahlt wird, dass die Leute nicht unterschiedlichen Tarifverträgen unterliegen und dass es in diesen Einrichtungen auch soziale Sicherung, Betriebsrenten und Weihnachtsgeld gibt. Ich finde, all das kann man schon erwarten.

Herr Minister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche.

Eine Frage stelle ich mir schon: Wenn man in diesem Land viele Jahrzehnte lang Sozialarbeit in der Wohlfahrtspflege hat organisieren können, ohne das Instrument Zeitarbeit zu nutzen, warum muss dieses Instrument jetzt auf einmal eingeführt werden?

(Beifall von der CDU)

Das verstehe ich nicht. Warum muss das jetzt sein?

Deswegen bin ich der Meinung – das, was Frau Steffens gesagt hat, ist richtig; das habe ich eben mit der vernünftigen Wohlfahrtspflege gemeint, die ich schätze und auch erhalten möchte –, dass wir darüber reden müssen, ob man nicht bei all dem, was der Staat dafür tut, sagen kann: Es gibt auch ein paar Punkte, an denen wir einen Ehrenkodex haben möchten, der festlegt, unter welchen Bedingungen das stattzufinden hat.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, dann kann die ganze Sache wieder in eine Bahn gelenkt werden, die vernünftig ist. Aber was ich nicht mitmache – das ist gar nicht an die Adresse eines einzigen Wohlfahrtsverband gerichtet –, ist, dass Wohlfahrtsverbände zwar auf der einen Seite starke Privilegierungen, auch zum Beispiel im Wettbewerb mit Anbietern privater Natur, haben und man auf der anderen Seite den Unterschied, dass sie preisgünstiger sind, an den Pflegesätzen oft nicht erkennen kann und dass sie, was die Arbeitsbedingungen in den Organisationen betrifft, all das machen, was zwar sicherlich dem Arbeitsrecht in diesem Land entspricht, sich aber um keinen Deut vom Verhalten der anderen unterscheidet. Dann stellt sich die Grundsatzfrage.

Herr Minister, entschuldigen Sie.

Ich finde, die muss man in Ruhe miteinander besprechen. – Schönen Dank.

Der Kollege Kuschke wollte Ihnen schon seit geraumer Zeit eine Zwischenfrage stellen. Ich habe mehrfach versucht, Sie darauf aufmerksam zu machen.

Sie lassen sie zu. – Bitte schön, Herr Kollege Kuschke.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kollege Laumann, da Sie in den letzten Minuten eine Melodie angestimmt haben, die durchaus darauf angelegt ist, zu schauen, was man gemeinsam verfolgen will, will ich bei dieser Melodie bleiben und sehr zurückhaltend sagen: Das, was gestern in der Zuspitzung geäußert worden ist, habe ich nicht für besonders verantwortungsvoll gehalten. Das ist das eine. Aber darüber reden wir an anderer Stelle.

Das andere ist – da greife ich das auf, was Frau Kollegin Steffens gesagt hat –: Ich fände es wirklich besser, wenn wir diese Dinge klären würden; die müssen auch geklärt werden. Aber wenn wir es nicht in einer Form tun, dass wir es mit denen besprechen, gegen die möglicherweise Vorwürfe erhoben werden, dann ist das eine schwierige Situation.

Noch einmal: Sind Sie bereit, das Gespräch, auch mit den Beteiligten, zu führen? Die Briefe und die Papiere, die vorgelegt worden sind, sind das eine. Die gibt es mittlerweile auch. Auch an die Fraktionen ist das gegangen. Aber ein direktes Gespräch wäre sicherlich besser.

Vielen Dank, Herr Kollege Kuschke. Ich freue mich insbesondere, dass Sie Ihren Beitrag noch in eine Frage übergeleitet haben. – Herr Minister, Sie haben das Wort.