Protocol of the Session on December 17, 2009

Wir wollen deutlich machen, dass wir eine Initiative der Bundesregierung stützen wollen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Welche denn?)

Minister Ramsauer hat deutlich gemacht, dass er dem ländlichen Raum auch aus Sicht der Bundesregierung

(Bodo Wißen [SPD]: Die kann mit Ihrem An- trag gar nichts anfangen!)

einen höheren Stellenwert beimessen will

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist ein Streit innerhalb der Bundesregierung! Das habt ihr nicht kapiert!)

und mit einer anfangs sicherlich sehr begrenzten Finanzsumme, die zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Kommunen zu bezahlen ist, ein Zeichen setzen will.

Wenn wir über den ländlichen Raum reden, müssen wir uns einfach einmal fragen: Was ist eigentlich der ländliche Raum?

(Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist eine sehr gute Frage!)

Der ländliche Raum ist sicherlich in MecklenburgVorpommern mit einer Einwohnerdichte von weniger als 80 Einwohnern pro Quadratkilometer oder in Brandenburg mit 86 Einwohnern pro Quadratkilometer etwas völlig anderes als in NordrheinWestfalen mit dem Kreis Höxter als dem am geringsten verdichteten Kreis – ich glaube, da sind es 125 Einwohner pro Quadratkilometer.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Also gibt es hier gar keine ländlichen Räume?)

Das wäre in manchen neuen Bundesländern schon ein Verdichtungsraum. Das müssen wir uns klarmachen. Das heißt, wir müssen bei der Vielfalt in der Bundesrepublik Deutschland beachten, wie wir hier in Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsstärkstes Land flächenmäßig aussehen und wie wir mit unseren ländlichen Räumen umgehen.

(Zuruf von Bodo Wißen [SPD])

Wir haben völlig unterschiedliche Problemlagen. Die Problemlagen in Verdichtungsräumen sind sicher

lich Flächenknappheit, bauliche Verdichtung, Quartiersmanagement usw.

Im ländlichen Raum haben wir in Teilen noch eine problematische Verkehrserschließung. Wir sind dabei, das abzubauen. Wir haben beim öffentlichen Nahverkehr große Probleme.

(Bodo Wißen [SPD]: Sehr wahr!)

Heiße Luft durch die Gegend zu fahren ist unheimlich teuer.

(Bodo Wißen [SPD]: Also abschaffen?)

Wir müssen überlegen, wie man das bewältigen kann.

Bei der Breitbanddatenversorgung haben wir immer noch weiße Flecken. Das ist von der vorherigen Regierung als Problemkreis überhaupt nicht erkannt worden.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist doch Quatsch! Das ist doch echter Unfug!)

Da müssen wir heute eine Menge tun.

Wir haben auch im Bereich der ärztlichen Versorgung suboptimale Strukturen.

Vergessen wir nicht – das hat etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun –, dass wir bei der Nahversorgung gerade in den ländlichen Räumen ausgesprochen große Probleme haben. Wir brauchen nur in den Schwarzwald, nach BadenWürttemberg zu gehen. Dort lohnt es sich in einigen Gebieten überhaupt nicht mehr, dass der rollende Markt kommt, also der Verkaufswagen vorbeifährt. Die Kommunen sind dort gezwungen, einen Laden anzumieten und eine 400-Euro-Kraft einzusetzen, um wenigstens an drei bis vier Stunden pro Tag ein Minimalangebot für die dort lebende in der Regel ältere und immobile Bevölkerung bereitzustellen. – Das gibt es bei uns zum Glück nicht. Ich bin sicher: Unter dieser Landesregierung wird es das erst recht nicht geben.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, unsere ländlichen Räume – das ist doch eigentlich das Positive – bieten Vielfalt, Kulturlandschaft und Identität. Nicht zu unrecht vergleicht man Nordrhein-Westfalen mit seinen Regionen bundesweit. Bekannt sind die Zuverlässigkeit des Rheinländers, die Weltoffenheit des Münsterländers und die Großzügigkeit des Lippers.

(Bodo Wißen [SPD]: Das kenne ich aber an- ders!)

Das sind Markenzeichen, die wir als NordrheinWestfalen nach außen setzen. Das heißt, wir haben in den Regionen eine kulturelle Identität. Der Eifler ist eben jemand anderes als der Sauerländer, der Lipper oder der Münsteraner.

Das sind Gebietseinheiten, die in anderen Regionen Deutschlands Bundesländer wären, auch von der

Bevölkerungszahl her. Schauen wir uns nur einmal den Regierungsbezirk Düsseldorf an mit den starken Städten, aber auch den starken ländlichen Regionen. Der Regierungsbezirk Düsseldorf ist so groß wie das Bundesland Hessen oder RheinlandPfalz und das Saarland zusammen. Das sind andere Dimensionen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Warum diese Ak- tuelle Stunde, Herr Kollege? Die Frage bleibt offen!)

Wir wollen mit unseren ländlichen Räumen anders als die Vorgängerregierung umgehen. Sie sind ein Markenzeichen gewesen, das wir auf die Bundesregierung übertragen können und das die Bundesregierung erkannt hat:

(Zuruf von Bodo Wißen [SPD])

Unsere ländlichen Räume sind eigenständige Wirtschafts-, Lebens- und auch Entwicklungsräume. Es sind eben keine Restflächen für Deponien, Wasserschutz, Erholung oder ökologischen Ausgleichsraum. Das ist etwas völlig anderes als früher. Darauf gründet sich letztlich, dass wir sagen: Wir wollen in Nordrhein-Westfalen Abschied von der Politik der Vorgängerregierung nehmen, die immer einen nordrhein-westfälischen Sonderweg definiert hat. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit unserer ländlichen Räume erhalten.

(Bodo Wißen [SPD]: Reden Sie doch mal zur Aktuellen Stunde!)

Herr Wißen, das sind für Sie alles völlig neue Tatsachen. Deswegen schütteln Sie den Kopf. Oder Sie verstehen es nicht. Für eine der beiden Möglichkeiten muss man sich entscheiden.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Wir warten auf die Antwort auf Ihre eigene Frage, Herr Kollege: Warum diese Aktuelle Stunde?)

Wir gehen also keinen Sonderweg, sondern wollen das 1:1 umsetzen, was an Vorgaben aus Düsseldorf oder Brüssel kommt, um die Räume zu stärken.

Wir sagen auch ganz klar Ja zur unternehmerischen Landwirtschaft bei Erhalt des genetischen Reproduktionspotenzials. Wir müssen als Gesellschaft definieren, was uns unsere wichtigen ökologischen Ausgleichsfunktionen, Heckenstrukturen, das Freihalten der Landschaft usw. wert sind.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist doch pein- lich!)

Da wird schnell gesagt: Das ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Meine Damen und Herren, Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist selbstverständlich. Sozialpflichtigkeit des Eigentums meint aber nicht die Verpflichtung, den Grundeigentümer zum Sozialfall zu machen.

(Ute Schäfer [SPD]: Was reden Sie denn da?)

Deswegen müssen wir bei der Land- und Forstwirtschaft sagen: Wenn wir als Gesellschaft besondere, über das normale Maß hinausgehende Ansprüche stellen, müssen wir auch Ausgleichszahlungen vornehmen.

(Bodo Wißen [SPD]: Was ist denn das The- ma der Aktuellen Stunde? – Marc Jan Eu- mann [SPD]: Alles Art. 5 Grundgesetz: Mei- nungsfreiheit!)

Deswegen ist auch das ein Grund, in der Agrardebatte deutlich zu machen: Ja zu den Direktzahlungen zu sagen statt – jetzt formuliere ich, mir fremd, etwas polemisch – von ideologischen Vorstellungen des Umbaus der Gesellschaft zu sprechen. Nein, wir müssen den betroffenen Landwirt vor Ort anerkennen

(Lachen von Bodo Wißen [SPD])

und ihn in die Lage versetzen, unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig zu handeln.

Wir sagen auch eindeutig Nein zu einer romantisierenden Landwirtschaft. Im Jahre 1900 versorgte ein Landwirt vier Personen. 1950 waren es schon zehn. Heute sind es 126. 126! Im Zusammenspiel mit der Ernährungsindustrie ist der ländliche Raum heute ein ganz entscheidender Wirtschaftsfaktor.

Ich glaube, wenn wir uns ähnlich wie beim Cluster Holz auch beim Cluster Ernährungswirtschaft darauf konzentrieren, die Stärken zu stärken und bewusst zu machen, welche Bedeutung zum Beispiel die Wertschöpfungskette von der Landwirtschaft bis zur Ernährungswirtschaft hat, werden wir ein ganz anderes Verhältnis zum ländlichen Raum bekommen.

Wir als FDP, als Koalition bekennen uns zum ländlichen Raum als eigenständigem Lebens-, Wirtschafts- und auch Entwicklungsraum. Gerade auf Letzteres lege ich Wert.