Protocol of the Session on January 20, 2010

Ich eröffne die Beratung und gebe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Steffens das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit die UN-Konvention von der Bundesrepublik ratifiziert worden ist, haben wir schon das eine oder andere Mal über das Thema gesprochen, aber immer über einzelne Ausschnitte.

Hier und heute haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem wir noch mal versuchen aufzuzeigen, was jetzt eigentlich die Aufgabe des Landes ist, welche Bereiche alle berührt sind und wie man den Systemwechsel, der mit dieser UN-Konvention beschrieben wird, zügig auf den Weg bringen sollte.

Wir werden die Debatte nicht hier und heute abschließen. Das ist nicht unsere Absicht, sondern heute wollen wir den Aufschlag machen, um dann in die Ausschussberatungen und die weiteren Beratungen einzusteigen.

Für uns ist klar: Mit dieser UN-Konvention haben wir in der Betrachtung, in der Blickrichtung, in der gesamten bisherigen Ausrichtung der Politik für Menschen mit Behinderungen einen Paradigmenwechsel, und zwar insoweit, als wir von dem ursprünglichen, immer vorhandenen medizinischen Modell, das Defizit des Menschen an erster Stelle zu sehen, und diesem Wohlfahrtsgedanken endlich zum Menschenrechtsansatz kommen.

Also, ganz klar betrachtet: Die Behinderung liegt nicht im Menschen, sondern in der Umgebung, in der Umwelt. Die Barriere ist die Behinderung, die Kante ist die Behinderung und nicht der Mensch ist derjenige, der die Behinderung in sich trägt.

Dieser Paradigmenwechsel bringt Folgen und Konsequenzen mit sich: Die Gesellschaft muss davon Abstand nehmen, Sonderformen, Sonderstrukturen, Sonderlösungen zu schaffen. Vielmehr muss sie endlich von Anfang an in allen Prozessen Menschen mit Behinderungen „mitdenken“; Menschen mit Behinderungen müssen inklusive, also in der Gesellschaft, „mitgedacht“ und integriert werden und dürfen nicht ausgegrenzt und daneben in irgendeine Form von Sonderstruktur geschoben werden.

Das bezieht sich auf alle Lebensbereiche, auf alle grundsätzlichen Bereiche der Menschen. Das fängt bei der Bildung an, bei der wir es schon mehrfach diskutiert haben und wo ganz deutlich ist: Nur wenn wir ein Bildungssystem haben, in dem Menschen mit Behinderungen das Recht haben, selber zu

entscheiden, in welcher Bildungseinrichtung sie unterrichtet werden wollen, und nicht weiterhin in Sonderschulformen, in separierte einzelne Einrichtungen aussortiert werden, kommen wir da an, dass gemeinsamer Unterricht von Menschen mit und ohne Behinderungen als inklusives Schulsystem Normalität erhält.

Dieser Anfang, dieser erste Schritt, grundsätzlich in der Bildung ein inklusives System zu haben, ist ganz wichtig dafür, wie man das Zusammenleben zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen erlebbar macht

(Beifall von den GRÜNEN)

und wie später auch die Denkweise und die Struktur in anderen Lebensbereichen vollzogen werden.

Selbstbestimmtes Wohnen und Leben ist eine ganz wesentliche Grundlage, die aus dieser UN-Konvention resultiert. Das heißt, nicht der Kostenvorbehalt darf im Vordergrund stehen, sondern der Mensch mit Behinderungen muss selber entscheiden können, ob er in einer Einrichtung leben will, ob er alleine leben will, mit wem er leben will, wo und wie er leben will. Es darf ihm nicht vorgeschrieben werden. Auch das muss inklusive, also selbstbestimmt, entschieden werden können.

Wir wollen das inklusive Gemeinwesen fördern, weil auch da klar ist, dass die eigenen Entscheidungen der Strukturen bedürfen, und wir wollen natürlich, dass Barrierefreiheit geschaffen wird.

Wie ist das mit Elternassistenz, wie ist das mit Assistenz für das Ehrenamt? Wie ist das mit Informationen, Broschüren, mit einfacher verständlicher Sprache? Wie können Menschen mit Behinderung Plenardebatten verfolgen? Wie kann Partizipation und Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben stattfinden? Wie werden Barrieren beim Arztbesuch abgebaut? Wie werden Barrieren bei kulturellen Ereignissen abgebaut? Wie kann die Teilhabe stattfinden?

Wichtig und ein ganz elementarer Bereich ist aber auch die berufliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen, wo klar ist, dieses muss verbessert werden. Es kann nicht sein, dass auch hier die Sonderbeschäftigungsformen die Normalität sind, sondern der Mensch mit Behinderung muss selbst, unabhängig von der Art und Schwere der Behinderung, in die Lage versetzt werden, dass er selbst entscheiden kann, in welcher Form er oder sie am Arbeitsleben partizipieren möchte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es muss klar sein, dass es hier unterschiedliche Angebote und unterschiedliche Formen gibt.

Einen letzten Punkt möchte ich in der Kürze der Zeit erwähnen. Es muss klar sein, dass ein besonderes Augenmerk auf Frauen mit Behinderungen gelegt wird, die oft in dieser Diskriminierungsspira

le doppelt diskriminiert werden und wo an der Stelle oft der Blick fehlt, weil sie nicht in erster Linie als Frau, sondern nach wie vor als Mensch mit Behinderung gesehen werden. Das muss durchbrochen werden. Hier muss die Doppeldiskriminierung doppelt aufgebrochen werden. Ich hoffe, dass wir hier zu einem guten Prozess für Nordrhein-Westfalen kommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Steffens. – Für die CDU spricht Frau Kollegin Monheim.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, wir haben hier im Plenum und auch im Fachausschuss mehrfach über die UN-Konvention gesprochen und ihre Bedeutung gewürdigt.

Es ist richtig, dass die Konvention einen – ich glaube, zunächst einmal – vorläufigen Endpunkt in einer Entwicklung markiert, die in den vergangenen Jahren einen bedeutenden Perspektivwechsel im Verständnis der Politik für Menschen mit Behinderungen mit sich brachte:

Nicht mehr Fürsorge, sondern Teilhabe, nicht mehr Benachteiligung und Diskriminierung, sondern umfassende Gleichstellung, nicht mehr Bevormundung, sondern Selbstbestimmung, nicht mehr der Blick auf mögliche Defizite, sondern der Blick auf das, was Gesellschaft leisten muss, um Menschen mit jeder Behinderung teilhaben zu lassen.

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gilt weltweit. Welche Konsequenzen die Umsetzung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen fordert, und zwar von Politik und Gesellschaft, das ist heute noch nicht absehbar.

Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beschäftigt sich ausführlich mit der Umsetzung der Konvention in Nordrhein-Westfalen. Analog einzelner Artikel der Konvention werden wichtige Lebensbereiche aufgezählt – Frau Steffens hat eben einige herausgegriffen –, es werden daraus Forderungen abgeleitet und eingehend erläutert, immer in enger Anlehnung an die Formulierung auch der Konvention.

Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind alle diese Forderungen auch verbindlich. Auf Ihre Forderung, dem Paradigmenwechsel müssten in Nordrhein-Westfalen Taten folgen, kann ich nur antworten: Ja, die Umsetzung muss folgen, und die Umsetzung wird folgen. Die Behindertenrechtskonvention ist seit dem 26. März 2009 geltendes Recht in Deutschland. Dass wir dazu stehen, daran haben die CDU-Fraktion und auch die Landesregierung nie einen Zweifel gelassen.

Ich möchte zwei Punkte noch besonders ansprechen. Auf Seite 2 des Antrags wird kurz hervorgehoben, dass – ich zitiere – „das deutsche Recht für Menschen mit Behinderungen im internationalen Vergleich gut abschneidet.“ Das ist richtig.

Richtig wäre auch gewesen, zumindest darauf hinzuweisen, dass sich in den vergangenen Jahren die Lebenssituation für Menschen mit Behinderung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen entscheidend verbessert hat – auch hier im Gleichklang mit den Gesetzen, die in den letzten Jahren zu diesem Thema erlassen wurden. Nordrhein-Westfalen steht auch hier im Vergleich gut da.

Ein zweiter Punkt. In Art. 4 der Konvention wird darauf Bezug genommen, dass die volle Umsetzung der Rechte nur nach und nach, das heißt, in einem langen Prozess gelingen kann. Es wird außerdem gefordert, dass die Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten in enger Konsultation mit den Interessenvertretungen der behinderten Menschen geschehen soll – getreu dem Leitspruch des Europäischen Jahres für Menschen mit Behinderung, der schon 2003 lautete: Nichts über uns ohne uns!

Dieser Aspekt der notwendigen Einbindung von Betroffenen fehlt mir in Ihrem Antrag. Er ist aber immens wichtig und sollte dringend beachtet werden, wenn wir an die Umsetzung hier in NordrheinWestfalen gehen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in einer der ersten Plenardebatten zur UN-Konvention am 4. Dezember 2008 hat Minister Laumann das Plenum darüber informiert, dass er bereits im Mai 2008 eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die Artikel für Artikel prüft, was in NordrheinWestfalen noch zu tun ist.

Im Hinblick auf die von uns allen gewünschte positive Umsetzung dieser Konvention würden wir als CDU-Fraktion es sehr begrüßen, wenn das Ministerium im Ausschuss einen Bericht über die bisherige Arbeit, über die Vorgehensweise, über die Kooperationspartner und über mögliche erste Ergebnisse geben könnte, damit wir vor diesem Hintergrund den vorliegenden Antrag und das Anliegen dieses Antrags debattieren können.

Der Überweisung in den Fachausschuss stimmen wir zu und freuen uns auf intensive und konsensuale Beratungen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Monheim. – Für die SPD spricht nun Herr Kollege Killewald.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat uns einen Antrag in Sachen

Behindertenpolitik vorgelegt. Wir haben im letzten halben Jahr schon einige Anträge zu diesem Thema gehabt und uns in der Obleuterunde vor einigen Wochen darauf geeinigt, dass wir im Februar eine Anhörung dazu machen wollen. Dabei wollen wir nicht nur die einzelnen Anträge bearbeiten, sondern wir wollen diese Anhörung zum Anlass nehmen, dass der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtags NordrheinWestfalen auch zur UN-Konvention Fragen stellt und Antworten erhält. Wir waren der Meinung, dass es endlich an der Zeit ist, von den Experten deren Meinung zu hören und anschließend die nächsten Schritte im Ausschuss zu bereden.

Insofern, meine Damen und Herren, ist es durchaus legitim, wenn eine Fraktion dieses Hauses ihre Meinung konkreter und differenzierter, als bisher geschehen, fasst. Neben diesem Antrag und den weiteren Anträgen können wir Dreierlei feststellen, was auch Grundlage der Anhörung sein wird:

1. die schon sehr alte Forderung der Teilhabeorientierung aus dem SGB IX,

2. die bereits im Dezember 2008 – Sie haben es gesagt, Frau Monheim – schon feststehenden Äußerungen der UN-Konvention sowie

3. die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie, die in Brüssel am 02.04.2009 diskutiert worden ist.

Seitdem haben wir klare Vorgaben und könnten eigentlich losschreiten. Als Sie vorhin sagten, die Landesregierung stehe zu diesen Forderungen, habe ich bei mir gedacht: Na ja, stehen alleine reicht nicht. „Stehen“ bedeutet nämlich auch: Ich stehe, aber ich schreite nicht voran.

Ich will die Vorwürfe der letzten Monate gar nicht so vehement wiederholen, wie es von dieser Stelle aus und auch schon im Ausschuss geschehen ist, will aber deutlich sagen: Eigentlich haben wir schon 13 Monate vertan.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist nicht wahr!)

Es ist schade, Herr Minister, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, dass Sie als Landesregierung und regierungstragende Fraktionen nicht schon selber Stellungnahmen veröffentlicht haben, dass Sie nicht das, was Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt haben, für sich auch schon manifestiert haben, hätte es doch gezeigt, dass richtig ist, was Minister Laumann in den letzten Jahren immer wieder unermüdlich wiederholt, dass für ihn nämlich die Behindertenpolitik die Königin der Sozialpolitik ist.

Herr Minister, wir werden uns am 24. Februar anhören, was die Fachwelt denn von dieser Königsdisziplin hält, wo sie Mankos sieht und Fortschritte in der Behindertenpolitik einfordert. Leider hat es diese Landesregierung versäumt, vorher schon

Position zu beziehen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Killewald. – Für die FDP spricht Herr Dr. Romberg.