Protocol of the Session on December 16, 2009

Und wenn Sie die Sachverständigen hier zitiert haben, Herr Dr. Linssen, dass man jetzt keine Sparpolitik mit allen Grausamkeiten machen soll: Ja, wo sind denn die Zitate der Sachverständigen, die Ihnen in allen Anhörungen gesagt haben, dass dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz kein gutes Gesetz ist und dass es fahrlässig ist, ein solches Gesetz zu beschließen? Das hätte zur Wahrheit gehört, wenn Sie das auch vorgetragen hätten.

(Frank Sichau [SPD]: Das passte nicht!)

Sie kommen mit einer Schuldenbremse und höhlen im Moment systematisch den Staat aus.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es macht eben einen Unterschied, ob man auf Bundesebene eine Schuldenbremse verankert, weil die Bundesebene eigene Steuerungsmöglichkeiten über die Steuerpolitik hat.

(Gisela Walsken [SPD]: Exakt!)

Das ist noch einmal ein zentraler Unterschied. Deswegen greift es nicht, wenn man sagt: Wir haben es da gemacht, also müssen wir es da auch machen.

Die Grünen haben – Sie wissen, dass ich in der Kommission war, die die Grünen zur parallelen Beratung und Begleitung der Föderalismuskommission II eingesetzt haben – sehr wohl gesagt, dass wir uns einer Schuldenbremse auch für die Länder nicht verschließen. Aber wir haben gleichzeitig dafür geworben, dass es dann auch eigene steuerpolitische Handlungsmöglichkeiten für die Länder geben müsste.

(Gisela Walsken [SPD]: Exakt!)

Den Weg sind Sie nicht gegangen. Deswegen verbietet sich hier die einfache Analogie,

(Horst Becker [GRÜNE]: Scharlatan!)

so wie Sie das hier vorgetragen haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein Letztes möchte ich sagen, meine Damen und Herren! Die Kommunen wären in hohem Maße von einer Schuldenbremse des Landes betroffen. Auf der einen Seite den Kommunen systematisch die Handlungsmöglichkeiten zu entziehen, einen Raubzug durch die kommunalen Kassen zu betreiben und ihnen auf der anderen Seite keine Handlungsmöglichkeiten mehr zu geben, das ist ebenfalls grob fahrlässig, das ist absurd.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Die Kommunen von Nordrhein-Westfalen brauchen keine Schuldenbremse, sondern sie brauchen einen Altschuldenfonds. Und dafür streiten wir. Deswegen kommen am Freitag die Bürgermeister der 19 höchstverschuldeten Städte zu Ihnen und wollen von Ihnen etwas hören. Sie wollen nichts von einer Schuldenbremse hören, sondern sie wollen eine Altschuldenhilfe von Ihnen bekommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist die Situation in Nordrhein-Westfalen. Die haben Sie zu verantworten, und die werden wir mit aller Kraft auf die Marktplätze tragen, damit die Menschen wissen, was das hier für ein verlogenes Hin und Her ist: von Schuldenbremse reden und hier die größten Schulden aller Zeiten in NordrheinWestfalen machen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort.

Wir haben gerade gehört, dass das als verlogen bezeichnet wird. Ich würde es als große Luftblase bezeichnen, was hier gemacht wird. Fakt ist, dass wir in NordrheinWestfalen eine Rekordverschuldung haben; für 2010 beträgt sie schon 130 Milliarden €, bis 2013 dann bis zu 150 Milliarden €. Das sind die neuen Rekordwerte, die wir mit dieser CDU/FDPLandesregierung bekommen. Das ist die reale Situation.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Grünen, die das hier heftig kritisieren, demnächst vielleicht mit der CDU regieren wollen. Erstaunlich ist sicherlich auch, dass die SPD, die in Berlin bei der Schuldenbremse mitgemacht hat, hier in Nordrhein-Westfalen jetzt zuckt. Vielleicht hat das auch damit etwas zu tun, dass Sie jetzt in Berlin nicht mehr in der Regierung sitzen. Ich weiß es nicht. Fakt ist jedenfalls, dass die Schuldenbremse dem Land Nordrhein-Westfalen in der realen Situation nicht weiterhilft.

Wir hatten hierzu schon eine Anhörung. Interessanterweise gab es nur den Antrag von CDU und FDP als Regierungsfraktionen und den Antrag von mir als Linkem – keine Anträge von SPD und Grünen bei der Anhörung. Auch war interessant zu sehen und zu hören, wie das abgelaufen ist.

Fakt ist jedenfalls, dass wir in den vergangenen Jahren immer wieder Konjunktureinbrüche hatten. Wir haben jetzt einen sehr massiven Konjunktureinbruch. Nichts spricht dafür, dass ähnliche Einbrüche für die Zukunft ausgeschlossen sind. Mit einem im Grundgesetz festgeschriebenen Verbot neuer Nettokreditaufnahmen würden sich alle Landesregierungen der Möglichkeit berauben, in künftigen Notsituationen angemessen und nach freiem Ermessen zur Abwendung der schlimmsten Auswirkungen in die wirtschaftliche Entwicklung einzugreifen. Eine solche Bindung der Länder verletzt deren Eigenstaatlichkeit, die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG auch gegen Verfassungsänderungen geschützt ist.

Art. 28 Abs. 2 GG macht deutlich, dass schon die kommunale Selbstverwaltung auch eine finanzielle Eigenverantwortung umfasst. Umso mehr kann den Bundesländern nicht durch ein striktes Kreditaufnahmeverbot jede finanzpolitische Gestaltungsmöglichkeit und Eigenverantwortlichkeit entzogen werden. Das war übrigens auch die Aussage mehrerer Professoren, die bei der Anhörung anwesend waren. Sie haben genau diese grundgesetzliche Problematik aufgegriffen.

Zu den Grenzen der Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 3 GG gehört mit dem Schutz der Ei

genstaatlichkeit der Länder zugleich der Kernbereich ihrer Haushaltsautonomie, und zwar sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht. Darunter fällt auch die Kreditautonomie zumindest insoweit, als bei allen diesbezüglichen Regelungen des Bundes dem Land eine substanzielle Eigenverantwortung in Bezug auf Bedingungen und Zeitfolge einer Kreditaufnahme erhalten bleiben muss.

Diesen Anforderungen genügt die vorgeschlagene Schuldenregelung des Bundes nicht. Ich möchte zwei Gutachter zitieren, zum einen ist das Professor Bontrup, der unter Punkt 10 und 11 in seiner Stellungnahme bei der Anhörung gesagt hat:

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise wird die Staatsverschuldung in Deutschland noch einmal kräftig ansteigen lassen. Zu diesem Schuldenanstieg gibt es aber keine Alternative, weil es ansonsten zu einer verheerenden krisenverschärfenden – prozyklischen – Wirkung kommen würde. Und: Bei Umsetzung der Schuldenbremse sind drastische Steuererhöhungen unvermeidlich. Käme es dagegen zu Staatsausgabensenkungen, würde unser Land großen Schaden nehmen.

Der DGB hat sich in der Anhörung auch geäußert. Er sagt:

Der DGB weist noch einmal darauf hin, dass ein Blick auf die letzten Jahre eindrucksvoll belegt, dass eine Konsolidierung auch ohne Schuldenbremse möglich ist. In der Diskussion um Staatsschulden wird immer wieder die enge teilweise wechselseitige Abhängigkeit zwischen Konjunktur und Staatsfinanzen vergessen.

Genau davon haben Sie in den letzten Jahren profitiert, bevor diese große Krise gekommen ist. Da hat es Rekordsteuereinnahmen gegeben. Danach wurde die Situation schlecht. Gleichzeitig ist Ihr Haushalt ins drastische Minus gerutscht.

Die Vorschläge, die ich dazu gemacht habe, sind sehr konkret: Der Landtag spricht sich gegen die durch die Föderalismus-II-Kommission erarbeitete Neuregelung der verfassungsgemäßen Schuldenaufnahme, der sogenannten Schuldenbremse, als rigorosen Einschnitt in die Handlungsfähigkeit öffentlicher Institutionen aus. Der Landtag stellt fest, dass die Länder durch die vereinbarte strukturelle Verschuldungsregelung ab 2020 klar gegenüber dem Bund benachteiligt werden. Dieses Kreditaufnahmeverbot führt zu sozial, ökonomisch und gesellschaftlich unvertretbaren Einschnitten in die Leistungen der staatlichen Transfersysteme.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich komme zum Ende, Herr Präsident.

Besonders betroffen werden natürlich wieder diejenigen sein, die am unteren Rand der Einkommensskala stehen. Das sind diejenigen, die besonders von dieser Politik, die hier in den nächsten Jahren gemacht werden soll, negativ beeinflusst werden. Deswegen werden wir als Linke das rigoros ablehnen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Ich bin sehr gespannt, wie sich die SPD da verhalten wird. Es ist auch interessant, wie sich die Grünen weiter verhalten werden. Fakt ist jedenfalls: Im Moment scheint es so zu sein, dass es hier im Landtag keine Mehrheit für diese Verfassungsänderung gibt. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sagel. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Frau Kollegin Walsken das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Weisbrich – ist nicht mehr da –, Herr Finanzminister, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den regierungstragenden Fraktionen, so leicht lassen wir Sie hier nicht entkommen nach dem Motto: In Berlin haben wir damals in der Großen Koalition eine Schuldenbremse beschlossen, und hier kneifen wir.

Ich sage deutlich: Wir beschließen hier jede Schuldenbremse, die ausschließt, dass am Ende der Finanzierungskette die Kommunen die Leidtragenden sind.

(Beifall von der SPD)

Wir beschließen hier jede Schuldengrenze, meine Damen und Herren, die ausschließt, dass hinterher der Herr Finanzminister den Raubzug durch das Gemeindefinanzierungsgesetz startet.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Denn das scheint sich offensichtlich hinter einer Formulierung im Gesetzentwurf – Seite 3 Position F – zu verbergen, wo steht: Auswirkungen auf die Selbstverwaltung und die Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände – „Keine“.

(Heiterkeit bei Frank Sichau [SPD])

Solange Sie uns hier nicht darstellen, wie Sie das machen wollen, meine Damen und Herren, werde ich auf keinen Fall ein solch durchsichtiges Manöver, wie Sie es hier heute gestartet haben, mitmachen.

(Beifall von der SPD)

Sie wissen genau – da brauchen Sie nur mit dem Kollegen in Baden-Württemberg zu telefonieren –, dass Sie, um eine Schuldenbremse umzusetzen, überhaupt keine

Verfassungsänderung brauchen. Sie brauchen sich an dieser Stelle gar nicht hinter der Opposition zu verstecken. Sie brauchen einfach nur eine Regelung in der Landeshaushaltsordnung, und sofort – Sie haben noch Zeit bis morgen zur dritten Lesung des Haushalts – können Sie noch für 2010 anfangen, die Neuverschuldung abzubauen.

Also, lassen Sie die Scheinheiligkeit, das durchschaubare taktische Wahlkampfmanöver, das Sie eilends angelegt haben, um die Opposition zu jagen.