Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Dr. Rüttgers. – Es spricht als Nächste die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Frau Kollegin Kraft.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Ein Wort vorweg in aller Offenheit: Nach dem, was ich persönlich in den letzten Monaten vonseiten der CDU erleben musste, spreche ich Ihnen ab, uns hier Nachhilfe in politischer Kultur geben zu wollen, Herr Ministerpräsident. Das spreche ich Ihnen ab!
Herr Wüst, dazu halten Sie besser die Klappe! Sie sind ein unsäglicher Mensch, der persönliche Angriffe fährt gegen Menschen, die versuchen, die politischen Interessen der Menschen des Landes Nordrhein-Westfalen zu vertreten. Halten Sie besser Ihre Klappe dazu!
Wenn wir schon dabei sind, dann nehmen wir uns die Zeit. Der Ministerpräsident hat seine Redezeit dankenswerterweise überschritten. Deshalb habe ich ein bisschen Raum. Dann machen wir es doch. Dann sprechen wir darüber, was der Juso gemacht hat. Der Juso ist in der Tat bei uns beschäftigt. Er hat auch alle Veranstaltungen unserer großen Politiker aus Berlin begleitet. Aber dass Sie systema
tisch Videoüberwachungen meiner Person veranlasst haben, das ist ein Bruch politischer Kultur, sehr geehrter Herr Wüst! Das ist ganz klar an dieser Stelle.
Ich lasse mir von Ihnen, Herr Ministerpräsident, keine Nachhilfe geben in Sachen politischer Kultur. Das, was Sie hier mit ruhigen, salbungsvollen Worten von sich geben, entspricht doch überhaupt nicht dem, was wir hier in der Debatte dauernd erleben.
Sie können hier so tun, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, als wäre das alles eine Einschätzung der SPD-Fraktion oder der Grünen-Fraktion hier im Landtag. Aber bitte schön: Haben Sie die anderen Einschätzungen nicht zur Kenntnis genommen? Haben Sie die Einschätzungen der Sozialverbände nicht zur Kenntnis genommen, die sich gerade in den letzten Tagen massiv geäußert haben? Haben Sie die Einschätzungen der Gewerkschaften nicht zur Kenntnis genommen?
Unterschiedliche Einschätzungen konnten wir heute hier feststellen, Herr Kollege Papke. Es war schon interessant, an welchen Stellen Sie geklatscht haben und an welchen Sie nicht geklatscht haben. Da kommt noch einiges an Klärungsprozessen auf uns zu. Das lässt das Ganze ja erwarten.
Ja, Sie haben grundsätzlich gesagt, Sie wollen Wachstum. Ich habe nichts dagegen, dass man Wachstum anregt, Herr Ministerpräsident. Da haben Sie etwas missverstanden. Das ist nicht der Punkt. Ich habe etwas dagegen, dass man, wenn man Wachstum über Steuersenkungen finanzieren will, die Rechnung aufmacht, Steuersenkungen führten automatisch zu Steuermehreinnahmen. Daran ist schon Ronald Reagan gescheitert. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
den machen muss. Unabhängig davon, dass Sie in der Vergangenheit anderes erzählt haben, ist für mich eine ganz entscheidende Frage: Wer wird entlastet? Ich habe überhaupt nichts gegen Entlastungen auf der steuerlichen Seite. Die Frage ist aber doch: Wer wird entlastet? Und da geht unsere Einschätzung auseinander. Ich kann sehr wohl den Koalitionsvertrag lesen. Ich komme gleich in den Details noch genauer darauf zu sprechen.
Eine andere ganz entscheidende Frage ist, wenn man schon mit Schulden finanziert, wofür man dieses Geld ausgibt. Geben wir Entlastungen auf den Weg im Bereich der Unternehmensteuern? Die Unternehmen haben schon in der Vergangenheit das Versprechen, dass sie mehr Arbeitsplätze schaffen würden, nicht eingehalten. Oder geben wir dieses Geld – das die Wirtschaft anregen kann, wenn wir Aufträge wie in den Konjunkturpaketen I und II herausgeben – nicht besser für das aus, was dieses Land dringend braucht, nämlich endlich einen Schub in Richtung mehr und bessere Bildung statt Tippelschritte? Das ist doch der entscheidende Unterschied.
Es kann, bitte schön, nicht sein, Herr Vizepräsident, dass ich nur noch drei Minuten Redezeit habe. Ich wollte nur darauf hinweisen.
Die Frage, wofür man das Geld ausgibt, ist der entscheidende Punkt. Was ist, wenn wir es jetzt nicht schaffen – die Zeit läuft uns davon –, Strukturen so zu verändern, dass wir die jungen Menschen, die wir heute in unserem Bildungssystem verlieren – ich rede über die Zahlen, über die Sie sich gerade mit den Gewerkschaften im Ausbildungskonsens streiten –, zurückholen und aus ihnen das herausholen, was herauszuholen ist, jedem Kind alle Chancen geben? Was ist, wenn wir das nicht endlich schaffen? Was ist, wenn wir es nicht endlich schaffen, die Strukturen in den Kommunen so anzulegen und den Kommunen auch die finanziellen Möglichkeiten zu geben, dass sie das umsetzen können, dass die Familien anders aufgenommen werden – Geh-Strukturen statt KommStrukturen –, dass Familien endlich frühzeitig unterstützt werden, dass die Hürden im Bildungssystem
beiseite geschafft werden? Wir brauchen doch mehr Kinder mit besserer Ausbildung. Wir müssen unten anfangen.
Da brauchen wir keine Kindergelderhöhung, meine Damen und Herren von der FDP und von der CDU. Da brauchen wir Geld in die Strukturen! Das ist das, was erforderlich ist.
Tun Sie doch nicht so, als wäre Ihre Politik „Privat vor Staat“ erledigt, Herr Ministerpräsident. Es war interessant, wie Herr Papke darauf reagiert hat. Das ist doch das, was im Koalitionsvertrag angelegt wird.
Tun Sie doch nicht so, als wäre das nicht Ihre Politik in diesem Land gewesen. Sie haben den § 107 der Gemeindeordnung geändert. Sie haben die Querfinanzierung für die Kommunen in vielen Fällen unmöglich gemacht.
Reden Sie doch mal mit den Landschaftsverbänden, was die da im Moment an Problemen haben. Die wollen gerade sinnvolle Strukturen aufbauen.
Reden Sie mit den Landschaftsverbänden. Machen wir mal einen gemeinsamen Termin. Dann gucken wir uns mal an, wo die durch den § 107 der Gemeindeordnung behindert werden. Schauen wir uns das doch mal im Detail an. Das können wir gerne tun.
Ich weiß genau, wovon ich rede, Herr Ministerpräsident. Die bringen mir – Ihnen offensichtlich nicht – die Fälle und sagen: Hier kann ich wegen § 107 sinnvolle strukturelle Veränderungen nicht vornehmen. – Das ist das Problem, das dahintersteht.
Gucken wir doch mal auf die Kommunen. Ich glaube, in der Einschätzung sind wir uns einig: Wenn man die Strukturen verändern will, dann muss man den Kommunen eine tragfähige, sichere Perspektive bieten. Denen steht das Wasser bis zum Hals. Das wissen wir beide. Und was steht im Koalitionsvertrag? Da steht die Aussicht auf die Abschaffung der Gewerbesteuer. Und der Finanzminister unterstützt das alles auch noch presseöffentlich. Ich komme gleich auf die Details zu sprechen; die kann ich Ihnen nicht ersparen. Im Koalitionsvertrag steht: Wir schaffen die Gewerbesteuer ab und werden eine Gegenfinanzierung für die Kommunen bieten. – Wir beide wissen, dass das dann für die Kommunen konjunkturabhängiger wird.
Lesen Sie doch mal nach, Herr Kollege Lindner. Sie sollten den Koalitionsvertrag schon ein bisschen genauer studieren. Da steht: „Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz“. Was bedeutet das? Eigener Hebesatz bedeutet: Die Unterschiedlichkeit der Finanzausstattung der Kommunen in diesem Land wird weiter zunehmen.