Protocol of the Session on November 4, 2009

Wenn ich mir vor allen Dingen die zwei weiteren Punkte anschaue, die sich mit der momentanen Kostenexplosion befassen, und was Sie an kurzfristigen Maßnahmen im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dann stellt sich mir alles hoch. „Unnötige Ausgaben sind zu vermeiden!“ Meine Damen und Herren, im Wahlkampf bin ich keinem Politiker der FDP begegnet, der mir sagen konnte, was denn eine solche unnötige Ausgabe wäre. Es war immer ein Hin und Her und ein Rumgestocher. Den Menschen genau das zu sagen, was man ihnen an Leistungen streichen will, das traut sich niemand, aber Sie werden es tun. Und wenn Sie es tun, werden die Menschen es Ihnen zurechnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich gerne sagen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass es in keinem Punkt so wichtig war, zu einem neuen Ministerium, zu einem neuen Minister und zu einem Neuanfang zu kommen wie in der Gesundheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von CDU und FDP)

Zweitens. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit Herrn Rösler einen sehr guten Gesundheitsminister bekommen werden.

(Gisela Walsken [SPD]: Warten wir einmal ab!)

Der Mann wird mit Geschick und Klugheit, aber auch mit einer guten inneren Einstellung dieses wichtige Amt – davon bin ich überzeugt – ausfüllen.

(Beifall von der FDP)

Der Mann ist nun nicht einmal eine Woche im Amt, da kritisiert ihn schon die Opposition.

(Gisela Walsken [SPD]: Wir kritisieren den Koalitionsvertrag, nicht Herrn Rösler!)

Liebe Leute, es gibt in der Politik einen guten Grund, dass man jedem Minister erst einmal 100 Tage lässt, um sich in seinem Amt einzufinden und die ersten Maßnahmen einzuleiten. Die sollten wir Herrn Rösler und anderen Mitgliedern der neuen Bundesregierung auch gönnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich wünsche ihm auf jeden Fall viel Glück; denn ich weiß, dass das Gesundheitssystem einer der schwierigsten Bereiche der deutschen Politik ist. Ich halte das Amt des Gesundheitsministers für das schwierigste, was eine Bundesregierung zu vergeben hat, vor allem deswegen, weil ich – das sage ich ganz deutlich – den völlig übertriebenen Lobbyismus im Gesundheitswesen in meinem Leben kennengelernt habe; Lobbyisten,

(Heike Gebhard [SPD]: Aber die bedienen Sie gut im Koalitionsvertrag!)

denen es in der Regel nicht um den Versicherten und um den kranken Menschen geht, sondern darum, Pfründe für die eigene Lobby zu kassieren. Damit fertig zu werden, das ist eine etwa gleich schwierige Aufgabe wie die Koordination der Geheimdienste während des Kalten Krieges – um das einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.

(Beifall von CDU und FDP)

Drittens. Dieser Koalitionsvertrag bedeutet auch ein Ende des immer stärker werdenden Zentralismus und Staatsdirigismus in der Gesundheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist erst einmal gut. Weniger Staatsdirigismus aus Berlin, wieder mehr in der regionalen Entscheidung auch der Länder, aber auch der Selbstverwaltung und dieses wieder neu auszutarieren, damit ein selbstverwaltetes Gesundheitswesen wieder die Regel bei uns wird und nicht über Herrn Knieps und viele zentral gesteuerte Bundesausschüsse alles in der Gesundheitspolitik ministeriell gesteuert wird. Das ist gut, dass das, glaube ich, vorbei ist.

Ein weiterer Punkt. Wir sagen in diesem Koalitionsvertrag ganz klar: Für uns ist das Bild im niedergelassenen gesundheitlichen Bereich der freiberuflich tätige Arzt, der freiberuflich tätige Apotheker. Wir möchten nicht, dass diese Berufsgruppen Angestellte von irgendwelchen Interessens- oder Kapitalverbünden werden, sondern dass sie im wahrsten Sinne einer vernünftigen Freiberuflichkeit unabhängig ihrer Aufgabe in diesem Gesundheitswesen nachgehen können.

(Beifall von CDU und FDP)

Deswegen ist es auch richtig, dass wir die Frage der MVZ so entschieden haben, wie es geschehen ist, dass nämlich die Mehrheit bei den Ärzten liegen muss und nicht Kapitalgesellschaften – egal ob aus Krankenhäusern heraus oder meinetwegen aus Arzneimittelkonzernen heraus – MVZ steuern können, sondern dass wir dies wieder stärker in die ärztliche Freiberuflichkeit lenken.

Ich meine, dass der Arzt mit einem guten Fachwissen, aber nicht verdienend an seiner Verordnung, dass der von Weisungen im Gesundheitswesen unabhängige Arzt vom Ordnungsprinzip her einer der großen Qualitätsvorteile des deutschen Gesundheitswesens ist. Sie können mir sagen, was Sie wollen: Ein MVZ in Trägerschaft eines Krankenhauses hat auch die Aufgabe, bei Krankenhauseinweisungen in allererster Linie das Haus zu bedenken, wo man angestellt ist. Und das möchte ich eben nicht, sondern ich möchte einen Arzt haben, der unabhängig davon Ratschläge gibt,

(Beifall von der CDU)

was in dem entsprechenden Fall in der Region die beste medizinische Versorgung ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Dann gibt es im Gesundheitswesen eine Frage, die sehr schwer zu beantworten ist. Meine Damen und Herren, wie finanzieren wir auf Dauer ein wachsendes Gesundheitssystem?

Es ist nicht so, dass die Ausgaben im Gesundheitssystem nur aufgrund der demografischen Veränderung in der Bevölkerung wachsen. Das ist ein Punkt.

Der wahre Grund für wachsende Märkte, für eine wachsende Versorgung im Gesundheitssystem ist, dass es im Gesundheitswesen auf dieser Erde Gott sei Dank medizinischen Fortschritt gibt. Je mehr wir können, desto mehr müssen wir am Ende leisten, wenn die Grundeinstellung gilt, dass dieser Fortschritt auch jedem Versicherten zugute kommen soll, wenn es angezeigt ist. Deshalb ist das Gesundheitssystem in den kommenden Generationen mit Sicherheit nicht mit den gleichen finanziellen Ressourcen zu bewältigen wie in der vergangenen Generation. Wir erleben nämlich zurzeit einen gigantischen medizinischen Fortschritt.

Hätte man vor 15 oder 20 Jahren im Landtag eine Rede als Gesundheitsminister gehalten und gesagt, wir würden in unserer Klinik in Bad Oeynhausen irgendwann in der Lage sein, eine Herzklappe zu erneuern, ohne den Brustkorb zu öffnen, hätte man diesen Gesundheitsminister für verrückt erklärt. Mit Professor Gummert sind wir seit einigen Monaten eine der ersten Kliniken in Deutschland und Europa, die dies können. Es ist ein gigantischer Fortschritt, wenn man Menschen auch in hoch betagtem Alter solchen Operationen unterziehen kann. Das ist für mich eines der Beispiele, an dem man den Segen von medizinischem Fortschritt sehr gut begreifen kann.

Die Kosten im Gesundheitswesen sind während der Amtszeit von Ulla Schmidt immens angestiegen. Wir haben in den letzten zehn Jahren bei Arzneimitteln eine Kostensteigerung um 65 % erlebt. Das ist nicht der Fall, weil Ulla Schmidt das schlecht gemacht hätte, sondern weil wir den Menschen bei schlimmen Erkrankungen durch neu entwickelte Arzneimittel erheblich besser helfen können als früher.

Denken Sie allein an den Fortschritt bei Aids-Medikamenten in den letzten 15 Jahren. Sie sind ein Segen für die daran erkrankten Menschen. Denken Sie an die Krebsmedikamente, die Krebspatienten heute wesentlich länger und mit einer höheren Lebensqualität leben lassen als noch vor zehn Jahren. Diese Medikamente kosten in Einzelfällen aber zwischen 5.000 und 7.000 € pro Patient und Monat. Denken Sie daran, dass wir nach wie vor den medizinischen Fortschritt in unseren Krankenhäusern finanzieren müssen. Dort lagen die Kostensteigerungen in der Vergangenheit bei gut 20 %.

Wir werden nicht in der Lage sein, all diese Kostensteigerungen durch Kostendämpfungsgesetze auszubremsen, wenn wir den Grundsatz beibehalten wollen, dass jeder erkrankte Mensch von diesen Medikamenten profitieren und an dem medizinischen Fortschritt teilhaben soll.

Machen wir uns nichts vor. Die Wahrheit ist, dass die Koppelung der Gesundheitskosten allein an das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis der Grund ist, warum wir in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr gedeckelt haben und einen schar

fen Weg einschlagen, den Mangel zu verwalten. Dieser Weg bedeutet den Weg in die Unterversorgung der Bevölkerung und am Ende in eine Zweiklassen-Medizin.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir haben in unserem Koalitionsvertrag ganz klar gemacht, dass wir das nicht wollen. Deswegen muss man sich Gedanken darüber machen, wie man ein solches Gesundheitswesen eben nicht nur über die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze finanziert. Deswegen ist es richtig, zum jetzigen Zeitpunkt klar das Signal zu geben, dass der Arbeitgeberbeitrag nicht erhöht wird. Dahinter stehe ich. In drei, vier oder fünf Jahren kann man das anders entscheiden. Jetzt aber ist es ein ganz klares Signal der Koalition, dass wir das nicht wollen.

Ich sage Ihnen in aller Entschiedenheit: Die nordrhein-westfälische Landesregierung wird niemals einem Finanzierungskonzept für eine Gesundheitsreform zustimmen, in dem der Fahrer eines Ministers genauso viel für die Krankenkasse zahlt wie der Minister selbst. Wir brauchen in diesem Gesundheitssystem einen solidarischen Ausgleich zwischen gut Verdienenden und nicht so gut Verdienenden, zwischen Kranken und Gesunden. Die Frage ist, ob man ihn bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 € organisiert oder ob man auch die Gehaltsanteile, die über diesen 3.750 € liegen, zum Beispiel über die Steuer in diesen Sozialausgleich einbezieht. Darüber wird man wohl noch einmal in aller Ruhe nachdenken dürfen. Das steht in diesem Koalitionsvertrag. Das halte ich auch für richtig.

Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Sozialausgleich über Steuern schwierig zu finanzieren ist. Ich kann mir in etwa die Summen vorstellen, die man dafür bräuchte. Es wird sich um Summen handeln, die eher zwischen 20 und 40 Milliarden € liegen als unter 20 Milliarden. Wir haben in den gesetzlichen Krankenkassen einen gigantischen Sozialausgleich. Wenn man 400 € verdient, kann man für 32 € krankenversichert sein. Als freiwilliges Mitglied wie ich kann man auch einen Krankenversicherungsbeitrag von mehr als 600 € zahlen. Das ist der derzeitige Sozialausgleich in der gesetzlichen Krankenkasse: vom niedrigsten denkbaren Beitrag bis zum höchsten denkbaren Beitrag.

(Heike Gebhard [SPD]: Die tun Ihnen doch nicht weh, oder?)

Nein, das tut mir nicht weh. Ich bin auch dafür.

Ich sage Ihnen aber eines: Dass das nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 3.750 € geht …

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Entschuldigung, dann haben Sie vor Gericht aber auch das Problem, ob bei gleichen Leistungen noch eine Beitragsbezogenheit des Systems erforderlich ist.

Ich kann nur sagen: Reden Sie weiter, wie Sie wollen. Wir als nordrhein-westfälische Landesregierung werden für die Beibehaltung eines solidarischen Gesundheitssystems sorgen, ob nun im System oder außerhalb des Systems.

(Beifall von der CDU – Heike Gebhard [SPD]: Wie viel Steuergeld müssen Sie denn dafür in die Hand nehmen?)

Meine Damen und Herren, ich möchte diese Debatte gerne heute zum Anlass nehmen, um mich ganz persönlich, aber auch im Namen der Landesregierung bei Rudolf Henke für die gute Zusammenarbeit hier im Landtag und in der Landespolitik von Nordrhein-Westfalen zu bedanken.

(Beifall von CDU und FDP)

Lieber Rudolf, wir haben uns vor fast fünf Jahren hier bei der Arbeit in unserer Landespartei, später in der Landtagsfraktion und in der Zusammenarbeit im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales kennen gelernt. Ich will mich herzlich für die faire Zusammenarbeit bedanken. Es war für mich ein schönes Erlebnis, mit dir einen Menschen kennen gelernt zu haben, der als Arzt viel Fachliches in die Debatte eingebracht hat. Gleichzeitig hatte man bei dir aber immer den Eindruck, dass die Versorgung der kranken Menschen absolute Priorität in deinen gesundheitspolitischen Vorstellungen hat, dass für dich der Mensch und nicht die Frage zählt, wo er versichert ist.

(Beifall von CDU und FDP)